Die Alte Kirche und das Recht auf Leben

Artikel von Brian Arnold
29. Juli 2022 — 9 Min Lesedauer

Im Tofet von Karthago stand eine große Bronzestatue des Gottes Kronos. Seine Hände waren ausgestreckt, die Handflächen zeigten nach oben und seine Arme neigten sich leicht nach unten. Legte man ein Kind auf diese Arme, dann rollte es nach unten und fiel in einen Feuerschlund.

Während die Körper der Kinder von den Flammen verzehrt wurden, übertönten laute Trommeln ihr Schreien. Kinder wurden geopfert, wann immer die Karthager in Not gerieten. Im Jahr 310 v.Chr. fiel der griechische Tyrann Agathokles in Afrika ein. Das Volk war der Meinung, es habe Kronos erzürnt und er habe sich gegen es gewandt. „In der Absicht also, dieses Vergehen wieder gut zu machen, wählten sie zweihundert der vornehmsten Knaben aus, und opferten sie öffentlich.“[1]

„Bereits die Kirchenväter traten für den Wert und Schutz des ungeborenen Lebens ein.“
 

Im Lauf der Geschichte wurden immer wieder Kinder geopfert. Aber hat das etwas mit der modernen Abtreibungsdebatte zu tun? Ja! Zwar werden Kinder mittlerweile nicht mehr Bronzestatuen geopfert, aber man opfert sie in erschütternder Zahl dem lebendigen Gott des Ich. Die Bequemlichkeit hat den Aberglauben ersetzt, aber das Verbrechen bleibt das gleiche.

Die Fortschritte der modernen Wissenschaft und die nach wie vor andauernden Debatten des letzten Jahrhunderts können den Eindruck vermitteln, dass Abtreibung ein neues Phänomen ist. Doch das stimmt nicht. Bereits die Kirchenväter traten für den Wert und Schutz des ungeborenen Lebens ein. Heutige Christen sollten mit der treffenden Argumentation der Kirchenväter vertraut sein. Sie sollten wissen, wie die frühe Kirche auf Kinderopfer, das Aussetzen von Kindern und Abtreibung reagierte.

Das Plädoyer der Kirchenväter für das Recht auf Leben

Die ersten Autoren des Christentums verurteilten einhellig das Praktizieren von Abtreibung. Die Didache aus dem späten ersten Jahrhundert gab die Richtung vor: „Du sollst nicht das Kind durch Abtreiben umbringen und das Neugeborene nicht töten“[2]. Ähnlich gebietet der Barnabasbrief (70–135 n.Chr.): „Töte das Kind nicht durch Abtreibung, noch … töte das Neugeborene!“[3]

Wieder und wieder erklärten frühchristliche Autoren, dass Abtreibung Mord ist:

„Wie sollten wir, die da behaupten, daß jene Frauen, die zur Herbeiführung eines Abortus Medikamente anwenden, Menschenmörderinnen sind und sich einst bei Gott darüber zu verantworten haben, Menschen umbringen können? Es wäre doch sehr inkonsequent zu behaupten, auch der Embryo sei schon ein Mensch und Gegenstand göttlicher Fürsorge, und ihn dann, wenn er das Licht der Welt erblickt hat, zu töten; und die Aussetzung eines Kindes zu verbieten, weil Kindsaussetzung einem Kindsmorde gleichkommt, dasselbe aber dann, wann es herangewachsen ist, zu beseitigen.“ (Athenagoras)[4]
„Ein Weib, das absichtlich die Leibesfrucht abtreibt, macht sich eines Mordes schuldig.“ (Basilius von Cäsarea)[5]
Durch Abtreibung „nimmt [man] ihnen das Leben, bevor man es ihnen gibt.“ (Ambrosius)[6]

„Andere nehmen einen Trank ein, um sich unfruchtbar zu machen, und werden so zum Mörder am Ungeborenen. Es gibt auch solche, welche darauf sinnen, wie sie mit giftigen Mitteln eine Fehlgeburt herbeiführen, sobald sie nach der Sünde ihren veränderten Zustand wahrnehmen ... Nicht selten kostet dieser Versuch das eigene Leben.“ (Hieronymus)[7]

„Keine Frau soll zum Zwecke der Abtreibung Medikamente einnehmen, sie soll auch ihre Kinder nicht töten, welche empfangen oder bereits geboren wurden.“ (Caesarius)[8]

