Standhaft bleiben im geistlichen Kampf
Das letzte Buch von David Powlison (gestorben 2019) ist ein Meisterwerk. Hier verbinden sich jahrzehntelange Seelsorgeerfahrung, tiefgründige Theologie und biblische Weisheit auf nur 120 Leseseiten. Nicht nur für Pastoren und engagierte Seelsorger, sondern für die ganze Gemeinde sollte dies als freiwillige „Pflichtlektüre“ gelten, weil es jeden Christen unmittelbar betrifft. Diese Darlegung wird für viele Gläubige eine große Hilfe sein, die uns ermutigt, den geistlichen Kampf als eine notwendige Realität anzunehmen. Die Ausführungen können uns aber auch unnötige Ängste nehmen, Irrtümer und Illusionen aufzeigen bzw. korrigieren und gleichzeitig zu mehr Entschlossenheit führen, im geistlichen Kampf standhaft zu bleiben – unser Leben lang.
„Diese Darlegung wird für viele Gläubige eine große Hilfe sein, die uns ermutigt, den geistlichen Kampf als eine notwendige Realität anzunehmen.“
In Teil 1 (S. 19 ff.) erklärt David Powlison, was wir unter einem „geistlichen Kampf“ zu verstehen haben. Im 1. Kapitel wird zuerst „Die Realität des geistlichen Kampfes“ beschrieben. Powlison schildert kurz ein paar typische Situationen von Menschen, die sich mit Nöten und Sünden konfrontiert sehen und wie sie diese ganz unterschiedlich einordnen – vom rein menschlichen Versagen oder Unwillen bis hin zur teuflisch-dämonischen Besessenheit. Danach definiert und umschreibt er den Begriff der „geistlichen Kriegsführung“ bzw. „geistlichen Kampfführung“. Im Wissen, dass der Begriff als solcher nicht in der Bibel vorkommt, zeigt er vier Möglichkeiten auf, was damit gemeint ist (S. 24 f.). Erstens ist der geistliche Kampf ein „kosmischer Kampf“, also ein Kampf (auch) in der unsichtbaren Welt, der zwischen Gott und seinen Feinden ausgetragen wird. Zweitens ist er ein „moralischer Kampf“, in dem es inmitten der Anfechtungen gilt, im Vertrauen auf Gott die richtigen moralischen Entscheidungen zu treffen. Drittens steht er auch für „die Kämpfe des Lebens als Christ“, die uns tagtäglich herausfordern. Und viertens ist es „ein Kampf um die Herrschaft“, d.h. um die Frage, wem wir letztlich dienen wollen. Für David Powlison ist „die Realität von Satan“ (S. 26–29) keine Frage, aber der Teufel ist nicht immer so offensichtlich, sondern verbirgt sich häufig im normalen Alltag: „Der Böse ist nicht der Hauptdarsteller, doch er tritt nicht nur dann auf, wenn etwas ungewöhnlich Seltsames oder Böses vor sich geht. … Das alltägliche Böse ist das Geschäft des Teufels“ (S. 26).
Die Kapitel 2 und 3 befassen sich mit dem Epheserbrief, insbesondere mit der „Waffenrüstung Gottes“ in Epheser 6. In Kapitel 2 geht Powlison zuerst auf „Paulus’ Sicht des geistlichen Kampfes“ (S. 31 ff.) ein. Aufbauend auf die vier Aspekte, wie uns die Bibel hilft, den geistlichen Kampf zu verstehen (Kapitel 1), beleuchtet er nun „vier Kernwahrheiten“, die Paulus in diesem Abschnitt zum Ausdruck bringt. Erstens „ist wichtig, daran zu denken, dass Epheser 6,10–20 kein neues Thema einführt. … Dieser Abschnitt fasst alles zusammen, was Paulus bereits gesagt hat, und setzt ein Ausrufezeichen dahinter“ (S. 33). Denn der gesamte Brief handelt von unseren Herausforderungen mit der Finsternis, die uns in ganz unterschiedlichen Facetten begegnet. Zweitens sei es „wichtig, daran zu denken, dass geistlicher Kampf gemeinsam geschieht, als Leib Christi“ (S. 35). Drittens sei wichtig, dass wir ein richtiges Verständnis der von Paulus beschriebenen Waffenrüstung Gottes haben (S. 36). Und schließlich ist es viertens wichtig, „dass wir uns den geistlichen Kampf richtigerweise als Angriff vorstellen, nicht als Abwehr“ (S. 36).
Wie biblisch fundiert das Seelsorgeverständnis von David Powlison ist, lässt sich vielleicht am besten daran festmachen, wie er die Waffenrüstung Gottes in Epheser 6 interpretiert. Viele Deutungen in Predigten oder Kommentaren knüpfen (durchaus naheliegend) an die römische Soldatenausrüstung an. David Powlison hingegen geht nach dem reformatorischen Prinzip vor, welches besagt, dass die Bibel mit der Bibel auszulegen sei. Das beginnt damit, dass er diesen Abschnitt als logische Fortsetzung des bisher Gesagten des Epheserbriefes einordnet. Deshalb versteht er die Waffenrüstung als das Mittel zur Heiligung. So macht er die Feststellung, dass wir es eben nicht nur mit Abwehrwaffen zu tun haben, sondern dass diese im Kontext eines Angriffs zu verstehen sind, d.h. sie symbolisieren Aspekte von Gottes Kraft, Macht und Autorität, die in uns und durch uns wirken. In Kapitel 3 „Gottes Waffen und Gottes Berufung“ (S. 41) gräbt er nach den biblischen Wurzeln und bringt jeden Ausrüstungsgegenstand in unmittelbaren Bezug zu entsprechenden Aussagen aus dem Alten Testament.
