Die Taufe

Rezension von Florian Weicken
11. August 2022 — 10 Min Lesedauer

Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich vor einigen Jahren mit einem Freund am Esstisch in eine hitzige Diskussion über die Taufe verwickelt war. Ich konnte schlichtweg nicht verstehen, wie mein lieber Bruder die Kindertaufe (Säuglingstaufe) als biblisch ansehen konnte. Meine einfachen Antworten auf seine systematischen Argumente waren: Im Neuen Testament werden nur Erwachsene getauft. Kinder können nicht glauben. Vor der Taufe muss man Buße tun. Eine Taufe muss immer durch Untertauchen vollzogen werden. Ich fand es nicht nötig, die Beweisführung meines Freundes einer genaueren Untersuchung zu unterziehen. Wieso sollte ich? Die Sache war doch so einfach und klar – oder doch nicht?

Eine Diskussion innerhalb der Familie

Meine damalige Einstellung stellt Guy M. Richard, Professor am Reformed Theological Seminary in Atlanta (USA), in dem vorliegenden Buch infrage. In seiner Einführung erklärt er, dass man beim Taufthema keine Antworten geben könne, „die kurz genug für ein Gespräch zwischen Tür und Angel sind“ (S. 14). Dafür gebe es einen guten Grund: Die Bibel erwähne die Taufe mehrmals im Neuen Testament, aber sie gebe uns keine ausdrückliche und ganzheitliche Definition. Somit seien wir gezwungen, systematisch an das Thema heranzugehen. Wir müssen verschiedene Textstellen miteinander vergleichen und abwägen sowie genau erforschen, was die Taufe bedeutet. Das könne manchmal komplex sein, aber Komplexität allein sei kein gutes Argument gegen die Säuglingstaufe. Viele biblischen Lehren seien nicht einfach zu verstehen und dennoch wahr. Man denke an die Lehre der Dreieinigkeit oder die Lehre von den beiden Naturen Christi (vgl. S. 16). Nach dem Vorbild Jesu sollten wir auch die Lehren, die tieferes Nachforschen erfordern, erforschen und definieren. Begründen lässt sich diese These anhand des Beispiels der Lehre der Auferstehung in den fünf Büchern Mose. Diese wurde lediglich implizit gelehrt und wird von Mose nicht ausdrücklich erwähnt. Dennoch tadelte Christus die Sadduzäer (die nur die 5 Bücher Mose anerkannten) für ihre Unkenntnis in dieser Sache (vgl. S. 17).

„Wir müssen verschiedene Textstellen miteinander vergleichen und abwägen sowie genau erforschen, was die Taufe bedeutet.“
 

Dem Autor ist es somit ein Anliegen, die reformierte Lehre der Taufe zu erklären – gründlicher und ausführlicher als in einem kurzen Gespräch möglich (vgl. S. 18), aber dennoch leicht verständlich. Er möchte „die Menschen zum Nachdenken über die biblische Lehre der Taufe bringen – egal, ob sie sich nun von meiner Argumentation überzeugen lassen oder nicht.“ Gleichzeitig legt er dabei Wert auf den richtigen, geschwisterlichen Ton. Die Diskussion finde schließlich „innerhalb einer Familie statt“. Auf beiden Seiten stünden Glaubensgeschwister, welche sich hauptsächlich auf die Bibel beziehen (vgl. S. 19).

Viele Argumente in elf Kapiteln

Elf zentrale Fragen rund um die Taufe bilden die Kapitelüberschriften des Buches. In den ersten vier Kapiteln legt der Autor die theologische Grundlage für das Taufthema. Dies gibt ihm bereits die Gelegenheit, seine Sicht auf den richtigen Taufmodus zu erklären. Die folgenden zwei Kapitel befassen sich vor allem mit den Täuflingen und der Frage „Wer sollte getauft werden?“. In den Kapiteln 7 bis 10 setzt Guy M. Richards den Fokus auf die Debatte mit den baptistischen Glaubensgeschwistern. Nachdem er zunächst in einem Kapitel ihre Argumente präsentiert, versucht er in den folgenden Kapiteln, diese Argumente zu entkräften. Ein Hauptschwerpunkt wird auf die baptistische Auslegung des Neuen Bundes in Jeremia 31 gelegt. Im letzten Kapitel 11 präsentiert er einige Schlussfolgerungen, welche auch die seelsorgerlichen Aspekte der Taufe für Kinder, Eltern und Erwachsene untersuchen.

