Das Gleichnis vom verlorenen Schaf und dem verlorenen Groschen
Der Kontext für die Gleichnisse vom verlorenen Schaf und dem verlorenen Groschen, die dem berühmten Gleichnis vom verlorenen Sohn vorangehen, ist die Kritik der Pharisäer an Jesus, dass er Zeit mit „Sündern“ verbringe. Er empfängt sie und isst mit ihnen. Jesus verbringt Zeit mit Menschen, die von den Pharisäern und Schriftgelehrten (den Ultragesetzlichen seiner Zeit) als unwürdig, unwillkommen und nicht akzeptabel für Gott gesehen werden. Das Problem ist simpel: Wenn Jesus der ist, der er behauptet zu sein (und die Pharisäer sehen in ihm zumindest einen heiligen Mann, der für Gott spricht), wie kann er dann mit solch unerträglichen „Sündern“ Zeit verbringen?
Indem Jesus durch Gleichnisse auf die Kritik der Pharisäer antwortet, lenkt er das Gespräch meisterlich um: Zweifellos repräsentiert das Handeln Jesu den wahren Herzschlag der himmlischen Freude.
Schauen wir uns zunächst einmal an, wie er das Gespräch in den einzelnen Gleichnissen neu ausrichtet, und wenden dies dann auf unsere Situation im 21. Jahrhundert an.
Beginnen wir mit dem Gleichnis vom verlorenen Schaf. Die Geschichte ist bekannt. Ein Mann, der hundert Schafe besitzt, verliert eines. Was tut er? Lässt er das eine unbeachtet und konzentriert sich auf die große Mehrheit der Schafe, die bei ihm sicher ist und auf die er aufpasst? Oder vergisst er die 99 und geht dem einen nach? Oder gibt es einen Kompromiss, der ihm erlaubt, den Dienst auf das eine Schaf oder auf die 99 Schafe zu konzentrieren, um beidem gerecht zu werden? Da den Zuhörern seinerzeit der Vergleich von Gottes Volk mit Schafen nur allzu bekannt war, hätten die ursprünglichen Zuhörer sofort begriffen, dass Jesus hier über Menschen spricht und nicht über Schafe. Jesu radikale Aussage scheint unumgänglich, da seine Frage aufdeckt, wie seine Zuhörer im Bezug auf echte Schafe gehandelt hätten: Sie hätten die 99 verlassen, um das Eine zu suchen.
Für diejenigen von uns, die in städtischer Umgebung groß geworden sind, lohnt sich eine kurze Erinnerung an die Dummheit von Schafen. Sie verlaufen sich schnell. Sie fallen einfach um und scheinen dann nicht zu wissen, wie sie aufstehen können. Wenn irgendeine Dienstbeschreibung auf die pastorale Arbeit zutrifft, so ist es der Hirtendienst. Wir alle irren umher wie Schafe. Dieses erste Gleichnis unterstreicht, dass, obwohl jemand in die Irre gegangen ist, „gesündigt“ und gegen religiöse Maßstäbe verstoßen hat, die Verantwortung des Hirten darin liegt, sich auf den Einen zu konzentrieren und nicht auf die 99. Darüber hinaus ist die Belohnung für denjenigen, der sich auf das eine Schaf konzentriert, die Freude im Himmel.
„Wenn es uns an Freude im christlichen Leben oder in unseren Gemeinden mangelt, besteht die Abhilfe darin, die Verlorenen zu finden.“
Auch das zweite Gleichnis, das von der verlorenen Münze, spricht dieselbe Sprache, obwohl der Kontext uns etwas ferner erscheint. Warum würde eine Frau „zehn Silbergroschen” haben? Die meisten Ausleger haben sich im Laufe der Jahre darauf geeinigt, dass es sich bei der Frau um eine junge, unverheiratete Frau handelt. Die zehn Silbermünzen sind ihre Mitgift, die sie sorgfältig gespart und vielleicht als Zeugnis ihrer Heiratsfähigkeit im Haar getragen hat. Demnach ist der Verlust eines Silbergroschens nicht nur vergleichbar mit einem großen finanziellen Verlust, sondern auch mit der verlorenen Aussicht auf eine baldige Heirat. Der Schwerpunkt dieser Geschichte liegt also nicht so sehr auf dem „Zurücklassen“ (vermutlich kann man die neun übrig gebliebenen Silbermünzen während der Suche an einem sicheren Ort aufbewahren), sondern auf der Anstrengung und dem Fleiß, die erforderlich sind, um eine verlorene Münze wiederzufinden. Der Schlusspunkt ist erneut die Freude, die sich daraus ergibt. Dieses Mal ist es die Freude in der Gemeinschaft mit ihren Freundinnen, die für die Freude der Engel Gottes über einen bußfertigen Sünder steht.
Was können wir also aus diesen Gleichnissen für den heutigen Dienst lernen? Erstens ist die große Kluft im gegenwärtigen Dienst zwischen denen, die sich nur auf „Suchende“ konzentrieren, und denen, die nur Christen unterrichten wollen, eine unbiblische Kluft, die nicht die größere biblische Dynamik widerspiegelt. Fordert Paulus nicht Timotheus (einen Hirten, der Christen lehrt) auf, die Arbeit eines Evangelisten zu tun? Zweitens: Wenn es uns an Freude im christlichen Leben oder in unseren Gemeinden mangelt, besteht die Abhilfe darin, die Verlorenen zu finden.