Hat die Wissenschaft Gott überflüssig gemacht?
Die Überzeugung, dass Wissenschaft und Religion in grundlegendem Widerspruch zueinander stehen, ist weit verbreitet. So spricht der junge Sheldon Cooper (Young Sheldon) im Spin-off der phänomenal erfolgreichen amerikanischen Sitcom-Serie The Big Bang Theory offen aus, was für viele unumgänglich scheint: „Wissenschaft ist Fakt. Religion ist Glaube. Ich ziehe Fakten vor.“
Wissenschaftler mögen kurz zusammenzucken, wenn Sheldon so vereinfacht von Wissenschaft als „Fakten“ spricht – aber die meisten von uns würden ihm zustimmen. Wir wollen unsere Überzeugungen von der Welt auf Beobachtung, Experimente und logische Ableitungen gründen und bringen unseren Studenten bei, dass sie natürliche Phänomene erforschen, indem sie nach messbaren physischen Mechanismen suchen. Steht dieser wissenschaftliche Verstehensansatz nicht in tiefem Gegensatz zu Religion und Glaube? Der berühmte James Watson, der gemeinsam mit Francis Crick die Struktur der DNA entdeckte, wurde einst gefragt, ob er viele gläubige Wissenschaftler kenne, und antwortete: „Manchmal treffe ich welche und es macht mich verlegen [lacht], denn, wissen Sie, ich kann nicht glauben, dass jemand Wahrheit durch Offenbarung akzeptiert.“[1]
Als jemand, der begeistert täglich als Wissenschaftler arbeitet und gleichzeitig überzeugter Christ ist, trifft mich dieser Kommentar. Was ist, wenn ich tatsächlich intellektuell unredlich bin und auf der beruflichen Ebene ganz andere Maßstäbe an Beweisbarkeit anlege als in meinem Leben als Christ? Vielleicht interessieren Sie sich auch für die christlichen Aussagen über Gott, aber fragen sich, ob Sie dafür Ihre intellektuelle Integrität opfern müssen. Ich liebe die Wissenschaft und den Fortschritt von Erkenntnis und halte dieses Anliegen für sehr berechtigt. Wenn der Konflikt wirklich besteht, dann muss eine Entscheidung getroffen werden. Wenn wir wirklich die Wahl zwischen sicheren Fakten und blindem Glauben haben, dann weiß ich, wofür ich mich entscheiden würde.
Aber vielleicht ist der Gegensatz doch nicht so scharf, wie er häufig gedacht wird. Nehmen wir zum Beispiel den Nachfolger von James Watson als Leiter des Humangenom-Projekts. Dieses internationale Forschungsprojekt wurde 1990 begründet, um den gesamten menschlichen Gencode zu entschlüsseln. Watsons Nachfolger war Francis Collins, ein Physiker, der zum Genetiker wurde und 2003 (zwei Jahre vor Termin) das Projekt zum Abschluss brachte. In seinem Buch The Language of God (Dt.: Gott und die Gene: Ein Naturwissenschaftler begründet seinen Glauben) erzählt Collins seine Geschichte und berichtet von seiner beruflichen Laufbahn, aber auch von seiner Reise zum christlichen Glauben. Er schreibt:
„Ich begab mich auf diese Reise intellektueller Forschung, um meinen Atheismus zu bestätigen. Der liegt nun in Trümmern, weil ich mich gezwungen sah […], die Plausibilität der Gottes-Hypothese einzugestehen.“[2]
Das sollte uns zu denken geben. Vielleicht ist es tatsächlich möglich, sich tief der Wissenschaft zu verschreiben und sich intellektuell doch zum Glauben an den christlichen Gott hingezogen zu fühlen. Wenn dem so ist, wäre die Wahl zwischen sicheren Fakten der Wissenschaft oder blindem Glauben der Religion komplizierter als oft dargestellt. Diesem Gedanken möchte ich hier nachgehen.
Eine Konfliktgeschichte?
Diejenigen von uns, die Unmengen von populärer wissenschaftlicher Literatur genossen haben, werden mit der Geschichte dieses Konfliktes wohlvertraut sein – wie große Wissenschaftler in der Vergangenheit dafür gekämpft haben, um Aberglaube und religiöse Vorurteile zu überwinden und ein Zeitalter der Aufklärung und Vernunft herbeizuführen.
