Begründete Freude
Der Schweizer Theologe Karl Barth sagte einmal: „Dem Menschen, der die biblische Botschaft hört und beherzigt, ist es nicht erlaubt, sondern klar verboten, ein unfroher Mensch zu sein.“ Im Grunde stimme ich dieser Aussage zu. Wir Christen haben wirklich den größten Grund, froh zu sein! Aber was ist Freude und heißt das, dass Christen immer mit einem Lächeln herumlaufen müssen?
Im Philipperbrief behandelt Paulus das Thema der Freude im Christenleben intensiv. Und er wurde nicht müde, die Philipper aufzufordern: „Freut euch im Herrn!“ Wenn Paulus aber von der „Freude im Herrn“ spricht, meint er nicht, dass Christen immer und zu jeder Zeit die gut gelauntesten Menschen wären und auf jedes Problem mit einem entspannten Schulterzucken reagieren. Paulus sagt den Philippern mehrmals, dass er gerade traurig und niedergeschlagen war (vgl. Phil 2,27–28). Und auch wir kennen sicherlich Zeiten, in denen uns nicht zum Jubeln zumute ist – spätestens seit der letzten Gasrechnung!
Die „Freude im Herrn“, von der Paulus spricht, ist eine ganz andere Freude. Sie ist kein Hochgefühl, das einen ergreift, wenn man nur tief genug in sich geht oder lange genug einen bestimmten Chorus singt. Sie ist in der Überzeugung begründet, wer Christus ist, was Er für uns getan hat und was wir in Ihm geworden sind. Diese Tatsachen hatte Paulus in den ersten zwei Kapiteln des Philipperbriefes behandelt. Und nun, in Kapitel 3 Vers 1, kommt er zu dem Schluss: „Also [nachdem ich Euch all das in Erinnerung gerufen habe], freut Euch in [genau] dem Herrn!“
Paulus’ Aufforderung, sich in dem Herrn zu freuen, zeigt, dass dies nicht automatisch geschieht. Es ist gut möglich, dass wir die Wahrheit der besten Botschaft der Welt aus dem Blick verlieren und somit auch die Freude im Herrn.
Dass diese Gefahr nicht nur besonders ungeistliche Christen betrifft, zeigt uns der Philipperbrief sehr deutlich. Denn die Philipper waren treue, ernsthafte, liebevolle Gläubige. Paulus lobt sie für ihr Vorbild im Glauben und in der Liebe, selbst in schwierigen Zeiten (vgl. Phil 1,3–10.27–30; 2,12–15). Diese Gemeinde war sicher nicht vollkommen, aber sie hatten den Wunsch, Gottes Willen zu kennen und ihn auch zu tun. Und dennoch, oder gerade wegen dieses Anliegens, standen sie nun in der Gefahr, dass ihnen die Freude am Herrn abhanden kam.
Falsche „Frömmigkeit“ (V. 1–11)
Die Gemeinde in Philippi bestand hauptsächlich aus Heidenchristen, von denen die meisten erst kürzlich durch die Missionsarbeit von Paulus und Silas gläubig geworden waren (vgl. Apg 16). Doch nun kamen gesetzliche Judenchristen (sogenannte „Judaisten“), die behaupteten, dass die Gerechtigkeit aus Glauben allein nicht ausreiche. Um Gott wirklich gefallen zu können, müssten sich die gläubig gewordenen Männer beschneiden lassen, so wie es im Volk Gottes seit jeher Brauch war, und bestimmte Zeremonien müssten gehalten werden.
Für die nach Frömmigkeit strebenden Philipper stellte dies eine Gefahr dar. Denn diese Sicht stand dem Evangelium von der Rettung in Christus völlig entgegen. Deshalb verurteilt Paulus auch die „Mission“ der Judaisten mit schärfsten Worten, und stellt sie als das dar, was es in Wahrheit ist: als heidnisch („Hunde“), als „bösartig“ und als Weg, der von Gott wegführt, anstatt zu Ihm hin (Vers 2). Die „Zerschneidung“ („Kastration“) schloss im mosaischen Gesetz vom Gottesdienst aus. Aber in den Verheißungen des Neuen Bundes kehrte Gott es um. Durch Jesaja hatte er verheißen, dass auch die Eunuchen zu Seinen Kindern gehörten und in seinem Tempel wohnen würden (vgl. Jes 56,4). Die Judaisten leugneten aber die Verheißungen dieses Neuen Bundes und forderten eine Gerechtigkeit aufgrund eigener Leistungen. Indem sie die Beschneidung forderten, schnitten sie sich von den Verheißungen Gottes ab – und jeden, der ihnen folgte.
