Was ist unsere Theologie?
Die Zeitschrift Tabletalk, sowie eigentlich die gesamte Arbeit von Ligonier, werden durch einige grundsätzliche Überzeugungen geprägt. Eine dieser Überzeugungen wurde vor ungefähr 500 Jahren von keinem Geringeren als Martin Luther (wem sonst) in Worte gefasst: Wir alle sind Theologen – gemeint sind wir Christen. Wir alle sollen Theologen sein, damit wir alle Christen sein können.
Aber was ist Theologie? Und vor allem, was ist unsere Theologie?
Theologie
Theologie, das ist (im besten und höchsten Sinne des Wortes) Gott-Gerede, das logische und kohärente Sprechen und Sinnen über Gott. Für den Gläubigen wurzelt und wirkt die Theologie in der Offenbarung Gottes. Gewissermaßen sind wir sogar dazu aufgefordert, eine „Theologie von allem” zu haben, da auf die eine oder andere Weise der gesamte Kosmos, die Entwicklung der Geschichte oder etwa die Entdeckungen, die wir machen, Teil der sich selbst entfaltenden Offenbarung Gottes in Schöpfung, Vorsehung, Errettung und Vollendung sind. Wie Abraham Kuyper bemerkte, gibt es im gesamten Kosmos nichts, was im absoluten Sinne atheistisch ist. Oder, um eine höhere Autorität zu zitieren, „denn von ihm und durch ihn und für ihn sind alle Dinge” (Röm 11,36). Deshalb: omnes sumus theologi – wir alle sind Theologen – ob Atomphysiker, Astronauten, Literaturliebhaber, Gärtner, Müllsammler oder eben „hauptberufliche” Theologen. Das ist das Privileg, die Herausforderung und die Romantik unseres Lebens – in jeder denkbaren Berufung. Schließlich tun wir, um es mit den Worten von Paulus zu sagen, nur „eines” (Phil 3,13). Hat Paulus jemals nur eine Sache getan? Sicherlich nicht. Und dennoch hat er nur eines getan, jedoch in vielen verschiedenen Tätigkeiten. So ist es auch mit uns. In allen Dingen sind wir Theologen, weil wir wissen, dass das ganze Leben dazu dient, Gott zu erkennen.
„In allen Dingen sind wir Theologen, weil wir wissen, dass das ganze Leben dazu dient, Gott zu erkennen.“
Wie aber funktioniert Theologie? Vielleicht kann eine Veranschaulichung helfen. Im englischen Fernsehen gibt es eine Sendung, die ich sehr mag. Inmitten von so vielen deprimierenden und unmoralischen Fernsehsendungen ist The Repair Shop (BBC) die ultimative Wohlfühlsendung. Hier bringen ganz gewöhnliche Menschen ihre beschädigten, verrotteten, entstellten oder fast zerstörten Erbstücke zur Reparatur. Oft erzählen sie dabei tief bewegende Geschichten – warum der Gegenstand (der an sich vielleicht nur wenig Wert hat) für sie so wichtig ist. Dann werden die Zuschauer Zeugen der an Magie grenzenden, außergewöhnlichen Fähigkeiten der Handwerker, Experten für Holz- und Metallarbeiten, fachkundig mit Möbeln, Musikinstrumenten, diversen mechanischen Arbeiten und anderen Mechanismen. Während Leute wie ich die kaputten Gegenstände notdürftig flicken und auf das Beste hoffen, wird der betroffene Gegenstand von den Experten zunächst dekonstruiert und dann völlig neu rekonstruiert, um der Kostbarkeit den längst verlorenen Glanz zurückzugeben. Und dann kommt die wunderbare Auflösung: Wir erleben (und teilen) die überwältigende Dankbarkeit der verschiedenen Besitzer, ihr Lob und ihre Freude, wenn sie zu Tränen gerührt der Enthüllung des restaurierten Objektes in all seiner vollendeten Pracht zusehen. (Das restaurierte Objekt liegt vor der Enthüllung zudem meist unter einer ganz gewöhnlichen Decke – wahrscheinlich, um auf das Ausmaß der Restaurierung hinzudeuten.)
