Gericht und Gnade unseres größeren Josua

Artikel von Nancy Guthrie
15. November 2021 — 6 Min Lesedauer

Josua sollte Gottes Volk anführen, um das verheißene Land in Besitz zu nehmen. Doch der Schlachtplan, den er zu diesem Zweck erhielt, war – gelinde gesagt – unkonventionell:

„Darum sollt ihr um die Stadt ziehen, alle Kriegsleute, einmal rings um die Stadt herum. So sollst du es sechs Tage lang tun. Und sieben Priester sollen sieben Hörner des Halljahres vor der Lade hertragen; und am siebten Tag sollt ihr siebenmal um die Stadt ziehen, und die Priester sollen in die Schopharhörner stoßen. Und es soll geschehen, wenn man das Horn des Halljahres bläst und ihr den Ton des Schopharhornes hört, so soll das ganze Volk ein großes Kriegsgeschrei erheben. Dann werden die Stadtmauern in sich zusammenstürzen, und das Volk soll hinaufsteigen, jeder gerade vor sich hin!“ (Jos 6,3–5)

Zu antiken Schlachten gehörte normalerweise viel Lärm – nicht nur das Getöse von klirrenden Schwertern und Pferdehufen, sondern auch das Geschrei und die Gesänge der sich gegenüberstehenden Heere, die mit Großtuerei versuchten, den Gegner einzuschüchtern. Dagegen machten sich die Israeliten sechs Tage lang täglich auf und umrundeten die Mauern Jerichos in absoluter Stille. Während dieser Tage des schweigenden Marschierens packte die Kanaaniter innerhalb der Mauern von Jericho wohl zunehmend die Angst, die Ahnung, dass etwas Schreckliches passieren würde. Ihre Angst war berechtigt, denn schließlich kam der siebte Tag:

„Da erhob das Volk ein Kriegsgeschrei, und [die Priester] stießen in die Schopharhörner. Als nun das Volk den Schall der Hörner hörte und ein großes Kriegsgeschrei erhob, da stürzte die Mauer in sich zusammen, und das Volk drang in die Stadt ein, jeder gerade vor sich hin. So nahmen sie die Stadt ein. Und sie vollstreckten den Bann an allem, was in der Stadt war, mit der Schärfe des Schwertes, an Männern und Frauen, Jungen und Alten, Rindern, Schafen und Eseln.“ (Jos 6,20–21)

Gericht durch unseren größeren Josua

Wir haben hier im Buch Josua ein Bild dafür, wie unser größerer Josua uns am Ende der Menschheitsgeschichte in Gottes Land bringen wird – mit einem lauten Ruf und Posaunenschall. Paulus schreibt an die Thessalonicher:

„… denn der Herr selbst wird, wenn der Befehl ergeht und die Stimme des Erzengels und die Posaune Gottes erschallt, vom Himmel herabkommen, und die Toten in Christus werden zuerst auferstehen. Danach werden wir, die wir leben und übrig bleiben, zusammen mit ihnen entrückt werden in Wolken, zur Begegnung mit dem Herrn, in die Luft, und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit.“ (1Thess 4,16–17)

Dieser alttestamentliche historische Bericht weist über sich selbst hinaus darauf, wie unser größerer Josua an jenem Tag Gericht halten wird, wenn an allen, die in Bosheit und Unglauben verharren, „der Bann vollstreckt wird“. An diesem großen und schrecklichen Tag, an dem Christus wiederkommt, wird alle diejenigen, die sein vergossenes Blut und seine vollkommene Gerechtigkeit als ihre einzige Hoffnung abgelehnt haben, das gleiche Schicksal treffen wie die Bewohner Jerichos. Reiche und Arme, Große und Kleine, Junge und Alte werden Gottes Zorn zu spüren bekommen, wenn der Befehlshaber über die Heere des Herrn, der schon die Heere Israels anführte, um sämtliche Einwohner Jerichos zu töten, die vollständige und endgültige Zerstörung der Stadt der Menschen herbeiführen wird.

