Wie man (nicht) über die Propheten predigen sollte

Artikel von Nick Roark
4. Februar 2022 — 7 Min Lesedauer

Die Botschaft des Alten Testaments treu zu verkündigen ist immer eine Herausforderung. Aber treu die Botschaft der alttestamentlichen Propheten zu predigen, ist vielleicht die größte Herausforderung von allen. „Die Bücher der Propheten Israels gehören zu den schwierigsten Büchern des Alten Testaments und wahrscheinlich zu den schwierigsten Büchern, die je geschrieben wurden.“[1] So sah es auch Luther, als er schrieb: „Die Propheten haben eine seltsame Art zu reden, wie Leute, die, anstatt geordnet vorzugehen, von einer Sache zur anderen abschweifen, so dass man weder Kopf noch Schwanz erkennen kann noch weiß, worauf sie hinauswollen.“[2]

Wenn wir aber den Gläubigen den ganzen Ratschluss Gottes verkündigen möchten, dürfen wir die Propheten trotz dieser Schwierigkeiten nicht vernachlässigen oder gar meiden (Apg 20,27). Anstatt zu erläutern, was du tun solltest, findest du hier eine kurze Liste von Dingen, du die nicht tun solltest, wenn du aus den Propheten predigst. Bei den folgenden Punkten handelt es sich um eine „Das-solltest-du-nicht-tun“-Checkliste.

1. Predige nicht über den Propheten. Predige die Botschaft des prophetischen Buchs.

Was du beim Predigen der alttestamentlichen Propheten zuallererst vermeiden solltest, ist eine Predigt über den Propheten. Predige stattdessen die Botschaft des göttlich inspirierten Buchs, das den Namen des Propheten trägt.

Die Propheten des Alten Testaments sind bunte Gestalten. Jesaja entledigte sich all seiner Kleider und wanderte drei Jahre lang nackt umher (Jes 20,1–3). Jona, der widerspenstige Prophet, floh in einem Boot vor dem Herrn, dem Gott des Himmels, der das Meer und das trockene Land gemacht hat (Jona 1,1–3). Jeremia versteckte seinen Lendenschurz in einer Felsspalte am Euphrat (Jer 13,1–6). Hosea heiratete pflichtbewusst eine Prostituierte, um dem Gebot des Herrn zu gehorchen (Hos 1,2–3). Bei einem so interessanten biografischen Material, mit dem man arbeiten kann, lässt man sich als Prediger leicht dazu verleiten, die Propheten als eine Art altisraelitischer Memoiren zu behandeln. Aber die prophetischen Bücher sind keine Biographien der Propheten. In vielen Fällen wissen wir nur wenige Details über ihr persönliches Leben.

Statt über die Propheten zu predigen, besteht die Aufgabe des treuen Auslegers darin, die Botschaft der von Gott eingegebenen prophetischen Bücher zu verkündigen – der heiligen Schriften, die in der Lage sind, ihre Hörer weise zu machen für die Errettung durch den Glauben an Christus Jesus (2Tim 3,15; 4,2). Dies erfordert ein betendes und sorgfältiges Lesen und Wiederlesen der prophetischen Bücher, ein Meditieren bei Tag und bei Nacht (Ps 1) sowie die Bitte um und das Empfangen von Weisheit vom Herrn selbst. Denn: „Wer ist so weise, dass er das einsehe, und so klug, dass er das verstehe? Denn die Wege des HERRN sind richtig, und die Gerechten wandeln darauf; aber die Übertreter kommen auf ihnen zu Fall“ (Hos 14,9).

2. Fokussiere dich nicht ausschließlich auf Israel. Betone Gottes wunderbare globale Absichten für alle Nationen.

Die zweite Sache, die beim Predigen aus den alttestamentlichen Propheten vermieden werden sollte, ist die ausschließliche Fokussierung auf Israel. Es ist leicht, die Propheten zu lesen und zu denken, dass es in diesen Büchern nurdarum geht, wie der Herr in der Vergangenheit mit Israel gehandelt hat. Nach der Lektüre der prophetischen Bücher könnten manche Christen sogar das Gefühl bekommen, sie hätten gelesen, was eigentlich an die Adresse eines anderen gehen sollte! Schließlich gehören den Israeliten „die Sohnschaft und die Herrlichkeit und die Bündnisse … und die Gesetzgebung und der Gottesdienst und die Verheißungen; ihnen gehören auch die Väter an, und von ihnen stammt dem Fleisch nach der Christus, der über alle ist, hochgelobter Gott in Ewigkeit. Amen!“ (Röm 9,4–5).

„Die Vergangenheit Israels war die göttliche Leinwand, auf die Gott seine Pläne für die Zukunft malte. Israels Vergangenheit ist der Prolog für die Welt.“
 

Gewiss, die prophetischen Bücher informieren uns über historische Ereignisse, die in Israels Vergangenheit stattfanden. Aber die Vergangenheit Israels war die göttliche Leinwand, auf die Gott seine Pläne für die Zukunft malte.[3] Israels Vergangenheit ist der Prolog für die Welt. In Gottes Zukunftsplänen geht es nicht nur um Israel, sondern auch um seine wunderbaren globalen Absichten für alle Nationen. Die Propheten verkünden die Endzeitvision aus dem Pentateuch, in der Gott verspricht, die ganze Welt durch Abraham und seine Nachkommen zu segnen (1Mose 12,3; 22,17–18; 49,10; Gal 3,16).

