
How to Preach the Prophets for All Their Worth
Über welchen Teil der Bibel predigst du am liebsten? Über welche Teile hast du bislang die meisten Predigten gehört? Es würde mich wundern, wenn viele Leser auf eine dieser beiden Fragen mit „prophetische Texte“ antworten. Obwohl die prophetischen Bücher ähnlich umfangreich wie das gesamte Neue Testament sind, nehmen viele Christen (und auch Prediger) Abstand von diesem Teil der Schrift. Weil Andrew G.M. Hamilton überzeugt ist, dass die Kirche die Schönheit, Tiefe und Relevanz der prophetischen Botschaft hören muss, behandelt er auf rund 200 Seiten die Verkündigung dieser Literaturgattung.
Drei Gründe, über die prophetischen Bücher zu predigen
Bevor Hamilton sich der Frage widmet, wie über die prophetischen Bücher gepredigt werden sollte, drehen sich die ersten drei Kapitel des Buches um das Warum. Der erste Grund, über die Propheten zu predigen, ist das Beispiel von Jesus und den Aposteln. Die Propheten bereichern nicht nur das Bild dessen, wer Jesus, der Messias, wirklich ist, sondern prägen sowohl Jesu Verkündigung und seine Predigten sowie die Lehre und das Leben der neutestamentlichen Gemeinde.
Zweitens sollten die prophetischen Bücher aufgrund ihrer Botschaft nicht vernachlässigt werden. Ihr großer Wert zeigt sich etwa darin, dass sie uns den Horror unserer Sünde und die Größe Gottes auf einzigartige Weise vor Augen malen. Zuletzt lernen Prediger von der Raffinesse ihrer Rhetorik:
„Die Propheten des Alten Testaments waren außergewöhnliche Prediger. Sie verkündeten dem Volk Gottes das Wort Gottes mit Mut, Klarheit und Überzeugung. … Prediger können von den Propheten lernen, wie sie treue Auslegung mit kreativer und effektiver Verkündigung verbinden können. Schließlich waren die Propheten Prediger, und Prediger möchten gehört werden.“
Dieser erste Buchteil ist nicht zuletzt deshalb wertvoll, weil es dem Autor gelingt, die Propheten als Personen zu beleuchten. Es handelt sich um Menschen aus Fleisch und Blut. Deshalb können Prediger sich in den Propheten wiederfinden und von ihnen als Brüdern und Vorbildern lernen.
Sechs Leitlinien
Teil 2 besteht aus sechs Kapiteln, die jeweils ein Prinzip oder einen Hinweis zum Predigen über die Propheten enthalten.
1. Lass Sorgfalt walten
Hamilton sieht das biblische Genre der Prophetie als jenes, das am schwierigsten zu definieren ist. Immerhin benutzen die Propheten eine ganze Reihe literarischer Gattungen, wie Erzählungen, Gleichnisse, Dialoge, Vorhersagen und Gebete. Dennoch haben prophetische Texte einige Gemeinsamkeiten: Es handelt sich um inspirierte Anthologien, also um Sammlungen von Texten, die Gott durch jene menschlichen Autoren niederschreiben ließ. Sie benutzen poetische und bildhafte Sprache sowie Parallelismen.
„Das Ziel der Propheten war es, in ihren Hörern eine Veränderung hervorzurufen. Es ging ihnen nicht um Information allein, sondern um Transformation!“
Nachdem der Autor diese Eigenschaften beschrieben hat, liefert er am Ende des Kapitels zehn Hinweise, was Sorgfalt im Umgang mit den Propheten bedeutet: Zuerst muss der Prediger das große Ganze des jeweiligen Bibelbuches erfassen, um sich nicht in den Details zu verlieren. Hamilton wird hier (und an anderen Stellen) auch nicht müde zu betonen, dass es das Ziel der Propheten war, in ihren Hörern eine Veränderung hervorzurufen. Es ging ihnen nicht um Information allein, sondern um Transformation! Deshalb müssen wir beim Predigen über die prophetischen Bücher stets nach der Intention des Propheten fragen: Welche Absicht verfolgte der Prophet bei seinen ersten Hörern? Zwei weitere Hinweise in Hamiltons Liste lauten: „Höre mit deinem Herzen, nicht nur mit deinem Verstand“ und: „Bleib demütig“.
