Schöne Unterschiedlichkeit
Die (gesamtbiblische) Komplementarität von Mann und Frau
Am Anfang schuf Gott die Himmel und die Erde. Und die Erde war wüst und leer (tohu wa‘bohu), und Finsternis lag auf der Tiefe, und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Und Gott schied das Licht von der Finsternis, den Tag von der Nacht, die Wasser in der Höhe von den Wassern in der Tiefe, das Meer vom Land. Er machte einen Unterschied zwischen Sonne und Mond, Fischen und Vögeln, Vieh und Gewürm und wilden Tieren. Als er den Menschen, erschaffen in seinem Bilde, seinen Odem einhauchte, unterschied er zwischen Mann und Frau. Er sonderte die Tage der Arbeit ab von dem Tag der Ruhe, Kain von Abel, das Heilige vom Gewöhnlichen. Gottes Schöpfungswerk ist, neben seinen anderen Aspekten, auch eine Reihe von Unterscheidungen, die Ordnung in das Formlose (tohu) und Leben in das Leere (bohu) bringen. Das jüdische Hawdala-Gebet, das den Sabbat beendet, drückt es so aus: „Gesegnet seist du, Gott unser Gott, König der Welt, der zwischen Heiligtum und Nichtgeheiligtem geschieden, zwischen Licht und Finsternis, zwischen Jisrael und den Völkern, zwischen dem siebten Tag und den sechs Werktagen, gesegnet seist du, Gott, der zwischen Heiligtum und Nichtgeheiligtem geschieden.“
Komplementarität – „eine Beziehung oder Situation, in der zwei oder mehr unterschiedliche Dinge die Eigenschaften des jeweils anderen verbessern oder hervorheben“ – ist der Schöpfung eingeschrieben. Eine schöne Unterschiedlichkeit, eine fundamental aufeinander abgestimmte und sich aufwertende Gegenseitigkeit bildet das Herzstück von Gottes Schöpfung. Der Kosmos besteht aus den unterschiedlichsten komplementären Paaren. Mann und Frau dienen dabei als paradigmatisches Beispiel, was auch der Grund dafür ist, warum sich diese kosmologische Komplementarität in einigen unserer Sprachen widerspiegelt (der Tag/die Nacht, le ciel/la terre, el sol/la luna usw.). Das jüdisch-christliche Verständnis von sexueller Komplementarität reflektiert diese kosmologische Komplementarität – und letztlich die schöne Unterschiedlichkeit von Schöpfer und Schöpfung, Gott und Israel, Christus und Gemeinde, Lamm und Braut.
Nicht identisch, nicht völlig verschieden
Komplementarität lässt sich somit klar von zwei anderen Denkweisen über das Verhältnis erschaffener Dinge zueinander unterscheiden.
Einerseits glauben Juden und Christen nicht, dass Mann und Frau identisch sind. Wir sind nicht genau dasselbe, genauso wenig wie Himmel und Erde oder Tag und Nacht dasselbe sind. 1. Mose 1 ist eine Geschichte der Ordnung und des Lebens, welche durch Trennung, Unterscheidung, Zwei-heit und nicht Eins-heit entstehen. Kippen diese Unterscheidungen, gibt es kein Leben. Leben entsteht durch schöne Unterschiedlichkeit: Wenn die Himmel mit der Erde – in Form von Sonne, Regen und Erdboden – miteinander interagieren, entstehen Pflanzen und Tiere; identische Paare sind dagegen so unfruchtbar wie eine Höhle (Erde oben und Erde unten) oder Jupiter (Himmel oben und Himmel unten). Angesichts dieses Zusammenhangs von sexueller und kosmologischer Komplementarität ist es nicht überraschend, dass die Abschaffung der Unterscheidung zwischen Himmel und Erde mit der Aufhebung der Unterscheidung zwischen männlich und weiblich einhergeht.
Ein skurriles Beispiel ist der Kontrast zwischen dem jüdischen Jesus der vier Evangelien und dem gnostischen Jesus des Thomas-Evangeliums. Der wahre Jesus ist klar in seiner Antwort auf die Frage der Pharisäer zur Ehescheidung: „Habt ihr nicht gelesen, dass der Schöpfer sie am Anfang als Mann und Frau erschuf“ (Mt 19,4). Der gnostische Jesus klingt in seiner Verwischung der Unterschiede genauso blumig und inkohärent wie seine modernen Entsprechungen: „Wenn ihr die zwei zu eins macht und wenn ihr das Innere wie das Äußere macht und das Äußere wie das Innere und das Obere wie das Untere und wenn ihr das Männliche und das Weibliche zu einem einzigen macht, sodass das Männliche nicht männlich und das Weibliche nicht weiblich ist, und wenn ihr Augen macht anstelle eines Auges und eine Hand anstelle einer Hand und einen Fuß anstelle eines Fußes, ein Bild anstelle eines Bildes, dann werdet ihr in [das Königreich] eingehen“ (Thom 22). Ohne Unterschiede zerfällt die Schöpfung in ein schwammiges Durcheinander. Komplementarität ist nicht Gleichheit.
„Im christlichen Verständnis von Komplementarität haben wir hingegen Einheit und Unterscheidung, das Gleiche und das Andere, Vielfalt und Einheit.“
Andererseits glauben Juden und Christen auch nicht an die Alterität von Mann und Frau, so als ob wir völlig unterschiedliche Wesen wären. Wir sind nicht völlig gleich, aber wir sind auch nicht völlig verschieden – und wir müssen aufpassen, dass wir in unserem Bemühen, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern nicht zu verwischen, diese nicht übertreiben. Sowohl Männer als auch Frauen wurden nach Gottes Ebenbild erschaffen und unsere Identität wird viel grundlegender durch unser Menschsein bestimmt als durch unser Geschlecht. Zuallererst sind wir Menschen, dann erst Männer oder Frauen; und in Christus werden die Trennungen innerhalb unseres gemeinsamen Menschseins überwunden: Juden sind mit Heiden versöhnt, Herren dienen Sklaven, und Mann und Frau sind in Christus vereint und werden gemeinsam zu Erben der Gnade des Lebens.
