Redemptive Reversals

Rezension von Daniel Vullriede
12. Oktober 2021 — 7 Min Lesedauer

Unterschiedliche Blickwinkel auf Gottes Wort

Wer die Bibel zum ersten Mal durchliest, stößt auf ganz unterschiedliche Namen und Personen, auf verschiedenste Episoden und Geschichten. Kurios ist, wie sie trotz aller Vielfalt doch irgendwie zusammenpassen! So kommt es auch, dass Christen seit frühester Zeit die Aussagen und Lehren der Bibel ordnen und in der Systematischen Theologie zu einer einheitlichen Perspektive zusammenzubringen. Doch es gibt noch einen weiteren ergänzenden Ansatz, der seit einigen Jahren wieder einen Boom erlebt: die Biblische Theologie. Hier gehen Gläubige der gesamtbiblischen Storyline auf die Spur. Man schaut u.a., welche besonderen Schwerpunkte die Autoren in Gottes fortschreitender Offenbarung setzen und wie uns die einzelnen Erzählstränge zu Christus führen.

An dieser Stelle möchte die Reihe Short Studies in Biblical Theology (bisher 13 Bände) eine Brücke zwischen akademischer Forschung und interessierten Christen, die sich mehr Tiefe für ihren Glauben und Alltag wünschen, schlagen. Interessant ist hierbei: Die Einzelbände wurden von versierten Autoren geschrieben, setzen beim Leser aber keine theologische Ausbildung voraus. Im Vergleich zur Reihe der New Studies in Biblical Theology (IVP, bisher 52 Bände) haben wir es also mit kompakteren und weniger technischen Ausarbeitungen zu tun, die noch stärker die Ortsgemeinden und eine breite Leserschaft im Blick haben.

Ein bewährter Autor und eine ungewöhnliche Thematik

Gregory Beale arbeitet als Professor für Neues Testament am Westminster Theological Seminary in Pennsylvania und ist Autor zahlreicher Fachbücher und Bibelkommentare. Das vorliegende Buch verfolgt ein eher unbeachtetes und doch zentrales Thema der Bibel, nämlich wie Gott seine eigenen Pläne verfolgt und entgegen aller menschlichen Weisheit handelt. Was ist damit gemeint? Im Vorwort schildert zunächst ein Freund des Autors beispielhaft, wie er 1980 als Arzt in einem thailändischen Flüchtlingslager eine Erweckung miterlebte – ausgerechnet unter den Roten Khmer nach dem schrecklichen Völkermord in Kambodscha. Trotz seiner eigenen Depression, Schwachheit und Überforderung durfte er miterleben, wie Gott vielen Menschen dort echte Umkehr und Glauben an das Evangelium schenkte und eine Gemeinde entstand.

„Gott handelt nicht immer nach unseren Vorstellungen und Maßstäben, kommt aber doch zu seinem Ziel.“
 

Nach einem Vorwort der Herausgeber zur Buchreihe erklärt Beale in der Einleitung, wie Erwartung und Wirklichkeit in der Bibel oft nicht übereinstimmen, und das sogar auf mehreren Ebenen. Während man landläufig von der Ironie des Schicksals spricht, unterscheidet Beale exegetisch zwischen verbaler, narrativer und charakterlicher Ironie. So gesehen sind unerwartete Wendungen in der biblischen Geschichte fast schon typisch: Gott handelt nicht immer nach unseren Vorstellungen und Maßstäben, kommt aber doch zu seinem Ziel; Mächtige werden gestürzt und Entmächtigte kommen zu Ehren; Menschen erleben Höhen und Tiefen, doch dann kommen verborgene Wahrheiten und Wirklichkeiten ans Licht, die alles verändern.

Gehaltvolle Auslegung für einen Glauben mit Tiefgang

Im ersten Kapitel beleuchtet Beale den biblischen Grundgedanken, dass Gott die Menschen meistens durch ihre eigene Sünde (und deren Konsequenzen) gerecht richtet. Ein Paradebeispiel ist der niederträchtige Staatsbeamte Haman im Buch Esther. Das Prinzip kommt allerdings auch an anderen Stellen im Pentateuch, in den Psalmen oder im Buch der Sprüche vor. Weitere Beispiele sind u.a. der ägyptische Pharao in 2. Mose, die Könige Saul und David, die Nationen in den Strafreden der AT-Propheten sowie Gottes Volk selbst.

Das zweite Kapitel beginnt mit einer grundlegenden Beobachtung: Zu jeder Zeit orientieren sich Menschen an etwas Größerem, das ihnen Halt und Sicherheit verspricht. Dementsprechend gestalten sie ihr Leben. Den Grund dafür macht der Autor in 1. Mose 2 und 3 aus, denn die Menschen waren nie als neutrale Wesen, sondern als anbetende Gegenüber und Abbilder ihres perfekten, guten Schöpfergottes gedacht. Aufbauend auf seine Auslegung von Jesaja 6 erklärt der Theologe, wie die Menschen den Götzen gleich werden, die sie anbeten – oft zu ihrem eigenen, tragischen Untergang.

