Sünder wie wir

Das Problem von Palmsonntag

Artikel von Jonathan Parnell
10. April 2022 — 4 Min Lesedauer

Es waren die Palmzweige, die diesen Tag einzigartig machten – aber irgendwie auch nicht.

Seit Jahrhunderten kennt die Gemeinde den ersten Tag der Karwoche als Palmsonntag, benannt nach den Palmzweigen und Mänteln, welche die Volksmenge vor Jesus ausbreitete, als er nach Jerusalem einzog.

Die Autoren der Evangelien sagen uns, dass eine Menschenmenge in gespannter Erwartung vor Jesus die Straße säumte, als er langsam in die Stadt hineinritt. Während er Schritt für Schritt auf einem Lasttier sitzend seinen Weg durch die Menge bahnte, wurde vor ihm ein Teppich ausgelegt. Frische, grüne Palmzweige, wahrscheinlich von den Bäumen in der Nähe abgebrochen, und dicke, abgetragene Mäntel, welche die Leute vermutlich eben noch über den Schultern gehabt hatten, bildeten einen weichen Teppich für Israels lang erwarteten Messias.

Und den Pharisäern zufolge war das ein Problem.

Was die Leute sagten

Aber tatsächlich waren die Palmzweige nicht das eigentliche Problem, sondern das, was die Leute dabei sagten.

Lukas teilt uns mit, dass die Menschen beim Einzug Jesu nach Jerusalem anfingen, sich zu freuen und Gott zu loben. Sie riefen: „Gepriesen sei der König, der da kommt im Namen des Herrn!“ (Lk 19,38)

Manche Pharisäer versuchten, Jesus dazu zu bringen, die Menge aufzuhalten. Sie baten ihn, die Menschen wegen ihrer Worte zurechtzuweisen – die ganze Sache mit „Gepriesen sei der König“.

„Gepriesen sei der König“ ist die Art von Willkommensgruß, die Israels Erlöser vorbehalten ist.
 

Die Pharisäer begriffen es offensichtlich. Das ist nicht einfach irgendein Satz. Das ist die Art von Willkommensgruß, die Israels Erlöser vorbehalten ist. Es ist ein Ausdruck aus den hebräischen Schriften. Er stammt aus Psalm 118, einem Psalm, der sich am Triumph des Herrn erfreut. Mit Vers 22 dieses Psalms ist der verworfene Stein zum „Eckstein“ geworden (Ps 118,22). Das ist ein erstaunliches Werk – durch Gottes Handeln –, welches dann den Tag der Erlösung in Gang setzt (Ps 118,23–24). Dieser Tag der Erlösung ist die lang erwartete Befreiung, von der Israel dachte, sie würde vielleicht niemals kommen. Aber das wird sie, das tut sie, und Psalm 118,25 bringt diese Hoffnung zum Ausdruck: „Ach, HERR, rette doch! Ach, HERR, gib doch Gelingen!“

Nun, diese Erlösung und das Gelingen sind nichts Allgemeines. Sie werden durch eine Person kommen – den Messias Gottes – den einen, der gesandt wurde, um sein Volk zu retten. Deshalb lautet der Ausruf im Psalm: „Gesegnet sei, der kommt im Namen des HERRN!“ (Ps 118,26)

Zweifellos bezieht diese lärmende Menge in Jerusalem ihre Inspiration aus Psalm 118 und verkündet, dass Jesus der Messias ist. Deshalb fordern die Pharisäer Jesus auf, diesen Wahnsinn zu stoppen. „Hörst du, was sie sagen? Sie denken, du bist der Messias und gekommen, um uns zu retten. Sag ihnen, sie sollen still sein.“

Jesus hält sie aber nicht auf. Stattdessen antwortet er, dass die Steine schreien würden, wenn die Menschen es nicht sagen würden. Natürlich, Jesus ist der Messias. Er ist nach Jerusalem gekommen, um sein Volk zu retten.

Und der Menge zufolge war das ein Problem.

Was die Leute sahen

Aber tatsächlich war die Sache mit der Erlösung nicht so sehr das Problem wie die Art und Weise, wie Jesus Erlösung bringen würde.

Du erinnerst dich sicher: Die Leute wollten Erlösung und Gelingen. Das bedeutet, sie wollten, dass der Messias in die Stadt einmarschiert und Rom eine harte Lektion erteilt. Sie wollten Befreiung von der Unterdrückung durch die Heiden, wenn nötig mit Gewalt, wenn nötig auch durch Drohungen und Plagen und ein geteiltes Meer hindurch, so wie sie es auch in ihrer überlieferten Geschichte kannten. Sie wollten einen neuen Exodus. Einen Exodus, bei dem die Römer ausgetrieben werden.

Stattdessen bekamen sie am Freitag einen blutüberströmten Mann, dessen Zeit schon abgelaufen war, einen Mann in römischer Gefangenschaft, abgelehnt von ihren eigenen Anführern, neben einem berüchtigten Verbrecher namens Barabbas stehend. Sie wollten einen unvergleichlichen König, aber sie sahen nur einen geschlagenen Gotteslästerer. So dachten sie zumindest.

„‚Gesegnet sei‘ würde schon sehr bald dem ‚Kreuzige ihn‘ weichen.“
 

Die Rufe der Menge an diesem Sonntag – diesem Palmsonntag – würden später von den Rufen aus ihren steinernen Herzen Lügen gestraft werden. „Gesegnet sei“ würde schon sehr bald dem „Kreuzige ihn“ weichen. Aus diesem Grund haftet dem heutigen Tag etwas Ekelerregendes an. Wir lesen, wie sie auf Jesus reagierten, aber weil wir die ganze Geschichte kennen, wissen wir, dass es nicht echt ist. Es stimmt nicht.

Und wenn wir die tiefe Tragik ihrer Worte und ihrer Blindheit spüren, dann sollten wir nicht erwarten, dass wir irgendwie anders gewesen wären. Die Pharisäer und das Volk – sie alle hatten ihre Probleme, so wie wir. Wir wissen um den Zustand unserer Herzen losgelöst von der Gnade Gottes. Wenn wir bei der Menschenmenge genau hinhören könnten, dann würden wir neben ihren Rufen auch unsere Stimmen hören. Wir würden unsere Lobesrufe hören, hohle Worte, um dann am Freitag ebenfalls mitzuschreien – wir müssten zugeben: „Und voll Beschämung sehe ich mich bei den Spöttern stehen“.

Denn, schlussendlich – Jesus ist nicht gekommen, um die Gerechten zu retten, sondern Sünder. Sünder wie uns.