Wenn alles um mich dunkel scheint

Artikel von Timon Kubsch
3. März 2023 — 11 Min Lesedauer

Kennst du das Gefühl der Niedergeschlagenheit? Diese Traurigkeit und Erschöpfung, diese Hoffnungslosigkeit und Dunkelheit, die alles einhüllt und dir den Blick auf das Gute und Schöne in dieser Welt verschleiert? Seit dem Sündenfall leben wir in einer kaputten Welt. Unsere Psyche ist davon nicht ausgenommen. Sie funktioniert schlichtweg nicht immer so, wie es sein sollte. Die Gründe dafür, sowie die Ausprägung, können sehr vielschichtig sein, doch wir Christen wissen auch, dass der Retter und Heiland erschienen ist. Jesus Christus ist gekommen, um Kaputtes heil zu machen. In erster Linie kam er, um unsere Sünden durch seinen Opfertod zu vergeben und uns wieder mit Gott zu versöhnen (vgl. 2Kor 5,19). Letzten Endes wurde er aber auch Mensch, um die kaputte Schöpfung neu zu machen (vgl. Offb 21,3–4). Gott vertröstet uns dabei allerdings nicht auf die Zukunft. Er hat uns schon im Hier und Jetzt sein Wort als Licht in der Dunkelheit (vgl. Ps 119,107) und seinen Geist als Tröster (vgl. Joh 14,26) geschenkt, damit wir in allen Gefühlslagen (selbst in den dunkelsten) unseren Blick auf ihn und damit auf die Wahrheit richten können.

Anhand der Psalmen 42 und 43, die eigentlich ein zusammenhängendes Lied bilden, können wir sehen, wie Gott das im Leben eines Mannes tat, der ihm als Sänger im Volk Israel diente, aber selbst durch eine sehr schwere Zeit gehen musste. Er hielt seine Gefühle, seine Zweifel, aber auch das Ringen um seine Seele in drei Strophen fest, an die jeweils der Refrain anschließt.

1. Lebendiges Wasser in der Dürre

„Wie ein Hirsch lechzt nach Wasserbächen, so lechzt meine Seele, o Gott, nach dir!“ (Ps 42,2)

In der ersten Strophe beschreibt der Psalmist seine Lebensumstände und auch seine Emotionen mit dem eindrücklichen Bild der Dürre. Stell dir eine Wüste oder karges Land in Israel vor. Es ist drückend heiß. Die Sonne brennt herab. Du hast unglaublichen Durst, aber es gibt weit und breit kein Wasser und damit keine Hoffnung. Er fühlt sich wie ein Hirsch, der in der Dürre nach Wasser lechzt.

„In der Gefühls-Dürre nimmt der Psalmist das lebendige Wasser zu sich – Gottes Wort.“
 

Wir können uns nur ein grobes Bild davon machen, was genau der Psalmist durchmachen musste. Scheinbar gab es Menschen, die ihn Tag und Nacht bedrängten, die spotteten: „Wo ist nun dein Gott?“ (Vers 4). Vermutlich hielten diese Menschen ihn auch davon ab, zum Haus Gottes zu gehen, um Gott anzubeten, seinen Dienst auszuüben und Gemeinschaft mit Gläubigen zu haben (vgl. Verse 3.5). Der Psalmist ist einsam und verzweifelt. Auch von Gott fühlt er sich vergessen und fern (vgl. Verse 2–3). Seine Seele ist zutiefst betrübt. Er hat keinen Appetit mehr (vgl. Vers 4). Er nimmt nur noch die Tränen zu sich, die ihm in den Mund laufen – Tag und Nacht. Stell dir diesen Mann vor, wie er tagsüber reglos am Boden sitzt und in der Nacht wach liegt, während ihm die Tränen über das Gesicht laufen. Der Psalmist sehnt sich nach Gott und nach der Freude, die man hat, wenn man Gottes Nähe spürt und Gemeinschaft mit Gläubigen hat. Aktuell fühlt er sich jedoch verloren und hoffnungslos. Die einzige Frage, die ihn antreibt, ist: Wann, Gott? „Wann werde ich kommen und vor Gottes Angesicht erscheinen?“ (Vers 3).

Vielleicht kannst du dich in diesen Mann hineinversetzen. Vielleicht hast du dich sogar schon einmal ähnlich gefühlt: niedergeschlagen, von Gott verlassen, bedrückt und einsam. Was können wir tun, wenn wir uns so niedergeschlagen fühlen? Der Autor dieser Psalmen berichtet uns, was ihm geholfen hat: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken für die Rettung, die von seinem Angesicht kommt!“ (Vers 6). Siehst du, was dieser am Boden liegende Musiker macht? Er predigt sich selbst die Wahrheit Gottes zu! In dieser Gefühls-Dürre nimmt er das lebendige Wasser zu sich – Gottes Wort. Denn auch, wenn die Gefühle und Umstände ihm sagen, dass es keine Hoffnung und keinen Ausweg mehr gibt, so weiß er tief in sich, dass bei dem lebendigen Gott wahres Leben, wahre Freude und Hoffnung zu finden sind. Zu ihm muss er kommen (vgl. Vers 3)! Darum beginnt er, sich selbst das Wort Gottes zu predigen.

