Tiefer
Wem bereits das Buch Gütig und sanft von Dane C. Ortlund, dem Pastor der Naperville Presbyterian Church in Illinois (USA), zugesagt hat, der darf sich auf das Werk Tiefer sehr freuen. Es ist voller kostbarer Wahrheiten, die zum einen Balsam für die Seele sind und den Christen andererseits auch herausfordern. Das Anliegen des Buches wird dem Leser gleich auf der ersten Seite, noch vor dem Inhaltsverzeichnis, vor Augen gemalt. Ortlund zitiert einen kurzen Auszug aus Prinz Kaspian von Narnia vom irischen Schriftsteller C.S. Lewis (1898–1963):
„Aslan“, sagte Lucy, „du bist größer geworden.“
„Das kommt dir nur so vor, weil du älter bist, mein Kleines“, antwortete er.
„Nicht, weil du größer bist?“
„Das bin ich nicht. Aber du wirst mich mit jedem Jahr, das du älter wirst, größer finden.“
Aslan ist ein Löwe und repräsentiert in der Romanreihe Die Chroniken von Narnia Jesus Christus. Mich persönlich hat das Zitat nicht mehr losgelassen, denn es bringt die Erfahrung, die ich in den vergangenen Jahren machen durfte, sehr treffend auf den Punkt: Gott wird mit jedem Jahr größer und schöner, wobei er sich nicht verändert. Vielmehr verändert er mein Herz, indem er meinen Blick auf sein Wesen lenkt. Ortlund verfolgt in Tiefer genau dieses Ziel: Er möchte den Leser von der Schönheit und Größe Jesu Christi überzeugen. Tiefer ist ein Buch über Heiligung. Sein Anliegen ist es, tiefer in Jesus zu wachsen und dadurch Veränderung zu erfahren. Es geht nicht darum, noch mehr zu tun, sondern die kostbaren Wahrheiten des Evangeliums zu verdauen und auf das eigene Leben anzuwenden. Das Ziel ist Jesus – und ihn mehr und mehr zu erkennen. So betont es Ortlund auch am Ende des Buches:
„Sieh auf Christus. Du wirst in Christus wachsen, wenn du deinen Blick auf Christus richtest. Wenn du von Jesus Christus wegsiehst und den Blick auf dein Wachstum richtest, dann wirst du das Wachstum verhindern, das du dir wünschst.“ (S. 185)
Freude an der Heiligung
Ein lieber Bruder im Herrn, der das Buch bereits gelesen hat, schrieb mir neulich: „Wenn das Heiligung ist, kann man ja tatsächlich Freude daran haben.“ Ich stimme ihm nach der Lektüre des Buches zu. In seinen einleitenden Worten erklärt der Autor, was es bedeutet, in Christus, also in der Heiligung, zu wachsen: „In Christus zu wachsen bedeutet nicht hauptsächlich Verbessern, Anhäufen oder Erleben, sondern Vertiefen“ (S. 14f). Für Ortlund bedeutet „Vertiefen“ damit auch, dass der wiedergeborene Christ bereits alles hat, was er für seine Heiligung braucht: „Das Wachstum als Christ besagt also, dein Handeln, Reden und sogar deine Gefühle in Übereinstimmung mit dem zu bringen, was du in Wirklichkeit bereits bist“ (S. 14). In neun Kapiteln führt Ortlund schließlich aus, wie wir in Christus wachsen können. Dabei zieht er auch viele Personen aus der Kirchengeschichte zurate (z.B. Martin Luther, Thomas Goodwin oder Jonathan Edwards).
Unsere Leere und Jesu Fülle
Die ersten drei Kapitel legen hierbei die Grundlage: Kapitel 1 („Jesus“) beschreibt die Fülle Christi, Kapitel 2 („Verzweiflung“) unsere eigene Leere und Kapitel 3 („Einheit“) unser Einssein mit Jesus. Da es im Buch um das Wachsen in Christus geht, beginnt das erste Kapitel bei Jesus und beschreibt, wer er ist. Ortlund stellt heraus: „Wachstum in Christus erfolgt nicht gemäß einer Formel, sondern in einer Beziehung“ (S. 20). Er betrachtet sieben Facetten von Jesus und möchte so seinen Lesern den biblischen Jesus vor Augen malen.