2. Komm zurück aus der Zukunft
Das nächste Kapitel weist auf die Tatsache hin, dass nur ein geringer Anteil prophetischer Texte über künftige Ereignisse spricht. Wir sollten die Propheten also nicht als Journalisten verstehen, die ihre Zeitgenossen allein über Ereignisse informieren, die einige Jahrtausende später stattfinden werden. Hamilton warnt uns davor, dass „die prophetische Nachricht sonst völlig irrelevant für die ursprüngliche Zuhörerschaft wäre“ (S. 96). Andererseits gilt es auch, das entgegengesetzte Extrem zu vermeiden, das die Texte allein in ihrem historischen Kontext ansiedelt und übersieht, dass die Propheten Visionäre waren: „Sie vermittelten eine göttliche Perspektive der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft“ (S. 96). Drei Fragen sollen helfen, beide Extreme zu vermeiden: „Inwieweit ist die Prophezeiung in eine bildhafte Sprache gekleidet?“ (S. 97), „Inwieweit enthält die Prophezeiung Bedingungen?“ (S. 99) und: „Inwiefern wurde die Prophezeiung bereits erfüllt?“ (S. 103). Hamilton ermutigt uns, weder Angst davor zu haben, Antworten zu geben, noch davor, keine Antworten zu haben. Außerdem soll der Prediger nicht davor zurückscheuen, sich Hilfe zu holen – vor allem im Neuen Testament sowie beim Heiligen Geist.
3. Komm zurück aus der Vergangenheit
Mit Kapitel 6 reist der Leser zurück in die Vergangenheit, in die Zeit der Propheten, welche Hamilton in drei Perioden aufteilt: die Zeit des geteilten Reiches, die Zeit des Reiches von Juda und die nachexilische Epoche. Nur wenn der Prediger mit dem zeitlichen Kontext vertraut ist, kann er die Nachricht des prophetischen Textes erfassen und unmittelbare Erfüllungen erkennen. Außerdem lassen relevante Informationen zur damaligen Kultur die Predigt auch lebendig werden. Auch hier spricht Hamilton jedoch eine Warnung aus:
„Die historische Recherche ist ein wichtiger Faktor bei der Auslegung jedes biblischen Textes, aber sie ist nicht der entscheidende Faktor. … Der biblische Text selbst ist unsere Richtschnur. Der Zweck der historischen Recherche ist es, den biblischen Text besser zu verstehen und nicht, ihn zu ergänzen oder zu verändern. Der Text hat Vorrang vor der historischen Recherche, nicht umgekehrt, denn die Inspiration betrifft den biblischen Text und nicht die Geschichte hinter dem Text.“ (S. 143–144)
Hier platziert der Autor auch den wertvollen Hinweis, die Rekonstruktion der ersten Zuhörerschaft an den Beginn der Predigt zu stellen, um so aufzuzeigen, dass die ersten Hörer ganz ähnliche Nöte, Probleme und Herausforderungen hatten, und der Text und seine Hauptaussage deshalb von größter Relevanz für unser Leben sind:
„Wenn wir sofort eine Vorschau darauf geben, wie die prophetische Botschaft ihre tiefen Bedürfnisse berühren wird, dann werden die Zuhörer gern in der Geschichte zurückreisen, um dann Gottes Berührung in ihrem Leben zu erleben.“ (S. 145)
4. Predige prophetische Texte wie die Propheten
Das 8. Kapitel dreht sich um die folgende, beachtenswerte These von Hamilton:
„Ich möchte unser Verständnis des ‚textauslegenden Predigens‘ dahingehend erweitern, dass wir nicht nur dem Inhalt des Textes treu bleiben – also dem, was die Propheten sagen –, sondern auch der Form des Textes – also der Art und Weise, wie sie es sagen.“ (S. 148, Hervorhebungen im Original)
Seine These veranschaulicht der Autor (wie an vielen anderen Stellen) mit einer passenden Illustration: Nur wenn der Prediger seine 3-Punkte-Standard-Predigtschablone verlässt und den Text auch die Form der Predigt vorgeben lässt, „werden unsere Predigten keine Zwangsjacken sein, die den Bibeltext eingrenzen, sondern maßgeschneiderte Anzüge, die perfekt auf den Bibeltext passen“ (S. 149). Doch wie predigten die Propheten? Sie sprachen als Boten Gottes („So spricht der Herr: …“), mitunter stellten sie die Zuhörer auch vor Gottes Gericht, außerdem benutzten sie Metaphern und eine ganze Reihe sprachlicher Stilmittel wie Ironie, Personifikationen, rhetorische Fragen und Hyperbeln.
