Eine göttliche Rettungsaktion
„Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden.“ (Mt 1,21)
Kurz und knapp erzählt Matthäus uns am Beginn seines Evangeliums Dinge, die atemberaubend – ja, wahrlich weltbewegend – sind: Am Ende des ersten Kapitels geht es um große Geheimnisse, wie die Menschwerdung Gottes und die Jungfrauengeburt. Im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt es dazu in konzentrierter Form: „empfangen durch den Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria“.
Maria und Josef waren noch nicht „zusammengekommen“. Das heißt, sie waren verlobt, lebten noch getrennt und es war völlig klar, dass sie keinen Geschlechtsverkehr gehabt hatten. Daher schloss Josef, als er von ihrer Schwangerschaft erfuhr, dass Maria ihm untreu gewesen war. Darum wollte er sich von ihr trennen. Für Maria hätte dies die Todesstrafe als Ehebrecherin bedeuten können. Josef aber wollte dies verhindern, indem er sie „heimlich“ entließ, ihr also den Scheidebrief gab.
Während er über das Ende seiner Beziehung mit Maria nachdachte, erschien ihm ein Engel des Herrn: „Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht“, sprach er ihm zu. Er solle die Ehe mit Maria vollziehen, denn dieses Kind stammte nicht aus einer ehebrecherischen Verbindung, sondern vom Heiligen Geist.
Empfangen vom Heiligen Geist: Da kam also jemand aus einer anderen Welt, aus der Realität Gottes, hinein in diese Welt. Es werden keine Details genannt, wie genau dies geschah. Wir werden einfach vor diese Tatsache gestellt: Der ewige Sohn, die zweite Person in der Gottheit, „wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“ verließ die Herrlichkeit bei seinem Vater. Er wurde wahrer Mensch wie du und ich, ohne seine Gottheit aufzugeben.
Die Mission des Retters
Aber warum kam er? Was war sein Auftrag, seine Mission? Nachdem der Engel Josef über die Herkunft des Kindes aufgeklärt hatte, erklärte er ihm noch, dass es ein Sohn sein würde, und dass er ihn Jesus nennen solle. Der Name ist Programm: „Jesus“ ist die griechische Form des hebräischen Jeschua oder Jehoschua, das normalerweise mit „Josua“ übersetzt wird. Josua oder Jesus heißt auf Deutsch „Jahwe rettet“ oder „Jahwe hilft“, und um alle Zweifel aus dem Weg zu räumen, erklärte der Engel, dass genau dies die Aufgabe dieses Kindes sein würde: „[E]r wird sein Volk retten von ihren Sünden.“
Falsche Erwartungen
Bevor wir uns aber darüber Gedanken machen, was Jesus auf dieser Welt wollte, müssen wir uns darüber klar werden, was er nicht wollte. Denn was seine Mission ist, das ist bis heute umstritten. Hätte man damals einen Juden gefragt, warum der versprochene Retter kommt, hätte dieser wahrscheinlich geantwortet, dass der Messias sie von der Macht der Römer befreien und das glorreiche Königreich wieder aufrichten werde, wie es zur Zeit von König David war. Welchen Retter und welche Art von Rettung wir erwarten, hängt natürlich davon ab, wie wir unser Problem sehen. Viele Juden sahen die Fremdherrschaft als das große Problem und erwarteten deshalb eine politische Befreiung.
„Welchen Retter und welche Art von Rettung wir erwarten, hängt natürlich davon ab, wie wir unser Problem sehen.“
Zeigten aber nicht gerade ihre heiligen Schriften auf, dass dies eine zu oberflächliche Problemanalyse war? Waren sie nicht über viele Jahrhunderte unabhängig gewesen? Hatte es nicht auch zu jener Zeit Unterdrückung der Armen und Machtmissbrauch gegeben? Hatten nicht schon damals die Propheten den oberflächlichen Glauben des Volkes verurteilen müssen, weil die Menschen zwar Opfer brachten und Lieder sangen, aber mit ihren Herzen fern von ihrem Gott waren? Ja, die Unterdrückung anderer Völker durch die Römer war ein Problem, aber es war nicht die Wurzel des Problems.
Dass vieles schiefläuft, würden die meisten Menschen wohl nach einem Jahr wie diesem zugeben, doch auch heute gibt es viele oberflächliche Problemanalysen. Welche Antworten würden wir bekommen, wenn wir auf die Straße gehen und die Menschen nach dem größten Problem der Menschheit und unserer Gesellschaft fragten?
Die einen würden wohl – genau wie Jesu Zeitgenossen damals – die Probleme in den politischen Verhältnissen sehen. Manche verorten das Problem etwa generell in allen Regierungsformen. Sie würden wahrscheinlich fordern: „Schafft alle Herrschaft ab, lasst den Menschen einfach ohne Fremdbestimmung leben, dann wird alles besser werden. Nicht ein Kind in der Krippe wollen wir, sondern einen Revolutionär.“
Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt uns aber auf: Nach der Abschaffung einer Herrschaft wird einfach eine andere aufgerichtet, und im schlimmsten Fall ist dies einfach die Herrschaft des Stärkeren. Sie haben recht, dass Herrschaft oft unterdrückerisch ist, mit ihrer Abschaffung werden unsere Probleme aber nicht gelöst – ganz im Gegenteil.
