Kreuzverhör

Rezension von Laura-Marie Dudat
13. Oktober 2022
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„Wie kann man der Wissenschaft gegenüber nur so ignorant sein? Glaubst du auch an den Weihnachtsmann?“ Mein Kommilitone schaut mich bedauernd-lächelnd an, während er sich sein Quinoa-Curry auf sein Tablett lädt. Soeben habe ich auf dem Weg in die Mensa im Gespräch erwähnt, dass ich glaube, was die Bibel über Jesus sagt. Ich will entgegnen, dass der Weihnachtsmann historisch nicht annähernd so gut belegt ist wie Jesus Christus, da folgt schon die nächste Unterstellung: „Und homophob seid ihr doch auch!“ Ich wünsche mir in diesem Moment, schlagfertig zu sein und mein Gegenüber durch eine stichhaltige Argumentationskette davon abzuhalten, mich als naives Opfer einer konservativen Erziehung abzustempeln. Aber es ist schon zu spät. Ich ärgere mich über mein Unvermögen. Meine Schinkennudeln darf ich dank akademischer Toleranz trotzdem inmitten meiner Hörsaal-Bekanntschaften einnehmen.

Ich kann mich an mehrere solcher Momente erinnern – auf dem Schulhof, zu Studienzeiten, unter guten Freunden. Hätte ich das Buch Kreuzverhör von Rebecca McLaughlin damals schon zur Hand gehabt, wäre ich sicher eloquenter gewesen und hätte mich bereitwilliger in apologetische Diskussionen geworfen. In zwölf Kapiteln gibt die Autorin überzeugende Antworten auf häufige Vorwürfe der säkularen Welt an den christlichen Glauben, wie etwa, ob er nicht zwangsläufig zu Gewalt führe oder sogar Sklaverei rechtfertige. Ihre Ausführungen wurden 2020 durch die Zeitschrift Christianity Today zum christlichen Buch des Jahres ernannt.

Moralische Argumente gegen das Christentum

Heute kommen die Anklagen der westlichen Skeptiker gegen Christen nicht zwingend aus einer Position der reinen Ablehnung des Gottesgedankens, sondern sie sind das Ergebnis echter moralischer Bedenken. Diesem Umstand begegnet Rebecca McLaughlin, indem sie den Leser zu Beginn der Kapitel an die Haltung der Skeptiker heranführt. Erzählungen persönlicher Schicksale, konfrontative Behauptungen, eigene Erfahrungen sowie erschütternde historische Fakten rechtfertigen hierbei die Fragen an den Glauben nachvollziehbar, ohne ihrem Wahrheitsanspruch nachzugeben. In der darauffolgenden Darlegung der biblischen Sichtweise argumentiert McLaughlin keineswegs aus einer vorwurfsvollen Defensive heraus, sondern schreibt selbstbewusst und einfühlsam. Dabei vermeidet sie es auch nicht, sich den Folgefragen zu stellen, die sich jeweils aus den zwölf Kapiteln ergeben. Denn wer fragt, ob der christliche Glaube Frauen unterdrücke, fragt auch nach der Position des Christen zum Thema Abtreibung. So wird sie ihrem eigenen Anspruch gerecht, welcher „selbstgefällige, vereinfachende Antworten“ meiden möchte (S. 16). Stattdessen nimmt die Autorin den Leser mit auf einen Ausflug in ihre akademische Welt, in der sie sich „jahrzehntelang mit brillanten Freunden“ auseinandersetzte, „die das Christentum aus grundsätzlichen Überlegungen verwerfen“, sowie „mit christlichen Professoren …, die an führenden, säkularen Universitäten lehren“ und bei denen „der Glaube kritischen Recherchen“ standhielt (S. 16).

Glaube und Intellekt

McLaughlin, die selbst einen Doktortitel in Englischer Literatur an der Universität Cambridge erlangte, bevor sie Theologie studierte, erwähnt eine Fülle an Freunden, Bekannten und Persönlichkeiten, die auf ihren Forschungsgebieten glänzen und sich zum christlichen Glauben bekennen. Dass sie im akademischen Umfeld zu Hause ist, zeigt sich aber auch an der Vielzahl und breiten Auswahl an Verweisen auf aktuelle Forschungsergebnisse. Fußnoten helfen Lesern, sollten sie – wie ich – nicht mit allen Theorien und Werken vertraut sein, die die Autorin in atemberaubendem Tempo nennt und die ihr offensichtlich gut bekannt sind. Durch ihre Vorgehensweise zeigt sich ihre Leidenschaft für das Zusammenspiel von Glaube und Wissenschaft. Auf ihrer persönlichen Website bekennt sie sich zum Wunsch, Teil einer Bewegung zu sein, die den christlichen Glauben als intellektuelle Strömung wiederentdeckt.

