Rock Me, Dostojewski!

Rezension von Andreas Wiebe
18. April 2022 — 5 Min Lesedauer

Es ist der 200. Geburtstag des 1821 geborenen Russen, der die beiden leidenschaftlichen Dostojewski-Fans Markus Spieker und David Bühne dazu inspiriert, ein Buchprojekt zu dem ihrer Auffassung nach größten Schriftsteller anzugehen. Das rund 540 Seiten starke, im Fontis-Verlag erschienene Hardcover-Buch Rock me, Dostojewski! soll jedoch keine klassische Biografie sein – davon gibt es bereits genug, so die Autoren. Vielmehr soll das Werk eine „Gesamtschau der Weisheiten, die Dostojewski uns mitzuteilen hat“ (S. 16), darstellen. Wer das Buch liest, geht also bei Dostojewski in die „Weisheitsschule“, denn bei ihm kann der Leser noch heute Wahrheit, Wirklichkeit und Weisheit lernen (S. 7).

Wer ist eigentlich Dostojewski?

Fjodor Michailowitsch Dostojewski, geboren 1821 und gestorben im Alter von 59 Jahren, gilt als einer der wichtigsten russischen Schriftsteller. Er wird in einem Atemzug mit Größen wie Alexander Puschkin oder Leo Tolstoi genannt. Der Bekanntheitsgrad seines Namens steht jedoch im Widerspruch zu dem seiner Romane. Bis auf Schuld und Sühne dürften die wenigsten deutschen Leser Titel seiner Werke oder deren Inhalte nennen können. Aber auch mit der Person Dostojewskis können wohl nur wenige etwas anfangen. Genau das möchten die beiden Autoren mit diesem Buch ändern.

20 Perspektiven auf Dostojewski

Über 20 Kapitel, die mit Schlagwörtern wie „Sohn“, „Ästhet“, „Schriftsteller“, „Prophet“ und „Zweifler“ überschrieben sind, werfen die Autoren durch die verschiedenen Perspektiven einen Blick auf die Person Dostojewskis. Auf diesem Weg verfolgen sie das Ziel, den Menschen hinter den literarischen Werken zu zeigen. Sie folgen dabei der Devise des 17-jährigen Dostojewski: „Der Mensch ist ein Geheimnis. Man muss es enträtseln.“ In erster Linie schöpfen die Kapitel aus dem Gesamtwerk Dostojewskis, indem sie mit der Kapitelüberschrift korrespondierende Abschnitte zitieren. Neben den Büchern Dostojewskis kommen seine briefliche Korrespondenz, persönliche Notizen und einige Zeitgenossen aus dem Umfeld des russischen Ausnahmeautors zum Tragen. Auch folgt das Buch im Großen und Ganzen einer chronologischen Reihenfolge. Trotz der zweigleisigen Struktur des Buches, einerseits thematisch Merkmale Dostojewskis aufzugreifen und andererseits chronologisch vorzugehen, treten nur wenige inhaltliche Wiederholungen auf. Auch die Verknüpfung von unterschiedlichen Quellen wie Briefen, Ereignissen, Aussagen von Menschen aus dem Umfeld Dostojewskis und seinen literarischen Werken gelingt den beiden Autoren flüssig und geschmeidig.

Krawumm statt Düdeldü

Ein herausstechendes Merkmal des Buches ist sein Schreibstil. Wie schon im Titel ersichtlich, wählen die beiden Autoren einen modernen, jugendlichen Slang, der sich unter anderem in Anglizismen und Zitaten aus populären Liedern oder Filmen zeigt. Daneben zeichnet sich ihre Ausdrucksform durch eine starke Nähe zur gesprochenen Sprache aus. Auch verwenden sie lautmalerische Ausdrücke – z.B. wenn sie die elektrisierende Wirkung der Werke Dostojewskis mit „Krawumm statt Düdeldü“ (S. 10) beschreiben. Durch diesen Schreibstil baut das Buch einen persönlichen Kontakt zum Leser auf. Dieser empfindet das Lesen als Konversation mit den Dostojewski-begeisterten Autoren.

War er wirklich Christ?