Für eine Reihe von sowohl antiken als auch modernen Philosophen sind die Unterschiede zwischen Mann und Frau nicht Ausdruck von Komplementarität und Harmonie, sondern von Andersartigkeit und Konflikt. Männer und Frauen sind dazu bestimmt, miteinander um die Vorherrschaft zu kämpfen – nicht nur auf individueller Ebene, sondern auch innerhalb der Zivilisationen als Ganzes: Das westliche Denken ist männlich, linear, klimaktisch, geordnet und beinhaltet die machtvolle Unterwerfung der Schöpfung; das östliche Denken hingegen ist weiblich, gebogen, zyklisch, chaotisch und beinhaltet die Unterwerfung unter die Schöpfung. Für einige von uns mag das vertraut klingen, vielleicht sogar christlich. Aber beim genaueren Hinsehen erkennen wir, dass es hier nicht um Komplementarität, sondern um Alterität geht: absolute Differenz bzw. Andersartigkeit. Es geht um Konflikt, Triumph, Wettbewerb, Opposition, Rivalität und sogar Gewalt. Es gibt keinen Frieden zwischen Himmel und Erde, zwischen männlich und weiblich. Es gibt keine Liebe.
In der heidnischen Vorstellung von Identität gibt es Einheit ohne Unterschiede; in der deistischen Vorstellung von Alterität gibt es Unterschiede ohne Einheit. Im christlichen Verständnis von Komplementarität haben wir hingegen Einheit und Unterscheidung, das Gleiche und das Andere, Vielfalt und Einheit. Im Christentum reflektieren Mann und Frau gemeinsam das Bild Gottes; und ohne den jeweils anderen können weder Mann noch Frau dieses voll zum Ausdruck bringen. Die klaren in der Schöpfung vorhandenen Unterschiede werden letztlich im Leben des dreieinigen Gottes (in dem wir Identität und Alterität, das Selbe und das Andere, Einheit und Dreiheit finden) und in der Inkarnation (in der Himmel und Erde aufeinandertreffen und das Wort Fleisch wird) miteinander versöhnt.
Vor der Erschaffung der Welt gibt es keinen Ur-Konflikt und keine Gewalt, sondern perichoretischen Frieden und Freude innerhalb der Dreieinigkeit. Unsere zukünftige Hoffnung ist eine, in der Himmel und Erde zusammenkommen, wobei die Herrlichkeit des einen das andere verwandelt (deshalb werden die meisten Paare aus 1. Mose 1 in Offenbarung 21 transzendiert: Es gibt keinen Mond, keine Notwendigkeit für eine Sonne, kein Meer, keine Dunkelheit, keinen Geschlechtsverkehr: Himmel und Erde sind auf wunderbare Weise miteinander verheiratet). Die endgültige Bestimmung des Kosmos und auch die Ehe zwischen Christus und der Gemeinde spiegeln weder Konflikt noch Zusammenbruch wider, sondern Komplementarität, da die Herrlichkeit des einen das andere durchdringt und erfüllt. Selig sind die, die zum Hochzeitsmahl des Lammes eingeladen sind!
Komplementarität und Schöpfung
Angesichts dieses theologischen Rahmens sollte es nicht überraschen, dass sich Männer und Frauen in vielerlei Hinsicht – und zwar überkulturell – auffallend voneinander unterscheiden. Diese Unterschiede bleiben auch in angeblich geschlechtsneutralen Gesellschaften bestehen; und es gibt sogar Hinweise darauf, dass einige von ihnen noch zunehmen, wenn Frauen und Männer die Freiheit haben das zu tun, was sie tatsächlich wollen. (Um ein weithin bekanntes Beispiel zu nennen: Die Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei Tests zu mentaler Rotation sind in Ländern mit größerer Geschlechtergleichheit größer.) Die Glockenkurven für Männer und Frauen sind an unterschiedlichen Stellen zentriert – und zwar nicht nur bei offensichtlichen körperlichen Merkmalen (Größe, Stärke, Haarwuchs usw.), sondern auch bei hormonellen, psychologischen und zwischenmenschlichen Merkmalen.
„Angesichts dieses theologischen Rahmens sollte es nicht überraschen, dass sich Männer und Frauen in vielerlei Hinsicht – und zwar überkulturell – auffallend voneinander unterscheiden.“
Männer sind in der Regel aggressiver, wettbewerbsorientierter, furchtloser, risikofreudiger, promiskuitiver und gewaltbereiter; und Testosteron wird mit einem höheren Maß an Selbstvertrauen, Sexualtrieb und Statusbehauptung in Verbindung gebracht. Frauen neigen im Durchschnitt eher zu Neurotizismus und Verträglichkeit. Folglich sind Männer im Allgemeinen am oberen und unteren Rand der Gesellschaft angesiedelt: Männer sind nicht nur häufiger sehr reich oder sehr mächtig (was alle möglichen öffentlichen Debatten auslöst), sondern auch viel häufiger Kriminelle, Mörder, Obdachlose, Ausgeschlossene oder Inhaftierte (was keine Debatten auslöst).
Männliche Gruppen zeichnen sich eher durch Sparring, Kämpfe, Machtstrukturen und Sticheleien aus, während weibliche Gruppen in der Regel kleiner, indirekter in der Konfrontation, egalitärer in der Struktur, verbal geschickter und eher an Menschen als an Dingen orientiert sind. Geschlechtsspezifische Tendenzen lassen sich feststellen, bevor Kinder überhaupt wissen, welches Geschlecht sie haben (um ein tragisches Beispiel zu nennen: 40 von 43 Fällen von Schusswaffenunfällen durch Kleinkinder im Jahr 2015 in den USA wurden von Jungen verübt); was ebenso für unsere engsten tierischen Verwandten gilt (die männliche Vorliebe für Lastwagen gegenüber Puppen erstreckt sich auch auf Rhesusaffen und Grüne Meerkatzen).
