Warum wir mit unseren Kindern über die Reformation sprechen
Unsere Nachbarin war von der Antwort meiner Tochter sichtlich irritiert.
„Du freust dich sicher schon auf den 31. Oktober, nicht wahr?“, hatte sie gefragt. Ohne mit der Wimper zu zucken, antwortete meine altkluge Zwölfjährige: „Natürlich. Wir lieben den Reformationstag. Wir werden dann Süßigkeiten essen, Lieder singen und über Martin Luther reden.“
Okay, ich gebe zu, dass diese Geschichte etwas skurril klingt – als wäre ich eine Art Theologie-Nerd, der versucht, im Internet-Zeitalter puritanische Kinder großzuziehen. Das bin ich nicht, jedenfalls nicht völlig (wir sind sehr froh, dass wir elektrischen Strom haben). Und dies ist auch nicht noch ein Artikel, der dir erzählt, wie du Halloween in eine evangelikale Form pressen kannst, indem du u.a. deine Kinder als kleine Päpste und Reformatoren verkleidest.
Nennen wir es lieber ergänzende Bildung im Sinne von Epheser 6,4.
Im Oktober nehmen wir uns im Rahmen unserer Familienandachten mehrere Abende pro Woche Zeit, um die wichtigsten Persönlichkeiten und die Hauptanliegen der Reformation zu betrachten. Wir haben uns das Leben von Johannes Calvin und von John Knox angesehen, haben über Martin Luthers Dilemma gesprochen, das ihn dazu brachte, die 95 Thesen anzunageln, über die fünf Solas der Reformation und sogar darüber, warum ich der Meinung bin, Baptisten seien Erben der Reformation (und warum manche das vielleicht anders sehen).
Ich habe vor einiger Zeit einen Artikel über „Sieben Gründe, weshalb wir unseren Kindern etwas über Kirchengeschichte beibringen sollten“ geschrieben. Hier möchte ich nun fünf Gründe nennen, weshalb wir ihnen gezielt die Reformation nahebringen sollten.
1. Sie sollen wissen, dass Gott seiner Kirche treu ist
Wir sind nicht die Ersten, die das Evangelium verkünden, und ganz bestimmt auch nicht die Ersten, die Christus nachfolgen. Wir stehen auf den Schultern von anderen gottesfürchtigen Männern und Frauen. Ich möchte, dass meine Kinder die Geschichten von mutigen Führungspersönlichkeiten wie Luther, Calvin, Knox und Zwingli kennen – von Leuten, die Leib und Leben riskierten, um das Evangelium wieder freizulegen, das unter vielen Schichten von religiösem Aberglauben, falscher Lehre und weltlichem Leben verschüttet war.
Und wie die Wolke von Zeugen aus Hebräer 11, so legen auch die Reformatoren und ihre Erben (einschließlich uns) Zeugnis von Gottes Treue ab, seinem Wort Ehre zu verschaffen und seine Gemeinde zu bauen. Gott war der Held der Reformation, und diese war eines der wichtigsten Ereignisse in der Geschichte der Menschheit.
2. Sie sollen wissen, dass die Reformation weitergehen muss
Ich möchte, dass meine Kinder die Realität des semper reformanda kennen – sich beständig anhand der Schrift zu reformieren. Die protestantische Reformation bezieht sich auf eine konkrete historische Bewegung. Und doch wird das Werk der Reformation niemals fertig sein – weder in uns noch in der Gemeinde – bis Jesus wiederkommt. Wir müssen uns weiterhin bei allem, was wir in der Gemeinde tun, die Frage stellen: „Ist das biblisch?“, und so den reformatorischen Grundsatz des sola Scriptura wieder und wieder geltend machen.
Jede Generation muss um die Bibel kämpfen. Die Geschichte meiner eigenen Denomination, der Southern Baptist Convention (SBC), verdeutlicht diese Notwendigkeit auf dramatische Weise. Schon kurz nach der Fundamentalisten-Modernisten-Kontroverse in den 1920er Jahren begannen die SBC-Ausbildungsstätten, sich dem theologischen Liberalismus zuzuwenden. In den 1960er Jahren war das Evangelium, das einst in dieser Denomination hochgehalten worden war, vielen aus der Führungsriege abhandengekommen. Doch in den 1980er Jahren begann Gott eine Reformation, die oft „conservative resurgence“ (etwa: „konservatives Wiederaufleben“) genannt wird. Die Autorität und Irrtumslosigkeit der Schrift wurde wieder zum festen Fundament für unser Haus.
„Jede Generation muss um die Bibel kämpfen. Die Reformation geht weiter, und ich möchte, dass meine Kinder schon jetzt darüber nachdenken.“
Die Bibel und ihre Lehren des Evangeliums können in den evangelikalen Kirchen wieder verfinstert werden. Wir haben es erlebt, wie bekannte Prediger, die sich selbst als Evangelikale präsentieren, die Bibel als autoritative Grundlage für die Gemeinde ablehnen. Wir haben es erlebt, dass sie Lehren wie die Erbsünde oder eine ewig währende Hölle verworfen haben.
Jede Generation muss um die Bibel kämpfen. Die Reformation geht weiter, und ich möchte, dass meine Kinder schon jetzt darüber nachdenken.