Andere würden wohl sagen: „Die Gier der Manager ist das Problem!“ Tatsächlich prangert auch die Bibel die Gier der Menschen an und sagt, dass sie eine Wurzel vieler Übel ist. Wir müssten also an Weihnachten jemanden haben, der uns über ethische Unternehmensführung aufklärt und mit gutem Beispiel vorangeht.
Aber sind nur die Manager an der Spitze der Unternehmen gierig? Würden wir, wenn wir die Möglichkeit hätten, ebenfalls so viel zu verdienen, die Gelegenheit nicht ergreifen? Bestimmt nicht auch bei uns das Geld viel zu stark den Alltag? Haben wir nicht alle das Gefühl, dass wir eigentlich mehr Lohn haben sollten? Dass wir mehr Geld haben sollten, sodass wir uns gerade an Weihnachten etwas leisten könnten?
„Die Religionen sind für die Übel dieser Welt verantwortlich“, würden andere sagen, „schafft die Religion ab, dann wird alles besser“. Sind nicht die Religionen mit ihren Wahrheitsansprüchen für viele Kriege verantwortlich? Werden nicht überall auf der Welt Menschen wegen der Religion unterdrückt und verfolgt? Wir brauchen also kein Kind in der Krippe, sondern einen Aufklärer – einen, der uns lehrt, dass es keine Religion braucht.
Aber auch diese Analyse geht nicht tief genug. Waren nicht gerade die atheistischen Herrschaften des 20. Jahrhunderts, wie wir sie zum Beispiel im Kommunismus sahen, für die größten Verbrechen verantwortlich? Ist nicht die schlimmste Diktatur heute das nordkoreanische Regime, also ein atheistisches Land? Nein, schaffen wir die Religion ab, dann werden sich andere Probleme ergeben.
So könnten wir noch viele Beispiele aufzählen: Jeder hat eine andere Meinung darüber, was das grundlegende Problem der Menschheit ist. Wenn wir Menschen an Weihnachten an der Krippe stehen würden, dann wüssten wir sehr genau, warum dieser Retter kommen sollte. Wir würden ihn darüber aufklären, was genau das Problem dieser Welt ist. Dementsprechend könnten wir ihm sagen, was seine Mission sein muss.
Befreiung von der Sünde
Doch der Engel sagt es uns in einfachen, klaren Worten: „[E]r wird sein Volk retten von ihren Sünden“ (Mt 1,21). Von ihren Sünden? Da möchten wir doch protestieren! Natürlich haben wir alle unsere Fehler, aber das soll das grundlegende Problem der Menschheit sein? Dafür soll Jesus gekommen sein? Das ist uns dann doch zu einfach, und so wenden wir uns – wie die Menschen damals – von ihm ab. Einen solchen Messias, einen solchen Retter, wollen wir nicht.
„Weihnachten ist ein fröhlicher Anlass, denn dabei erinnern wir uns daran, dass Gott das Übel an der Wurzel gepackt hat.“
Dabei gibt es keine gründlichere Analyse unserer Probleme als ebendiese. Unterdrückung, Ausbeutung der Umwelt, Geldgier, falsche Religion, und was man sonst noch so nennen könnte – das alles sind wirkliche Probleme, aber sie sind nur Auswüchse eines tiefer liegenden Problems. Sie sind, um ein Bild zu verwenden, nur die faulen Früchte an einem kranken Baum. Das grundlegende Problem sind nicht diese Früchte, sondern der kranke Baum und die kranke Wurzel.
Um es anders zu sagen: Das Problem liegt nicht da draußen, bei den anderen, in der Regierungsform, der Religion und so weiter. Nein, das Problem sind wir. Das Problem liegt in uns, in unseren Herzen, in unserer Selbstsucht, oder eben in unserer Sünde. Daher ist Weihnachten ein solch fröhlicher Anlass, denn dabei erinnern wir uns daran, dass Gott das Übel an der Wurzel gepackt hat. Der Schöpfer macht sich an Weihnachten auf, um einzugreifen, um einer schuldbeladenen Welt die Vergebung ihrer Sünden anzubieten. Er ruft den Menschen, die unter ihrer Schuld ächzen, zu: „Fürchtet euch nicht!“ Einer von der Sünde geknechteten Menschheit verkündet er das Ende ihrer Gefangenschaft.
„Joy to the world, the Lord is come!“ (dt. „Freue dich Welt, dein König naht“), so hat Isaac Watts gedichtet. Wir müssen nicht so weitermachen wie bisher! Wir dürfen umkehren und unter seine gute Herrschaft kommen. Wir müssen nicht Sklaven der Sünde bleiben. Welch eine Botschaft für diese Welt! Welch eine Botschaft, gerade nach diesem bewegten Jahr.
Im dritten Vers dieses Weihnachtslieds steht: „He comes to make His blessings flow, far as the curse is found.“ Übersetzt heißt das: „Er kommt, um seinen Segen fließen zu lassen, so weit der Fluch reicht.“ Es gibt keinen Winkel auf dieser Erde, der von diesem Segen ausgenommen ist. Es gibt keine Situation, die unser Herr nicht verändern könnte. Es gibt keinen Menschen, der diesen Segen nicht erleben könnte. Das ist Weihnachten. Glaubst du das?