A Concise Guide to the Quran

Rezension von Stefan Beyer
26. August 2021 — 6 Min Lesedauer

Ayman S. Ibrahim lehrt das Fach Islamic Studies am Southern Baptist Theological Seminary und leitet das Center for the Christian Understanding of Islam. In seinem Buch A Concise Guide to the Quran gibt er eine umfassende Einführung in die Entstehung und den Inhalt des Korans. Das Buch eignet sich hervorragend als Einführung in die Thematik, da im Rahmen von dreißig kurzen Kapiteln die wichtigsten Fragen rund um den Koran beantwortet werden, die sich einem Neuling stellen.

Entstehung und Inhalt des Korans

Teil 1 erklärt, wie der Text des Korans überhaupt entstanden ist. Muhammad selbst konnte ja laut muslimischer Überlieferung weder lesen noch schreiben. Ibrahim beschreibt kurz und bündig, wie die Gefährten die Texte, die Muhammad vorgeblich von Allah empfangen hatte, zunächst auswendig lernten und dann auf Palmenblättern und Knochen niederschrieben. Später wurden sie unter den ersten Kalifen gesammelt und aus verschiedenen Versionen des Korans eine einheitliche Ausgabe geschaffen.

Im zweiten Teil geht es um den Inhalt und die Auslegung des Korans, wie z.B. um die Lehre der Abrogation (neuere Offenbarungen lösen ältere ab), die Sicht auf Juden und Christen im Koran sowie die Rolle von Muhammad und Jesus im Koran. Abschließend wird auf die moderne Kritik am Koran eingegangen – sowohl von Seiten eher atheistischer Orientalisten im Westen als auch von Muslimen, die sich eine friedfertige Religion wünschen.

Fragen zum Koran

Zielgruppe des Buches sind Menschen, die interessiert sind, sich mit dem Islam zu beschäftigen oder den Koran einmal selbst zu lesen. Es wird so gut wie kein Wissen vorausgesetzt. Jedes Kapitel versucht, eine Frage zu beantworten, wie etwa:

  • Was bedeutet überhaupt das Wort Koran?
  • Wie hat Muhammad den Koran empfangen?
  • Wie wurde der Text des Korans später zusammengestellt, wenn Muhammad doch selbst nicht schreiben konnte?
  • Wo sollte man anfangen, den Koran zu lesen?
  • Was sagt der Koran über Jihad?

Der Schreibstil ist sehr einfach gehalten, wodurch sich das Buch in kleinen Portionen von jeweils einem Kapitel pro Tag gut durcharbeiten lässt. Besonders gut fand ich, dass Ibrahim auch eigene Erfahrungen aus der Begegnung mit Muslimen in seiner ägyptischen Heimat einfließen lässt. Er versucht, die islamischen Lehren fair darzustellen – auch wenn sich Widersprüche ergeben. Auf diese Widersprüche weist er den Leser hin, ohne dabei Muslime automatisch für ihren Glauben zu verurteilen. Ich empfinde das gerade als jemand, der selbst mit Muslimen über den christlichen Glauben spricht, sehr hilfreich. Es ist gut und notwendig, zu wissen, wo der Koran und seine Lehren Widersprüche beinhalten. Darauf kann man in einem evangelistischen Gespräch hinweisen. Gleichzeitig sollte aber der Respekt vor dem Gegenüber gewahrt bleiben, sonst verschließt sich das menschliche Herz schnell.