In Teil 2 (S. 55 ff.) wird die „Seelsorge unter der Realität des geistlichen Kampfes“ beleuchtet. Da David Powlison weiß, wie schwierig und hart das Leben sein kann und wie schwach wir oft sind, verweist er in Kapitel 4 nochmals auf die geistliche Realität, wie sie uns im gesamten Epheserbrief begegnet: „Dieser spezielle Brief wirft den Blick auf die Höhen dessen, was Christus für uns getan hat und was sein Geist in uns tut“ (S. 58). Außerdem hält er uns zwei Vorbilder vor Augen: „Wie wir bereits besprochen haben, beschreibt die Waffenrüstung Gottes unseren Herrn selbst in seiner Mission, wie er seine eigenen Waffen trägt und verkörpert. In seinem Leben, seinem Tod und seiner Auferstehung triumphierte Jesus über die Mächte der Finsternis“ (S. 59). Powlison betont dabei die Wichtigkeit des Gebets „inmitten unseres Kampfes gegen das Böse“ (S. 61) und dass wir gerade durch das flehentliche Gebet ein Bewusstsein unserer totalen Abhängigkeit von Gott zum Ausdruck bringen: „Die Realität des geistlichen Kampfes lehrt den Seelsorger und den Ratsuchenden, dass wir unaufhörlich vom guten Hirten abhängig bleiben müssen. Wir bringen diese Abhängigkeit zum Ausdruck, indem wir allezeit beten, für alle, die zu Gottes heiliger Familie gehören, und ganz besonders für diejenigen, die Gott unserer Leitung und Hilfe anvertraut hat“ (S. 63).
Die bisherigen Ausführungen werden schließlich in den verbleibenden Kapiteln 5 bis 10 auf ganz unterschiedliche Situationen angewandt. Angefangen von den gewöhnlichen Alltagskämpfen, wie z.B. Wut, Angst, aber auch Suchtverhalten, bis hin zu okkulten und bizarren Phänomenen, und dann auch der letzte irdische Kampf im Angesicht des eigenen Sterbens. Die seelsorgerlichen Beispiele werden jeweils mit konkreten biblischen Wahrheiten verknüpft – mit der Überzeugung, dass Gottes Wort Kraft besitzt und durch die Heiligung das Ziel verfolgt, uns durch Christi Gnade aus Schuld und Not zu retten. Da die Ausführungen auch immer mit praktischen und realen Beispielen verbunden werden, sind sie gut nachvollziehbar und geben hilfreiche Impulse, wie das Gesagte im Alltag für sich selber und in der Begleitung anderer angewendet werden kann.
„Alles in allem ist das ein hervorragendes Buch, das unbedingt zum Allgemeinwissen und ABC seelsorgerlicher Arbeit gehören sollte!“
Im Anhang (S. 111 ff.) verweist David Powlison auf die «Methoden Jesu – und unsere» anhand von elf kurzen Beispielen, um aufzuzeigen, auf welche Weise wir Jesus (nicht) nachahmen sollten. Diese Differenzierung ist für die seelsorgerliche Aufgabe von größter Bedeutung und bewahrt uns vor falschverstandener oder scheinbarer Vollmacht und Autorität. Es lohnt sich, diesen Anhang nicht einfach als «Anhang» zu überfliegen, sondern ihn vielmehr quasi als „Kapitel 11“ genauso achtsam zu bedenken wie die übrigen Kapitel. Ich meine, hier steht ein entscheidender Schlüssel zur Verfügung für ein biblisch reflektiertes Seelsorgeverständnis: „Es gibt einige offensichtliche Unterschiede zwischen dem, was Jesus tat und was wir tun sollen; es gibt auch Kontinuitätslinien. Die Bibel lehrt uns, beides voneinander zu unterscheiden. In diesem Anhang werden wir elf Beispiele von Jesu Werken betrachten, die wir in anderer Weise als unser Meister tun sollen. Drei Aspekte sollten wir an jedem Beispiel wahrnehmen. Erstens: Jesus ging auf echte menschliche Nöte ein, die es auch heute noch gibt. Zweitens: Jesus führt eine bestimmte Handlung in einer ungewöhnlich plakativen und gebietenden Art und Weise, in der Befehlsform aus: ‘Ich sage es. Es geschieht.’ Drittens: Uns wird aufgetragen – durch Vorgabe oder Vorbild –, die gleiche Handlung auszuführen, aber auf andere Art und Weise, in der klassischen Form von Glaube und Gehorsam» (S. 111).
David Powlison widersteht konsequent einer „Erfahrungstheologie“, die scheinbar in der Praxis „funktioniert“, aber wenig biblische Grundlagen bietet. Besonders bei den Fällen, die mit bösen Geistern und Dämonen in Zusammenhang gebracht werden, verzichtet er auf eine „Sonderbehandlung“, wie es teilweise in sogenannten „Befreiungsdiensten“ üblich ist.
Alles in allem ist das ein hervorragendes Buch, das unbedingt zum Allgemeinwissen und ABC seelsorgerlicher Arbeit gehören sollte!
Buch
David Powlison. Standhaft bleiben im geistlichen Kampf. Waldems: 3L, 2021. 132 Seiten, 11,50 Euro. Das Buch kann auch direkt beim Verlag bestellt werden.