Die Slate-Redakteurin Julia Turner bemerkte kürzlich, dass die Jungenhaftigkeit ihrer Zwillingssöhne eine große Herausforderung für ihre Überzeugung darstellte, dass Geschlecht lediglich ein soziales Konstrukt sei; trotz ihrer egalitären Überzeugungen kam sie zu dieser faszinierenden Feststellung: „Es gibt da ein es gibt“. Woraufhin die Ethikerin Christina Hoff Sommers in The Federalist schelmisch antwortete: „In der Tat gibt es das. Und man braucht einen Abschluss in Geisteswissenschaften, um das nicht zu sehen.“
Ich erwähne dies alles nicht, um einige oder alle dieser Unterschiede zu validieren, so als ob die Wissenschaft sie irgendwie tugendhaft machen würde; und schon gar nicht geht es darum, die männliche Neigung zu Promiskuität und Gewalt zu entschuldigen. Es geht mir um folgende vier Dinge:
- Komplementarität scheint in uns Menschen fest verankert zu sein, selbst aus Sicht der gängigen säkularen wissenschaftlichen und soziologischen Forschung. Die überwiegende Mehrheit der menschlichen Gesellschaften hat dies intuitiv gewusst, aber in einer Kultur wie der unseren, in der die meisten von uns nie für ihr Heimatland gekämpft haben, bei der Geburt eines Kindes gestorben sind, in Minen hinabgestiegen sind oder ein Grenzland besiedelt haben, ist dies in Vergessenheit geraten. Fakten bleiben jedoch hartnäckig.
- Es gibt eine interessante Übereinstimmung zwischen vielen dieser Merkmale und den Erwartungen, die wir haben, wenn wir davon ausgehen, dass 1. Mose 1–4 wahr ist: Die Aufgabe des Mannes (adamah = „Erde“) besteht darin, den Garten gegen Angriffe zu bewachen; die Frau hingegen (havah = „Leben“) wird als die Mutter alles Lebendigen identifiziert.
- Auf seelsorgerlicher Ebene kann es beruhigend sein zu hören, dass wir uns nichts einbilden, wenn wir feststellen, dass Männer und Frauen im Allgemeinen zu unterschiedlichen Sünden oder Schwächen neigen (#MeToo, #ToxicMasculinity, #HeForShe), und dass wir die Menschen dementsprechend in der Jüngerschaft unterstützen sollten.
- Es wirft auch ein interessantes Licht auf die (sehr offensichtlichen) biologischen Unterschiede von Männern und Frauen und ihre Bedeutung. Stell dir vor, ein Außerirdischer besucht die Erde und stellt fest, dass das eine Geschlecht größer, kräftiger und haariger ist als das andere und seine Geschlechtsorgane extern und nach außen gerichtet sind; die Geschlechtsorgane des kleineren Partners hingegen liegen im Inneren und fungieren sowohl als Ort des Geschlechtsverkehrs als auch der Schwangerschaft. Stell dir weiter vor, wie der Außerirdische dann entdeckt, dass der eine im Allgemeinen besser darin ist, Beziehungen zu knüpfen, kleine Gruppen zusammenzuhalten und mit Menschen zu arbeiten, während der andere eher für äußeres Handeln, Risikobereitschaft und die Arbeit mit Dingen geeignet ist. Stell dir dann noch vor, der Außerirdische würde mit den biblischen Kategorien der Geschlechterbeschreibung vertraut gemacht werden: Türme und Städte, Krieger und Gärten, Priester und Tempel, der blutbespritzte Bräutigam und die reine, makellose Braut. Was würde unser Außerirdischer wohl für welches Geschlecht halten?
Komplementarität und Familie
Als Christen sind wir dazu aufgerufen, die Komplementarität von Mann und Frau in unserer Zeit zum Ausdruck zu bringen. Dabei geht es nicht nur um den Gehorsam gegenüber spezifischen biblischen Anweisungen – obwohl das schon ausreichen sollte! –, sondern um eine Art und Weise, der Welt zu zeigen, wie schöne Unterschiedlichkeit aussehen kann – etwas, das sie sehen muss und es doch allzu selten tut. Wenn die Welt also fragt: „Was meint ihr, wenn ihr sagt, dass Gott weder weit weg von uns ist (wie es der Islam lehrt) noch in uns zu finden ist (wie es das Heidentum meint)?“, dann ist die Beziehung zwischen Männern und Frauen unsere erste Illustration. Und der primäre Kontext, in dem sie dargestellt wird, ist die Familie.
Die offensichtlichste Form davon ist die Ehe: „‚Deshalb wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhängen, und die zwei werden ein Fleisch sein‘. Dieses Geheimnis ist groß; ich aber deute es auf Christus und auf die Gemeinde“ (Eph 5,31–32). In der Ehe spielen die Eheleute die Rollen von Christus und der Gemeinde – und zeigen dabei, wie Liebe, Treue, Unterschiedlichkeit, Vereinigung, aufopfernde Führung und gegenseitiger Dienst in der Praxis aussehen.
Der Ehemann soll seine Frau lieben, so wie das Haupt seinen Leib und Christus die Gemeinde liebt: nämlich indem er sich für sie hingibt, sie mit dem Wasser des Wortes heiligt und sie in Herrlichkeit darstellt. (Es ist bezeichnend, dass Paulus den Ehemann hier mit traditionell weiblichen Aufgaben wie Waschen, Putzen und Bügeln beschäftigt sieht: Paulus untergräbt bewusst und absichtlich das griechisch-römische Bild davon, wie männliche Führung auszusehen hat.) Die Frau soll sich dementsprechend ihrem Mann unterordnen und ihn respektieren, so wie sich die Gemeinde Christus unterordnet.