Gewalt im Koran

Das Buch eignet sich aber nicht nur als Vorbereitung für ein evangelistisches Gespräch, sondern auch zum Verstehen einiger brennender Fragen, die die politische Ebene unserer Zeit betreffen. Dabei unterscheidet Ibrahim konsequent zwischen Muslimen, die den Koran wörtlich nehmen (einschließlich der klaren Aufrufe zu Kampf und Gewalt) und denen, die eher die allgemeine Religiosität des Islams schätzen. Die Komplexität des Korans erlaubt es nämlich beiden Gruppen, sich auf ihn zu beziehen und ihre Glaubensüberzeugung zu begründen. Als Muhammad seine Offenbarungen in Mekka zuerst empfangen habe, war er in der Unterzahl und deshalb gezwungen, sich mit den Götzenanbetern seiner Umgebung zu arrangieren. In Medina wurde er aber später Statthalter und General, wodurch es ihm möglich war, eine Armee aufzubauen und seine Feinde zu besiegen. Der Ton des Korans verändert sich deshalb merklich von frühen Offenbarungen in Mekka hin zu späteren Offenbarungen in Medina. Die letzte Sure ist die 9. Sure. Sie ist voller Aufrufe zum Kampf gegen die Ungläubigen. Die Lehre der Abrogation besagt, dass spätere Offenbarungen frühere ablösen. Deswegen hat der radikale Muslim, der den Koran von der 9. Sure aus liest, eigentlich die orthodoxe islamische Auslegung der Jahrhunderte auf seiner Seite. Dennoch lebt die Mehrzahl der Muslime friedlich. Viele von ihnen sind mit dem Inhalt des Korans so gut wie gar nicht vertraut, weil sie z.B. gar nicht Arabisch sprechen (in Pakistan, Indonesien, dem Iran und Afghanistan). Viele andere relativieren die gewalttätigeren Passagen als etwas, das eine frühere Zeit beschreibt, über die wir uns nun hinaus entwickelt haben.

Jesus im Koran

Viele Christen im Westen wird es erstaunen, wie uneinheitlich der Koran entstanden ist und wie viele berechtige Fragen es gibt, die im Islam jedoch einfach nicht gestellt werden dürfen. Außerdem wird es wahrscheinlich überraschend sein, wie positiv der Koran von Jesus spricht. Dabei greift der Koran auf biblische und außerbiblische Überlieferungen zurück. Muhammad hatte engen Kontakt mit einem Verwandten namens Waraqa ibn Naufal, der nach der islamischen Tradition ein ebionitischer[1] Priester war. Wahrscheinlich hat er von ihm sowie von anderen christlichen Gruppen auf der arabischen Halbinsel einzelne Geschichten über Jesus aufgeschnappt. Ein interessanter Kontrast im Koran zwischen Muhammad und Jesus ist, dass von Muhammad überhaupt keine Wunder beschrieben werden, während Jesus als großer Wundertäter dargestellt wird.

Kritik am Koran

Am Ende des Buches geht Ibrahim auf einige wichtige Konsequenzen aus seinem Buch ein. Zum einen hat er in verschiedenen Kapiteln aufgezeigt, dass es berechtigten Grund zur Annahme gibt, dass der Koran nicht ohne wesentliche Veränderungen und Redaktionen in die heutige Form gekommen ist. Lange Zeit waren Fragen in diese Richtung unter Muslimen verpönt oder sogar unter schwere Strafe gestellt. Das Internet erlaubt nun aber, offener über diese Themen zu diskutieren.

„Ibrahim ist davon überzeugt, dass der Heiligenschein, der den Koran über so viele Jahrhunderte umgeben hat, für viele Muslime gewichen ist.“
 

Für viele traditionelle Muslime ist die moderne Kritik an ihrem heiligen Buch etwas völlig Neues. Die Zeit wird zeigen, welche Auswirkungen das auf den Islam haben wird. Ibrahim ist davon überzeugt, dass der Heiligenschein, der den Koran über so viele Jahrhunderte umgeben hat, für viele Muslime gewichen ist. Außerdem erhofft er sich, dass es den Gelehrten endlich gestattet wird, eine kritische Ausgabe des Korans herauszugeben, in der auf die verschiedenen Texttraditionen eingegangen wird, von denen wir wissen, dass es sie gibt. Ibrahim kündigt am Ende seines Buches an, auf diese und weitere Fragen mit einem neuen Buch zu reagieren.

Fazit

Mich haben die Themen der einzelnen Kapitel jeweils sehr interessiert und ich hätte gern noch weitergelesen. Für mich wäre es hilfreich gewesen, wenn Ibrahim jeweils auf weiterführende Literatur oder Artikel verwiesen hätte. So eignet sich das Buch tatsächlich nur für den absoluten Einsteiger in die Thematik. Für diesen wird es aber eine wertvolle Ressource sein. Das Buch lässt sich auf Englisch gut lesen, da eine einfache Sprache verwendet wird. Ich freue mich schon auf die Fortsetzung.

Buch

Ayman S. Ibrahim, A Concise Guide to the Quran: Answering Thirty Critical Questions, Aka: Baker, 2020, 192 Seiten, ca. 21 Euro.


[1]  Als Ebioniten bezeichnete sich eine von der Kirche getrennte, antike Gruppe von Judenchristen.