5. Nimm die Straße zu Christus
In der Bibel führen nicht alle Straßen nach Rom, sondern alle Texte zu Christus. Darum erklärt Hamilton in diesem Kapitel nicht nur, warum wir die alttestamentlichen Propheten mit Christus in Verbindung bringen müssen, sondern auch, welche „Straßengräben“ wir vermeiden und welche „Straßen“ wir dafür benutzten müssen. Warum ist dieser Schritt also wichtig? Weil wir damit in den Fußstapfen der Apostel sowie von Jesus selbst wandeln, über den Lukas berichtet:
„Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war.“ (Lk 24,27)
Außerdem entkommen wir nur so dem Moralismus, der alttestamentliche Texte nur zu leicht in einfache Vorbild-Geschichten verwandelt, welche die Hörer schlichtweg nachahmen sollen. Nein, es geht darum Christus zu begegnen! Daher finden wir Versprechen und ihre Erfüllung in Christus, deshalb gibt es Typologien, die Christus vorschatten, und darum haben wir das Neue Testament, das uns hilft, jene Verbindungen noch klarer zu erkennen.
„In der Bibel führen nicht alle Straßen nach Rom, sondern alle Texte zu Christus.“
Gleichzeitig spricht sich der Autor hier dafür aus, das Prinzip „Christus in jedem Text“ bzw. „Jesus in jeder Predigt“ nicht auf Biegen und Brechen anzuwenden, sondern vielmehr zu versuchen, Christus-zentrierte Predigt-Serien zu erstreben. Er schließt das Kapitel mit folgender Vision:
„Unser Ziel ist es, unsere Leute zu Christus zu führen. So reisen wir von den Propheten zu Christus, nicht um interessante Zusammenhänge zu vermitteln, sondern um echte Begegnungen mit Christus zu haben, nicht um unsere Klugheit zu beweisen, sondern seine Größe, nicht um schöne Gedanken zu produzieren, sondern brennende Herzen.“ (S. 204)
6. Baue eine Brücke zur Gemeinde
Das Buch endet damit, dass Hamilton anhand von Beispieltexten aus Jesaja 1 und Maleachi 3 aufzeigt, wie der Prediger die Brücke vom Text zu den Zuhörern – genauer: zur Gemeinde – zuerst plant und dann baut. Zuerst geht es darum, die Distanz korrekt abzuschätzen: Inwiefern besteht Kontinuität zwischen damals und heute, inwiefern nicht? Dann wird eine „Brücke“ errichtet, die mit dem Rest der Schrift in Einklang steht, fest im Text verankert ist und zu einer konkreten, lebensverändernden Anwendung bei neutestamentlichen Gläubigen führt.
Fazit
Hamilton hat seine Hausaufgaben definitiv gemacht und schreibt aus Erfahrung mit der Materie. Davon zeugt nicht nur die 7,5-seitige Bibliographie am Ende des Buches, die von Achtemeier über Ash, Augustinus, Baxter, Beale, Fee, Kaiser, Köstenberger, Packer, Spurgeon und Stott bis hin zu (Christopher) Wright reicht, sondern auch die zahlreichen wirklich hilfreichen Hinweise, die über das ganze Buch verstreut sind.
Du möchtest lernen, besser über die Propheten zu predigen? Dann greif zu diesem Buch! Du hast bisher noch nie auch nur in Erwägung gezogen, über die Propheten zu predigen? Dann greif zu diesem Buch!
Buch
Andrew G.M. Hamilton, How to Preach the Prophets for All Their Worth: A Hermeneutical, Homiletical, and Theological Guide to Unleash the Power of the Prophets, Eugene: Wipf and Stock, 2022, 252 Seiten, ca. 26 EUR.