Theologie, das ist der Repair Shop des Evangeliums. Ihre verschiedenen „Loci” bzw. Themen (Gott, Schöpfung, Sündenfall, Vorsehung, Erlösung, Verherrlichung) sind sozusagen die diversen Abteilungen von Fachleuten, die zunächst unseren persönlichen Schaden dekonstruieren und uns dann wiederherstellen, bis die ursprüngliche Bestimmung unserer Erschaffung verwirklicht ist. Auf diese Weise wird die von unseren Vorvätern genannte Theologie der Pilgerschaft, in der wir nur schemenhaft in einem Spiegel sehen, zur Theologie der Sichtbarwerdung, in der wir von Angesicht zu Angesicht sehen werden. Wir wurden im Bilde Gottes geschaffen, um ihn zu verherrlichen und uns an ihm zu erfreuen, und werden ihm endlich gleichgestaltet sein.
Was ist dann der Inhalt unserer Theologie?
Unsere Theologie
Thomas von Aquin soll einmal gesagt haben, dass die Theologie von Gott kommt, uns über Gott lehrt und uns zu Gott führt. Und weil das ewige Leben darin besteht, Gott und den, den er gesandt hat (Jesus Christus) zu kennen (und das können wir nur durch den Geist; vgl. Joh 17,3 und 14,23 und 25), beginnt (und endet) unsere Theologie mit Gott. Die Theologie sagt uns, wer Gott ist. Ein Gott in drei Personen, die ewig gesegnete Dreifaltigkeit, in der ewigen Gemeinschaft der Dreieinigkeit als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Solch eine Theologie führt dazu, dass wir seinen wundervoll einheitlichen und einfachen Charakter erkennen. In unserer begrenzten Kapazität erfassen wir Schritt für Schritt das, was wir seine Eigenschaften nennen. Dies sind nur einige Möglichkeiten, seine Vollkommenheit, seine Göttlichkeit, seine unendliche und herrliche Gottheit zu beschreiben.
„Unsere Theologie ist also eine Theologie des dreieinigen Gottes, der sich selbst und in sich selbst genügt und der in allen seinen Selbstmanifestationen heilige Liebe ist.“
Unsere Theologie ist also eine Theologie des dreieinigen Gottes, der sich selbst und in sich selbst genügt und der in allen seinen Selbstmanifestationen heilige Liebe ist. Daher überrascht es auch nicht, dass unsere Theologie von den beiden Grundsatzvisionen des Propheten der Heiligkeit (Jes 6) und des Apostels der Liebe (Offb 4–5) bestimmt wird. Es ist auffallend, dass man in diesen beiden Visionen unsere gesamte Theologie zusammenfassen kann.
Sie spiegeln die Göttlichkeit Gottes wider, „der war und der ist und der kommt” (Offb 4,8) und reflektieren den Schöpfungsbericht (Vers 11): dass alle Dinge im Himmel und auf Erden durch den dreieinigen Gott erschaffen wurden, „den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer alles Sichtbaren und Unsichtbaren” (Bekenntnis von Nicäa), durch sein Wort, den ewigen Sohn, und durch das ordnende, erfüllende und vollendende Wirken des Geistes, der über den ursprünglichen Wassern schwebte.
Sie halten uns einen Spiegel vor, in dem wir unsere Schöpfungsbestimmung kaum erkennbar hinter uns liegen sehen. Wir wurden von Gott zu seiner Ehre und zur Freude an ihm geschaffen, zur Gemeinschaft mit ihm und zum Lobpreis seiner Person. Jetzt aber sind wir wie Jesaja überwältigt von der Entdeckung, wer Gott ist – der Heilige –, und wir erkennen, dass wir wie ein altes schottisches Schloss, das zu einem verfallenen Erbstück geworden ist, durch die Angriffe Satans zerstört wurden. Wir sind verwahrlost, unfähig, uns selbst zu restaurieren, unvollendet und unrein. Niemand von uns ist in der Lage, die Schriftrolle zu öffnen, die einen Plan für unsere Rettung und Wiederherstellung enthalten könnte (Offb 5,4).