3. Sie sollen wissen, dass es gefährlich ist, die Bibel zu verteidigen – aber das Risiko wert
Die Reformatoren und ihre theologischen Erben, z.B. die oftmals verspotteten Puritaner, waren mit den Kosten der Nachfolge wohl vertraut. Luther verbarg sich mehrere Jahre lang vor den Machthabern, da ihm die Verhaftung und der sichere Tod drohten. Calvin verwendete falsche Namen, als er im Exil durch mehrere Regionen Europas vor den Regierungsbehörden floh. John Bunyan verbrachte zwölf Jahre im Gefängnis und Jonathan Edwards wurde von seiner Gemeinde gefeuert. Leiden ist nichts Ungewöhnliches, es ist die Berufung jedes Christen. Seit den Tagen des Paulus war das Leiden für die Wahrheit nicht mehr so eindrucksvoll sichtbar geworden wie dann durch die führenden Vertreter der Reformation.
Ja, meine Kinder müssen wissen: Wenn sie die Bibel verteidigen, wird sie das in Konflikt mit einer Kultur bringen, die diese verachtet – aber es kann ihnen auch Konflikte mit vielen Leuten innerhalb der Gemeinde bescheren. Ich möchte, dass sie wissen: Christ zu sein bedeutet, ein Revolutionär zu sein; auch gute Leute können in zentralen Fragen uneins sein; und Themen wie Taufe und Abendmahl – die viele Evangelikale für Punkte halten, bei denen es nicht so wichtig ist, wie man darüber denkt – sind alles andere als gleich-gültig. Die Reformatoren haben das jedenfalls nicht so gesehen, und viele meiner baptistischen Ahnen haben für ihre abweichenden Ansichten mit dem Leben bezahlt.
4. Sie sollen wissen, dass Gott durch gewöhnliche Menschen außergewöhnliche Dinge tut
Luther war Mönch, Calvin war Pastor, Bunyan war Kesselflicker und Carey war Schuster. Sie waren gewöhnliche Männer aus unscheinbaren Verhältnissen. Und doch gefiel es Gott, die Welt durch ihr Lehren und Leiden auf den Kopf zu stellen, wie er es auch im ersten Jahrhundert durch einige gewöhnliche Fischer getan hatte.
Auch wenn mein Stolz das nicht so gerne hören will (wir sind ja oft überzeugt, dass unsere Kinder der nächste große Sportler oder der nächste Kanzler werden): Meine Kinder werden vermutlich ebenso gewöhnliche Erwachsene werden wie ihr Vater. Eine wichtige Lehre der Reformation ist die Gleichwertigkeit aller Berufe. Ob nun Pastor, Programmierer, Professor oder Klempner – sie alle sind berufen, ihre Arbeit zur Ehre Gottes zu tun (1Kor 10,31). Seine Ehre erstrahlt in den gewöhnlichen Dingen oft am hellsten (1Kor 1,26–29).
5. Sie sollen wissen, dass das Evangelium der Dreh- und Angelpunkt ist
Die Reformation lässt sich zusammenfassen mit der Wiederentdeckung der Erlösung allein aus Gnade, allein durch Glauben, allein in Christus. Wir werden durch den Glauben an den stellvertretenden Tod Christi gerechtfertigt. Das ist das Evangelium. Nimm es weg, und die Lok entgleist, die den Zug des ewigen Heils zieht. Nimm es weg, und der Leib Christi hat kein schlagendes Herz mehr. Nimm es weg, und der christliche Glaube wird sich wie Nebel in der Sonne auflösen. Das Evangelium war das Kampffeld der Reformation. Kein Wunder, dass der Same der Schlange es in jeder Generation wieder angreift.
Ich möchte, dass meine Kinder wissen, dass das Leben in einer gefallenen Welt ohne das Evangelium keinen Sinn für sie ergeben wird. Ohne das Evangelium gibt es weder eine Hoffnung für dieses Leben noch für das nächste, keinen echten Sinn für unsere Tage und Jahre. Calvin sagte, die Rechtfertigung sei wie die Angel, in der die Tür des Heils hängt . Ich möchte, dass sie auf diese Tür gut achtgeben.
Einige Anregungen
Es gibt nicht die richtige Methode. Aber hier sind einige Anregungen, wie wir das umgesetzt haben:
- Biografien der großen Reformatoren lesen: z.B. Luther, Calvin, Knox – vielleicht auch von Augustinus als Wegbereiter der Reformation oder von Edwards und Bunyan als ihren Erben.
- Die fünf Solas untersuchen, jeweils eines pro Woche. Wir haben unseren Kindern geholfen, sie zu definieren, und dann gemeinsam wichtige Bibelstellen angesehen, in denen sola scriptura, sola fide, sola gratia, solus Christus und soli Deo gloria (in dieser Reihenfolge) gelehrt wird.
- Den Römerbrief oder den Galaterbrief durchnehmen und dabei den Schwerpunkt auf Sünde, Gnade und Rechtfertigung durch den Glauben legen. Wir haben uns die relevanten Teile von Römer angesehen und Galater komplett gelesen.
- Lieder lernen, die die Lehren der Gnade zum Ausdruck bringen. „Ein feste Burg“, „Kann es denn sein“ und Dutzende weiterer Lieder bieten uns die Möglichkeit, die Geschichte ihres Autors zu erzählen oder über den theologischen Inhalt des Liedes zu sprechen.
- Eine Feier zum Reformationstag für Kinder oder den Gottesdienst zum Reformationstag in einer Gemeinde vor Ort besuchen.
- Falls ihr noch keine Katechese für eure Kinder begonnen habt, ist dieser Monat ein guter Zeitpunkt, um zu starten. Die verschiedenen Zweige der reformatorischen Tradition haben hilfreiche Katechismen hervorgebracht, bei deren Verwendung sich Frage um Frage kleinen Herzen und Köpfen der Aufbau der biblischen Wahrheit einprägt.