Handelt es sich hier um eine einseitige Unterordnung, oder sind Männer und Frauen dazu aufgerufen, sich einander zu unterordnen? Paulus hat die geisterfüllte Gemeinde gerade als einen Ort charakterisiert, in dem man sich „einander unter[ordnet] in der Furcht Gottes“ (5,21); dann erklärt er, was diese Charakterisierung für einen normalen antiken Haushalt bedeutet und wendet sie anschließend auf Ehemänner und Ehefrauen, Väter und Kinder sowie Sklaven und Herren an. Überschreibt die Gegenseitigkeit der Unterordnung (5,21) alle Unterschiede in der Art und Weise, wie diese Unterordnung ausgedrückt wird (5,22–6,9)? Oder meint Paulus, dass nur Ehefrauen, Kinder und Sklaven sich unterordnen sollen (den jeweiligen Ehemännern, Vätern und Herren)?
Aller Wahrscheinlichkeit nach ist weder das eine noch das andere richtig: Ehefrauen und Ehemänner sind aufgerufen, sich einander unterzuordnen – wie auch Eltern und Kinder, Herren und Sklaven –, aber nicht auf die gleiche Weise. Christus und die Gemeinde dienen einander, aber nicht auf die gleiche Weise: Christus dient uns, indem er stirbt und aufersteht, um uns zu retten; wir dienen ihm, indem wir im Glauben auf seine Führung antworten. (Natürlich bringen wir beide uns als Opfer für den anderen dar, aber auf sehr unterschiedliche Weise; würden wir die Rollen vertauschen, würde sich das ganze Evangelium auflösen.) N.T. Wright drückt es gut aus:
Paulus geht – wie die meisten Kulturen – davon aus, dass es zwischen Männern und Frauen signifikante Unterschiede gibt, die weit über die bloße biologische und reproduktive Funktion hinausgehen. Ihre Beziehungen und Rollen müssen sich daher gegenseitig ergänzen und dürfen nicht identisch sein. Die Gleichheit beim Wahlrecht, bei den Beschäftigungsmöglichkeiten und bei der Entlohnung (die vielerorts noch immer nicht verwirklicht ist) darf nicht mit einer solchen Identität gleichgesetzt werden. Und innerhalb der Ehe ist die Leitlinie klar. Der Ehemann soll die Führung übernehmen – allerdings im vollen Bewusstsein des selbstaufopfernden Beispiels, das der Messias gegeben hat. Sobald „die Führung übernehmen“ zu Tyrannei oder Arroganz wird, bricht die ganze Sache zusammen.
Es wäre jedoch ein Irrtum zu meinen, Komplementarität sei auf die Ehe beschränkt. Wäre dies der Fall, dann wären alle Alleinstehenden, Hinterbliebenen, Geschiedenen oder Verlassenen nicht in der Lage, ihre Weiblichkeit oder Männlichkeit voll zum Ausdruck zu bringen. (Die Tatsache, dass eine beträchtliche Anzahl dieser Menschen in unseren Gemeinden genau das fühlt, ist ein Hinweis darauf, dass wir hier noch einiges zu tun haben.) Die Bibel hingegen versteht die Unterscheidung von männlich und weiblich ganzheitlich: Mütter unterscheiden sich von Vätern, Brüder von Schwestern, Großmütter von Großvätern und so weiter. Ich bin verpflichtet, meine Mutter und meine Schwestern in einer Weise zu schützen, die sich nicht auf meinen Vater oder meinen Bruder erstreckt. Das bedeutet jedoch nicht, dass ich Autorität über sie habe, Entscheidungen für sie treffe oder sie keine Autorität über mich haben können. (Meine kleine Schwester leitet eine Unfall- und Notaufnahme in einem Londoner Krankenhaus. Wenn unsere Kinder einen Unfall haben, tue ich alles, was sie sagt, ohne Fragen zu stellen.)
Auch die Anweisungen von Paulus an Timotheus gehen von einer geschlechtlichen Differenzierung im Umgang mit den Menschen in der Familie Gottes aus: „Einen älteren Mann fahre nicht hart an, sondern ermahne ihn wie einen Vater, jüngere wie Brüder, ältere Frauen wie Mütter, jüngere wie Schwestern, in aller Keuschheit“ (1Tim 5,1–2). Im Umgang mit meinen Verwandten, in meiner Gemeindefamilie, am Arbeitsplatz und sogar in den sozialen Medien soll ich also mit älteren Frauen wie mit Müttern und mit älteren Männern wie mit Vätern umgehen – nicht als geschlechtsneutrale Einheiten oder geschlechtslose, atomisierte Arbeiter. (Dieser Grundsatz wird in unterschiedlichen Kontexten natürlich unterschiedlich angewendet; im Westen hätte ich kein Problem damit, meine Schwester als Managerin, Autoritätsperson oder sogar als Staatsoberhaupt über mir zu haben, während ich im Jemen vielleicht vorsichtig damit wäre, mit ihr in der Öffentlichkeit zu essen.) Auch die Art und Weise, wie ich mit alleinstehenden Männern umgehe, die mit unserer Familie leben, unterscheidet sich in wichtigen Punkten von der Art und Weise, wie ich mit alleinstehenden Frauen umzugehen habe. Und falls es noch gesagt werden muss: Wenn wir den Geltungsbereich von „behandle jüngere Frauen wie Schwestern“ auf „achte nur darauf, dass du keinen Sex mit ihnen hast“ beschränken, verfehlen wir die Aussage von Paulus um Längen.