Prägnant, verständlich und zum Nachdenken anregend

Äußerlich ist das Buch ansprechend gestaltet und überrascht mit seiner Kürze. Es zählt 128 Seiten mit einem gut leserlichen Schriftbild und einer übersichtlichen Menge von Text pro Seite. Auch die Übersetzung ist flüssig zu lesen und gibt den Sachverhalt verständlich wieder. Das Buch hat Endnoten anstatt Fußnoten, was ich etwas schade finde, da sie interessante Informationen enthalten, welche man so möglicherweise übersieht. Die Kapiteleinteilung anhand von Fragen hilft, einen schnellen Überblick über den Inhalt zu erhalten und erlaubt es dem Leser, ein bestimmtes Thema schnell zu finden. Dennoch würde ich kein selektives Lesen empfehlen, da der Autor sich wiederholt auf vorhergehende Argumente beruft.

Die Argumentationslinie von Guy M. Richard ist verständlich und überzeugend. Es ist erstaunlich, wie viele Teilaspekte der Taufe der Autor in dieses kurze Buch packt ohne das Buch zu überladen. Auch als ungeübter Theologe wird man den Faden nicht verlieren. Die einzige Ausnahme ist Kapitel 9, wo Guy M. Richard die Argumente der baptistischen Geschwister von Jeremia 31 untersucht. Dort lohnt es sich, das Lesetempo etwas herunterzufahren.

„Was im Alten Testament die Beschneidung war, ist heute die Taufe.“
 

Bezeichnend für die Argumentationslinie des Autors ist es, die systematischen Zusammenhänge zwischen den einzelnen Textstellen zu erkennen. Seine Herangehensweise nimmt die Bibel als Ganzes und betrachtet Verse nicht losgelöst vom biblischen Kontext. Diese Methode braucht aber auch mehr Erklärung und Zeit, als einzelne Verse isoliert vom Kontext ins Feld zu führen. Genau hier benötigt es dieses tiefere Nachdenken, das Guy M. Richard vom Leser in der Einleitung fordert und wofür das Buch gelesen werden soll.

Kontinuität und Diskontinuität richtig verstehen

Besonderes Können zeigt der Autor bei der kurzen und präzisen Erklärung der Bedeutung der Taufe (vgl. S. 33–38) sowie bei der Behandlung der Frage, wie die Taufe mit Abrahams Bund und der Beschneidung zusammenhängt (vgl. S. 50–59 und 81–85). Dabei erkennt er einen der ausschlaggebenden Punkte in der Debatte: die unterschiedliche Sicht von der Kontinuität bzw. Diskontinuität zwischen dem Volk im Alten Testament und der Gemeinde im Neuen Testament. Die Kernfrage ist nämlich: Ist der Neue Bund dem Wesen nach ein anderer Bund als der Bund mit Abraham? War der Bund mit Abraham lediglich ein fleischlicher Bund, während wir heute in einem geistlichen Bund leben? Guy M. Richards fasst nach einer einleuchtenden Begründung zusammen, „dass es beim abrahamitischen Bund nie um das Körperliche ging, sondern um das Geistliche. Nicht das Äußere hat im Zentrum gestanden, sondern das, was im Innern geschieht“ (S. 56). Er begründet dies vor allem mit dem regelmäßigen Aufruf zur Herzensbeschneidung im Alten Testament (vgl. S. 53–56) und der Erfüllung des Abraham-Bundes in Christus und der Gemeinde gemäß Galater 3 (vgl. S. 82–83). Somit sei der Neue Bund im Wesen mit dem abrahamitischen Bund identisch. Auch die Zeichen des Bundes (Beschneidung bzw. Taufe) weisen in der Sache, die sie bezeichnen, mehr Kontinuität als Diskontinuität auf. Äußerlich seien sie verschieden, aber innerlich zeigen sie auf Christus und seine Wohltaten. Dazu sagt Guy M. Richard nach seiner Auslegung von Kolosser 2,11–12 treffend: „Zusammengefasst lernen wir aus Kolosser 2, dass die Taufe dieselbe Funktion hat wie die Beschneidung im Alten Testament“ (S. 59). Dies lasse nur einen Schluss zu: Was im Alten Testament die Beschneidung war, ist heute die Taufe.

