Er ist genug

Artikel von Nathan White
22. Februar 2022 — 5 Min Lesedauer

Der Musicalfilm The Greatest Showman aus dem Jahr 2017, inspiriert von dem Entertainer P.T. Barnum, erzählt die Geschichte eines Mannes auf der Suche nach Ruhm. Ehrgeizig und unermüdlich steigt Barnum aus den Tiefen der Armut auf zu unvorstellbaren Höhen einer weltweiten Sensation. Doch ist dies keine typische „Vom Tellerwäscher zum Millionär“-Geschichte. Barnum gibt sich mit dem außerordentlichen Erfolg nicht zufrieden und verlangt nach mehr. Auf dem Höhepunkt seines Ruhms riskiert Barnum alles, um durch eine berühmte Opernsängerin seine Kritiker zu besänftigen. Die krönende Ballade der Opernsängerin fängt die Ironie von Barnums Wünschen ein. Wiederholt und eindringlich singt sie „Niemals genug“, was Barnums unersättlichen Hunger und schließlichen Ruin kommentiert. „Berge aus Gold sind immer noch zu wenig“, singt sie. „Diese Hände könnten die Welt halten, aber es wäre niemals genug.“

Die Geschichte und das Lied klingen nach, weil sie zweifellos den allgemeinen Ruf des menschlichen Herzens wiedergeben. Seit Eva mehr begehrte und der Versuchung der Schlange erlag, plagt Unzufriedenheit die Welt. Barnum aus The Greatest Showman ist ohne Zweifel beispielhaft für unsere westliche Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Niemals zuvor war so viel Überschuss mit so weitverbreiteter Unzufriedenheit gekoppelt. Wie viel ist genug? „Nur ein bisschen mehr“, scherzte John D. Rockefeller bekanntermaßen. Und auch wenn wir uns dem allgemeinen Ethos unserer Zeit widersetzen, so werden wir trotzdem beständig mit Werbung bombardiert, die uns zu überzeugen versucht, dass das, was wir jetzt haben, niemals genug sein kann.

„Niemals zuvor war so viel Überschuss mit so weitverbreiteter Unzufriedenheit gekoppelt.“
 

Wie spricht nun das Evangelium von Jesus Christus in diese Suche nach mehr hinein? Das zehnte Gebot, „du sollst nicht begehren“ (2Mose 20,17), bringt die Sache auf den Punkt. Der Große Westminster-Katechismus identifiziert in der Antwort auf die Frage 147 die hier erforderlichen Pflichten wie folgt: „völlige Zufriedenheit mit unseren eigenen Umständen, mit einer rechten und wohltätigen Haltung des Geistes gegenüber unserem Nächsten und all dem, was ihm gehört“. Wir sehen hier sowohl eine Gott-zugewandte als auch eine nach-außen-gewandte Gesinnung wahrer Zufriedenheit.

Der Gott-zugewandte Aspekt wird in der Einleitung zu den Zehn Geboten verständlich, wo der Herr Israel erinnert, dass er derjenige ist, „der ich dich aus dem Land Ägypten, aus dem Haus der Knechtschaft, herausgeführt habe“ (2Mose 20,2). Als Herr des Bundes hat Jahwe sein Volk aus der Sklaverei befreit und seine Herrschaft über die Schöpfung und alle sogenannten Götter dieser Welt demonstriert. Und dies tat er aus seiner großen Liebe für sie – nicht weil sie es verdient hätten. Der Herr hat sie nicht nur erlöst, sondern gab Israel auch das Land der Ruhe samt dem Versprechen, für ihre irdischen Bedürfnisse in künftigen Tagen zu sorgen.