Komplementarität und die Gemeinde
Wenn wir uns der Gemeinde zuwenden, ist es bemerkenswert einfach, diesen größeren theologischen und anthropologischen Rahmen zu vergessen und sich in exegetischen Debatten über die Bedeutung von hupotassō oder authenteō oder was auch immer zu verlieren. Letztendlich müssen wir alle zu Entscheidungen darüber kommen, wie wir bestimmte Texte verstehen und dann entsprechend in der Gemeinde anwenden. Aber das Argument für eine männliche Ältestenschaft setzt nicht hier an. Es geht von der doppelten Feststellung aus, dass (a) Älteste grundsätzlich Hüter der Gemeinde sind und dass (b) in jeder Phase der Erlösungsgeschichte – vom Garten über die Stiftshütte und den Tempel bis hin zum Wirken Jesu, zur neutestamentlichen Gemeinde und zum Eschaton – die Personen, die beauftragt wurden, über Gottes Volk zu wachen und es vor Schaden zu beschützen, Männer waren.
Es ist weithin anerkannt, dass die neutestamentlichen Begriffe „Ältester“, „Hirte“ und „Aufseher“ weitgehend austauschbar sind (vgl. Apg 20,17–38; Tit 1,5–9; 1Petr 5,1–4). Jeder dieser Begriffe verweist auf die Verantwortung, der Gemeinde zu dienen, indem sie vor Schaden beschützt und bewahrt wird. Biblisch gesprochen sind Älteste Wächter. Schauen wir uns die biblischen Begriffe der Reihe nach an.
1. Hirte / Pastor
Einen Hirten (oder „Pastor“) gibt es vor allem deshalb, weil Schafe vor Schaden bewahrt werden müssen. Ja, er führt sie auf frische Weiden und bereitet Futter und Wasser für sie, aber der Hauptgrund, warum man in der antiken Welt einen Hirten beschäftigte – anstatt die Schafe frei umherstreifen zu lassen – ist Schutz: vor Verletzungen, Räubern, Zerstreuung, Wölfen und anderen wilden Tieren. In den Schlüsseltexten des Neuen Testaments, in denen die Hirten ihr Leben für die Schafe hingeben und über die Herde Gottes wachen, die er mit seinem eigenen Blut erkauft hat, kommt das deutlich zum Ausdruck. Auch baut es auf der alttestamentlichen Symbolik auf, in der Hirten wie David diejenigen sind, die Löwen und Bären töten, um ihre Herden zu verteidigen; die Ruten und Stäbe halten, um sie zu bewachen; und die dazu aufgerufen sind, ihre Schafe zu schützen, anstatt sie zu essen. Sowohl in der geistlichen als auch der physischen Hirtentätigkeit geht es darum, schwache oder verletzte Schafe zu schützen und die ganze Herde vor Feinden zu bewahren, die sie angreifen wollen.
2. Aufseher / Bischof
Das Wort „Aufseher“ ist eine wörtliche Übersetzung von episkopos und ist angesichts dessen, was bei dem Wort „Bischof“ mitklingt, dieser Bezeichnung sicherlich vorzuziehen, aber es bringt immer noch Bilder von Aufsehern in Call-Centern auf oder wird zumindest mit einer eher leitend-geschäftsführenden Rolle in Verbindung gebracht. Im Koine-Griechischen hatte es jedoch die Bedeutung von „Wächter“ und kann Anklänge an Hesekiels skopos (= Wächter) gehabt haben. So las es auch Johannes Calvin: Älteste sind „treue Wächter“, die „wachen und auf die Herde aufpassen, während andere schlafen“. Die Wortwahl deutet hier eher auf den Späher auf einem Wachturm denn auf einen Abteilungsleiter; es geht um einen Wachdiensthabenden, nicht einen Dienstvorgesetzten. Die Aufgabe des Aufsehers war natürlich die Bewahrung der gesunden Lehre in der Gemeinde, was im späten ersten Jahrhundert dann zu der Unterscheidung von Bischöfen und Ältesten führte.
3. Ältester
Das Gleiche gilt – vielleicht etwas überraschend – für Älteste. Greg Beale weist darauf hin, dass der Zweck der Ältesten im Neuen Testament darin besteht, die Gemeinde in der eschatologischen Trübsal zu bewahren. Die Zeit zwischen Pfingsten und der parousia ist geprägt von Verführung, Irrlehre, Verfolgung und Leiden. Die Anforderungen an Älteste in den Pastoralbriefen sollten vor diesem Hintergrund gesehen werden: Es geht um die Bewahrung der Gemeinde, damit sie nicht zerstört wird. Zu diesen Hinweisen fügt Beale nicht nur die bereits erwähnte Passage Apostelgeschichte 20 hinzu, sondern auch Paulus‘ erste Missionsreise, in der er und Barnabas die Jünger lehren, „dass wir durch viele Bedrängnisse in das Reich Gottes eingehen müssen“ (Apg 14,22), worauf sie in jeder Gemeinde sofort Älteste einsetzen (vgl. 14,23) – so als ob dies (Ältestenschaft) die Lösung für das Problem (Bedrängnisse) wäre. In der gesamten Kirchengeschichte hat es Verfolgungen gegeben, bei denen Bischöfe / Presbyter / Älteste im Namen der Gemeinden, denen sie dienten, starben. Die gleiche Dynamik gibt es auch heute – es sind die Ältesten, die z.B. in der Ostukraine verhaftet wurden –, da die feindlichen Behörden eher die Gemeindeleiter als die Gemeinden ins Visier nehmen. (Gregor der Große drückte es im sechsten Jahrhundert sehr schön aus, als er die Aussage von Paulus kommentierte, dass das Trachten nach einem Aufseherdienst eine gute Sache sei: „Es ist jedoch zu beachten, dass dies zu einer Zeit gesagt wurde, als derjenige, der über die Menschen gesetzt wurde, gewöhnlich der erste war, der in die Qualen des Martyriums geführt wurde“.) Zu den drei zentralen Dingen, die häufig als Zusammenfassung des Aufgabenbereichs der Ältestenschaft genannt werden – Lehre, Disziplin, Leitung –, sollten wir vielleicht ein viertes hinzufügen: Tod.