Diese wunderbare Hoffnung soll nicht nur das Haus Jakob dazu bringen, im Licht des Herrn zu wandeln. Gott will, dass sein Heil bis an die Enden der Erde reicht (Jes 2,2–5; 49,6; 52,10). Nicht nur ist die ganze Welt gegenwärtig von seiner Herrlichkeit erfüllt (Jes 6,3), sondern eines zukünftigen Tages wird „die Erde … erfüllt werden von der Erkenntnis der Herrlichkeit des HERRN, gleichwie die Wasser den Meeresgrund bedecken“ (Hab 2,14). Eines Tages werden der Himmel und die Erde neu gemacht (Jes 65,17). Du musst diese globale gute Nachricht verkünden, wenn du die Propheten predigst.

3. Predige nicht nur göttliches Gericht. Verweise auf Christus und die leuchtende Hoffnung des Neuen Bundes.

Prophetische Verkündigung wird oft mit der ernsten Ankündigung eines drohenden Unheils in Verbindung gebracht. Und das aus gutem Grund! Das Thema des göttlichen Gerichts zieht sich durch alle Propheten. Wenn du versuchst, die prophetischen Bücher auslegend zu predigen, dann musst du auch den Zorn Gottes über die Sünden seines Volkes ansprechen. Ungehorsam hat Konsequenzen. Die Propheten erinnern das untreue Volk Gottes ständig an die erstmals in 5. Mose 28 angekündigten Flüche, die dem Ungehorsam folgen. Somit ist die Verkündigung der prophetischen Bücher oft die Exegese einer Exegese, weil diese Bücher frühere biblische Texte auslegen und anwenden. Deshalb sind die prophetischen Bücher auch so voll von biblischen Texten.

Aber ebenso wie die Propheten die Warnungen des Pentateuchs vor dem göttlichen Gericht auslegen und anwenden, beleuchten sie auch auf wunderbare Weise die herrliche Hoffnung auf den kommenden Messias und die Verheißung des Neuen Bundes. Vor dem dunklen Hintergrund des Versagens des Volkes Gottes durch Ungehorsam und Unglauben steht die leuchtende Vision des ewigen davidischen Königs und der Errichtung eines ewigen Reiches durch einen neuen Bund (Jes 9,6–7; Jer 31,32–34). Die wunderbaren globalen Absichten Gottes, die in den Propheten offenbart werden, gehen über die Verwüstungen des Exils hinaus und konzentrieren sich auf die Ankunft dieses zukünftigen David-Königs (Hes 34,23).

An anderer Stelle sagt der Herr, dass dieser Neue Bund eine Neusammlung seines Volkes durch eine Art neuen Exodus (Hes 36,26–28; vgl. 5Mose 30,3–4) und eine neue Ausgießung seines Geistes beinhalten wird. Das ganze Volk Gottes wird dabei ein neues Herz erhalten, um seinem König zu vertrauen und ihm zu gehorchen (Joel 2,28–29; Apg 2,14–21). Die Propheten hegen sogar die Hoffnung, dass der König der ganzen Schöpfung eine neue Schöpfung, einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen wird, in denen alle Völker den Herrn anbeten werden (Jes 65,17; 66,22–23).

„Verkündige die Propheten, indem du deine Zuhörer auf den Kommenden hinweist, den die alttestamentlichen Propheten alle zu sehen ersehnten.“
 

Zu einer treuen Verkündigung der prophetischen Bücher gehört es, die Gläubigen immer wieder auf Jesus Christus hinzuweisen, den Samen Abrahams, den Sohn Davids, den Propheten wie Mose, den leidenden Gottesknecht, der gehorsam war bis zum Tod, sogar bis zum Tod am Kreuz, der den Neuen Bund eingeweiht und die Gemeinde Gottes mit seinem eigenen Blut erkauft hat (Lk 22,20; Apg 20,28). „Doch er wurde um unserer Übertretungen willen durchbohrt, wegen unserer Missetaten zerschlagen; die Strafe lag auf ihm, damit wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt worden. Wir alle gingen in die Irre wie Schafe, jeder wandte sich auf seinen Weg; aber der HERR warf unser aller Schuld auf ihn“ (Jes 53,5–6).

Jesus Christus, der auferstandene Herr, lehrte seine Jünger, ihn bei den Propheten zu suchen. „Und er begann bei Mose und bei allen Propheten und legte ihnen in allen Schriften aus, was sich auf ihn bezieht“ (Lk 24,27; siehe auch 1Pt 1,10–12). Verkündige also die Propheten, indem du deine Zuhörer auf den Kommenden hinweist, den die alttestamentlichen Propheten alle zu sehen ersehnten. „Von diesem legen alle Propheten Zeugnis ab, dass jeder, der an ihn glaubt, durch seinen Namen Vergebung der Sünden empfängt“ (Apg 10,43).


[1] Delbert R. Hillers, Covenant: The History of a Biblical Idea, Baltimore: Johns Hopkins Press, 1969, 124.

[2] Martin Luther, zitiert in Gerhard von Rad, Old Testament Theology, 2. Aufl., New York: Harper & Row, 1965, 33.

[3] John Sailhamer, Biblical Prophecy, Grand Rapids, MI: Zondervan, 1998, 47.