Entscheidende Schwächen des säkularen Humanismus

Vermutlich ist deshalb auch eines der längsten Kapitel der Frage gewidmet, ob der christliche Glaube nicht schon längst durch die Naturwissenschaften widerlegt sei. Beispielhaft möchte ich es hier darstellen. Zunächst wird darin die ambitionierte Behauptung neuer Atheisten wie Stephen Pinker oder Alex Rosenberg nachgezeichnet, nach der die Naturwissenschaft als vielschichtige, sinnstiftende Weltanschauung überzeugend sei, die Realität hinlänglich erkläre und so den Glauben überflüssig mache. Daraufhin weist McLaughlin nach, dass „neuere wissenschaftliche Disziplinen …, obwohl sie als vernichtender Angriff auf den christlichen Glauben angepriesen werden … weit davon entfernt sind, den säkularen Humanismus zu bestätigen“ (S. 159). Vielmehr würden dadurch „entscheidende Schwächen“ bei ihm aufgezeigt werden, da man dabei zwar versuche, Wahrheit auf das wissenschaftlich Messbare zu reduzieren, während man gleichzeitig einen „Eigenwert des Lebens“ proklamiere, der sich aus dem wissenschaftlich Messbaren allein nicht ableiten lasse. Auch lässt McLaughlin ihre Leser wissen, „dass die moderne Wissenschaft ursprünglich von Christen entwickelt wurde“ (S. 159), und nennt eine Reihe bedeutender Wegbereiter des naturwissenschaftlichen Arbeitens wie Roger Bacon und Wilhelm von Ockham. Sie möchte darauf hinaus, dass „es einen inneren Zusammenhang zwischen dem theistischen und dem naturwissenschaftlichen Weltbild gibt“ (S. 161). Dieser sei notwendig für menschliches Zusammenleben, denn:

„Um die Vorstellung von Güte, Fairness, Gerechtigkeit und vielem mehr aufrechterhalten zu können, muss auch ein säkularer Humanist die Ansicht vertreten, dass Menschen moralische Wesen sind, die sich von anderen Primaten unterscheiden. Die Frage ist: Auf welcher Grundlage? In letzter Instanz kann diese Antwort nicht naturwissenschaftlicher Art sein.“ (S. 178)
„Man versucht, Wahrheit auf das wissenschaftlich Messbare zu reduzieren, während man gleichzeitig einen ‚Eigenwert des Lebens‘ proklamiert, der sich aus dem wissenschaftlich Messbaren allein nicht ableiten lässt.“
 

Als Lösungsmöglichkeit stellt die Autorin die biblische Weltsicht dar, die Menschen zum Ebenbild Gottes erklärt, die vor ihrem Schöpfer verantwortlich sind und deren Wert aufgrund dieser Ebenbildlichkeit nicht an äußerlich messbare Merkmale oder Fähigkeiten gebunden ist. Sie erklärt gegen Ende des Kapitels:

„Die Naturwissenschaft nimmt einen – entscheidenden – Platz in der modernen Gesellschaft ein … Aber wenn wir naturwissenschaftliche Wahrheiten über alle anderen Wahrheiten erheben und an der Überzeugung festhalten, dass eine wissenschaftliche Perspektive alle anderen Lesarten ausschließt, dann haben wir kein Fundament für Moral.“ (S. 180)

Ihren eigenen Glauben versteckt Rebecca McLaughlin keinesfalls, sondern beschreibt ihn in jedem Kapitel, zum Beispiel im dritten, sehr authentisch:

„Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Jesus der menschgewordene Gott ist, meine einzige Hoffnung im Leben oder Sterben. Dieser Glaube prägt mich zutiefst und ich habe viele Erfahrungen gemacht, die darauf hindeuten, dass er wahr ist.“ (S. 70)

Fazit

Die Lektüre von Kreuzverhör ist jedem ausdrücklich ans Herz zu legen, der lernen möchte, seine christlichen Überzeugungen besser auszudrücken und zu verteidigen. Ich habe die Mischung aus mutiger, wissenschaftlicher Argumentation, persönlicher Erfahrung und Darlegung biblischer Weltsicht sehr genossen. Keineswegs schreibt Rebecca McLaughlin überheblich oder herablassend. Stellenweise freut man sich über ein fröhliches, cleveres Augenzwinkern der Autorin, zum Beispiel wenn sie erklärt: „Wenn die Evolution benutzt wird, um dem Theismus die Kugel zu geben, ist der Rückstoß für den säkularen Humanisten überwältigend“ (S. 176). Ob man das Buch ohne vorangegangene Gespräche an Agnostiker, atheistische Freunde oder skeptische Kommilitonen in der Mensa weitergeben möchte, muss sicher gut abgewogen werden. Vielleicht würde durch die zahlreichen moralischen Argumente der Eindruck entstehen, es handle sich beim Christentum um eine rein moralische Bewegung, die mit diesem Buch verteidigt wird. Schließlich dürfen Christen trotz überzeugender apologetischer Argumente, wie sie dieses Buch liefert, „keinen Anspruch auf moralische Überlegenheit erheben“, wie die Autorin auf Seite 103 mahnt. Letztlich bedeutet Christsein doch, „sein totales eigenes moralisches Versagen einzugestehen und sich auf die Gnade des einzigen wirklich guten Menschen, der je gelebt hat, zu verlassen“ (S. 103).

Buch

Rebecca McLaughlin, Kreuzverhör: 12 harte Fragen an den christlichen Glauben, München: CVMD, 2022, 330 Seiten, 14,90 EUR.
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