Chrysostomus (349–407 n.Chr.) ging sogar noch weiter, indem er erklärte, Abtreibung sei „etwas Schlimmeres noch als Mord. Ich habe gar keinen Ausdruck dafür; denn ein solches Weib nimmt nicht einem geborenen Wesen das Leben, sondern es verhindert, daß es überhaupt geboren wird“.[9]

Ein nicht verhandelbarer Standpunkt

Warum hielten es Christen schon seit den ersten Tagen der Kirche für unumgänglich, für das Leben einzutreten? Die Antwort liegt in dem Verständnis von der Seele, das die Kirchenväter vertraten, und in ihrer Überzeugung, dass einem menschlichen Wesen bereits mit der Empfängnis Gottes unauslöschliches Ebenbild verliehen wird (vgl. 1Mose 1,26–27; Ps 139,13–16).

Tertullian lehnte Platons Ansicht ab, wonach die ewige Seele bei der Geburt eingeatmet und beim Sterben ausgeatmet werde[10]. Er argumentierte, dass mit dieser Sicht das Leben im Mutterleib geleugnet wird. Tertullian fragt die Mütter: „Gebt also Antwort, … ob ihr in eurer Leibesfrucht irgend eine der eurigen fremde, lebhafte Bewegung verspürt, infolge deren es in der Hüftgegend gribbelt, die Weichen erzittern, die ganze Bauchwandung Stöße fühlt und die Stelle der Last sich fortwährend ändert?“[11] Dieser Nachweis bleibt bis heute gleich. Viele Frauen erkennen, dass sie das Leben des Ungeborenen nicht mehr abstreiten können, sobald sie den Herzschlag hören, das Kind sich zu drehen beginnt oder sie seinen ersten Tritt spüren.

„Anders als bei den Kinderopfern gab Gottes Sohn sich selbst für uns am Kreuz, ‚der Heilige für die Unheiligen, der Unschuldige für die Schuldigen, der Gerechte für die Ungerechten‘.“
 

In seiner Apologie beschreibt Tertullian dann, dass bei der Empfängnis ein Same gesät wird, der zur vollständigen, fruchtbringenden Person heranreift. Den Samen auszugraben ist dasselbe, wie den Baum umzuhauen. Wie man das Töten eines Erwachsenen verurteilt, so ist auch die Vernichtung seines Samens zu verurteilen.

Das Gnadenangebot

Inmitten einer Kultur, in der Kinder weggemacht, weggeworfen und geopfert wurden, kämpfte die frühe Kirche energisch für den Schutz des ungeborenen Lebens. Christen adoptierten Kinder, die man ausgesetzt hatte, und erklärten mit deutlichen Worten, wie verabscheuungswürdig Abtreibung ist.

Doch in den Schriften der Väter findet sich bedauerlich wenig Gnade für jene Männer und Frauen, die die Abtreibung gewählt haben. Heutige Christen sollten den Kirchenvätern folgen, wenn es darum geht, Abtreibung abzulehnen und mutig den Mund aufzumachen. Doch wir sollten auch schnell damit sein, die Gnade des Evangeliums anzubieten. Christus bietet jenen Männern und Frauen Vergebung an, die über ihre Sünde gegen ein Kind im Mutterleib trauern. Zu ihm können Eltern ihre Zuflucht nehmen und auf eine Weise von Schuld frei werden, wie nur er es schenken kann. Nur sein Blut kann die karmesinrote Schuld der Abtreibung, die die Seelen von Millionen befleckt, weiß wie Wolle waschen.

Es ist ermutigend, wie viele Christen sich für ungeborenes und gefährdetes Leben einsetzen, sei es in Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, in Frauenhäusern, als Pflegeeltern und durch Adoption. Ich bin dankbar für Christen, die den Menschen Liebe erweisen, die abgetrieben haben. Es ist diese Arbeit, die gewährleistet, dass wir nicht nur „gegen Abtreibung“, sondern „für das Leben“ sind.

Und nun?

Bis Christus wiederkommt, wird Kronos weiter nach dem Blut von Kindern dürsten. Auch heute ertönen seine Trommeln in den Stimmen der Abtreibungslobby. Sie laden Menschen, die sich ein anderes Leben wünschen, dazu ein zu kommen und ihm ihre Kinder zu opfern. Aber das Kreuz Christi verkündet eine bessere Botschaft. Sie ist erfüllt von der Hoffnung, dass sich das entscheidende Kind bereits selbst als Opfer dargebracht hat.