„In Christus zu wachsen bedeutet nicht hauptsächlich Verbessern, Anhäufen oder Erleben, sondern Vertiefen.“
Im zweiten Kapitel verdeutlicht er, dass es heilsam ist, an sich selbst zu verzweifeln, damit wir uns durch Umkehr und Glauben immer wieder neu in die Arme von Jesus fallen lassen: „Wenn du nicht in Christus wächst, könnte ein Grund dafür sein, dass du von der gesunden und heilsamen Übung abgekommen bist, an dir selbst zu verzweifeln“ (S. 38). Ortlund möchte aufzeigen, wie „armselig und ohnmächtig“ der Christ aus eigener Kraftanstrengung ist. Eigenes Bemühen um geistliches Wachstum ist vergeblich. Er macht deutlich, wie verloren und verdorben der Mensch ohne Christus ist. Je mehr wir das Böse in uns kleinreden, desto mehr verringern wir auch das Maß dessen, wie tief unser Wachstum im Glauben gehen kann. Es geht darum, ehrlich mit sich selbst zu sein.
Im dritten Kapitel beschäftigt sich Ortlund mit der Beziehung des Christen zu Jesus. Was bedeutet Einheit mit Jesus? Sie bedeutet u.a., dass Jesus unser Oberhaupt ist und wir nicht mehr mit dem Schicksal Adams verbunden sind: „Wir bleiben gefallene Sünder. Doch unsere grundlegende Identität, unser eigentlicher Platz, ist im neuen Zeitalter – weil wir in Christus sind“ (S. 59). Der Autor beschreibt die Lehre von der Einheit mit Christus als einen Schirm, unter dem alle Güter der Erlösung zusammengefasst werden. Wenn wir mit Christus vereint werden, erhalten wir alle diese Güter, wie die Rechtfertigung, die Wiedergeburt und die Auferstehung.
Wachsen als Geliebte und Freigesprochene
In den folgenden sechs Kapiteln geht Ortlund auf die Dinge ein, die uns beim Wachsen in Christus helfen. Dabei geht es ihm bei den einzelnen Kapiteln nicht um aufeinanderfolgende Schritte zum Wachstum. Es handelt sich dabei lediglich um „unterschiedliche Facetten des einen Wachstums-Diamanten“, welcher Jesus ist. Kapitel 4 („Geliebt“) befasst sich mit der Liebe Gottes. Ortlund argumentiert, dass man die Liebe Gottes nicht nur einmal im Leben erkennt und glaubt, um sich dann anderen Wahrheiten oder Strategien für das Wachstum in Christus zuzuwenden. Stattdessen sollen wir seine Liebe immer mehr erkennen und von ihr zehren.
„Es ist heilsam, an sich selbst zu verzweifeln, damit wir uns durch Umkehr und Glauben immer wieder neu in die Arme von Jesus fallen lassen.“
Kapitel 5 („Freispruch“) beschäftigt sich mit der Rechtfertigung, die der Christ im Glauben an den Tod und die Auferstehung Jesu vor Gott erlangt. Ortlund erläutert, dass das Evangelium kein Hotel ist, in welchem man auf der Durchreise übernachtet, sondern ein Zuhause, in dem man lebt. Im Prozess der Heiligung muss der Christ sich immer wieder die Rechtfertigung vergegenwärtigen. Sie „ist nicht nur der Anlasser, der das christliche Leben in Gang bringt, sondern der Motor, der es die ganze Strecke über antreibt“ (S. 102).
In Kapitel 6 („Ehrlichkeit“) befasst er sich mit dem christlichen Leben in der Gemeinschaft. Über dieses Kapitel habe ich mich besonders gefreut, da es eine wichtige Wahrheit anspricht, die in unseren christlichen Kreisen leider häufig unter den Teppich gekehrt wird. Der Autor ermutigt dazu, im Licht zu wandeln, was für ihn so viel bedeutet, wie die eigene Sündhaftigkeit vor Gott und anderen Geschwistern zu bekennen. Er kritisiert u.a. die Unehrlichkeit, die häufig unter Christen vorherrscht: „Die Weigerung, vor anderen ehrlich zu werden, ist versteckte Werksgerechtigkeit. Wir meinen, wir müssten unser Gesicht wahren, um den Schein der Rechtschaffenheit aufrecht zu erhalten“ (S. 131).
Durch Leid wachsen?