Im Anschluss an diese existenziellen Diagnosen nimmt Beale seine Leser mit auf eine Reise durch Gottes Heilsgeschichte: Das Thema des dritten Kapitels ist die Ironie der Erlösung. Beale vergleicht den ersten Adam mit Christus als den zweiten Adam, geht dann auf das Motiv des Menschensohnes in Daniel 7 ein und erläutert, wie Jesus als der gehorsame, geschmähte und leidende Gottesknecht zum siegreichen König wurde. Menschen, die ihm glauben und sich auf seinen stellvertretenden Sühnetod am Kreuz verlassen, finden in ihm Rettung, Veränderung und ein neues Leben in Gottes heiliger Gegenwart. Ergänzend dazu beschreibt das vierte Kapitel die Dynamik des christlichen Lebens, nämlich wie Gottes Güte, Kraft und Wahrheit sichtbar werden, trotz bzw. gerade inmitten der Schwachheit und der Leiden seiner Kinder. Etwas grundsätzlicher, aber nicht weniger lebenspraktisch ist das fünfte Kapitel. Hier beobachtet der Autor, wie sich festes Vertrauen auf unsichtbare Realitäten vom Vertrauen in oberflächliche Erscheinungen unterscheidet. Er zeigt anhand des Hebräerbriefes, mit welch ironischer Glaubensgewissheit Christen trotz vieler Unsicherheiten, trotz Unglaubens, Hoffnungslosigkeit, weltlicher Arroganz und Gegenwind auch heute noch leben dürfen. Das sechste Kapitel beschäftigt sich mit der Ironie der Eschatologie und was es heißt, in der Endzeit als treue Nachfolger des großen Königs Jesus zu leben und auf sein Königreich zu warten. In einem Fazit führt Beale noch einmal zahlreiche Gedankenstränge seines Buches zusammen. Dabei fragt er seine Leser direkt, welche Art von Ironie ihr Leben bestimmen solle und ob sie vertrauensvoll-nüchtern den Weg Jesu einschlagen wollen. Ein Stichwort- sowie ein nützliches Bibelstellenverzeichnis runden das Buch ab.

Viele Stärken, wenige Schwachpunkte

Beale liefert ein kompaktes, tiefgehendes Buch über ein oft übersehenes, zentrales Thema innerhalb der biblischen Gesamtgeschichte. Zugegeben, der Titel Redemptive Reversals and the Ironic Overturning of Human Wisdom (Die erlösenden Wendungen Gottes und die ironischen Umstürze menschlicher Weisheit und Pläne) klingt etwas sperrig. Dennoch beleuchtet der Theologe das Thema auf eine interessante, teils spannende und sogar praktische Weise. Er arbeitet dabei eng an einzelnen Bibeltexten, geht aber auch konzeptionellen und anderen intertextuellen Verbindungen nach. Das Buch ist mit vielen Beispielen und Metaphern angereichert, um die biblisch-theologischen Wahrheiten noch griffiger zu machen. Außerdem endet jedes Kapitel mit Transfer- und Anwendungsfragen für die Leser oder mit konkreten Vorschlägen für ihren Alltag.

Beale ist ein erfahrener Autor und kann auf eine Fülle von Forschungsergebnissen zurückgreifen, was allerdings ein Schwachpunkt seines Buches ist. An mehreren Stellen wirken die Abschnitte nicht aus einem Guss, gerade weil der Theologe immer wieder auf Material aus seinen zahlreichen Publikationen zurückgreift. Die Kerngedanken und Argumente aus früheren Predigten, Fachartikeln, Sachbüchern und Bibelkommentaren sind durchaus gut, allerdings hätte man sie noch besser redigieren können, um die Leser auf einem gleichmäßigen Niveau in das Thema hineinzunehmen. Beales Auseinandersetzung mit anderen Theologen und Meinungen ist ausgewogen, allerdings verweist er in den Fußnoten zu einem großen Teil auf Sekundärliteratur aus den 70er und 80er Jahren, was manche seiner Argumente etwas angestaubt erscheinen lässt.

Ein positives Fazit mit Leseempfehlung

Insgesamt löst die Buchreihe mit Beales Titel ihr Versprechen ein. Der Neutestamentler bietet gesunde Lehre, um echte Jüngerschaft zu fördern. Er führt seine Leser kompetent und pastoral an die Bibeltexte heran und bietet ihnen manche neue Perspektive auf Gottes Wort. Zwar vertritt er starke Thesen, argumentiert dabei aber analytisch und frei von Polemik. Stets fordert er zum Mitdenken und zur Anwendung des Verstandenen heraus, ohne dass dabei die persönliche Erbauung zu kurz kommen würde. Diese Kombination macht das Buch zu einem wertvollen Beitrag, nicht nur für die christliche Fachwelt, sondern auch für eine breite Leserschaft.

„Stets fordert er zum Mitdenken und zur Anwendung des Verstandenen heraus, ohne dass dabei die persönliche Erbauung zu kurz kommen würde.“
 

Wer der englischen Sprache mächtig ist, wird den Titel gerne als Lesehilfe für das eigene Bibelstudium, für die Predigtvorbereitung oder als Anstoß für den Austausch in einer Kleingruppe nutzen. Haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter in Kirchen und Gemeinden, aber auch aufmerksame Studierende werden hier viele anregende Impulse entdecken, aber sicherlich auch manchen Trost und Ansporn finden.

Letztlich tun Gläubige und Gemeinden gut daran, sich von Beale wieder neu an alte Wahrheiten erinnern zu lassen: die vielschichtige Ironie von Gottes Evangelium bewusst annehmen und gemeinsam danach leben. Das ist pure Weisheit, nicht zuletzt in einer säkularen Gesellschaft.

Buch

Gregory K. Beale, Redemptive Reversals and the Ironic Overturning of Human Wisdom, Short Studies in Biblical Theology. Wheaton: Crossway, 2019, 208 Seiten, ca. 12,00 Euro.