Alzheimer schließt seine Opfer ein, aber Christus hat den Schlüssel

Artikel von Louis Markos
21. September 2021 — 4 Min Lesedauer

Am 15. September 2010 starb meine Großmutter, Fannie Karedis, friedlich in ihrem Krankenhausbett ein. Vorausgegangen war ein jahrzehntelanger Kampf mit Alzheimer. Sie verpasste ihren 95. Geburtstag nur um eine Woche. Einen Tag, nachdem mich die Nachricht erreichte, fand bei mir zuhause der wöchentliche Bibelstudienkreis für College-Studenten statt. In diesem Semester behandelten wir das Buch Über den Schmerz von C.S. Lewis. An diesem Abend ging es um seine Gedankengänge zum Fall von Adam und Eva.

„Wir sind im Bild Gottes geschaffen, aber gefallen. Selbst wenn unser Verstand sich auflöst, verlieren wir diesen unseren Status als Ebenbilder des lebendigen Gottes nicht.“
 

Der Heilige Geist benutzte diese zufällige Überschneidung von Lewis‘ Gedanken mit der Nachricht vom Tod meiner Großmutter, um mir eine Lektion über unseren einzigartigen Status als Menschen zu erteilen. Wir sind im Bild Gottes geschaffen, aber gefallen. Selbst wenn unser Verstand sich auflöst, verlieren wir diesen unseren Status als Ebenbilder des lebendigen Gottes nicht.

Diese Einsicht hilft uns, das schreckliche, langsame Sterben durch Alzheimer einzuordnen.

Alzheimer – ein Räuber mit begrenzter Macht

Alzheimer ist heute für viele im Westen ein Schreckgespenst. Die Krankheit scheint in der Lage zu sein, uns unsere Seele zu stehlen und unsere Persönlichkeit auszulöschen. Aber das stimmt nicht. Sie kann die Seele lediglich für eine gewisse Zeit einschließen, bis der Eine, der sie geschaffen hat, sie wieder herausruft aus ihrem umwölkten Schlummer. Die Seele stirbt nicht, sie begibt sich nur tief hinunter an einen Ort, wo Motten und Rost nicht zerstören und Diebe nicht einbrechen und stehlen können.

Stell dir einen Marathonläufer vor, dessen Wagen von der Straße abkommt, und der dann gelähmt an den Rollstuhl gefesselt ist. Obwohl sein geschundener Körper ihm gegenwärtig verwehrt, der Freude Ausdruck zu geben, die das Laufen ihm bereitet, hat er doch nicht die Macht, diese Freude ganz auszulöschen. Sein Geist bleibt trotz des Zustands seiner Beine der eines Marathonläufers.

Oder denk an das Kind mit Down-Syndrom oder ausgeprägtem Autismus. Die Welt denkt oft, dass solche Kinder keine Persönlichkeit haben, aber die Lehrer, die mit Geduld und Mitgefühl mit ihnen arbeiten und tiefer sehen, wissen es besser. Solche Kinder haben eine einzigartige Persönlichkeit und ihre ganz eigene Art, sich zu freuen – aber sie zeigt sich nur in besonderen Momenten und nur wer sich besonders darauf einlässt, kann sie wahrnehmen.

Im Fall meiner Großmutter war es so, dass Spuren ihrer Persönlichkeit sogar in ihren letzten Wochen noch durchschienen, obwohl sie kaum noch sprechen konnte und gefüttert werden musste. Wenn die Pflegerinnen sie vom Bett in den Rollstuhl hoben, entschlüpfte ihr ein schwaches, aber hörbares „opa!" (das griechische Äquivalent zu „juhu"). Die Fannie Keredis, die sie einst gewesen war und die noch immer existiert, die im Ebenbild Gottes geschaffen ist, war nicht gänzlich verschwunden.

Sicher in Christus

Viele Christen – ich selbst eingeschlossen – fürchten sich nicht nur vor Alzheimer, sondern vor jeder psychischen Krankheit, die uns unserer Erinnerungen beraubt oder unsere Persönlichkeit verändert. „Wir benötigen unseren Verstand, um Christus anzunehmen“, denken wir, „und so werden wir gerettet.  Aber wie ist das, wenn ich eine Krankheit bekomme, durch die ich vergesse, dass ich Christus überhaupt angenommen habe? Oder wenn meine Persönlichkeit, die diese Entscheidung getroffen hat, sich total verändert? Verliere ich dann die Errettung?“

Diese Schlussfolgerungen haben einen Anschein von Logik, aber sie beruhen auf falschen Voraussetzungen. Zuallererst – und das ist das Wichtigste – gründet sich unsere Errettung nicht auf etwas, was wir tun (Werke), sondern auf etwas, was Christus getan hat (Gnade). Auch wenn wir aufgerufen sind, diese Gnade anzunehmen, bleibt es doch die Gnade, die uns rettet und nicht der Akt der Annahme. So dürfen wir auch hoffen, dass Kinder, die in der frühen Kindheit sterben, ehe sie vom Verstand her fähig sind, Gottes Gnade bewusst zu empfangen, dennoch durch diese Gnade gerettet sind.

Zweitens ist die Annahme Christi weniger davon abhängig, dass der Verstand die Lehre der Gnade erfasst, als vielmehr von der Hingabe des Herzens an die Herrschaft Christi. Unsere Hingabe an Gott entspringt demselben tiefen Ort in uns, wo auch die Liebe zu unserem Ehepartner wohnt – und der liegt so tief, dass er für den kalten Frost der Schizophrenie oder Epilepsie oder Alzheimer-Krankheit nicht erreichbar ist.

„Nichts, was wirklich von Bedeutung ist, wird für immer sterben.“
 

Sollten wir also Zorn empfinden auf die Geißel der Alzheimer-Krankheit, die so viele bedroht, die wir lieben? Ja, auf jeden Fall! Zuzusehen, wie die Krankheit das Gedächtnis meiner Großmutter zerstörte, war eine traurige, schreckliche Geschichte voller Einsamkeit. Doch auch wenn dieser Zorn seinen Platz hat, brauchen wir nicht zu verzweifeln. Denn es wird eine Zeit kommen – und für meine Großmutter ist sie schon da –, wo jede Fessel der Zerbrechlichkeit von Körper und Verstand von uns abfallen wird, und unser wahres Ich, unsere Person, vor dem ewig-seienden, dreieinigen Gott stehen wird.

Siehe, ich sage euch ein Geheimnis: „Wir werden zwar nicht alle entschlafen, wir werden aber alle verwandelt werden, plötzlich, in einem Augenblick, zur Zeit der letzten Posaune; denn die Posaune wird erschallen, und die Toten werden auferweckt werden unverweslich, und wir werden verwandelt werden“ (1Kor 15,51–52).

Nichts, was wirklich von Bedeutung ist, wird für immer sterben. Wir dienen einem Gott, der zurückerstattet, was die Heuschrecken abgefressen haben.