Das Lamm und die Schafe

Rezension von Michael Wiche
14. November 2021 — 6 Min Lesedauer

Ich halte das Buch Das Lamm und die Schafe von Wolfgang Häde in der Hand. Auf den ersten Blick wirkt es eher unspektakulär. Dann jedoch weckt der Untertitel sofort meine Aufmerksamkeit: „Betrachtungen über das christliche Leiden.“ Es geht also um ein wichtiges und zugleich herausforderndes Thema. 

Kein Theoretiker

Auf der Rückseite des Buches finde ich einige Informationen über den Autor des Buches, Wolfgang Häde. Dort wird ein Teil seiner persönlichen Geschichte zum „christlichen Leiden“ beschrieben, wobei kurz skizziert wird, dass sein Schwager 2007 in der Türkei als christlicher Märtyrer zusammen mit zwei anderen Christen ermordet wurde. Im ersten Kapitel erklärt der Autor, warum er dieses Buch geschrieben hat und greift dabei dieses Ereignis auf. Ich erfahre, dass Wolfgang Häde selbst auf der Todesliste der Mörder stand, sodass er ein Jahr lang unter Polizeischutz und unter der ständig lauernden Gefahr eines Anschlags leben musste. Diese Tatsache macht den Autor für mich noch authentischer, weshalb ich bereit bin, mir von ihm etwas über christliches Leiden in unserer heutigen Zeit erzählen zu lassen.

„Jesus ist das Lamm, das sich ohne Widerstand dem Leiden vor allem am Kreuz hingegeben hat. Er sendet uns als seine Gemeinde wie Schafe unter die Wölfe.“
 

Genau das ist die Stärke dieses mit knapp 70 Seiten recht kurzen Buches. Wolfgang Häde beschreibt hier nicht nur aus biblischer Sicht, was es bedeutet, als Christ zu leiden, sondern ist selbst persönlich betroffen – in seiner eigenen Familie. Das spricht mich an. Hier ist jemand, der durchaus etwas zu erzählen hat und der über Verfolgung von Christen heute Bescheid weiß.

Die einzelnen Kapitel sind sehr kurz gehalten, sodass man gerne auch Abschnitt für Abschnitt lesen kann, möglicherweise auch als eine Art Andachtsbuch. Ich stelle jedenfalls fest, dass ich nach manchen Abschnitten eine Pause einlegen muss, um das Gelesene verdauen und für mich persönlich reflektieren zu können. Insgesamt schreibt Häde aber in einer leicht verständlichen Sprache, die sich gut lesen lässt.

Jesus als das Lamm – wir als die Schafe

Das zentrale Bild im Buch ist jenes von Jesus als Lamm und der Gemeinde als den Schafen. Jesus ist das Lamm, das sich ohne Widerstand dem Leiden vor allem am Kreuz hingegeben hat. Er sendet uns als seine Gemeinde wie Schafe unter die Wölfe (vgl. Mt 16,12). Das ist ein Satz, der sich mir eingeprägt hat und der mich durch den Rest des Buches begleitet. Als Jesu Nachfolger haben wir kein besseres Schicksal zu erwarten als Jesus selbst. Häde stellt die Frage, ob Jesus nicht verantwortungslos mit seinen Schafen umgehen würde, wenn er sie so hilflos unter die Wölfe sendet. Als Antwort darauf hält er fest:

„Nein, Jesus hat das Recht dazu, Seine Jünger als Schafe auszusenden, weil Er selbst als ‚Lamm zur Schlachtbank‘ ging. ‚Das Lamm, das geschlachtet ist‘ (Offb 5,12), ist würdig, einen ähnlichen Lebensweg von uns zu verlangen. Jesus kann von uns fordern, uns für Seine Sache in Situationen zu begeben, die uns viel Schmerz bereiten können – nicht aus Abenteuerlust, sondern aus Liebe und aus Gehorsam zu Ihm. Wir gehen dann zwar los wie wehrlose Schafe, aber können uns der Nähe und des Beistandes des Geistes Gottes gewiss sein (Mt 16,19–20). (S. 16)
„Als Christ Leid zu erfahren, ist nicht einfach eine Randnotiz des Lebens oder etwas, das man um jeden Preis vermeiden sollte. Leiden um Jesu willen ist ein zentrales Element des Christseins.“
 

Mit dieser und weiteren biblischen Wahrheiten nimmt der Autor den Leser auf bewegende Weise mit hinein in die christliche Realität von Leid und Verfolgung. Als Christ Leid zu erfahren, ist nicht einfach eine Randnotiz des Lebens oder etwas, das man um jeden Preis vermeiden sollte. Leiden um Jesu willen ist ein zentrales Element des Christseins.