Gnade durch unseren größeren Josua

Aber dieses Buch, das ein Bild des göttlichen Gerichts über die Kanaaniter zeichnet, führt uns auch deutlich vor Augen, was mit jenen geschieht, die zwar das Gericht verdient haben, aber um Erbarmen flehen.

„So ließ Josua die Hure Rahab leben samt dem Haus ihres Vaters und allen ihren Angehörigen; und sie blieb mitten in Israel wohnen bis zu diesem Tag …“ (Jos 6,25)

Moment mal. Eine Prostituierte samt ihrer Familie waren die einzigen Leute, die in Jericho verschont blieben? Wer ist diese Frau, und warum wurde sie am Leben gelassen? Josua 2 überliefert uns die Geschichte von den beiden Spionen, die ausgesandt wurden, bevor das restliche Israel nach Kanaan übersetzte. Sie suchten sich einen Ort, an den ein Ausländer möglichst unbemerkt gelangen und dabei Informationen über die Stadt sammeln konnte – das Haus bzw. die Herberge einer Hure namens Rahab.

„Für jeden Einzelnen, wer auch immer er sein mag, der Gottes Barmherzigkeit sucht, so lange sie noch zu finden ist, ist eine Errettung wie die Rahabs nicht nur eine Wahrscheinlichkeit, sondern gewiss.“
 

Doch offenbar blieb die Anwesenheit dieser Männer nicht unbemerkt. Der König sandte Boten zu Rahabs Haus, die befahlen, die beiden Spione herauszubringen. Rahab stand nun vor einer schwierigen Entscheidung. Wenn sie die beiden Männer auslieferte, dann würde man sie sicherlich belohnen. Verbarg sie sie aber, würde sie damit Verrat an Jericho und seinem König begehen, und im Falle einer Entdeckung würde man sie töten. Trotzdem tat sie Letzteres, sie nahm das Risiko auf sich. Wie kam sie dazu?

„Ehe aber die Männer sich schlafen legten, stieg sie zu ihnen auf das Dach hinauf und sprach zu ihnen: Ich weiß, dass der HERR euch das Land gegeben hat; denn es hat uns Furcht vor euch überfallen, und alle Einwohner des Landes sind vor euch verzagt. Denn wir haben gehört, wie der HERR das Wasser des Schilfmeeres vor euch ausgetrocknet hat, als ihr aus Ägypten gezogen seid, und was ihr den beiden Königen der Amoriter, Sihon und Og, jenseits des Jordan, getan habt, an denen ihr den Bann vollstreckt habt. Und als wir dies hörten, da wurde unser Herz verzagt, und es ist kein rechter Mut mehr in irgendjemand vor euch; denn der HERR, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf Erden!“ (Jos 2,8–11)

Man hatte in Kanaan davon gehört, wie Jahwe sein Volk aus Ägypten herausgeholt und durch das Rote Meer gebracht hatte und wie er ihnen den Sieg über all jene geschenkt hatte, die sich ihnen in den Weg stellten. Deshalb fürchteten sich die Kanaaniter vor den Israeliten, denn sie fürchteten sich vor Israels Gott. Doch in Rahab löste das offensichtlich etwas Tieferes als einfach nur Panik aus. Während die Herzen des restlichen Volkes vor Angst zerschmolzen, schmolz Rahabs Herz in den Glauben hinein. Sie begann zu glauben, dass Jahwe das Land seinem Volk geben würde – etwas, das selbst den Israeliten schwerfiel zu glauben – und sie wollte auf der Basis von Gottes Gnade und Güte daran teilhaben.

Das Gericht über die kanaanitische Stadt Jericho war schrecklich. Aber jemand wurde verschont. Und das war nicht die anständigste, beeindruckendste, religiöseste oder wichtigste Person. Sondern diejenige, die glaubte, was Gott sagte, und unter seiner Gnadenverheißung für Sünder Zuflucht suchte. Für jeden Einzelnen, wer auch immer er sein mag, der Gottes Barmherzigkeit sucht, so lange sie noch zu finden ist, ist eine Errettung wie die Rahabs nicht nur eine Wahrscheinlichkeit, sondern gewiss.