„Wir müssen entdecken, dass wir ruiniert sind, bevor wir erkennen können, dass wir der Wiederherstellung bedürfen.“
Aber hiermit endet unsere Theologie nicht. Gott will sein Ebenbild zurück. Es stimmt, wir müssen entdecken, dass wir ruiniert sind, bevor wir erkennen können, dass wir der Wiederherstellung bedürfen. Aber dann lehrt uns unsere auf Jesaja und Johannes aufbauende Theologie, dass es nicht ein anderer Gott ist, sondern ein und derselbe dreifach heilige Gott, dessen Bote die Wiederherstellung durch eine auf dem Opferaltar brennende Kohle bringt, die erst verbrennt und dann wiederherstellt. Und diese biblisch begründete Theologie sagt uns, dass Jesaja in seiner Vision die Herrlichkeit des Herrn Jesus sah (Joh 12,41). Da unsere Theologie davon ausgeht, dass Offenbarung sowohl progressiv als auch kumulativ ist, verstehen wir, dass die Person, auf die Jesajas Vision hinweist, niemand anders ist, als der Löwe von Juda, das geschlachtete Lamm Gottes, das die Sünden der Welt wegnimmt (Offb 5,6–10). Und wenn wir tiefer eindringen, um „Christus kennenzulernen” (Eph 4,20), betrachten wir eine göttliche Person in seinen beiden Wesenszuständen, der Erniedrigung und der Erhöhung, und in seinen drei Ämtern als Prophet, Priester und König – ein Herr Jesus Christus.
In diesem Zusammenhang merken wir dann auch, dass etwas mit uns geschieht: Durch den Geist wird unser Leben in lebendigen Kontakt mit Christus und seinem Sühneopfer gebracht. Uns wird vergeben und wir werden von der Schuld der Sünde befreit. Und in demselben Augenblick wird die „Verbrennung” der Sünde in uns eingeleitet. Anders geht es nicht. Denn wie Calvin immer wieder feststellte: zu denken, dass wir Christus zu unserer Rechtfertigung haben können, nicht aber zur Heiligung, bedeute, ihn zu zerreißen, da er uns für beides gegeben wurde. Der Geist vereinigt uns mit dem einen Christus, der für uns „Gerechtigkeit” und „Heiligung” ist (1Kor 1,30). Daher hat der Sünder, der gerechtfertigt wird, auch gleichzeitig Anteil an seinem Tod für die Herrschaft über Sünde und seiner Auferstehung zu einem neuen Leben in Gott (Röm 6,2–4). Jede andere Theologie würde missverstehen, wie die Gnade „herrsche durch Gerechtigkeit zu ewigem Leben durch Jesus Christus, unseren Herrn” (Röm 5,21).
Kein Wunder also, dass die überirdische Vision des Jesaja mit bedingungslosem Gehorsam endet: „Hier bin ich, sende mich” (egal, wie schwierig die Aufgabe; Jes 6,8–13). Es wundert auch nicht, dass die Vision von Jesaja in Johannes’ Erfahrung des himmlischen Gesangs widerhallt: „Heilig, heilig, heilig ist der Herr, Gott der Allmächtige, der war und der ist und der kommt!” (Offb 4,8); und in endloser Anbetung gipfelt: „Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm gebührt das Lob und die Ehre und der Ruhm und die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit!“ (5,13). Und es ist auch kein Zufall, dass die Nationalkonferenzen von Ligonier traditionell mit Händels Halleluja Chorus enden.
Das ist unsere Theologie. Das, was in unterschiedlichster Form seit 50 Jahren Ausdruck findet, war von Beginn an Ligoniers Herzschlag, schon in den frühen Tagen der „Teaching Fellowship of R.C. Sprouls”. Hier werden wir alle Teil dieser Lehrgemeinschaft. Und diese Theologie, unsere Theologie, wird zum göttlichen Repair Shop, die uns vom Verderben über die Erlösung zur endgültigen Wiederherstellung führt. Soli Deo Gloria!