Gottesdienst verstehen – gestalten – feiern
Fundierte Veröffentlichungen zum Thema freikirchlicher Gottesdienstgestaltung sind Mangelware. Umso mehr ist dieses Buch aus der Feder des Schweizer Experten für freikirchliche Gottesdienste sowie Professors für Praktische Theologie an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule in Basel (Schweiz) zu begrüßen.
Zum Hintergrund: Schweyer beschäftigt sich schon seit Jahren mit dem Thema Gottesdienst, zuletzt in seiner bei der Evangelischen Verlagsanstalt in Leipzig erschienenen Habilitationsschrift Freikirchliche Gottesdienste: Empirische Analysen und theologische Reflexion (siehe dazu diese Rezension). Dass die über 600 Seiten umfassende Habilitationsschrift binnen weniger Monate drei Auflagen erreichte, spricht für sich. Es verdeutlicht nicht nur die Aktualität des Themas, sondern spricht auch für die Kompetenz des Autors.
Mit dem vorliegenden Buch will Schweyer weniger die Theologen erreichen, sondern vor allem Personen, die Gottesdienste aktiv gestalten, seien es Anbetungsleiter, Gottesdienstleiter oder Verkündiger.
Das Buch ist in drei Hauptteile gegliedert: I. Gottesdienst verstehen (S. 9–82), II. Gottesdienst gestalten (S. 83–180) und III. Gottes im Rhythmus der Zeit (S. 181–218).
Im ersten Teil „Gottesdienst verstehen“ geht der Autor zunächst auf die Fragen ein: „Was ist Gottesdienst?“ und bietet eine kurze „Theologie des Gottesdienstes”. Er fasst zusammen:
Gottesdienst ist die Feier, in der der lebendige Gott seiner versammelten Gemeinde begegnet. Diese Begegnung erfolgt im wechselseitigen Dialog, in Wort und Antwort. Sie wird ermöglicht durch das Erlösungswerk von Jesus Christus und durch das Wirken des Heiligen Geistes. Die auf der Erde feiernde Gemeinde verbindet sich mit dem himmlischen Gottesdienst und dem Gottesdienst der weltweiten Kirche zu allen Zeiten und an allen Orten. So wird im Gottesdienst ‚ein Stück Tempel‘ Wirklichkeit: Gott wohnt unter uns.“ (S. 22)
Im Anschluss an diese Klärung geht Schweyer auf verschiedene Aspekte gottesdienstlichen Geschehens ein: „Aus dem biblischen Zeugnis lernen“, „Gott spricht zu uns“, „Wir reden zu Gott“ und „Wir reden miteinander“ (S. 9–30). Es folgt ein Überblick über Gottesdienstabfolgen in verschiedenen konfessionellen Traditionen (S. 31–40). Der Autor selbst legt folgenden Ansatz vor: Sammlung, Sendung, Wort und Antwort (S. 40–45). Unter dem Aspekt des allgemeinen Priestertums werden die verschiedenen an einem Gottesdienst beteiligten Personen vorgestellt und ihre Aufgaben erörtert (S. 46–54), bevor weitere Fragestellungen diskutiert werden. Nämlich: „Wie spontan soll es sein?“ (S. 55–61), „Wie evangelistisch soll es sein?“ (S. 62–67) und „Wie digital kann es sein?“ (S. 68–75). Eine Diskussion der Frage „Was ist mit dem alltäglichen Gottesdienst?“ (S. 76–82) rundet den ersten Hauptteil ab.
„Es wäre zu wünschen, dass Gemeindeleitungen das Buch gemeinsam mit allen Gottesdienstmitarbeitern durcharbeiten.“
Im zweiten Hauptteil wendet sich der Verfasser Gestaltungsfragen zu und geht auf folgende Aspekte ausführlich ein. Einige Antworten stelle ich hier anhand von Zitaten vor (ausgelassen sind: Singen, Abendmahl, Informationen, Kollekte, Gebäude und Raum):
Eröffnung des Gottesdienstes
„Die ersten Worte, die im Gottesdienst gesprochen werden, bilden so etwas wie die Ouvertüre des Gottesdienstes. Sie bestimmen den Grundton. Gleich von Anfang an soll unmissverständlich deutlich werden: Hier wird Gottesdienst gefeiert, hier geht es um Gott.“ (S. 88)
Die Bibel im Gottesdienst
„Wenn jemand nach dem Gottesdienst nach Hause geht und Freude und Lust hat, selbst in der Bibel zu lesen und sich an ihr zu orientieren, hat der Gottesdienst genau gewirkt, wie er wirken soll. Der Gottesdienst bietet ein Konzentrat an Umgangsformen mit der Bibel, welcher sich im Alltag weiter entfalten kann. Im Gottesdienst werden wir zur Bibellektüre angeregt.“ (S. 100–101)
Gebet
„Das Beten im Gottesdienst macht Lust auf mehr Beten. Es formt das alltägliche Beten. Im Gottesdienst lerne ich, wie ich beten kann, und zwar nicht nur dadurch, dass ich eine Predigt übers gebet höre, sondern vor allem dadurch, dass ich selbst schon mit ins Beten hineingenommen werde, Das gottesdienstliche Beten formt mein Gebetsleben.“ (S. 114)
Predigt
„Wenn man den ganzen Gottesdienst im Blick hat, entlastet das die predigt. Die Predigt muss nicht alles sagen und nicht alles leisten. Sie konzentriert sich auf ihre Aufgaben nämlich die Auslegung eines konkreten Bibeltextes.“ (S. 132)
Charismen
„Gabengemäßer Einsatz im Gottesdienst zeigt sich nicht nur in spontanen Beiträgen, sondern in allen Handlungen … Bei allen [Gaben] geht es darum, dass das Potenzial, das Gott in sie hineingelegt hat, zum Wohl der Gemeinde und der Welt zur Entfaltung kommt.“ (S. 152)
Sendung und Segnung
„Im Segen verbinden sich zwei Beziehungsrichtungen. Einerseits beinhaltet der Segen Worte, die von Menschen zu anderen Menschen gesprochen werden … Andererseits ist es Gott selbst, von dem der Segen kommt. Das heißt also: Beim Segen spricht ein Mensch einem anderen Menschen etwas zu, was nur Gott geben kann.“ (S. 170)
Im dritten und letzten Hauptteil geht Schweyer auf den Sonntag als Versammlungstag (S. 183–190), das Kirchenjahr (S. 191–199), die Kasualien (S. 200–209) sowie abschließend auf das Tagesgebet ein. Vor allem hinsichtlich des Kirchenjahres gilt, was Schweyer in einer Überschrift festhält: „Die Chancen des Kirchenjahres nutzen“ (S. 198).
Dieses Buch leistet einen ganz wesentlichen Beitrag zu einem reflektierten Gottesdienstverständnis im freikirchlichen Kontext. Die Lektüre dieser wichtigen Neuerscheinung kann allen am Gottesdienstgeschehen Beteiligten nur wärmstens empfohlen werden. Es wäre zu wünschen, dass Gemeindeleitungen das Buch gemeinsam mit allen Gottesdienstmitarbeitern durcharbeiten, ihre eigenen Gottesdienste reflektieren und Impulse aus dem Buch in ihre Gottesdienstgestaltung einfließen lassen.
Buch
Stefan Schweyer, Gottesdienst verstehen – gestalten – feiern. Grundlagen und praktische Impulse, Gießen: Brunnen Verlag, 2021, 224 S.