Doch wer ein bisschen in die tatsächliche Geschichte der Wissenschaft eintaucht, findet ein anderes Bild.[3] Wir stellen fest, dass Wissenschaft und Religion keine lange Konfliktgeschichte hinter sich haben, sondern viele der großen Revolutionäre der Wissenschaft der vergangenen Zeit – Galileo, Kopernikus, Kepler, Bacon, Boyle, Clerk-Maxwell, Faraday, Newton (um nur einige zu nennen) – nicht nur an Gott glaubten, sondern ihre Motivation für ihre wissenschaftlichen Unternehmungen gerade in ihren religiösen Überzeugungen fanden. Ein Gang durch die Ruhmeshalle der Nobelpreisträger würde James Watson großen Anlass zum Ärger geben, denn mehr als 60 Prozent der Preisträger in Physik, Chemie und Medizin im letzten Jahrhundert bezeichneten sich als Christen.[4]
Tatsächlich wird die These eines Konflikts zwischen Wissenschaft und Religion von Wissenschaftshistorikern heute rundweg als purer Mythos zurückgewiesen. Peter Harrison fasst zum Beispiel in seinem Artikel „Christianity and the Rise of Western Science“ zusammen:
„Diejenigen, die für die Inkompatibilität von Wissenschaft und Religion argumentieren, finden in der Geschichte wenig Beistand. […] Den Mythos eines andauernden Konfliktes zwischen Wissenschaft und Religion würde kein Wissenschaftshistoriker unterschreiben.“[5]
Der Lauf der Geschichte
Aber das ist die Geschichte. Wissenschaft ist von Fortschritt gekennzeichnet. Paradigmen ändern sich und alte Theorien werden laufend verworfen und durch tiefere und umfassendere Vorstellungen von der Wirklichkeit ersetzt. Vielleicht ist mit dem Fortschritt der Wissenschaft der Glaube an Gott zunehmend überflüssig geworden.
So sieht es sicherlich Peter Atkins, der Professor für phsysikalische Chemie in Oxford war:
„Wissenschaft, das System von Überzeugungen, das sich sicher auf öffentlich geteilte, wiederholbare Erkenntnis gründet, entstand aus der Religion. Als die Wissenschaft dem Kokon entschlüpft und zum heutigen Schmetterling wurde, übernahm sie das Feld.“[6]
Für Atkins hatte die Religion in unserer Geistesgeschichte einst eine Funktion, doch diese ist nun von der Wissenschaft voll und ganz übernommen worden. Die Kraft der Wissenschaft und ihrer Erkenntnisse hat es uns Menschen ermöglicht, unsere Flügel auszubreiten und den engen Kokon der Religion hinter uns zu lassen. Atkins fährt fort:
„Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass die Wissenschaft nicht mit jedem Aspekt der Existenz umgehen könnte. Nur religiöse Menschen – und damit meine ich nicht nur die Voreingenommenen, sondern auch die Uninformierten – hoffen auf eine dunkle Nische im Universum der Physik oder der Erfahrung, die niemals von der Wissenschaft erhellt werden wird.“[7]
Atkins stellt hier zwei wichtige Behauptungen auf, die wir uns anschauen müssen, wenn wir darüber nachdenken, ob die Wissenschaft Gott überflüssig gemacht hat.
Erstens ist Atkins sehr überzeugt davon, dass Wissenschaft hinlänglich ausreichend ist (sufficiency), um jeden Aspekt unserer gelebten menschlichen Erfahrung zu erklären. Die Wissenschaft biete ein umfassendes, gänzlich umspannendes Verständnis unseres Universums, das weder Raum noch Notwendigkeit für die Annahme eines Gottes lässt.
Zweitens stellt Atkins Wissenschaft als exklusiv hin: Als „System von Überzeugungen, das sich sicher auf öffentlich geteilte, wiederholbare Erkenntnis gründet“ bietet es eine einzigartig verlässliche Quelle von Erkenntnis über die Welt, die von keiner Religion oder anderen Erkenntnismethode übertroffen werden kann. Damit sagt er, dass Wissenschaft der beste und einzige Weg ist, die Welt zu verstehen – wir brauchen kein anderes Licht und haben auch keines, um unsere menschliche Erfahrung zu beleuchten.
Dies sind bedeutende Behauptungen, die in unserer Kultur sehr verbreitet sind. Deshalb wollen wir uns sie nun genauer anschauen.
Die Fähigkeiten der Wissenschaft
Zweifellos hat die Wissenschaft eine große Kraft. Ich arbeite im spannenden Bereich der Regenerativen Medizin. Sie zielt darauf, aus Stammzellen Strukturen und Organe zu erneuern, die durch Unfall oder Krankheit geschädigt sind. Einer der großen Durchbrüche auf diesem Feld war die Entdeckung der induzierten pluripotenten Stammzellen durch den Nobelpreisträger Shinya Yamanaka von der Kyoto University in Japan. „Pluripotent“ bezieht sich auf das Potenzial unserer Zellen im embryonalen Stadium, sich in alle verschiedenen Strukturen und Zelltypen zu spezialisieren, die unseren Organismus ausmachen. Die reifen Zellen unseres ausgewachsenen Körpers, die nun unsere Strukturen und Organe formen (z.B. Knochen, Gehirn oder Blutzellen), können dies nicht mehr. Das heißt, dass das Potenzial, alte Zellen durch neue zu ersetzen, um Strukturen neu zu generieren, recht begrenzt ist.