Kapitel 7 („Schmerz“) greift das herausfordernde Thema des Leids auf. Dabei argumentiert der Verfasser, dass Leid kein Hindernis, sondern ein Werkzeug ist, durch das wir zu tiefer christlicher Reife gelangen: „Leiden fördert unser Wachstum, wie nichts anderes – wenn wir es zulassen“ (S. 133). Die Leiderfahrung lässt uns entweder zynisch über das werden, was wir bislang über Gottes Souveränität und Güte gesagt und geglaubt haben, oder sie hilft uns dabei, uns erst recht auf unsere Theologie zu stellen. In jedem Fall verändert uns der Schmerz, so Ortlund. Besonders erfreulich ist in diesem Kapitel, dass er auch auf das Thema „Tränen“ eingeht, welches in meinen Augen leider nicht so häufig unter Christen thematisiert wird. Ihm zufolge zeigen Tränen oft die Beseitigung einer Ablenkung an. Durch das Weinen kommen wir mit der Realität und uns selbst in Berührung: „Erlaube dir zu weinen, während du wächst. Unterdrücke deine Gefühle nicht“ (S. 145). Für mich persönlich sind die Zeitpunkte, in denen ich im Gebet vor meinem himmlischen Vater voller Inbrunst weinen kann, ganz egal ob aus Freude oder Schmerz, sehr erfüllende und heilsame Momente. Zudem geht der Autor in diesem Kapitel auf die Abtötung der Sünde ein, welche nicht Selbstgeißelung bedeutet, sondern sich von der „unübertrefflichen Schönheit Jesu“ vereinnahmen zu lassen.
Einatmen, Ausatmen, Leben
In Kapitel 8 („Atmen“) geht es darum, wie wir Tag für Tag die beschriebenen Inhalte von Tiefer glauben und in unserem Herzen immer tiefer erfassen können. Ortlund beschränkt sich dabei auf das Lesen der Bibel (= Einatmen) und auf das Beten (= Ausatmen). Er ermutigt dazu, in der Bibel, dem „größten irdischen Schatz“, „zu Hause“ (S. 155) zu sein und betend durch den Tag zu gehen.
„Das Evangelium ist kein Hotel, in welchem man auf der Durchreise übernachtet, sondern ein Zuhause, in dem man lebt.“
Im letzten Kapitel („Übernatürlich“) geht der Autor noch auf die Rolle des Heiligen Geistes im Prozess des Wachsens in Christus ein. Er stellt klar, dass alle Inhalte des Buches ohne den Heiligen Geist völlig abstrakt bleiben würden: „Es wäre nur schöne Theorie, weiter nichts. Der Geist gibt Leben. Er verwandelt Lehre in Kraft“ (S. 172). Der Heilige Geist verändert uns, indem er uns zeigt, wie wunderbar Christus ist. Er rückt Jesus ins Rampenlicht und hilft uns dabei, Gott freudig zu gehorchen.
Fazit: Dieses Buch sollte man gelesen haben
Das Buch ist absolut lesenswert. Es ist durchtränkt von vielen tiefen Aussagen, über die es sich lohnt, länger und intensiver nachzudenken. Selten habe ich in einem Buch so viele Sätze markiert. Deshalb sollte man Tiefer auch in Ruhe lesen, die Kapitel sacken lassen und nicht durchrasen. Zu kostbar sind die geistlichen Wahrheiten auf den einzelnen Seiten. Sich bei der Lektüre Zeit zu nehmen, lässt den Inhalt tiefer ins Herz sinken. Dane Ortlund schafft es, viele wichtige Glaubenswahrheiten in Worte zu fassen, die mich in den vergangenen Jahren beschäftigt haben: Es geht darum, Gott tiefer und besser kennenzulernen. Das wird uns verändern.
Jedem Christen sei es ans Herz gelegt, das Buch zur Hand nehmen, vor allem aber demjenigen, der mühselig und beladen ist und Jesus mehr lieben möchte. Auch sprachlich ist das Buch ausgezeichnet und lässt sich flüssig lesen. Hinzu kommt ein kreatives Design. Das Cover greift den Titel des Buches wunderbar auf. Ich war nach der Lektüre sehr erbaut, voller Freude über meinen wunderbaren Gott und über alles, was er mir in seinem Sohn bereits geschenkt hat.
Buch
Dane C. Ortlund, Tiefer: Wie Christen echte Veränderung erleben, Bad Oeynhausen: Verbum Medien, 2022, 192 Seiten, ca. 12,90 EUR.
Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.