... und er schweigt nicht

Rezension von Andreas Münch
23. Juni 2022 — 12 Min Lesedauer

Während meiner Schulzeit hatte ich einen Lehrer, der es tatsächlich schaffte, in uns vergnügungssüchtigen Jugendlichen ein Interesse für Politik zu wecken. Ich weiß heute zwar nicht mehr, worüber wir konkret sprachen, aber ich erinnere mich noch sehr lebhaft daran, wie spannend der Unterricht war. Einfach deshalb, weil unser Lehrer die Begabung hatte, komplexe Themen leicht verständlich zu vermitteln.

Der amerikanische Theologe und Apologet Francis A. Schaeffer (1912–1984) erinnert mich heute wieder an jenen Lehrer. Denn je mehr Bücher ich von ihm lese, desto mehr bin ich davon fasziniert, wie er es schafft, komplexe Themen so zu erklären, dass der einfache, aber aufmerksame Christ sie verstehen kann. So auch in seinem Buch … und er schweigt nicht, in dem es um die grundlegenden philosophischen Fragen zur menschlichen Existenz geht.

Im Vorwort erklärt der Autor, dass … und er schweigt nicht direkt mit seinen anderen Büchern Gott ist keine Illusion und Preisgabe der Vernunft zusammenhängt und eine Einheit bildet. Dennoch sollte der Leser sich dadurch nicht davon abhalten lassen, … und er schweigt nicht zu lesen, selbst wenn er mit den anderen Titeln (noch) nicht vertraut ist. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass Schaeffers Bücher zwar verhältnismäßig kurz, aber so inhaltsreich sind, dass man jedes Buch am besten erst mal für sich liest und verarbeitet, bevor man sich an das nächste wagt. Daher schadet es nicht, mit … und er schweigt nicht anzufangen und die anderen Bücher anschließend zu lesen.

Titel und Hauptthese des Buches

Der Titel des Buches geht auf das Problem des „Schweigens“ zurück, der vom Philosophen Ludwig Wittgenstein geprägt wurde. Gemeinsam mit anderen Philosophen kam Wittgenstein zum Schluss, dass in einer Welt ohne Gott Dinge wie Werte, Ethik und Sinn im Leben keinen Platz haben. In Bezug darauf herrscht im Universum ein großes Schweigen. Schaeffer ist anderer Meinung und erklärt seine Absicht: „Das vorliegende Buch greift ihren Pessimismus an. Gott ist da. Er schweigt nicht“ (S. 6).

Konkret geht es Schaeffer um folgende Frage: „Wie können wir etwas wissen und wie können wir wissen, dass wir etwas wissen?“ (S. 5). Er schreibt weiter: „Dieses Buch soll zeigen, dass es philosophisch gesehen notwendig ist, dass Gott da ist und nicht schweigt – notwendig im Bereich der Metaphysik, der Ethik und der Erkenntnistheorie“ (S. 9).

Damit sind wir auch schon beim Aufbau des Buches. Bei einer so grundlegenden philosophischen Frage würde man womöglich weitaus mehr als die hundert Seiten erwarten, doch Schaeffer behandelt das Thema in vier überschaubaren Kapiteln. Die erste Hälfte des Buches umfasst die Kapitel 1 und 2, wo es um Fragen der Metaphysik und der Ethik geht. In der zweiten Hälfte widmet sich Schaeffer zunächst dem Problem der Erkenntnistheorie, um anschließend seine Lösung vorzustellen.

Warum existiert überhaupt etwas?

Zwar kritisiert Schaeffer die geläufige Anti-Haltung der Evangelikalen der Philosophie gegenüber, macht jedoch interessierten Lesern Mut, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Schaeffer weist darauf hin, dass das Thema nicht so komplex ist, wie man als Laie oftmals vermutet: „In den drei grundlegenden Bereichen philosophischen Denkens gibt es nicht viele mögliche Antworten, aber die grundlegenden Antworten können sich in vielen Details voneinander unterscheiden“ (S. 12).

Auf die grundlegende Frage „Können wir etwas wissen?“ gibt es nach Schaeffer nur zwei mögliche Antworten:

  1. Es gibt keine logische, rationale Antwort.
  2. Es gibt eine Antwort, die logisch und rational untersucht und jemandem mitgeteilt werden kann.