Sicherheit und die Vermeidung von Risiken

Beim Lesen hat mich fasziniert, wie gut Häde biblische Impulse und Texte mit seinen persönlichen Erfahrungen verbindet und weitergibt. Es ist eine gelungene Mischung, die das christliche Leiden mitten in unser heutiges Leben als Christen hineinträgt. Dadurch versteht es der Autor, jeden Leser auf abwechslungsreiche und klare Weise zu der Frage zu führen: Wie gehe ich mit dem Leiden um Jesu willen in meinem Leben um? Wie viel bin ich bereit zu leiden? In unserer westlichen Welt dreht sich vieles um unsere eigene Sicherheit. Wir wollen sicher leben und vermeiden Risiken, die unser Leben bedrohen. Das ist aber nicht der Lebensweg, den Jesus uns als seinen Nachfolgern in der Bibel vorgibt. Diese Spannung und Herausforderung bringt Wolfgang Häde so deutlich auf den Punkt, dass ich mich am Ende des Buches danach sehne, Jesus beim Wort zu nehmen. Ich will bereit sein, um Jesu willen zu leiden.

Unsere Leidensbereitschaft

Häde schließt sein Buch mit der Geschichte der drei Freunde aus dem Buch Daniel, die nicht bereit waren, vor dem Standbild des babylonischen Königs Nebukadnezar niederzufallen und es anzubeten. Als Strafe sollen sie in den Feuerofen geworfen werden. Sie sind bereit, Gottes Willen zu folgen, aber nicht nur, wenn er sie aus dem Feuerofen rettet, sondern auch, wenn er es nicht tut. Ihr Gehorsam Gott gegenüber steht fest. Angelehnt an diese Geschichte aus Daniel 3 endet Häde mit einer Herausforderung an uns heute:

„Wo ist die neue Generation von Christen, die gelernt hat, nicht dem Herdentrieb zu folgen und auch nicht aus Angst vor der Macht niederzufallen, die sich nicht von einer fragwürdigen Tendenz betören lässt, wenn irgend möglich keinen Anstoß zu erregen? Die drei Männer hatten das zuvor in einer kleineren Herausforderung (Speiseregeln, Dan 1) gelernt. Ihren an Gottes Befehl ausgerichteten Grundsätzen blieben sie auch angesichts des sicher schrecklichen Todes durch Verbrennung treu. Die Treue zu Gott und Seinem Willen hat über allem zu stehen, selbst wenn nicht das Wunder geschieht, das uns vor dem Letzten bewahrt.“ (S. 66)

Das will ich beherzigen. Als Nachfolger Jesu will ich treu gegenüber Gott und seinem Willen leben, selbst wenn das bedeutet, um Jesu willen Leid zu erfahren.

Leseempfehlung

Dieses Buch kann ich wärmstens jedem Christen empfehlen, der in seiner Jesusnachfolge herausgefordert und weiter von Jesus verändert werden will. Die Thematik des Leidens als Christ ist nicht oberflächlich oder einfach, aber es lohnt sich, sich sowohl biblisch damit auseinanderzusetzen als auch die wertvollen Impulse und Verknüpfungen von Wolfgang Häde in unsere heutige Zeit nachzuvollziehen und auf sich wirken zu lassen.

Als Ergänzung zur Lektüre ist der Vortrag „Martyrium von Genesis bis Offenbarung – Eine biblische Theologie der Verfolgung“, den Wolfgang Häde für die Hauptkonferenz 2021 aufgezeichnet hat, zu empfehlen.

Buch

Wolfgang Häde, Das Lamm und die Schafe, Verlag für Kultur und Wissenschaft, 71 Seiten, 2020.