Auch für uns besteht nach wie vor die Gefahr der Gesetzlichkeit. Wie schnell versuchen wir, durch eigene Leistungen besser dazustehen – sei es vor Gott oder vor allem vor anderen Menschen. Und wie leicht gerät durch persönliche Meinungen darüber, wie ein Christ zu sein hat, das wirklich entscheidende Kennzeichen des Christen in den Hintergrund: Die Liebe untereinander und das gegenseitige Tragen und Ertragen in Liebe! Wir dürfen nicht müde werden, uns die Prinzipien des Evangeliums der Gnade und Liebe Gottes immer wieder selbst zu predigen, damit wir fester im Glauben werden (vgl. Phil 3,1).
Der Weg zur Freude (V. 12–16)
Wenn wir uns im Vertrauen auf das Evangelium üben, werden wir lernen, dass unsere Freude von unserer Zufriedenheit und Zuversicht in Christus abhängt und nicht davon, ob wir die Erwartungen anderer erfüllen. Deshalb sind die Worte von Paulus heute so aktuell wie damals. Paulus hatte – menschlich gesehen – mehr vorzuweisen als die meisten anderen. Er hatte einmal zu der strengsten und frömmsten Sekte der Pharisäer gehört. Aber jetzt wusste er, dass all seine bisherige Frömmigkeit vor Gott gar nichts nützte – ja mehr noch: Sie stellte sogar einen Verlust dar, weil er vorhatte „Christus zu gewinnen … und die Gerechtigkeit aus Gott aufgrund des Glaubens“ (Phil 3,8–10). Sein Leben änderte sich an dem Tag, als Christus ihm auf dem Weg nach Damaskus begegnete. Christus befreite ihn von der Last, eine eigene Gerechtigkeit durch Perfektionismus aufbauen zu müssen, und schenkte ihm im Gegenzug Seine göttliche Vollkommenheit und Gerechtigkeit. An diesem Tag gewann Paulus ein neues Leben, eine neue Perspektive, eine neue Hoffnung, einen neuen Herrn – ja, er gewann Christus selbst!
„Die Überzeugung, dass alles von nun an allein von Jesu Werken abhing und nicht von seinen eigenen, machte Paulus keineswegs faul oder träge – im Gegenteil.“
Aber die Überzeugung, dass alles von nun an allein von Jesu Werken abhing und nicht von seinen eigenen, machte Paulus keineswegs faul oder träge – im Gegenteil. Sein Kampf fing erst mit seiner Bekehrung an. In 2. Korinther 11 können wir nachlesen, wie viel er wegen seiner Missionsarbeit leiden musste. Er wusste: Das Leben mit Christus ist ein Kampf mit Entbehrungen, aber es ist ein Kampf, der bereits gewonnen ist, und deshalb können wir uns auch in den Schwierigkeiten freuen und finden in Christus Trost in allen Umständen. Wir sind wie Läufer in einem Staffellauf, der bereits gewonnen ist. Christus ist, als unser Vorrenner, bereits im Ziel angekommen (vgl. Vers 14); Er hat den Sieg für uns errungen, und er bewahrt den Siegeskranz ganz sicher für uns auf, bis wir angekommen sind (vgl. 1Petr 1,4). Es liegt an uns, die „Ehrenrunde“ zu drehen und dem Ziel „entgegenzujagen“ (Vers 12). Auf diesem Weg werden wir häufig versagen; wir stolpern und fallen, aber wir können und wir werden den Lauf niemals mehr verlieren. Darin liegt unser Trost, unsere Hoffnung und unsere Freude!
Hätte man Paulus gebeten: „Nenne mir eine Sache, die ich in meinem Leben als Christ – in diesem oft beschwerlichen Lauf – beherzigen soll, um die Freude an Gott zu behalten“, hätte er geantwortet: „Vergiss, was hinter dir liegt und strecke dich ganz nach vorne aus, dem Ziel entgegen, dem Kampfpreis der Berufung Gottes in Christus Jesus“ (Vers 13–14). Entscheidend ist also nicht, wie gut wir laufen, sondern dass wir mit dem richtigen Ziel vor Augen laufen: unserer Berufung in Christus.
