Rückkehr zur Katechese – jetzt!

Artikel von Timothy Keller
11. Februar 2023 — 4 Min Lesedauer

Die Kirche im Westen steckt in einer Krise der Heiligkeit. Heilig bedeutet „abgesondert“ zu sein, anders zu sein, das Leben nach Gottes Wort zu leben, anstatt nach den Narrativen, von denen die Welt uns sagt, dass sie der Sinn des Lebens sind. Je post- und antichristlicher die Kultur um uns herum wird, desto häufiger entdecken wir Menschen innerhalb unserer Gemeinden, die zwar biblische Predigten hören, aber gleichzeitig heidnische Ansichten über Gott, die Wahrheit und die menschliche Natur vertreten. Auch setzen sie Sex, Geld und Macht in ihrem täglichen Leben auf sehr weltliche Weise ein. Es ist schwer zu leugnen, was J.I. Packer und Gary Parrett schreiben:

„Oberflächliche Wahrheiten, verschwommene Vorstellungen von Gott und Frömmigkeit sowie Gedankenlosigkeit in Bezug auf berufliche, gemeinschaftliche, familiäre und kirchliche Lebensfragen sind heute allzu oft die Kennzeichen evangelikaler Gemeinden.“ [1]

Es ist nicht das erste Mal, dass die Kirche im Westen sich in einem zutiefst unchristlichen kulturellen Umfeld wiederfindet. In den ersten Jahrhunderten musste die Kirche neue Gläubige von Grund auf formen und aufbauen und ihnen umfassende neue Denk-, Gefühls- und Lebensweisen in jedem Aspekt des Lebens beibringen. Sie taten dies nicht nur durch Predigten und Lehrvorträge, sondern auch durch Katechese. Diese war nicht nur für Kinder gedacht, sondern auch für Erwachsene und sogar für Gemeindeleiter. Alle waren in der Wahrheit des Evangeliums verankert, indem sie im Dialog und in der Gemeinschaft Glaubenssätze erlernten, die für ihre besonderen Umstände und Bedürfnisse zusammengestellt wurden.

In der Blütezeit der Reformation standen die Kirchenführer in Europa erneut vor einer massiven pädagogischen Herausforderung. Wie konnten sie das Leben von Menschen, die in der mittelalterlichen Kirche aufgewachsen waren, neu gestalten? Die Antwort war wiederum, dass viele Katechismen für alle Altersgruppen und Lebensabschnitte erstellt wurden. Martin Luther, John Calvin und John Owen produzierten jeweils zwei solcher Katechismen. Der Puritaner Richard Baxter verfasste sogar drei.

Fast vollständiger Verlust der Katechese

In der heutigen evangelikalen Christenheit ist die Katechese – vor allem unter Erwachsenen – fast völlig verloren gegangen. Moderne Jüngerschaftsprogramme sind in der Regel oberflächlich, wenn es um Lehre geht. Selbst systematische Bibelstudien können schwach darin sein, lehrmäßige Schlüsse zu ziehen. Im Gegensatz dazu führen Katechismen die Menschen Schritt für Schritt durch das Apostolische Glaubensbekenntnis, die Zehn Gebote und das Vaterunser. Sie zeugen von einem perfekten Gleichgewicht zwischen biblischer Theologie und Lehre, praktischer Ethik und geistlicher Erfahrung.

„Die katechetische Disziplin des Auswendiglernens führt dazu, dass die Konzepte in die Tiefe gehen und die Meditation über die Wahrheit gefördert wird.“
 

Katechese ist eine intensive Form der Unterweisung. Die katechetische Disziplin des Auswendiglernens führt dazu, dass die Konzepte in die Tiefe gehen und die Meditation über die Wahrheit gefördert wird. Außerdem werden die Menschen stärker als bei anderen Formen des Lehrens und Lernens dazu angehalten, den Stoff zu beherrschen. Manche fragen: Warum sollte man Kindern (oder auch Neubekehrten) Begriffe wie „die Herrlichkeit Gottes“ in den Kopf setzen, die sie nicht richtig begreifen können? Die Antwort ist, dass dadurch biblische Kategorien in unserem Verstand und in unseren Herzen geschaffen werden, wo sie als Grundlage dienen, auf die wir im Laufe der Jahre mit neuen Erkenntnissen aus weiteren Lehren, Lektüre und Erfahrungen aufbauen können.

Die Katechese, die mit kleinen Kindern durchgeführt wird, hilft ihnen, in biblischen Kategorien zu denken, sobald sie denken können. Eine solche Unterweisung, so sagte ein alter Schriftsteller, ist wie Brennholz in einem Kamin. Ohne das Feuer (den Geist Gottes) wird das Feuerholz an sich keine wärmende Flamme erzeugen, doch ohne Brennmaterial kann es auch kein Feuer geben – und genau das bietet der katechetische Unterricht.

Katechese unterscheidet sich auch dadurch vom Hören einer Predigt oder eines Vortrags und vom Lesen eines Buches, dass sie zutiefst gemeinschaftlich und partizipativ ist. Die Fragen und Antworten versetzen Lehrende und Lernende in einen natürlich interaktiven, dialogischen Lernprozess. Es entsteht eine echte Gemeinschaft, da alle involvierten Personen einander helfen, den Stoff zu verstehen und zu behalten. Eltern lehren ihre Kinder. Die Gemeindeleitung unterrichtet neue Gläubige mit kürzeren Katechismen und neue Leiter mit umfangreicheren. All dies baut systematisch Beziehungen auf. Aufgrund der Reichhaltigkeit des Materials können die katechetischen Fragen und Antworten sogar in den gemeinsamen Gottesdienst integriert werden, in dem die Gemeinde als Ganzes ihren Glauben bekennt und Gott mit Lobpreis antworten kann.

Unsere Leute brauchen dringend eine bessere und umfassendere Lehre. Die Rückkehr zur Katechese – jetzt! – ist der Weg dorthin.

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[1]  J.I. Packer, Gary Parrett, Grounded in the Gospel: Building Believers the Old-Fashioned Way, Grand Rapids: Baker Books, 2010, S. 16.