Anders als bei den Kinderopfern gab Gottes Sohn sich selbst für uns am Kreuz, „der Heilige für die Unheiligen, der Unschuldige für die Schuldigen, der Gerechte für die Ungerechten, der Unvergängliche für die Vergänglichen, der Unsterbliche für die Sterblichen“.[12] Anders als bei heidnischen Riten, durch die lediglich eine zornige Gottheit besänftigt werden soll, wurde mit Christi Opfer die gerechte Strafe für unsere Sünden bezahlt, unsere Vergebung erwirkt und neues Leben erworben. In Christus nahm Gott unsere Sünden des Egoismus, der Habsucht, der Begierde und selbst die des Mordes an unschuldigen Kindern weg. Er legte diese Sünden auf seinen eigenen, unschuldigen Sohn, damit wir von ihm angenommen und geliebt werden können und damit wir seine Liebe an andere weitergeben.

Die Abtreibungsdebatte und der Kampf für das Leben werden weitergehen. Als Christen besitzen wir ein reiches Erbe, das Leben zu verteidigen und neues Leben anzubieten. Lasst uns von den Alten lernen und in unserer Generation weiter für das Anliegen einstehen.


[1] Diodor’s von Sicilien historische Bibliothek, übersetzt von Julius Friedrich Wurm, fünfzehntes Bändchen, Stuttgart: Verlag der J.B. Metzler’schen Buchhandlung, 1839, S. 2023–2024 (20,14).

[2] „Didache oder Apostellehre“, in: O. Bardenhewer, K. Weyman und J. Zellinger (Hrsg.), *Die apostolischen Väter*, Bibliothek der Kirchenväter (BKV), Reihe I, Bd. 35, München: Jos. Kösel & Friedr. Pustet, 1918, S. 7 (2,2).

[3] „Barnabasbrief“, in: Ebd. S. 102 (19,5).

[4] „Des Athenagoras von Athen Bittschrift für die Christen“, in: O. Bardenhewer, Th. Schermann und K. Weyman (Hrsg.), *Frühchristliche Apologeten- und Märtyrerakten 1*, BKV I.12, Kempten & München: Verlag der Jos. Köselschen Buchhandlung, 1913, S. 324 (35).

[5] „An Amphilochius über Kanones“, in: O. Bardenhewer, K. Weyman und J. Zellinger (Hrsg.), *Des heiligen Kirchenlehrers Basilius des Großen ausgewählte Briefe*, BKV I.46, München: Verlag Josef Kösel & Friedrich Pustet, 1925, S. 191 (188,2).

[6] „Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand Exameron“, in: *Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand ausgewählte Schriften 1*, BKV I.17, Kempten & München: Verlag der Jos. Köselschen Buchhandlung, 1914, S. 212 (5,18,58).

[7] „An Eustochium“, in: J. Zellinger, J. Martin (Hrsg.), *Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus ausgewählte Briefe*, BKV II.16, München: Verlag Jos. Kösel & Friedr. Pustet, 1936, S. 75 (22,13).

[8] Caesarius von Arles, „On Chastity, Abortion, and Abstinence before the Celebration of Church Feasts“, in: *The Fathers of the Church: St. Caesarius – Sermons 1 (1-80)*, Washington D.C.: CUA Press, 2010, Sermon 44.

[9] O. Bardenhewer, K. Weyman und J. Zellinger (Hrsg.), *Des heiligen Kirchenlehrers Johannes Chrysostomus Erzbischofs von Konstantinopel Kommentar zum Briefe des Hl. Paulus an die Römer 1*, BKV I.39, München: Verlag Josef Kösel & Friedrich Pustet, 1922, S. 186 (25).

[10] „Über die Seele“, in: *Tertullians sämtliche Schriften*, Bd. 2: *Die dogmatischen und polemischen Schriften*, Köln: Verlag der M. DuMont-Schauberg’schen Buchhandlung, 1882, S. 327 (25).

[11] Ebd.

[12] „Brief an Diognet“, in: O. Bardenhewer, Th. Schermann und K. Weyman (Hrsg.), *Frühchristliche Apologeten- und Märtyrerakten 1*, BKV I.12, S. 169 (9).