Die erste Antwort, so Schaeffer, lässt sich zwar theoretisch behaupten, ist aber in der Praxis unhaltbar und erstickt jede weitere Diskussion im Keim. Wirklich Sinn ergibt nur die zweite Antwort. Alle Menschen stehen vor der offenkundigen Tatsache, dass etwas da ist und nichts nicht existiert. Dafür muss es eine Erklärung geben und Schaeffer zeigt drei mögliche Antworten auf:

  1. Alles, was da ist, ist aus dem absoluten Nichts entstanden.
  2. Alles, was ist, hat einen unpersönlichen Anfang (wie Materie, Energie usw.).
  3. Alles, was ist, hat einen persönlichen Anfang (Gott).

Schaeffer bemerkt zu diesen Alternativen:

„[D]amit haben wir die möglichen grundlegenden Antworten auf die Frage des Daseins erschöpft. Das mag simpel klingen, aber es ist wahr. Damit soll nicht gesagt sein, dass es keine Details gibt, über die man diskutieren kann, keine Varianten oder Untergruppen – aber dies sind die einzigen grundlegenden Schulen des Denkens, die möglich sind.“ (S. 17–18)

Die ersten beiden Antworten sind für Schaeffer wenig überzeugend, weil die erste Antwort absolut nichts voraussetzt, also auch keine Energie, Materie oder Bewegung. Die zweite Antwort des unpersönlichen Anfangs mag zwar Materie oder etwas anderes voraussetzen, kann aber keine schlüssige Antwort auf die Sinnfrage geben, der wir als Menschen unmöglich ausweichen können. Es bleibt folglich nur die dritte Antwort, und Schaeffer kommt zum Schluss:

„Die philosophische Frage nach der Existenz oder dem Sein lässt sich nur von einer Grundlage her beantworten – vom jüdisch-christlichen Gott her. Nicht nur von einem abstrakten Konzept her, sondern von einem Gott, der wirklich da ist. Er existiert wirklich. Es gibt keine andere Antwort, und bibeltreue Christen haben sich lange in die Defensive drängen lassen. Dies ist keine Zeit für Defensive. Es gibt keine andere Antwort.“ (S. 21)

Schaeffer möchte sichergehen, dass der Leser die Konsequenzen seiner Ausführung auch wirklich verstanden hat und schreibt: „Machen wir uns noch einmal klar, dass dies nicht die beste Antwort, sondern die einzige Antwort ist“ (S. 24). Anschließend wendet er sich der Ethik zu.

Warum ist der Mensch so, wie er ist?

Zu Beginn des Kapitels fasst Schaeffer den Zustand des Menschen in folgenden Worten zusammen:

„So steht der Mensch da – in seiner wunderbaren Größe und Würde, und doch gleichzeitig in seiner erschreckenden Grausamkeit, die sich wie ein roter Faden durch die gesamte Menschheitsgeschichte zieht“ (S. 27).
„Konsequent zu Ende gedacht, kann es in einem rein materialistischen Universum keine Ethik und keine Moral geben.“
 

Wie ist dieser Umstand zu erklären? Zunächst spielt Schaeffer die „unpersönliche“ Variante durch und kommt zum Schluss, dass wir bei dieser Option nicht von einer wirklichen Ethik sprechen können. Konsequent zu Ende gedacht, kann es in einem rein materialistischen Universum keine Ethik und keine Moral geben. Bei einem unpersönlichen Ursprung allen Seins haben wir keine Grundlage, um irgendetwas als falsch oder richtig zu bezeichnen.

Wie aber gehen wir dann damit um, dass der Mensch ein moralisches Wesen ist? Und woher kommt das Böse im Menschen? Ist der Mensch schon immer wesensmäßig böse gewesen und hat Gott ihn möglicherweise so geschaffen? Schaeffer zeigt auf, wo alle diese Fragen letztendlich hinführen, und sieht die Lösung wieder in der christlichen Antwort:

„Der Mensch ist aufgrund eigener Entscheidung heute nicht mehr so, wie er wesensmäßig war. Wenn das zutrifft, können wir verstehen, dass der Mensch heute grausam ist, dass aber Gott nicht ein böser Gott ist. Genau das ist die jüdisch-christliche Position.“ (S.35)