Dass auch gegenteilige Interpretationen des Lebens und Wesens Dostojewskis mit denen der beiden Autoren in einen Diskurs gebracht werden, fällt positiv auf. Stefan Zweig z.B. zieht aus der fehlenden Konsistenz hinsichtlich des Glaubens Dostojewskis den Schluss, dass dieser nicht wirklich an Gott geglaubt habe. Die Autoren gehen darauf ein und begründen das Gegenteil, indem sie Zeitgenossen und Vertraute Dostojewskis zu Wort kommen lassen, wie etwa Stepan Janowski. Dieser berichtet über den jungen Dostojewski, dass dessen „wirksamste Medizin gegen Krankheiten der Seele … immer das Gebet [war]“ (S. 506). Insgesamt sind die Ausführungen zum geistlichen Leben Dostojewskis eine Ermutigung, den Blick auf Jesus fokussiert zu haben: „Ohne Jesus gibt es nur das Nichts“ (S. 502). Gläubige Leser werden v.a. im Kapitel „Pilger“, das Dostojewski als Stehauf-Jünger vorstellt, Ermutigung für ihr geistliches Leben erfahren. Durch die Hineinnahme in die Kämpfe, Niederlagen, Erfolge und Segnungen des russischen Schriftstellers wird der Leser ermutigt, dem einen immer wieder zu begegnen: Jesus Christus.

„Durch die Hineinnahme in die Kämpfe, Niederlagen, Erfolge und Segnungen des russischen Schriftstellers wird der Leser ermutigt, dem einen immer wieder zu begegnen: Jesus Christus.“
 

Gelungene und weniger überzeugende Übertragungen

Was den einen oder anderen kritischen Leser stören dürfte, ist die manchmal künstlich wirkende, unmittelbare Übertragung von charakteristischen Romanauszügen auf das Wesen der Person Dostojewskis. Das wirkt bisweilen etwas plump und einfach. Skeptische Leser dürften nicht vollends überzeugt werden.

Eine Übertragung, die den Autoren jedoch wunderbar gelingt – und das ist ein starkes Argument, das Buch zu lesen –, ist die Kontextualisierung der Werke Dostojewskis auf die Gegenwart. Immer wieder schaffen sie es, die Erkenntnisse Dostojewskis überzeugend auf die heutige Lebenswelt zu übertragen. Auch wenn die Zeiten sich ändern, bleibt der Mensch doch derselbe – und nur wenige haben eine bessere Anthropologie (d.i. die Lehre vom Menschen) als der russische Autor.

Kein Superheld, aber ein Kenner

Eine besondere Stärke des Buches besteht in der Begeisterung der beiden Autoren, die man als Leser wahrlich den Zeilen abspürt. Diese Stärke wird dadurch unterstrichen, dass nie der Eindruck aufkommt, als würde Dostojewski in irgendeiner Weise idealisiert oder glorifiziert werden. Die Autoren lieben das Werk und den Menschen Dostojewski, aber vermitteln nicht das Bild eines Helden, sondern eines Menschen, der das Leben in all seiner Tiefe erlebt hat. Dadurch wurde er zu einem außergewöhnlichen Menschen- bzw. Seelenkenner.

Fundgrube und Schwarzbrot

Neben dem einfachen Lesegenuss und den Einblick in das Leben Dostojewskis, den das Buch bietet, ist es auch eine Zusammenstellung seiner größten Schätze. Dadurch ist es eine ideale Zitate-Fundgrube für Redenschreiber und Prediger.

„Auch wenn die Zeiten sich ändern, bleibt der Mensch doch derselbe – und nur wenige haben eine bessere Anthropologie als der russische Autor.“
 

Das von den beiden Autoren dem Buch vorangestellte Ziel, den Menschen Dostojewski zu enträtseln, ist ihnen in dem Sinne gelungen, dass sie einen guten Einblick in dessen Leben gewähren. Noch stärker dürfte aber die geweckte Neugier auf die Werke des russischen Schriftstellers sein. In diesem Sinne wünsche ich dem Buch, ein Appetizer für richtiges Dostojewski-Schwarzbrot zu sein.

Buch

Markus Spieker, David Bühne. Rock Me, Dostojewski!: Poet. Prophet. Psychologe. Punk. Fontis, 560 Seiten, ca. 25 Euro.

Andreas Wiebe dient in der Leitung einer frei-evangelischen Gemeinde im Lipperland. Er ist mit Christina verheiratet, sie haben drei Töchter. Sein besonderes Interesse gilt der Geschichte der Russland-Mennoniten, was sich immer mal wieder auch in seinen Blog-Artikeln auf christusallein.com widerspiegelt.