Ich glaube, es ist essentiell zu verstehen, dass unsere Seele ein Schlachtfeld ist. Ununterbrochen prasseln Gefühle und Gedanken auf uns ein – entweder aus uns selbst heraus oder aber von außen. Der Psalmist erlebt beides. Unsere gefallenen Gedanken und Gefühle reden zu uns und das Problem ist: Sie sind nicht vertrauenswürdig! Denk nur an all die Selbstzweifel, die negativen Gedanken, den unbändigen Zorn, die Hoffnungslosigkeit. Dein Fleisch redet zu dir. Das erleben alle Menschen in unterschiedlichem Maß. Von „ich bin nichts wert“ bis hin zu „nimm das Messer und töte dich“. Doch diese Gedanken kommen nicht von Gott. Sie sind nicht die Wahrheit!

Wir dürfen jedoch wissen: Es gibt die Wahrheit. Es gibt lebendiges Wasser, selbst in der Dürre. Und wir wissen wo: Das Wort Gottes ist immer wahr und richtig. Es ist uns gegeben, damit wir einen Anker haben, an dem wir unsere Gedanken und Gefühle festmachen können. Und wir brauchen das so dringend! Der Psalmist gibt sich nicht einfach seinen Gefühlen und Gedanken hin, sondern kämpft darum, sein Gefühlsleben und seine Gedankenwelt an Gottes Wort auszurichten. Statt nur passiv auf die Worte seiner Psyche zu hören, wird er aktiv und fängt an, seiner Seele zu predigen. Trink auch du das lebendige Wasser Gottes!

2. Ein Fels des Heils in der Flut

„Alle Wellen sind über mich hineingebrochen.“ (Ps 42,8)

In der zweiten Strophe verwendet der Psalmist ein anderes Bild, um seinen Zustand zu beschreiben: das Bild der Flut. Er fühlt sich, als ob Wasserfluten ihn umschlungen hätten. Auch das können wir uns bildlich vorstellen: Jemand wird von einer Welle fortgerissen. Er verliert den festen Boden unter den Füßen. Wassermassen ziehen ihn nach unten. Es wird immer dunkler, die Luft wird dünn, bis er von der Tiefe umschlossen wird und aufhört zu strampeln. Der Psalmist fühlt sich von Wassermassen umschlossen, von Gott vergessen, vom Leben überwältigt.

„Der Psalmist fühlt sich von Wassermassen umschlossen, von Gott vergessen, vom Leben überwältigt.“
 

Die Umstände haben sich also nicht geändert, aber der Glaube hält ihn am Leben, und er kämpft weiter (vgl. Vers 7). Trotz Hoffnungslosigkeit hat der Verfasser damit begonnen, sich die Wahrheit Gottes zuzusprechen. Und tatsächlich sehen wir in dieser zweiten Strophe eine Veränderung. Zwar hat sich die Situation an sich nicht geändert, aber wir sehen, dass seine Gefühle und Gedanken nun von Glaubensüberzeugungen geleitet und korrigiert werden. Allein die ersten beiden Worte in Vers 7 sprechen Bände: „Mein Gott“. Während er vorher bloß „Gott“ sagte, kann der Psalmist nun beten: „Mein Gott“ und „Gott meines Lebens“ (vgl. Vers 9). Vorher fühlte er sich Tag und Nacht fern von Gott (vgl. Vers 4), nun kann er sagen: „Am Tag wird der HERR seine Gnade entbieten, und in der Nacht wird sein Lied bei mir sein, ein Gebet zu dem Gott meines Lebens“ (Vers 9). Er fühlt sich zwar wie von Wassermassen umschlossen, aber trotzdem kann er beten zu „Gott, meinem Fels“ (Vers 10). Er weiß: Inmitten der Flut habe ich einen Fels des Heils, auf den ich bauen kann, selbst wenn alles andere weggerissen wird.

Siehst du diese Veränderung? Sein Glaube und die Hoffnung auf Gott sind stärker geworden. Und sie beginnen, seine Gedanken und Gefühle zu prägen. Es gibt also Hoffnung für dich! Predige deiner Seele das Wort Gottes. So macht es auch der Psalmist wieder im Refrain: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, dass er meine Rettung und mein Gott ist!“ (Vers 12).