Die größte Freude (V. 17–21)
Wir Gläubigen sind aufgefordert, im Glauben zu leben und nicht im Schauen. Dies ist herausfordernd, weil wir im Alltag fast vollständig von irdischen Dingen umgeben sind. Gott hat uns eine wundervolle Erde geschenkt, mit vielen wunderbaren Segnungen, die wir zu seiner Ehre genießen dürfen. Doch wir neigen dazu, unsere Freude von diesen irdischen Dingen abhängig zu machen, weil wir sie sehen, hören, schmecken oder riechen können und sie uns innerhalb der nächsten fünf Minuten Befriedigung verschaffen. Dabei hat Gott sie uns gegeben, damit unsere Freude in ihm gestärkt wird, der sie uns aus Liebe gegeben hat.
Irdische Dinge – so schön sie auch sind – sind unvollkommen und vergänglich. Deshalb werden sie uns niemals die Freude geben, die wir suchen und die allein in Gott zu finden ist. Darum müssen wir uns immer wieder an das eigentliche Ziel unseres Lebens und unserer Berufung erinnern und unsere geistlichen Augen durch Gottes Wort schärfen, um die wahre Freude zu sehen, die uns erwartet.
Unsere größte Freude besteht nicht darin, ein möglichst langes, erfülltes und ruhiges Leben hier auf Erden zu haben – auch wenn das ein schöner und keineswegs unchristlicher Wunsch ist (vgl. 1Tim 2,2). Nein, unsere Berufung und unser Ziel, das, von dem wir unsere größte Freude erwarten sollten, ist die Gemeinschaft mit Gott, in seiner neuen Welt, wenn Jesus wiederkommt! Und genau das macht Paulus den Philippern noch einmal sehr deutlich! Sie kannten diese Wahrheit zwar schon, aber trotzdem war es nötig, sie immer wieder zu hören. Dasselbe gilt für uns: Wir kennen die Wahrheit von der Wiederkunft Jesu, aber wir schenken ihr zu wenig Beachtung. Wir müssen uns immer wieder daran erinnern, dass diese Welt einmal endet. Jesus Christus kommt wieder und richtet seine ewige Herrschaft auf – in einer neuen, perfekten Schöpfung, in der wahre Gerechtigkeit regiert (vgl. 2Petr 3,10–14).
Noch ist unsere Welt krank, voller Streit und Freudlosigkeit. Sie sehnt sich nach sozialer Gerechtigkeit und deckt auf der Suche danach mitunter Missstände auf, kennt aber keinerlei Gnade.
In Christus vereinen sich aber Gerechtigkeit und Gnade auf wundersame Weise und bewirken begründete Hoffnung, Freude und Heil. Eines Tages kommt Jesus wieder, um Gerechtigkeit zu bringen, zu richten und sich alle Dinge zu unterwerfen (Vers 21). Das bedeutet, dass alle, die auf ihn gewartet und an ihn geglaubt haben, vor ihm als gerecht gelten und den Freispruch empfangen. Sie werden Erben der neuen Schöpfung und dürfen erleben, wie Christus sie von ihrer sündhaften sterblichen „Niedrigkeit“ in seine unendliche Herrlichkeit umwandelt. Das wird der Moment größter Freude für alle Gläubigen aus allen Zeiten werden.
Alle anderen aber, die sich selbst und alles Irdische vergöttern, anstatt auf Christus zu vertrauen, werden das, wonach sie sich so sehr sehnen niemals empfangen. Ihnen werden Freude, Gerechtigkeit, Hoffnung und eine heile Welt für immer versagt bleiben, weil sie den Einzigen abgelehnt haben, der diese Dinge geben kann.
Wünschst du dir wahre Freude in deinem Leben? Eine Freude voller Hoffnung, auch im Leid? Dann schaue auf Christus, den Sohn Gottes. Wenn du auf ihn vertraust, müssen weder dein eigenes Versagen noch die Meinung anderer einen Einfluss auf deine Freude haben. Dann müssen weder Krankheit, Leid oder Ungerechtigkeit, weder Wohlstand noch Armut die Freude deines Lebens bestimmen. Wenn du auf Jesus Christus vertraust, darfst du wissen, dass der große und herrliche Gott dein Vater ist; dass er jeden Tag deines Lebens kennt und dich trotz deiner Unvollkommenheit liebt; dass er dich dazu auserwählt hat, sein Kind zu sein und eines Tages für alle Ewigkeit bei ihm zu sein – in vollkommener Freude, Gerechtigkeit und Heiligkeit.
Gibt es einen besseren Grund zur Freude als diesen?