Zusammengenommen führen diese drei Begriffe zu einer klaren Schlussfolgerung: Älteste sind Wächter. Und kaum haben wir das festgestellt, merken wir, dass in jedem Abschnitt der biblischen Geschichte diejenigen, die mit der Verteidigung und dem Schutz des Volkes und/oder des Heiligtums Gottes beauftragt sind, generell eher Männer als Frauen sind, Väter statt Mütter.
- Adam wird in den Garten gestellt, „damit er ihn bebaue und bewahre“ (1Mose 2,15); dieselben Verben werden auch für die Leviten verwendet (vgl. 3Mose 3,7–8; 18,7). Folglich ist der Sündenfall seine Verantwortung; wir alle sterben in Adam, nicht in Eva.
- Die Patriarchen sind – offensichtlich – alle Männer.
- Die levitischen Priester, die mit dem Schutz des Heiligtums und damit des gesamten Volkes Israel betraut sind, sind allesamt Männer – und zwar Gewalt ausübende Männer, die ihre Tage damit verbringen Tiere zu töten, und die für den priesterlichen Dienst überhaupt erst geweiht wurden, weil sie genügend Eifer für Jahwe hatten, um ihre israelischen Mitbürger zu töten (vgl. 2Mose 32,25–29).
- Dies gilt auch für die Zeit des ersten Tempels, in der in Juda ein männliches Priestertum neben einer männlichen Monarchie besteht (Athalja wird vom Autor nie als „Königin“ bezeichnet oder in irgendeiner Weise legitimiert; sie ist also die Ausnahme, die die Regel bestätigt).
- Für die Zeit des zweiten Tempels bis hin zu den Tagen Zacharias‘ und Johannes des Täufers trifft dasselbe zu.
- Für den Aposteldienst beruft Jesus 12 Männer und überträgt ihnen die Verantwortung des Bindens und Lösens, des Lehrens und des Leitens der weltweiten Gemeinde.
- Die Qualifikationen für Aufseher in der neutestamentlichen Gemeinde – die Ältesten-Hirten-Wächter, die den Auftrag haben, die Gemeinde vor Wölfen und falschen Hirten zu schützen – richten sich an Männer.
- Und die Bibel endet mit einer weiblichen Stadt – zu der, unabhängig vom Geschlecht, das gesamte Volk Gottes gehört –, die von einem männlichen Erlöser gerettet und schließlich mit ihm verheiratet wird; die Mauern und Fundamente dieser Stadt sind dabei nach männlichen Aposteln und männlichen Patriarchen benannt.
Väter und Brüder
Da die Qualifikationen für das Amt des Ältesten Teil dieses viel umfassenderen biblischen Musters sind, ist es nicht verwunderlich, dass die Aufseher Männer sein sollen und von ihnen sogar verlangt wird, „Mann einer Frau“ zu sein (1Tim 3,2). Dies ist kaum eine geschlechtsneutrale Anforderung; die Gemeinde ist eine Familie, die sowohl Väter als auch Mütter hat und dringend braucht (z.B. 5,1–2), was ein deutlicher Hinweis darauf ist, dass Paulus Aufseher als Väter betrachtet. Das gilt auch für die Anforderung, seinen Haushalt gut zu führen und seine Kinder zu gehorsamem Verhalten zu bewegen (vgl. 3,4). Das Gleiche gilt für die Anforderung, lehren zu können (vgl. 3,2), nachdem Paulus gerade den Frauen diese Aufgabe untersagt hat (vgl. 2,12; die Tatsache, dass es viele Diskussionen darüber gibt, was genau er damit meinte, sollte uns nicht daran hindern, den offensichtlichen Zusammenhang zu sehen). Das gilt auch für die Tatsache, dass Paulus, nachdem er die Qualifikationen für Aufseher und Diakone genannt hat, die Qualifikationen für „Frauen“ nennt (vgl. 3,11). Unabhängig davon, ob wir dies als Verweis auf weibliche Diakone (wie ich) oder auf die Ehefrauen der Diakone (wie andere Ausleger) verstehen, wird hier klar zwischen „Aufsehern“, „Diakonen“ und „Frauen/Ehefrauen“ unterschieden, sodass es fast unmöglich ist, dass Paulus letztere als eine Untergruppe ersterer betrachtet hat. Daher sind sich selbst egalitäre Ausleger oft einig, dass diese Anforderungen „den Aufseher als Ehemann und Vater darstellen“ (Towner) und dass „Paulus den Bischof durchweg als Mann bezeichnet“ (Wright). Zumindest in diesem Text ist das Ältestenamt nicht geschlechtsneutral.
„Die Qualifikationen für Aufseher in der neutestamentlichen Gemeinde – die Ältesten-Hirten-Wächter, die den Auftrag haben, die Gemeinde vor Wölfen und falschen Hirten zu schützen – richten sich an Männer.“
Gelegentlich wird argumentiert, dass die Aufseher bzw. Ältesten in dieser bestimmten Gemeinde Männer sein müssen, in anderen aber nicht, weil reiche und einflussreiche Frauen für die Irrlehre verantwortlich sind, mit der es die Gemeinde zu tun hat. Ganz abgesehen davon, dass die einzigen namentlich genannten Irrlehrer in Ephesus Männer sind (vgl. 1Tim 1,20; 2Tim 2,17), ignoriert dieses Argument, dass dieselbe Anforderung auch für Älteste auf einer mehrere hundert Meilen entfernten Insel gilt: „[W]enn einer untadelig ist, Mann einer Frau, und treue Kinder hat, über die keine Klage wegen Ausschweifung oder Aufsässigkeit vorliegt“ (Tit 1,6). Die von Paulus genannten Qualifikationen für das Amt des Ältesten sind nicht auf eine bestimmte Situation in Ephesus beschränkt, sie sind auf Kreta und wohl auch überall sonst praktisch identisch. Älteste – wie Adam, die levitischen Priester, die Könige Israels, die Zwölf und alle, die in der Heiligen Schrift damit beauftragt sind, das Volk Gottes vor Schaden zu bewahren – sind Männer.