Ein Argument für die Säuglingstaufe

Schwächen hat dieses Buch aus reformierter Sicht wenige. Da Guy M. Richard das Thema zu Beginn gut eingrenzt und sich im Verlauf des Buches konsequent an diese Einschränkung hält, lässt sich nur wenig bemängeln. Ein Argument für die reformierte Lehre der Taufe bleibt jedoch etwas unterentwickelt: In Kapitel 10 erwähnt der Autor kurz, dass die fehlende Diskussion über die Säuglingstaufe im Neuen Testament ein Argument für die Säuglingstaufe ist. Speziell im Zusammenhang mit dem Pfingstmorgen führt er aus, wie es „schwer zu glauben“ sei, dass die Menschen einen Ausschluss der Kinder von der Gemeinschaft des Bundes ohne Widerstand akzeptiert hätten, nachdem sie vorher immer Teil der Gemeinschaft gewesen waren (vgl. S. 103–104). Bei diesem Punkt hätte ich mir gewünscht, dass der Autor noch etwas weiter ausführt.

Das reformierte Verständnis der Bünde

Die Bibel ist voll von Bündnissen, welche Gott mit Menschen schließt. Die reformierte Überzeugung ist, dass sie eine Einheit darstellen und tatsächlich einen einzigen Bund bezeichnen, der sich lediglich in der äußeren Form verändert. Eine unveränderliche Konstante in allen Bünden ist dabei die Betonung, dass der Bund auch für die jeweiligen Nachkommen gilt. Dies fängt mit der Verheißung an Eva an (vgl. 1Mose 3,15) und setzt sich fort bei Noah (vgl. 1Mose 9,9), Abraham (vgl. 1Mose 15 und 17), Isaak (vgl. 1Mose 26,3–4), Jakob (vgl. 1Mose 28,13–14) und David (vgl. 2Sam 7,12–16; Ps 89,4–5). Überall ist der „Same“ („Nachkomme“) im Bund eingeschlossen. Das ist Gottes ewige Art und Weise, wie er mit den Menschen handelt. Natürlich ist „der Same“ in letzter Konsequenz Jesus Christus. Dennoch erhielten die Nachkommen in der langen Geschichte des Volkes Gottes immer auch die Verheißungen und somit das Bundeszeichen. Ändert sich dies im Neuen Testament? Nein. Ausdrücklich werden wieder die Nachkommen in den Bund hineingenommen (vgl. Apg 2,38–39). Das Neue ist, dass jetzt auch „alle, die fern sind“ hinzustoßen können – die Nationen. Wie hätte ein Jude reagiert am Pfingsttag? Hätte er seinem Kind die Taufe, das neue Bundeszeichen, verweigert? Das ist schwer vorstellbar – gerade vor dem Hintergrund des Alten Testaments.

Fazit

Gelingt es dem Autor, seine gesetzten Ziele zu erreichen? Die Frage kann mit einem „Ja“ beantwortet werden. Hätte ich dieses Buch damals vor meinem Tischgespräch mit meinem Freund sorgfältig durchgelesen, hätte ich mehr Verständnis für ihn gehabt. Ob es mich sofort von der reformierten Sicht der Taufe überzeugt hätte, kann ich rückblickend nicht sagen. Sicher ist jedoch, dass es mich herausgefordert hätte, das Thema weiterzuverfolgen.

„Eine unveränderliche Konstante in allen Bünden ist die Betonung, dass der Bund auch für die jeweiligen Nachkommen gilt.“
 

Dieses Buch leistet einen wichtigen Beitrag zur Debatte über die Taufe im deutschsprachigen Raum, wo es gemäß den Herausgebern das einzige Buch ist, das „die Taufe aus reformierter Perspektive beleuchtet“ (S. 10). Besonders wertvoll ist es für jene, die sich das erste Mal mit der Taufe beschäftigen. Gleichermaßen hilfreich ist es für baptistische Brüder und Schwestern, die sich über die Argumente der reformierten bzw. presbyterianischen Ansicht der Taufe einen guten Überblick verschaffen wollen. Ebenso ist dieses Buch nützlich für diejenigen, welche die Überzeugung des Autors – wie ich inzwischen –bereits teilen und die biblischen Gründe dafür auffrischen wollen. Wer eine vertiefte Abhandlung über die Bedeutung, den Taufmodus und die Wirkung der Taufe erwartet sowie jedes Argument für die reformierte Ansicht abgedeckt haben möchte, muss hingegen andere Bücher studieren.

Buch

Guy M. Richard, Die Taufe: Antworten auf häufige Fragen, Gießen: Verein für Reformatorische Publizistik, 2022, 143 S., 9,90 Euro.