Wir lernen hier, dass wahre Zufriedenheit darin gefunden wird, den Charakter Gottes und seine Geschichte der Treue zu kennen und auf seine souveräne Weisheit sowie seine Güte, mit welcher er uns versorgt, zu vertrauen. Weit entfernt von der stoischen Idee der passiven Resignation in unserem Schicksal ist fromme Zufriedenheit eine positive Versicherung, Freude und Dankbarkeit, dass Gott höchstpersönlich über uns wacht und all unsere Bedürfnisse stillt. Wahre Zufriedenheit heißt, in ihm erfüllt zu sein, seiner Treue zu vertrauen und an der Wahrheit festzuhalten, dass nichts hier auf der Erde mit dem Erbe, das uns in Ewigkeit erwartet, zu vergleichen ist. Wahre Zufriedenheit heißt, sich Gottes väterlicher Versorgung für uns frei zu fügen und uns daran zu erfreuen, was auch immer das sein mag.

Im Blick auf unseren Nächsten stellt sich eine Gesinnung der Zufriedenheit etwas komplizierter dar. Ironischerweise spricht dieses Gebot direkt über unseren Nächsten, und doch ist es das einzige Gebot, welches unser Nächster nicht sehen kann. Selbst wenn wir ein einfaches Leben führen, kann falsches Begehren vorhanden sein, oder unser Lebensstil wird einfach als persönliche Präferenz angesehen. Es gibt heutzutage auch einen gewissen Stolz und Status darin, absichtlich weniger zu haben. Minimalismus als Mittel zu persönlicher Weiterentwicklung und individuellem Frieden ist ein gewöhnlicher Ausdruck von Moral und falscher Religion. Im Gegensatz dazu besteht fromme Zufriedenheit in ehrlicher Freude an dem Wohlergehen unseres Nächsten, Eifer am Geben an Bedürftige und darin, ein Leben zu leben, welches die Gegenwart und Herrschaft Christi in unserer Situation und unserem Besitz bezeugt. Unsere Berufung liegt nicht nur darin, mit weniger zufrieden zu sein, sondern auch in einer Unzufriedenheit, wenn unser Nächster nicht genug hat – so sehr, dass wir dazu bereit sind, von unserem Besitz zu geben, um seine Nöte zu stillen. So besteht Zufriedenheit aus viel mehr als nur darin, schlichter zu leben als es uns möglich wäre.

Wie können wir also dem Sog des beschriebenen „Niemals genug“ von Barnum entkommen und als Salz und Licht in einer Welt leben, die niemals zufrieden ist? Die Antwort findet sich nicht in weniger Verlangen, sondern in einem anderen – nämlich inbrünstigem Verlangen nach den rechten Dingen. Wie Augustinus bekanntermaßen betete: „Unser Herz ist unruhig, bis es seine Ruhe in dir findet.“ Nur Christus kann unseren Hunger und Durst stillen (Joh 6,35), da er sich zuerst selbst vor Gottes Willen gedemütigt und dann durch sein perfektes Leben, seinen sühnenden Tod und seine siegreiche Auferstehung den Sieg errungen hat. Christus war vollkommen gehorsam und hat alles gewonnen, auch den Himmel selbst, was er uns frei aus Gnade durch den Glauben gibt. Wenn wir dann in dem Bewusstsein leben, dass er sich für uns hingab, jetzt gegenwärtig ist und uns niemals verlassen wird (Hebr 13,5), werden wir mit seiner täglichen Stärkung Zufriedenheit lernen und leben (Phil 4,12–13); bis zum letzten Tag, wenn wir alles in ihm erben werden. Zufriedenheit liegt nicht nur darin, weniger zu verlangen, sondern auch darin, ernsthaft das zu begehren, was niemals genommen werden kann.

Manchmal habe ich mich beim Abendmahl dabei ertappt, dass mich nach mehr als einem kleinen Stück Brot und einem kleinen Kelch verlangt. Aber in diesen Zeiten werde ich daran erinnert, dass das heilige Mahl nur ein Vorgeschmack auf das kommende Mahl ist. Obwohl es eine kleine Portion ist, ist es das, was Gott uns gegeben hat. Und wenn wir am Mahl teilnehmen, haben wir das Versprechen seiner Gegenwart – und seine Gegenwart ist immer mehr als genug.