Mütter und Schwestern
Es gibt aber auch eine andere Art, die biblische Geschichte zu erzählen, die ebenfalls betont werden muss. Christus wird als der Same der Frau identifiziert, lange bevor er als Same eines Mannes bezeichnet wird (vgl. 1Mose 3,15). Eva, die weit davon entfernt ist, minderwertiger als Adam zu sein (in der Schrift wird das Wort ezer oder „Helfer“ meist auf Gott selbst angewandt), ist diejenige, deren Glaube mit der Erfüllung der Verheißung verbunden ist (vgl. 1Mose 4,1.25). Frauen im Zeitalter der Patriarchen hören von Gott und sprechen mit ihm und häufig überlisten sie ihre törichten Ehemänner, Söhne oder beide (Sarai, Hagar, Rebekka, Lea, Rahel). Eine Sklavin ist die erste und einzige Person in der Heiligen Schrift, die Gott einen Namen gibt (vgl. 1Mose 16,13).
Zahlreiche Erlösungsgeschichten in der Bibel beginnen mit Frauen – Eva, Hagar, Lea, Schiphra und Pua, Miriam, Simsons Mutter, Ruth, Hannah, Esther, Elisabeth, Maria –, während Israel von törichten oder bösen Männern unterdrückt wird. Frauen richten Israel (Deborah) und erringen militärische Siege (Jael). Frauen retten ihre Männer (Abigail), ihre Kinder (Jochebed), ihre Stadt (die Frau von Tekoa) und ihr Volk (Esther). Frauen prophezeien (Hulda, die Töchter des Philippus), dichten Psalmen und Lieder, die in der Heiligen Schrift vorkommen (Hanna, Maria), erklären Männern das Wort Gottes (Priscilla), gründen Gemeinden (Chloe), führen Geschäfte (Lydia), dienen als Diakoninnen und Schirmherrinnen (Phöbe), arbeiten mit Paulus am Evangelium (Euodia, Syntyche) und werden als Apostelinnen bezeichnet (Junia). Und wenn es in der Geschichte der Menschheit eine größere Verantwortung gibt als die, den Messias im Mutterleib zu tragen, dann würde ich gerne davon hören.
In jedem dieser Fälle dienen die betreffenden Frauen dem Volk Gottes speziell als Frauen. Viele werden als Mütter, Schwestern oder Töchter beschrieben. In diesen Geschichten gibt es keine Vermischung der Geschlechter, so als ob Männer und Frauen in ihren Rollen austauschbar wären („Frauen können alles tun, was Männer tun können“). Manchmal wird Galater 3,28 in dieser Weise interpretiert, so als ob es sich dabei im Grunde um ein gutes second wave-feministisches Statement avant la lettre handeln würde. Aber Paulus verwischt hier nicht die Unterscheidung zwischen den Geschlechtern oder macht gar eine Aussage über Leitungsämter in der Kirche; er besteht darauf, dass wir alle aufgrund des Glaubens gleichermaßen Kinder Gottes sind – unabhängig von Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit oder sozialem Status. Schon das nächste Kapitel gehört zu den geschlechtsspezifischsten Passagen im ganzen paulinischen Korpus (Söhne, Vater, Sohn, von der Frau geboren, Abba Vater, Geburtswehen, Sklavin, freie Frau, das obere Jerusalem ist unsere Mutter) und offenbart, wie sehr das biologische Geschlecht noch immer eine Rolle spielt, auch wenn es unseren Status als gerechtfertigte, getaufte und adoptierte Kinder Gottes in keiner Weise beeinträchtigt.
„Die Kraft dieser Beispiele liegt vielmehr in der Tatsache, dass Frauen alle möglichen Dinge tun können, die Männer nicht können oder nicht tun.“
Die Kraft dieser Beispiele liegt vielmehr in der Tatsache, dass Frauen alle möglichen Dinge tun können, die Männer nicht können oder nicht tun (und umgekehrt). Damit widerlegen die Frauen der Heiligen Schrift nicht nur die Verschmelzung der Geschlechter (als ob es überhaupt keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen gäbe), sondern auch die Alterität der Geschlechter (als ob Männer alle wichtigen Dinge täten und Frauen im Wesentlichen passive Beobachterinnen wären). Sie zeigen uns eine Vision echter Komplementarität, in der Männer Frauen und Frauen Männer brauchen; und das Bild Gottes kommt zum Ausdruck, wenn beide zusammen dienen. Nimmt man einen der beiden weg oder mindert man den Wert des einen oder anderen, sind wir alle verarmt. Die Gemeinde ist eine Familie, und wir werden nur in dem Maße gedeihen, in dem wir Mütter und Väter, Brüder und Schwestern, Söhne und Töchter wertschätzen, ehren und hochachten.
