Rieche nach Schaf
Die erste revolutionäre Folgerung aus dem Älteste-gleich-Hirten-Modell ist die, dass Älteste Beziehungen zu den Gemeindemitgliedern pflegen müssen.
Stell dir mal für einen Augenblick einen buchstäblichen Hirten vor. Vielleicht hast du auf dem Land mal einen Hirten bei seiner Arbeit gesehen, sei es persönlich oder in einem Film. Vielleicht hast du noch nie einen Hirten gesehen, aber hast genug in der Bibel darüber gelesen, um ein Bild vor deinem inneren Auge zu haben. Was siehst du? Siehst du einen irischen Bauern, der seine Herde über saftige grüne Weiden führt? Vielleicht siehst du einen Beduinen mit langem Gewand und Hirtenstab, der ein Lamm in einen notdürftigen Steinpferch treibt. Oder du denkst an Psalm 23 und siehst einen Hirten, der seine Schafe auf grünen Auen lagert und zum frischen Wasser führt.
Was wir uns auch vorstellen, unsere mentalen Screenshots haben vermutlich eines gemeinsam: In allen Beispielen ist der Hirte mitten unter den Schafen. Er hält sich nicht abseits. Er wandelt inmitten der Tiere, hat Kontakt zu ihnen und spricht mit ihnen. Er kennt sie, denn er lebt mit ihnen. Folglich riecht er sogar nach ihnen.
Oder, anstatt dir buchstäbliche Hirten vorzustellen, denk einfach an Jesus. In den Evangelien finden wir Jesus ständig bei den Menschen. Private Gebetszeiten ausgenommen, verbrachte Jesus offenbar seine gesamte Zeit mit seinen Jüngern und mit der Menge. Er berührte, lehrte und unterrichtete die Menschen, wohin er auch kam. Der Gute Hirte gab nicht nur sein Leben für die Schafe, sondern verbrachte auch sein Leben mit ihnen.
„Private Gebetszeiten ausgenommen, verbrachte Jesus offenbar seine gesamte Zeit mit seinen Jüngern und mit der Menge.“
Ebenso wie buchstäbliche Hirten inmitten ihrer Herden leben und wie Jesus selbst tiefe Beziehungen zu seinen Jüngern pflegte, so teilen auch Älteste ihr Leben mit den Gemeindegliedern. Sie sehen Menschen als ihre Aufgabe. Es gibt verschiedene Komponenten der Ältestenschaft, aber all diese Komponenten setzen voraus, dass Älteste in enger Beziehung zu den Brüdern und Schwestern leben.
Betrachten wir zunächst ein Beispiel: die Gastfreundschaft. Wir sahen im letzten Kapitel, dass Paulus in beiden Tauglichkeitslisten für Aufseher verlangt, dass ein Mann, der diesen Posten anstrebt, gastfrei sein muss (1Tim 3,2; Tit 1,8). Warum diese Betonung der Gastfreundschaft? Gastfreundschaft offenbart nicht nur ein freigiebiges Herz und eine dienende Gesinnung, sondern sie zeigt auch, dass der angehende Aufseher gern mit Menschen zusammen ist und nach Möglichkeiten sucht, andere an seinem Leben teilhaben zu lassen. Ein gastfreier Mann wird vermutlich gern inmitten der Menschen sein, wenn die Gemeinde ihn zum Ältesten beruft.
In einem Älteste-gleich-Aufsichtsräte-Modell brauchen die Aufseher im Gegensatz dazu nicht inmitten der Menschen zu sein. Sie können auf monatliche Versammlungen gehen, an Sitzungen und an Abstimmungen teilnehmen und dann in dem Bewusstsein nach Hause gehen, ihre Pflicht erfüllt zu haben. Wenn dieses Modell vorherrscht, müssen Älteste sich nicht die Hände mit Überlegungen schmutzig machen, was sie zu einem entmutigten Gemeindeglied sagen sollen, das seit vierzehn Monaten arbeitslos ist, oder zu einem Bruder, der gegen die Versuchung kämpft, in seine frühere Heroinsucht zurückzufallen, oder zu einer Schwester, die sich auf eine Romanze mit einem Nichtchristen eingelassen hat und nichts Schlimmes daran findet. Solche Aufsichtsrat-Ältesten denken: „Haben wir nicht einen Pastor angestellt, damit er sich um derartigen Schlamassel kümmern kann?“
Vielleicht hast du wirklich mit solchen Hintergedanken einen Pastor berufen. Doch wenn du Laienältester bist, ist es an der Zeit, Seite an Seite mit dem bezahlten Personal mitten unter die Herde zu gehen und von Herzen handfeste, echte Hirtenarbeit zu leisten.
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Dies ist ein Auszug aus dem Buch Leitung durch Älteste von Jeramie Rinne. Weitere Infos und eine Bestellmöglichkeit gibt es hier.