Gott redet „Baby-Sprache

Artikel von John Piper
11. Oktober 2022 — 4 Min Lesedauer

Die menschliche Sprache ist kostbar. Sie setzt uns von Tieren ab. Sie ermöglicht es uns, unsere komplexesten wissenschaftlichen Entdeckungen und unsere tiefsten Emotionen zu teilen. Vor allem aber hat Gott sich uns in der Bibel mittels menschlicher Sprache geoffenbart. Als die Zeit erfüllt war, hat er durch seinen Sohn zu uns geredet (vgl. Hebr 1,1–2). Und dieser Sohn hat menschliche Sprache verwendet. Und so sandte er auch seinen Geist, um seine Apostel in alle Wahrheit zu leiten, damit sie die Geschichte seines Sohnes in menschlicher Sprache erzählen konnten. Ohne diese Geschichte in menschlicher Sprache würden wir den Sohn nicht kennen. Daher ist die menschliche Sprache unermesslich kostbar.

Trotzdem ist sie unzulänglich, um die Fülle Gottes zu fassen. In 1. Korinther 13 werden vier Vergleiche gezogen zwischen der Gegenwart und dem zukünftigen Zeitalter nach Jesu Wiederkunft:

„Die Liebe hört niemals auf. Aber seien es Weissagungen, sie werden weggetan werden; seien es Sprachen, sie werden aufhören; sei es Erkenntnis, sie wird weggetan werden. Denn wir erkennen stückweise und wir weissagen stückweise; wenn aber einmal das Vollkommene da ist, dann wird das Stückwerk weggetan. Als ich ein Unmündiger war, redete ich wie ein Unmündiger, dachte wie ein Unmündiger und urteilte wie ein Unmündiger; als ich aber ein Mann wurde, tat ich weg, was zum Unmündigsein gehört. Denn wir sehen jetzt mittels eines Spiegels wie im Rätsel, dann aber von Angesicht zu Angesicht; jetzt erkenne ich stückweise, dann aber werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; die größte aber von diesen ist die Liebe.“ (V. 8–13)

Jetzt: Erkennen wir stückweise. Dann: Wenn das Vollkommene da ist, dann wird das Stückwerk weggetan (V. 9–10).

Jetzt: Redete und dachte ich wie ein Unmündiger. Dann: Als ich ein Mann wurde, tat ich weg, was zum Unmündigsein gehört (V. 11).

Jetzt: Sehen wir mittels eines Spiegels wie im Rätsel. Dann: Von Angesicht zu Angesicht (V. 12).

Jetzt: Erkenne ich stückweise. Dann: Werde ich erkennen, gleichwie ich erkannt bin (V. 12).

„Gott ließ sich auf unsere Baby-Sprache ein. Er stotterte in diesem Zeitalter mit uns im Kinderzimmer des menschlichen Lebens.“
 

In diesem Kontext verstehen wir, was Paulus meint, wenn er schreibt: „Als ich ein Unmündiger war, redete ich wie ein Unmündiger, dachte wie ein Unmündiger und urteilte wie ein Unmündiger.“ Er will damit sagen, dass unsere menschliche Sprache und unser Denken und Urteilen in diesem Zeitalter wie die eines Babys sind – verglichen damit, wie wir im zukünftigen Zeitalter sprechen, denken und urteilen werden.

Als Paulus in den Himmel entrückt wurde und Einblicke in himmlische Realitäten bekam, hörte er „unaussprechliche Worte, die ein Mensch nicht sagen darf“ (2Kor 12,4). Unsere Sprache reicht nicht aus, um die ganze Größe Gottes zu transportieren.

Doch welch schwerwiegender Fehler wäre es, daraus zu folgern, dass wir Sprache verachten oder geringschätzen oder vernachlässigen können. Welch schwerwiegender Fehler wäre es, wenn wir wahre Aussagen über Gott als minderwertig oder nicht hilfreich oder falsch herabsetzen würden. Wie töricht wäre es, wenn wir Propositionen, Sätze, Satzteile und Worte verachten würden, als wären sie nicht unaussprechlich kostbar und lebensnotwendig.

Der Hauptgrund, warum das töricht wäre, ist dass Gott seinen Sohn in unser Kinderzimmer gesandt und unsere Baby-Sprache mit uns gesprochen hat. Jesus Christus wurde ein Kind wie wir. Es gab eine Zeit, in der Jesus selber gesagt hätte: „Als ich ein Unmündiger war, redete ich wie ein Unmündiger, dachte wie ein Unmündiger und urteilte wie ein Unmündiger.“ Das ist das, was seine Menschwerdung bedeutet. Er ließ sich auf unsere Baby-Sprache ein. Er stotterte in diesem Zeitalter mit uns im Kinderzimmer des menschlichen Lebens.

Jesus hat wie ein Baby geredet. Die Bergpredigt ist in unserer Baby-Sprache gehalten. Sein hohepriesterliches Gebet in Johannes 17 ist Baby-Sprache. „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ (Mk 15,34) ist Baby-Sprache – unendlich kostbare, wahre, herrliche Baby-Sprache.

Und mehr als das – Gott hat eine ganze Bibel in Baby-Sprache inspiriert. Wahre Baby-Sprache. Baby-Sprache mit absoluter Autorität und Macht. Baby-Sprache, die süßer ist als Honig und besser als Gold. Johannes Calvin schrieb, dass Gott dabei so mit uns redet, „wie es Ammen mit den Kindlein tun“ (Institutio, 1.13.1). Wie kostbar ist die Baby-Sprache Gottes. Sie ist nicht wie Gras, das verdorrt, oder Blumen, die vergehen; sie bleibt für immer (vgl. Jes 40,8).

Im zukünftigen Zeitalter wird es ein anderes Sprechen, Denken und Urteilen geben. Und wir werden Dinge sehen, die mit unserer jetzigen Baby-Sprache nicht hätten ausgedrückt werden können. Doch als Gott seinen Sohn in unser menschliches Kinderzimmer sandte, in unserer Baby-Sprache mit uns redete und für Kleinkinder starb, stopfte er denen den Mund, für die die Möglichkeit des Wahren und Schönen im Munde von Kindern eine lachhafte Vorstellung ist.

Und wenn Gott schon ein ganzes Buch in Baby-Sprache als unfehlbare Interpretation seiner selbst inspiriert hat, was sollen wir über die Kinder sagen, die das Geschenk der menschlichen Sprache als das Medium der Erkenntnis Gottes herunterspielen? Wehe denen, die dieses Geschenk an die Menschenkinder verachten, herabsetzen, ausnutzen oder manipulieren. Es ist kein Spielzeug im Kinderzimmer. Es ist unser Lebensodem. „Die Worte, die ich zu euch rede, sind Geist und sind Leben“ (Joh 6,63).