Wahre Komplementarität ist also tatsächlich die Grundlage für die Befähigung und Freisetzung von Frauen zum Dienst und nicht (wie es oft geworden ist) ein Hindernis. Römer 16 kann uns hier sehr gut herausfordern: Es ist schwer vorstellbar, dass eine junge Frau in der Gemeinde in Rom den Mangel an weiblichen Vorbildern im christlichen Dienst beklagt. Sie könnte auf Phöbe blicken, eine Diakonin, die ein Beistand für viele ist; Priscilla, die für das Leben des Paulus ihren eigenen Hals riskiert hat und Mitgastgeberin einer Hausgemeinde ist; Maria, „die viel für uns gearbeitet hat“ (16,6); Junia, eine Mitgefangene des Paulus und angesehen unter den Aposteln; Tryphena und Tryphosa, Arbeiterinnen im Herrn; Rufus‘ Mutter, „die auch mir eine Mutter ist“ (16,13); und einige andere. Fast die Hälfte der in diesem Kapitel genannten Personen sind Frauen. Eine einseitige Betonung des Ältestenamts, die (oft) mit dem Versäumnis gekoppelt ist, Diakone zu ernennen oder anzuerkennen, führt (neben anderen Dingen) leider dazu, dass ernsthafter christlicher Dienst – und damit auch die überwiegende Mehrheit unserer Möglichkeiten zur Entwicklung von Führungsqualitäten, formellen Ämtern und Gehältern – grundsätzlich Männern vorbehalten ist. Wenn das auf uns zutrifft und wir gleichzeitig alle wichtigen Entscheidungen in reinen Männergruppen treffen und begabte Frauen aus Sorge um Reinheit und/oder Kollegialität in unseren Teams auf Distanz halten, kann es passieren, dass wir die herrliche Komplementarität von Römer 16 durch ein „Jobs-für-Jungs“-Umfeld ersetzen, in dem Frauen als Kinderbetreuerinnen oder Backgroundsängerinnen dienen können, aber nicht viel mehr. Das müssen wir besser machen.
Kontextuelle Herausforderungen
Es sind vor allem kontextuelle Faktoren, die es uns schwer machen, der Bibel in diesem Bereich treu zu sein. Einer davon ist das kulturelle Milieu des nordamerikanischen Evangelikalismus, in dem (wohl oder übel) die meisten unserer theologischen Einflussnehmer beheimatet sind. Sowohl die konservative Idylle der 1950er Jahre als auch die progressive Idylle der 1960er Jahre sind in den Vereinigten Staaten stärker präsent als anderswo; und die Debatte über Männer und Frauen in der Gemeinde hat sich mit allen möglichen anderen Debatten über Tradition, sozialen Wandel, Ordnung, Rassenbeziehungen, Sexualität, Waffen, Abtreibung, Wirtschaft und Politik verflochten. Dieser kulturelle Kontext, in dem die Frage, wer als Ältester dient, mit Fragen darüber verbunden ist, wer in einer Gemeindeversammlung öffentlich spricht, wer Entscheidungen trifft und sogar wer das Familienauto fährt, lässt sich nur schlecht in andere Teile der Welt übertragen. Manchmal waren wir so sehr darauf bedacht, uns gegen kulturelle Trends zu behaupten, dass wir uns überkorrigiert haben und auf außerbiblischem (oder sogar unbiblischem) Terrain gelandet sind: Wir haben die konservative Mittelschicht der Nachkriegszeit in das Neue Testament hineingelesen, unsere Schwestern herabgewürdigt, diejenigen, die nicht mit uns übereinstimmen, als Liberale abgetan und heterodoxe Ansichten über die Trinität verteidigt.
Die Gemeinde ist eine Familie, kein Unternehmen
Eine weitere Komplikation, vor allem im Westen, entsteht durch die Tendenz, die Gemeinde zunehmend als Unternehmen und nicht als Familie zu sehen und zu organisieren. In einer Familie weiß jeder, dass sowohl Mütter als auch Väter eine wichtige Rolle bei der gemeinsamen Leitung spielen; gleichzeitig gibt es Unterschiede in den Dingen, um die sich die Mutter und um die sich der Vater kümmert. In vielen Kulturen ist es üblich, dass eine Familie von einem Ehemann/Vater geleitet wird, der für den Schutz des Hauses verantwortlich ist, die überwiegende Mehrheit der Entscheidungen jedoch von der Ehefrau/Mutter getroffen wird. In einer Geschäfts- oder Unternehmensumgebung werden Wertschätzung und Ehre jedoch nicht auf diese Weise zugewiesen: Sie werden durch Position, Vorgesetztenstatus, öffentliches Profil, finanzielle Aufsicht, formale Autorität und Gehalt vermittelt. Wenn also die Gemeinde entgegen unserer Theologie tatsächlich eher wie ein Unternehmen und nicht wie eine Familie funktioniert – und es gibt alle möglichen Gründe, warum sich das einschleichen kann –, dann ist unschwer zu erkennen, wie unsere Praxis der Komplementarität darauf reduziert werden könnte, wer wie heißt, wo sitzt, wann spricht, wen leitet und welches Gehalt bezieht.
„Eine weitere Komplikation, vor allem im Westen, entsteht durch die Tendenz, die Gemeinde zunehmend als Unternehmen und nicht als Familie zu sehen und zu organisieren.“
Deshalb ist es so wichtig, dass wir das, was wir über die Kirche als Familie predigen, auch praktizieren. Tun wir das nicht, dann klingt die Aussage „Frauen dürfen keine Ältesten werden“ so, als dürften Frauen keine CEOs sein. Was jedoch eigentlich gesagt werden soll, ist, dass Frauen keine Väter sein können und Männer keine Mütter. Damit diese Sichtweise in der Realität verankert ist, ist es wichtig, dass die Gemeinde nicht nur als Familie bezeichnet, sondern auch als solche gesehen wird; und dass wir Väter und Mütter anerkennen und sie als solche achten und ehren, anstatt (wie es leicht passieren kann) mit einem grundlegend unternehmerischen Modell zu arbeiten, in dem Frauen einfach von allen Schlüsselpositionen oder Diskussionen ausgeschlossen sind.
Die Anwendung dieses Punktes wird je nach Kultur, Kontext, Gemeindegröße, Ausdrucksformen der Familie usw. sehr unterschiedlich sein. Es braucht die Weisheit von Männern und Frauen, um hier die besten Praktiken festzulegen. Meine Vermutung ist, dass wir im Westen in diesem Bereich noch viel von unseren Brüdern und Schwestern in der Mehrheitswelt lernen können.
Und vielleicht bietet sich hier sogar die Möglichkeit zu schöner Unterschiedlichkeit.