Oh, du dunkle Weihnachtszeit!

Artikel von Courtney Reissig
20. Dezember 2022
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Weihnachten ist schon immer meine liebste Zeit im Jahr gewesen. Ich liebe das Essen, die Weihnachtslieder, die Feste und das Verteilen der Geschenke. Ich liebe das Hinblicken auf die Fleischwerdung Christi. Ich liebe die hellen Lichter und den Schimmer von Grün, Silber und Rot. Und ganz unter uns: Ich liebe sogar richtig kitschige Weihnachtsfilme. An Weihnachten habe ich mich immer heimelig und geborgen gefühlt. Bis zu dem Jahr, in dem das nicht der Fall war.

Ich war etwas mehr als ein Jahr verheiratet, als mein erstes dunkles Weihnachten kam. Ich hatte allen Grund zu denken, dass ich aus meinen normalen Kleidern herausplatzen und ein kleines Baby bekommen würde. Aber das war nicht der Fall. Ich bekam weder Heißhunger noch Übelkeitsanfälle, auch keinen Bedarf an Umstandsmode. Das Baby in meinem Bauch hatte schon vor Wochen aufgehört zu wachsen. Ich war am Boden zerstört. In jenem Jahr empfand ich wenig Weihnachtsfreude, nur Weihnachtsschmerz und Sehnsucht nach dem, was hätte sein können. Es war nicht mein letztes trauriges Weihnachtsfest in unserem Warten auf Gottes Geschenk. Was für mich einst ein so glückliches Familienfest gewesen war, wurde plötzlich zu einer schmerzhaften Erinnerung an das, was ich mir am meisten wünschte, aber immer noch nicht hatte – eine Familie mit eigenen Kindern.

Wenn wir über Weihnachten sprechen, denken wir an glückliche, freudige Zeiten, und das ist sicherlich bei vielen der Fall. In den Jahren seit unserem ersten Verlust haben wir an Weihnachten Zeiten der Freude und der Trauer erlebt. Wir kennen beide Gefühle. Aber für andere kann Weihnachten eine dunkle Wolke der Traurigkeit sein.  Eine Traurigkeit, die nie nachzulassen scheint und die durch das Glück, das einen umgibt, nur noch verschlimmert wird. Für manche ist Weihnachten eine Erinnerung an schmerzhafte Umstände. Es bringt keine frohe Botschaft. Vielleicht stehst du vor deinem ersten Weihnachten ohne deinen Ehepartner oder deine Eltern. Vielleicht wirst du jedes Jahr zur Weihnachtszeit an deine Sehnsucht nach einem Ehepartner erinnert. Die Einsamkeit kann dazu führen, dass die Festlichkeit nicht mehr zu ertragen ist. Vielleicht fehlt an deinem Tisch ein geliebtes Kind, das seinen eigenen Weg geht – nichts ist mehr so, wie es war. Vielleicht sind deine Eltern geschieden und du pendelst am Weihnachtstag zwischen zwei Häusern hin und her, während deine Freunde die Zeit mit der Familie verbringen. Weihnachten fühlt sich einsam und sinnlos an, wenn nicht alles so ist, wie es sein sollte.

Welche Dunkelheit du auch immer an Weihnachten erlebst, sei dir bewusst: Bei all den Liedern und Festlichkeiten, die auf gute Laune und große Freude hindeuten, erinnert Weihnachten an eine Dunkelheit, wie wir sie nie wieder erleben werden. Es erinnert aber auch an eine Dunkelheit, die Licht in eine gefallene Welt brachte.

Marias durchdringender Schmerz

Weihnachten bedeutet zwar den Anbruch großer Freude über die Ankunft unseres Erlösers, aber es ist auch ein Vorgeschmack auf die Dunkelheit seiner Kreuzigung. Simeon erzählte Maria von der Bestimmung ihres Sohnes und dass ein Schwert durch ihre eigene Seele dringen würde (vgl. Lk 2,35). Maria, die Frau, deren Herz sich bei jeder Bewegung im Bauch für ihren Sohn erwärmte. Die Frau, die den Sohn Gottes stillte und wickelte. Die Frau, die ihren Sohn liebte und aufzog, wie es jede andere Mutter auch getan hätte. Und obwohl er kein gewöhnlicher Sohn war, war er doch ihr Sohn. Die Tatsache, dass sie den Sohn Gottes geboren hatte, war kein Schutzschild gegen die schmerzhaften Realitäten der Mutterschaft (und ihr Schmerz muss unerträglich gewesen sein). Womöglich spürte kein anderer Mensch das Gewicht der Bestimmung Christi so wie sie. Während sich viele über sein Kommen freuten, musste sie eines Tages den quälenden Schmerz ertragen, ihren Sohn für ihre und unsere Sünden am Kreuz leiden zu sehen.

