Bleibende Verbundenheit mit verstorbenen Gläubigen

Artikel von Justin Dillehay
1. November 2021 — 6 Min Lesedauer

Vor einiger Zeit ist eine Schwester aus der Gemeinde an Corona verstorben. Noch immer trauern wir über ihren Verlust. Wir können sie nicht mehr sehen, nicht mit ihr sprechen oder mit ihr das Abendmahl halten. Aber trotz ihrer Abwesenheit ist sie immer noch unsere Schwester in Christus. Da gibt es eine Verbundenheit, die nicht einmal der Tod trennen kann (Röm 8,38). Sie gehört nun zur siegreich vollendeten Gemeinde. Aber auf eine „geheimnisvoll süße“ Art bleibt die Verbindung zwischen der irdischen und der himmlischen Gemeinde bestehen.

„Auf eine ‚geheimnisvoll süße‘ Art bleibt die Verbindung zwischen der irdischen und der himmlischen Gemeinde bestehen.“
 

Ich denke, dass wir die Verstorbenen weder völlig ausblenden, noch mit ihnen kommunizieren sollten. Stattdessen möchte ich auf einen Gedanken hinaus, den wir in Hebräer 12,22–24 finden.

Wohin sind wir gekommen?

In Hebräer 12,18 beschreibt der Autor, wie die Erfahrungen der Gemeinde im neuen Bund so viel besser sind als im alten Bund. In Anspielung auf Israel am Berg Sinai erklärt er:

Denn ihr seid nicht zu dem Berg gekommen, den man anrühren konnte, und zu dem glühenden Feuer, noch zu dem Dunkel, der Finsternis und dem Gewittersturm, noch zu dem Klang der Posaune und dem Donnerschall der Worte, bei dem die Zuhörer baten, dass das Wort nicht weiter zu ihnen geredet werde.“ (Hervorhebung vom Autor)

Doch wenn wir nicht zu diesem Berg gekommen sind, wohin sind wir dann gekommen? Die Antwort finden wir in den Versen 22 bis 24, in denen acht Wahrheiten aufgelistet werden. Drei von diesen sind für unsere Frage besonders relevant:

„Sondern ihr seid gekommen zu …“

  1. „dem himmlischen Jerusalem“ (V. 22),
  2. „der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel angeschrieben sind“ (V. 23) und zu
  3. „den Geistern der vollendeten Gerechten” (V. 23).

Es ist bemerkenswert, dass die Heiligen im Himmel immer noch „die Gemeinde“ (ekklesia) sind. Da sie keine Körper haben, werden sie auch „Geister“ genannt. Diese speziellen Geister sind die in Kapitel 11 beschriebenen Menschen, die das Verheißene nicht erlangt [haben], weil Gott für uns etwas Besseres vorgesehen hat, damit sie nicht ohne uns vollendet würden“ (Hebr 11,39–40).

Hebräer 12,23 zufolge sind sie jetzt vollkommen gemacht worden. Warum? Weil das, was als „etwas Besseres“ in Aussicht gestellt wurde und auf das sie gewartet hatten, endlich eingetreten ist. Jesus, der Mittler des neuen Bundes, ist endlich gekommen und hat „mit einem einzigen Opfer … die für immer vollendet, welche geheiligt werden“ (Hebr 10,14). Das Blut, dem sie in einer Zeit von Typen und Schatten vertraut haben, wurde endlich für die Sünden der ganzen Gemeinde – gegenwärtig und vergangen, lebend und tot, im Himmel und auf der Erde – vergossen (vgl. Röm 3,25–26).

Sind wir schon angekommen?

Die Bedeutung der drei Aussagen erscheint simpel. Überraschend ist die Zeitform: nicht „ihr werdet dazu kommen“, sondern „ihr seid gekommen“. Das scheint aber nicht der Fall zu sein, wenn wir einen Blick nach links und rechts wagen. Wie kann uns die Schrift also sagen, dass wir schon zu diesen Wahrheiten gekommen sind?