3. Ein Licht in der Dunkelheit

„Sende dein Licht und deine Wahrheit!“ (Ps 43,3)

Das Erste, was uns in der dritten und letzten Strophe (Ps 43) auffällt, ist: Die Situation hat sich immer noch nicht verändert. Noch immer wird der Psalmschreiber von Menschen bedrängt (vgl. Vers 1). Noch immer ist er niedergedrückt (vgl. Vers 2). Dennoch betet er weiterhin zu Gott um Hilfe, und wieder verwendet er ein starkes Bild, um das zu beschreiben: die Dunkelheit. Alles um ihn herum scheint dunkel zu sein. Er fühlt sich von Dunkelheit umschlossen. Das ändert sich auch nicht mehr in diesem Psalm, denn er endet mit dem Refrain: „Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, dass er meine Rettung und mein Gott ist!“ (Vers 5).

„Der Psalmist lernt, was es bedeutet, dass Gott sein Ein und Alles ist, und was es bedeutet, mit Christus einen Fels in der Flut des Lebens zu haben, die alles andere wegreißt.“
 

Die bittere Realität ist, dass unser Leben nicht immer so verläuft, wie wir es uns wünschen. Das Leben ist schwer. Gott verspricht uns auch nicht, dass alles gut wird – zumindest nicht auf dieser Welt. Wir werden keine Erfüllung hier auf Erden finden. Das wird es erst geben, wenn unser Herr wiederkommt. Diese Erkenntnis schmerzt, aber in diesem Schmerz liegt paradoxerweise auch eine Schönheit. Der Psalmist lernt, was es bedeutet, dass Gott sein Ein und Alles ist, und was es bedeutet, mit Christus einen Fels in der Flut des Lebens zu haben, die alles andere wegreißt. Er lernt, sich an Gott zu freuen und ihm zu vertrauen, obwohl sich die Lebensumstände nicht verändert haben. Denn das wahre Leben ist nicht in dieser Welt zu finden – nicht in perfekten Lebensumständen und auch nicht in psychischer Gesundheit, auch wenn wir darum beten und kämpfen dürfen und sollen. Die wahre Freude, das wahre Leben ist tatsächlich nur bei Gott zu finden. Es bedeutet, ihn zu kennen und sagen zu können: „Denn für mich ist Christus das Leben, und das Sterben ein Gewinn“ (Phil 1,21).

In dieser schweren Niedergeschlagenheit kann der Psalmist deshalb hoffnungsvoll in die Zukunft blicken. Er hat eine feste Zuversicht auf Gottes Handeln. Er betet: „Sende dein Licht und deine Wahrheit“ (Vers 3). Er hofft, dass diese ihn leiten – zunächst zum Heiligen Berg Gottes, dann zum Haus Gottes hinauf, zum Tempel. Dann weiter in den Tempel hinein, zum Altar und schließlich zu Gott selbst. „So werde ich kommen zum Altar Gottes, zum Gott meiner Jubelfreude, und werde dich preisen auf der Zither, Gott, mein Gott!“ (Vers 4). Der Psalmist ist sich sicher: Eines Tages werde ich wieder vor Gott treten, und dabei werde ich voll wahrer Freude und voll Jubel sein. Ich werde nicht mehr aufhören, Gott anzubeten, zu singen und zu tanzen.

Der Psalmist wusste nicht, ob das zu seinen Lebzeiten auf der Erde oder erst danach geschehen würde, aber wir wissen, dass seine Hoffnung auf Gottes zukünftiges Handeln nicht umsonst war. Denn Gott hat sein Gebet erhört. Er hat tatsächlich sein Licht in die Dunkelheit gesandt. Er hat tatsächlich die Wahrheit offenbart, um uns Menschen den Weg zu seinem Haus und in seine Gegenwart zu zeigen. In Johannes 8,12 sagt Jesus von Nazareth über sich: „Ich bin das Licht der Welt; wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ Er ist das lebendige Wasser inmitten der Dürre (vgl. Joh 14,6). Er ist der Fels des Heils, das feste Fundament, auf dem wir sicher stehen, wenn die Fluten kommen.

Unsere Hoffnung ruht nicht in diesem Leben, sondern allein auf Christus. In ihm ist die wahre Freude zu finden. Dieser Jesus Christus hat dir seine Hand ausgestreckt. Er wird dich retten, wenn du an ihn glaubst. Daran gibt es keine Zweifel, selbst wenn dir deine Gedanken und Gefühle sagen, dass er dich vergessen hat. Er ist auf die Erde gekommen, um uns von dem zu erretten, was uns von Gott trennt, um uns in die himmlische Herrlichkeit vorauszugehen, um uns eine Wohnung vorzubereiten. Und um uns eines wunderbaren Tages zu sich zu holen, ins ewig leuchtende Angesicht Gottes (vgl. Joh 14,1–3), in die Jubelfreude (vgl. Vers 4). Nicht Jubel, nicht Freude: Jubelfreude! Mein Bruder, meine Schwester, predige deiner Seele das Wort Gottes und harre auf Christus. Er möge dich stärken und durchtragen.

„Was bist du so aufgelöst meine Seele, und was stöhnst du in mir? Harre auf Gott! Denn ich werde ihn noch preisen“ (Ps 43,5)