Dass die biblische Lehre vom Sündenfall nicht nur theoretische, sondern auch ganz praktische Auswirkungen hat, führt Schaeffer dann weiter aus. Denn nur vor dem Hintergrund des biblischen Weltbildes ergibt es überhaupt einen Sinn, das Böse in der Welt zu bekämpfen:

„Als Christen sollten wir in der vordersten Linie stehen, wenn es darum geht, die Folgen der Grausamkeit des Menschen zu bekämpfen, wissen wir doch, dass sie nicht Gottes Willen entspricht. Wir können über die Folgen menschlicher Grausamkeit erzürnt sein, ohne über Gott oder den Normalzustand erzürnt zu sein.“ (S. 38)

Von der Ethik wendet sich Schaeffer dann dem großen Bereich der Erkenntnistheorie zu.

Wie wissen wir, dass wir etwas wissen?

An dieser Stelle greift Schaeffer die Ausgangsfrage des Buches auf: „Wie können wir etwas wissen und erkennen?“, oder: „Wie wissen wir, dass wir etwas wissen?“ (S. 41). Hier geht er zunächst auf das Problem der Erkenntnistheorie ein, bevor er im nächsten Kapitel seine Lösung anbietet.

Schaeffer erklärt, dass wir als Menschen unzählige „Einzelheiten“ erkennen. Damit diese aber für uns einen Sinn ergeben, muss es etwas „Allgemeines“ geben, das den „Einzelheiten“ übergeordnet ist. Als Beispiel führt Schaeffer einen Apfel an. Wir kennen unterschiedliche Apfelsorten (Einzelheiten), die für uns jedoch nur einen Sinn ergeben, weil wir das Allgemeine, den Apfel, kennen.

Nun stellt sich die grundsätzliche Frage, was dieses „Allgemeine“ ist, das den vielen „Einzelheiten“ einen Sinn verleiht? Schaeffer bemerkt, dass es sich nicht nur um eine philosophische Spielerei handelt. Schließlich bewegen wir uns ständig vom Einzelnen zum Allgemeinen hin. Das ist die Art und Weise, wie wir uns Wissen aneignen.

„Wenn unsere Welt von einem persönlichen Gott geschaffen wurde, der uns Menschen in seinem Ebenbild geschaffen hat, ... dann sollte uns der Gedanke einer Offenbarung Gottes überhaupt nicht verwundern.“
 

Jedoch steht der Mensch, der Gott kategorisch aus seinem Weltbild ausschließt, vor einem Konflikt, den Schaeffer als den Konflikt von „Natur und Gnade“ bezeichnet. Im Bereich der Natur finden wir den Menschen sowie natürliche Ursachen und Wirkungen innerhalb der Welt. Im Bereich der Gnade finden wir die unsichtbaren, himmlischen Mächte und die Seele. Beides ist wichtig. Wenn jedoch die „Gnade“ geleugnet wird (d.h. wenn Gott kategorisch ausgeklammert wird), bleibt nur Natur übrig. Was das praktisch für den Menschen bedeutet, fasst Schaeffer dann so zusammen:

„Der Rationalismus, einschließlich der modernen Naturwissenschaft, führt nur zum Pessimismus. Der Mensch ist nichts als eine Maschine; er ist eine Null, und nichts hat einen wirklichen Sinn. Ich bin ein Nichts – eine Einzelheit unter Tausenden von Einzelheiten. Keine Einzelheit hat einen Sinn, also hat auch der Mensch keinen Sinn – also habe ich als einzelner Mensch schon gar keinen Sinn. Ich bin bedeutungslos; ich sterbe; der Mensch ist tot.“ (S. 50)

Demgegenüber steht das christlich-jüdische Weltbild mit der Behauptung, dass unsere Welt von einem persönlichen Gott geschaffen wurde, der sich uns in der Bibel mitgeteilt hat. Darum können wir etwas mit Gewissheit wissen.

