Die Gleichnisse vom Senfkorn und Sauerteig
Jesus wies dem Königreich Gottes von Anbeginn Seines irdischen Dienstes eine bedeutende Stellung in Seiner Lehre zu (Mt 4,17; Mk 1,15; Lk 4,43). Er verkündigte, dass Sein Kommen in die Welt ein Anzeichen dafür war, dass das Reich Gottes nahe war. Die Einweihung dieses Reiches mitten unter Seiner Zuhörerschaft wurde begleitet und legitimiert durch Zeichen und Wunder und Lehre. Jesus setzte viele verschiedene Methoden im Rahmen Seiner Lehrtätigkeit ein, allen voran Gleichnisse, welche sich hervorragend dazu eigneten, Seinen Zuhörern etwas über die Natur des Reiches Gottes zu vermitteln. Die Gleichnisse vom Senfkorn (Mt 13,31–32; Mk 4,30–32; Lk 13,18–19) und vom Sauerteig (Mt 13,33; Lk 13,20) veranschaulichen das Voranschreiten des Reiches Gottes, das sich doch auf geheimnisvolle Weise unseren Sinnen entzieht. Wir wollen uns beide nacheinander kurz ansehen.
Jesus verglich das Reich Gottes mit einem Senfkorn. Der Vergleich zwischen seiner Winzigkeit und der beeindruckenden Größe der ausgewachsenen Pflanze lieferte Jesus eine passende Illustration für das Wachstum des Reiches Gottes in der Zeit zwischen seiner Einführung und seiner Vollendung. Als eines der kleinsten Samenkörner Palästinas wächst das Senfkorn mit der Zeit zu einem strauchartigen Baum heran, der eine stattliche Höhe von drei Metern erreichen kann. Das winzige Korn wächst so stark, dass es schließlich sogar den Vögeln des Himmels als Wohnung dient.
Dieses Bild geht auf König Nebukadnezar in Babylon zurück. Er träumte von einem Baum, der so mächtig gewachsen war, dass die Vögel des Himmels darin Unterschlupf fanden. Aber der Baum wurde unversehens abgehauen. Daniels Auslegung machte deutlich, dass alle menschlichen Reiche dem Untergang geweiht waren, selbst das des mächtigen Königs Nebukadnezar (Dan 4). Aber mit dem Reich Gottes verhält es sich anders. Wenn auch der Beginn dieses Reiches nicht beeindruckend war, so würde es doch weiter wachsen, bis es seine endgültige und herrliche Gestalt erreicht hätte und sogar die Vögel des Himmels in seinen Zweigen nisten würden (Hes 31,6).
Damit die Botschaft bei seinen Zuhörern auch wirklich ankam, verdeutlichte Jesus das Konzept vom Reich Gottes durch ein weiteres Gleichnis. In diesem Gleichnis verbirgt eine Frau den übriggebliebenen Sauerteig der letzten Woche heimlich unter drei Maß Mehl. Dieses winzige Stück Sauerteig wirkt sich jedoch auf die gesamte Teigmasse aus. Und ähnlich dem Sauerteig, so beginnt auch das Reich Gottes im Kleinen, und sein Fortschritt bleibt oftmals verborgen und unsichtbar, bis schließlich seine volle Gestalt offenbar wird.
Diese Zwillings-Gleichnisse illustrieren das Wachstum des Reiches Gottes zwischen Jesu erstem Kommen und Seiner Wiederkunft. Jesus weist uns darauf hin, dass durch die Art und Weise, wie Er das Königreich in Gang setzte, kein Zweifel an der Macht und Legitimation Seines messianischen Amtes aufkommen sollte. Seine Einführung in Niedrigkeit war kein Fehler, sondern von Gott geplant. Johannes Calvin merkt an: „Der Herr führt Seine Regierung mit einem schwachen und verächtlichen Beginn ein, mit dem ausdrücklichen Ziel, dass ihre unerwartete Ausbreitung Seine Macht umso mehr zeigen möge."
Seit Jesus diese Gleichnisse erzählte, hat das Senfkorn gewurzelt und zu blühen begonnen. Der Sauerteig ist exponentiell gewachsen. Die, die sich Jesus und Seinen Jüngern entgegenstellten, versuchten nach der Auferstehung die neugeborene Gemeinde auszumerzen – den Baum abzuhauen –, ehe er sich über Jerusalem hinaus ausbreiten konnte. Aber all ihre Versuche blieben vergeblich. Im Gegenteil: Je mehr sie davon abhieben, desto mehr wuchs der Baum. Der Märtyrertod von Stephanus ist ein hervorragendes Beispiel. Er führte zur Zerstreuung der Jünger und sorgte so dafür, dass das Evangelium über Jerusalem hinaus nach Judäa, Samaria und bis an die Enden der Erde getragen wurde (Apg 8,4).
Die Geschichte der Gemeinde ist die Erfüllung der Verheißung Jesu, dass sogar die Pforten der Hölle sie nicht überwinden werden (Mt 16,18). Aber das Reich, das Jesus eingeführt hat, wartet noch auf Seine Wiederkunft, um sich voll und endgültig zur Schau zu stellen. In dieser Zwischenzeit wandeln wir im Glauben und nicht im Schauen (2Kor 5,7). Wir sind Bürger eines unerschütterlichen Reiches (Hebr 12,28). Wenn Christus wiederkommt, um das Reich Gottes zu vollenden, wird niemand Seine Herrlichkeit bestreiten können. (Mt 25,31; Mk 14,62). Der Eine, der im Fleisch gekommen ist und in Niedrigkeit geboren wurde, wird in strahlendem Glanz zum Gericht zurückkehren (1Thess 4,16; Offb 1,7) und das Reich aufrichten. Dann wird Gott endgültig bei den Menschen wohnen (Offb 21,3–4).