Natürlich verneint der Autor nicht, dass noch mehr kommen wird. Obwohl die Geister der Gerechten (in einem gewissen Sinn) vollkommen sind, warten sie noch auf ihre Auferstehung (Hebr 6,2), während die irdischen Pilger die zukünftige Stadt suchen (vgl. Hebr 13,14). Dennoch gibt es eine klare Bedeutung, in der diese Realitäten bereits präsent sind. Wir finden hier ein Beispiel des bekannten Spannungsverhältnisses zwischen „schon jetzt“ und „noch nicht“, das sich im ganzen Neuen Testament wiederfindet. Trotz der Distanz zwischen Himmel und Erde, zwischen Toten und Lebenden, zwischen dem Jetzt und der Ewigkeit, sind wir schon Bürger des himmlischen Jerusalems und gehören derselben Gemeinschaft an.

Die verstorbene Schwester aus unserer Gemeinde lebt „im Sehen“, während wir noch „im Glauben“ wandeln. Aber wir alle schauen auf denselben Jesus, vereint durch denselben Mittler, besprengt mit demselben Blut.

Drei Ermutigungen

1. Unsere Verbundenheit mit der himmlischen Gemeinde ermutigt uns zum Durchhalten (Hebr 12,1)

Nur wenige finden den Weg, auf den Gott uns berufen hat (Mt 7,14). Aber wir dürfen uns nicht auf das beschränken, was wir sehen. Schließen wir die Toten mit ein, so sind wir von einer großen Wolke von Zeugen umgeben, die dieses Rennen vor uns gelaufen sind und uns an der Ziellinie willkommen heißen werden (Hebr 12,1). Die Gemeinde mag hier auf der Erde wie eine kleine Herde wirken, aber im Himmel wird es eine unzählbare Schar sein (Offb 7,9).

2. Unsere Verbundenheit mit der himmlischen Gemeinde ermutigt uns, wenn wir uns versammeln (Hebr 10,25)

Wir wissen zwar nicht im Detail, was dort vor sich geht, aber die Schrift lässt uns erkennen: Es findet Anbetung statt (Jes 6; Offb 5–6). Wenn wir uns also zur Anbetung zusammenfinden, dürfen wir uns bewusst sein, dass die Wolke an Zeugen dies auch im Himmel tut. Die Gemeinde auf der Erde und die Gemeinde im Himmel – alle beten denselben Gott an, alle preisen denselben Herrn, alle sind mit demselben Geist erfüllt. Sie sind um den Thron herum platziert; wir sind im Glauben bei ihnen (Eph 2,6). Das, was wir an jedem Tag des Herrn tun, ist ein Vorgeschmack auf den großen Tag, wenn der Herr wiederkommt und Himmel und Erde vereint sein werden (Eph 1,10; 1Thess 4,13–18; Offb 21,1–2).

3. Unsere Verbundenheit mit der himmlischen Gemeinde erinnert uns daran, dass die in Christus Verstorbenen nicht für uns verloren sind

Stirbt ein Heiliger in Christus, so wird die wahre Gemeinde Christi nicht kleiner, sondern lediglich umstrukturiert. Ann Carman mag nun kein Mitglied der Baptistengemeinde Grace mehr sein, aber sie ist immer noch Mitglied der Gemeinde, der „heiligen katholischen Kirche“ (wie es im Apostolischen Glaubensbekenntnis heißt, Anm. d. Red.). Und ich kann mir sicher sein, sie wiederzusehen, weil die Verbindung zwischen uns stärker ist als der Tod – und diese Verbindung ist Jesus Christus. Die Heiligen im Himmel sind immer noch Teile seines Körpers, ebenso wie wir.

„Die Heiligen im Himmel sind immer noch Teile seines Körpers, ebenso wie wir.“
 

S.J. Stones beschreibt es in seinem Gedicht „Die Kirche steht gegründet“ (übersetzt von Anna Thekla von Weling) wie folgt

„Schon hier ist sie verbunden
mit dem, der ist und war,
hat selige Gemeinschaft
mit der vollend’ten Schar.“

Wenn wir also an unsere bereits verstorbenen Brüder und Schwestern denken, wenn wir uns mit der kleinen (immer noch vom „Social Distancing“ betroffenen) Herde treffen und der Himmel eine Ewigkeit entfernt scheint, lasst uns an Hebräer 12,22–24 denken. Lasst uns aufschauen und sehen, wohin und zu wem wir gekommen sind.