Schaeffer ist sich natürlich darüber im Klaren, dass der Gedanke einer göttlichen Offenbarung innerhalb eines geschlossenen rationalistischen Systems absurd ist. Doch er stellt die Frage, ob das naturalistische Weltbild selbst überzeugen kann und fordert Andersdenkende auf, die Möglichkeit eines anderen Weltbildes in Betracht zu ziehen:

„Wer an diesem Weltbild festhält und nicht bereit ist, die Denkbarkeit eines anderen Weltbildes zu prüfen, obwohl das naturalistische Weltbild zur Entmenschlichung des Menschen führt und den uns bekannten Tatsachen über den Menschen und die Welt widerspricht, der befindet sich in einer Sackgasse.“ (S. 64)

Der Punkt, auf den Schaeffer letztendlich hinauswill, ist, dass das Problem der Erkenntnistheorie im christlichen System überhaupt nicht existiert (vgl. S. 67). Schaeffer ist davon überzeugt, dass das christliche System in sich schlüssig ist. Wenn unsere Welt von einem persönlichen Gott geschaffen wurde, der uns Menschen in seinem Ebenbild geschaffen hat, wie es die Bibel eindeutig lehrt, dann sollte uns der Gedanke einer Offenbarung Gottes überhaupt nicht verwundern. Wenn Gott uns Menschen mit der Sprachfähigkeit geschaffen hat, sollte es kein Problem sein, dass Gott selbst sich uns mitteilen kann.

Über den Stellenwert der Bibel schreibt Schaeffer:

„In der Bibel sagt er uns nicht nur etwas über moralische Fragen, damit wir wirkliche Ethik und nicht nur soziologische Durchschnittswerte haben können, nein, er gibt uns darin auch ein Bezugssystem, mit dessen Hilfe wir unsere Einzelerkenntnisse richtig einordnen und einander zuordnen können.“ (S. 69)
„Die Anhänger eines rein rationalistischen Weltbildes können keine Lösung für das Problem der Erkenntnis aufweisen, während das christliche System diese Probleme erst gar nicht hat.“
 

Schaeffer schließt mit der abschließenden Analyse, dass die Anhänger eines rein rationalistischen Weltbildes keine Lösung für das Problem der Erkenntnis aufweisen können, während das christliche System diese Probleme erst gar nicht hat.

Die vier Kapitel werden von zwei Anhängen ergänzt. Hier geht Schaeffer kurz auf die Fragen ein, ob eine „vernunftmäßige Offenbarung“ intellektuell vertretbar ist und was unter biblischem Glauben zu verstehen ist. Wie auch schon im Rest des Buches geht Schaeffer hier nicht auf Detailfragen ein, sondern betrachtet die Fragen von grundlegenden Denkvoraussetzungen her. Innerhalb des christlichen Systems ist die Inspiration der Bibel überhaupt kein Problem und intellektuell vertretbar, weil wir erwarten können, dass Gott sich uns als unser Schöpfer unmissverständlich mitteilt.

Fazit

… und er schweigt nicht ist meines Erachtens eine gute und hilfreiche Einführung, wenn es um die grundlegenden Fragen zur menschlichen Existenz geht. Gerade weil Schaeffer nicht mehr als hundert Seiten für seine Ausführungen verwendet, eignet es sich gut für interessierte Leser, die sich einen ersten Überblick über diese philosophischen Fragen verschaffen wollen.

An manchen Stellen merkt man jedoch dem Buch sein Alter an. Schaeffer veröffentlichte es im Jahr 1972. Die Beispiele, die er aus dem Film- und Kunstbereich heranzieht, waren mir völlig fremd und ich vermute, dass es gerade jüngeren Lesern ähnlich ergehen wird. Ich habe mir zwischendurch beim Lesen auch die Frage gestellt, wie weit sich wohl das intellektuelle Klima in unserer Gesellschaft in den fünfzig Jahren seit Erscheinen des Buches geändert hat und wie Schaeffer dieses Buch heute geschrieben hätte. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sich viele Detailfragen der Debatte zur menschlichen Existenz seit Schaeffers Tagen gewandelt haben. Doch da Schaeffer sich in diesem Buch auf die grundlegenden Fragen und Antworten konzentriert, können Christen auch heute noch von seinen Ausführungen profitieren und in ihrem Glauben gestärkt werden.

Wer einen theologischen Lehrer braucht, der dabei hilft, die wichtigen, aber komplexen Fragen des Lebens im Licht der Bibel und der philosophischen Fragestellungen zu verstehen, dürfte in Schaeffer einen hilfreichen Lehrmeister finden.

Buch

Francis Schaeffer, ... und er schweigt nicht. Ist eine Philosophie ohne Gott realistisch?, Haus der Bibel 1975/2011, 96 Seiten, 9,90 Euro.