„Welche Dunkelheit du auch immer an Weihnachten erlebst, sei dir bewusst: Bei all den Liedern und Festlichkeiten erinnert Weihnachten an eine Dunkelheit, wie wir sie nie wieder erleben werden. Es erinnert aber auch an eine Dunkelheit, die Licht in eine gefallene Welt brachte.“
 

Es ist leicht, Maria als ein übermenschliches Werkzeug zu vergöttern, das bereit ist alles zu tun, was von ihm verlangt wird. Obwohl sie sicherlich gottesfürchtig war, war sie doch auch ein Mensch. Sie war immer noch eine Mutter. Das ist es, worauf Simeon in seiner Prophezeiung hinauswollte. Die Sühne für unsere Sünden ging mit dem mütterlichen Schmerz Marias einher. Als sie auf das kleine Baby in der Krippe starrte, verstand sie vielleicht nicht ganz, was geschehen würde. Aber Gott, der Vater, verstand es. Die freudig ersehnte Geburt unseres Erlösers trug einen unheilvollen Schatten der kommenden Finsternis mit sich.

Gottes selbstgewählter Schmerz

Maria verstand vielleicht nicht ganz, wozu Jesus gesandt wurde, aber Gott, der Vater, wusste von dem bevorstehenden Leid und ordnete es so an (vgl. Jes 53,10). Jesus wusste, was von ihm erwartet wurde, und er kämpfte mit dem Leid und den Schmerzen, die ihm auf Golgatha bevorstanden (vgl. Lk 22,39-46). Bei jedem Lob der Hirten und jeder Gabe der Weisen wusste der Vater, dass die vollkommene Gemeinschaft bald wegen der Sünde unterbrochen werden würde. In ihrem Buch Wie das Licht nach der Nacht: Hoffnung, die im Leiden trägt schreibt Joni Eareckson Tada über den Schmerz des Vaters und des Sohnes am Kreuz:

„Der Vater sieht zu, wie das Liebste, was er hat, das genaue Ebenbild seiner selbst, in Sünde untergeht und ertrinkt. Der Zorn gegen die Menschheit, den Gott Jahrhunderte hindurch aufgespeichert hat, explodiert in einer einzigen Richtung. ‚Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?!‘ Doch der Himmel hält sich die Ohren zu. Der Sohn starrt zu dem Einen auf, der ihn nicht erreichen, ihm nichts erwidern kann oder will. Zwei ewige Herzen zerreißen – ihre so enge Freundschaft bis aufs Innerste erschüttert. Die Dreieinigkeit hatte es geplant. Der Sohn erlitt es. Der Heilige Geist gab ihm die Kraft dazu. Der Vater verstieß den geliebten Sohn. Jesus, der Gott-Mensch von Nazareth, ging zugrunde. Der Vater nahm sein Opfer für die Sünde an und war zufriedengestellt. Die Rettung war vollendet. Gott legte seine Säge fort. Das ist der Gott, der um unser Vertrauen bittet, wenn er uns Leiden zumutet.“

Mit der Freude über das kleine Baby in der Krippe kam auch die Verheißung, dass sich die Freude bald in vorübergehende Trauer verwandeln würde. Wir haben einen vollkommenen himmlischen Vater, der weiß, was es heißt über einen Verlust zu trauern. Die Dunkelheit unseres Weihnachtsfestes ist diesem Gott nicht fremd. Er ist nicht unnahbar. Er ist bei uns, weil er uns zutiefst kennt und mit uns in unserem Schmerz geht. Auch er hat tiefen Schmerz ertragen.

„Welche Dunkelheit du auch immer an Weihnachten erlebst, sie hat nicht das letzte Wort in deinem Leben.“
 

Wenn wir an Weihnachten denken und untröstlich sind, weil wir ein weiteres Fest mit Tränen erleben, haben wir dennoch Hoffnung. Auch wenn Maria bei der Geburt ihres Sohnes herzzerreißenden Schmerz empfand, war dieser Schmerz zu unser aller Wohl. Gott, der Sohn, litt bei der Kreuzigung, aber durch sein Leiden sind wir geheilt (vgl. Jes 53,5). Er ist ein großer Hohepriester, der mit unseren Leiden mitfühlen kann (vgl. Hebr 4,15).

Welche Dunkelheit auch immer du an Weihnachten erlebst, sie hat nicht das letzte Wort in deinem Leben. Sie kann ein Leben lang anhalten. Es kann sich so anfühlen, als würde sie nie nachlassen. Manchmal droht sie, dich zu vernichten. Und sie ist real. Aber wir können dieses Weihnachten in der Hoffnung trauern, dass das Baby in der Krippe eines Tages jede Träne von unseren Augen abwischen und seinen Segen für uns in alle Ewigkeit fließen lassen wird (vgl. Offb 21,4). Die Dunkelheit, die über seiner Wiege schwebte, hat nicht gesiegt. Und sie wird auch über uns nicht siegen!