Selbstverliebte Prediger
Im Jahr 2013 war „Selfie“ das Oxford-Wort des Jahres (ein „Selfie“ ist eine Art Selbstporträt, das oft mit dem eigenen Smartphone aufgenommen wird; Anm. d. Red.). Selfies sind oft in sozialen Netzwerken wie Facebook, Snapchat oder Instagram zu finden und bilden eine oder mehrere Personen (Gruppenselfies) ab. Diese Feststellung weist auf eine sich verbreitende kulturelle Faszination hin, die darin besteht, von sich selbst Fotos zu machen und diese öffentlich zu teilen. Natürlich kann man diese Praxis nicht von vornherein als falsch bezeichnen. Schon seit Jahrhunderten haben wir versucht, Momente festzuhalten, um diese mit anderen zu teilen. Auf diese Weise erinnern und erfreuen wir uns an Zeiten in unserem Leben.
Es gibt jedoch einiges, was uns Sorgen bereiten sollte in unserem fotografierwütigen Zeitalter. Das eine ist die Häufigkeit. Eine Studie hat festgestellt, dass junge Frauen durchschnittlich eine Stunde pro Tag damit verbringen, sich selbst zu fotografieren. Das weist auf eine ungesunde Beschäftigung mit sich selbst hin. Eine andere Sache ist, dass man sich mehr und mehr in eine Scheinwelt flüchtet. Selfies scheinen die Macht zu haben, eine neue Realität für den zu schaffen, der sich hinter der Kamera befindet. Sie haben die Verantwortung dafür und auch die Macht darüber, was andere sehen. Es geht nur noch darum, eine Sichtweise zu kreieren, die uns im besten Licht darstellt, so dass wir davon profitieren. Wir umgehen die reale Welt. In der realen Welt sieht man auch unsere Fehler und wir werden mit fortschreitendem Alter auch immer weniger fotogen.
Mir geht es in diesem Artikel aber nicht in erster Linie um Selfie-machende Teenager. Ich mache mir vor allem um die Selfie-Kultur auf unseren Kanzeln Sorgen. Der Apostel Paulus fordert uns auf, sich nicht dieser Welt gleichzustellen (Röm 12,2). Wenn es ein Wort gibt, das zusammenfasst, was mit unserer Welt nicht in Ordnung ist, dann ist es wohl Egoismus. Stolz ist die Mutter jeder Sünde. Deshalb müssen wir gerade in Bezug auf unsere Persönlichkeit darauf achten, dass wir uns nicht der Welt gleichstellen. Und gerade in den Ohren von Predigern sollte die Warnung vor Selbstbezogenheit immer wieder laut erschallen.
Ich möchte mich vor dem „Selfie-Prediger“ in Acht nehmen. Hier sind einige Merkmale, die ihn verraten:
Er redet immer über sich selbst.
Der Selfie-Prediger lebt in der 1. Person Singular. Seine Lieblingsworte sind „Ich“ und „mir/mich“. Einige der Selfie-Prediger mit den meisten Followern bei Twitter haben dieses „Handwerk“ perfektioniert. Sie sind phänomenal bei ihren Selfie-Predigten. Sie erzähen die Geschichten in einer Art und Weise, dass das Herz berührt wird, dass sie immer beliebter werden und der Eindruck entsteht, man sei auf sie angewiesen. Wie auf einem Internetblog gibt der Selfie-Prediger Details aus seinem Leben preis, damit wir ihn kennen und lieben.
Er versteckt seine Fehler.
Wenn der Selfie-Prediger über sich selbst redet, ist er immer der Held der Geschichte. Nur selten gibt er zu, ein schwacher, verzweifelter und verdorbener Sünder zu sein, der einen starken, gerechten Erlöser nötig hat. Für diesen Prediger ist die Kanzel der Weg, eine Geschichte zu kreieren und sein Leben auf eine Art und Weise darzustellen, so dass andere meinen, er habe alles im Griff.
Er spricht das Fleisch an.
Weil er die Welt so gut kennt und vielleicht auch ganz in sie eintaucht, ist sich der Selfie-Prediger der Macht des Fleisches bewusst. So widmet er sich in der jeder Woche im ungesunden Maß den Überlegungen bzgl. seiner Kleidung. Der Selfie-Prediger ist cool, lustig, hip und springt auf jede kulturelle Welle auf, um noch besser bei den Zuhörern anzukommen. Einige der Selfie-Prediger tauchen tief ein in den Schmutz der Kultur, um ein paar bessere Illustrationen und Wortspiele zu haben. Indem sie eine angeberische, derbe und sogar obszöne Sprache benutzen, versuchen Selfie-Prediger, die Aufmerksamkeit und das Interesse ihrer Zuhörer zu erhalten. Es geht ihnen darum, die Menschen zu unterhalten.
Er ist so clever.
Sefies sind in den sozialen Netzwerken immer mit kreativen Hashtags verbunden. Selfie-Prediger sind für ihre kreative Wortwahl, lustigen Witze und perfekten Predigtgliederungen bekannt. Der Fokus wird nicht auf Christus und sein Wort gerichtet, sondern auf den Prediger selbst.
Ich schreibe diesen Artikel in dem Bewusstsein, dass auch ich mit diesen Dingen zu kämpfen habe. Oft habe ich gemerkt, dass ich versuche, dieselben Dinge zu tun wie ein Selfie-Prediger. Ich liebe es, einen Satz künstlerisch auszuarbeiten und ein Wortspiel einzubauen. Aber geht es dabei um mich oder um den Punkt, der deutlich werden soll? Ich habe in den letzten Jahren viele persönliche Illustrationen gebraucht. Aber geht es dabei um mich oder darum, einen Aspekt meiner Predigt verständlicher werden zu lassen? Als ich mich mit diesen Dingen auseinandergesetzt habe, wurde mir klar, dass es sich hierbei um einen Trend in der gesamten christlichen Welt handelt, der gefährlich und ungesund für die Gemeinden ist.
Es ist nötig, dass wir diese Gefahr ansprechen. Im Neuen Testament begegnen uns Prediger, die, offen gesagt, nicht wirklich beeindruckend wirkten (2Kor 10,10). Sie wollten nicht anderes verkündigen als Christus, den Gekreuzigten (1Kor 2,2). Sie scheinen sehr selbstlos gewesen zu sein und wenn sie über sich selbst redeten, dann nur, um sich noch mehr in Christus zu rühmen (Phil 1,20–22). Und hierin liegt echte Kraft verborgen! Menschen werden durch die Verkündigung eines Selfie-Predigers vielleicht unterhalten, aber niemals bekehrt, geheiligt und gewarnt. Wenn Gott wirken soll, dann muss Christus allein verkündigt werden (Röm 1,16–17; 10,13).
Im Licht des Neuen Testaments und der gegenwärtigen Kultur sollten wir uns in vor den Selfie-Predigern in Acht nehmen und uns an den Predigern erfreuen, die das Evangelium verkündigen! Denn es sind Letztere, die wir wirklich brauchen, weil sie uns auf Christus und nicht sich selbst, auf ein ewiges Königreich und nicht eine Scheinwelt hinweisen.
Erik Raymond, Beware of the Selfie-Preacher
© TheGospelCoalition
Übersetzung und Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.