Shinya Yamanaka machte die erstaunliche Entdeckung, dass es möglich ist, ausgereifte Zellen, wie z.B. Hautzellen, wieder in pluripotente Stammzellen zu reprogrammieren (oder zu „induzieren“). Alte adulte Zellen können das Potenzial zurückgewinnen, das sie ganz am Anfang ihrer Entwicklung hatten. Für Forscher wie mich, die im Bereich der regenerativen Medizin arbeiten, ist dies von enormer Bedeutung: Wissenschaftler könnten eines Tages in der Lage sein, Zellen aus einem Abstrich zu entnehmen, sie in Stammzellen zu verwandeln und sie dann dazu zu bringen, zu Nervenzellen zu werden, um Parkinson zu heilen, oder zu Zellen der Bauchspeicheldrüse, um Diabetes zu behandeln, oder zu verschiedenen anderen Zellen, um eine Vielzahl von anderen Krankheiten und Verletzungen zu behandeln.
Das ist eine außergewöhnliche Entdeckung, aber wie konnte Yamanaka sie beweisen? Um zu beweisen, dass man eine Stammzelle hat, muss man zeigen, dass sie alle Fähigkeiten einer Stammzelle hat – dass sie tatsächlich pluripotent ist. Dafür injizierte Yamanaka Stammzellen, die aus einigen Hautzellen einer erwachsenen Maus gewonnen wurden, in einen drei Tage alten Mausembryo. Wären es normale Zellen, würden sie einfach absterben, aber weil Yamanakas Zellen tatsächlich Stammzellen waren, verschmolzen sie mit dem Embryo und trugen zur Entwicklung jedes Gewebes im Körper der Maus bei. Diese gesunde Maus war eine Chimäre, bei der die Hälfte der Zellen aus denjenigen gebildet wurde, die nur Monate zuvor in Yamanakas Labor gewachsen waren.
Es war eine eindrucksvolle Demonstration einer außergewöhnlichen Entdeckung. Solche Vorgänge verleihen der Wissenschaft in unserer Welt so viel Glaubwürdigkeit. Wie Richard Dawkins bemerkt: „Die Wissenschaft untermauert ihren Wahrheitsanspruch durch ihre außergewöhnliche Fähigkeit, Materie und Energie sich auf ihr Kommando hin ein Bein auszureißen und vorherzusagen, was wann passieren wird.“[8]
Die Wissenschaft besitzt erstaunliche Fähigkeiten und hat daher eine enorme Glaubwürdigkeit als Mittel zur Wahrheitsfindung. Diese Erkenntnis hat viele Menschen dazu veranlasst, die Welt nur noch damit erklären zu wollen, was die (natur-)wissenschaftliche Methode erlaubt, die uns doch so effektiv verlässliches Wissen über unsere Welt liefert. Der Philosoph Daniel Dennett beschreibt in seinem Buch Consciousness Explained seine Arbeitsmethodik: „Es gibt nur eine Art von Stoff, nämlich Materie – den physischen Stoff der Physik, Chemie und Physiologie [...]. Wir können (im Prinzip!) jedes geistige Phänomen mit den gleichen physikalischen Prinzipien, Gesetzen und Grundstoffen erklären.“[9]
Dennetts Methode ist geprägt von der Überzeugung, dass nur die Wissenschaft uns verlässliches Wissen über die Welt liefert und sie daher das einzige wirkliche Werkzeug ist, das wir haben, um uns selbst, das Universum und alles andere zu verstehen. Die Aufgabe, die wir zu bewältigen haben, besteht also darin, zu versuchen, alles über uns selbst nur in Begriffen der Biologie, Chemie und Physik zu erklären.
„All you need is ... Gehirnmasse“
Angesichts der Effektivität der Wissenschaft mag die intellektuelle Disziplin, sich auf diese Art von Erklärungen zu beschränken, sinnvoll erscheinen, aber sie kann auch zu eher kontraintuitiven Schlussfolgerungen führen. Hier zum Beispiel der Austausch, den Richard Dawkins mit einem christlichen Interviewer zum Thema Liebe hatte:
Interviewer: „Jesus sagte, dass die Liebe der Sinn des Lebens ist. Klingt das für Sie unsinnig?“
Dawkins: „Es klingt wie etwas Aufgepfropftes, ein überflüssiger Auswuchs des Lebens, den ich besser zu verstehen glaube. Aber es überrascht mich nicht, dass Gehirne, so wie sie sind, die Fähigkeit haben, unsinnige Zwecke des Universums zu erfinden.“
Interviewer: „Was bedeutet ‚Liebe‘?“
Dawkins: „Das habe ich doch schon gesagt. Es ist eine Emotion, die eine Manifestation des Gehirns ist.“[10]
Für Dawkins ist Liebe nichts weiter als ein Gefühl, „eine Manifestation des Gehirns“. Das ist alles. Und jeder Versuch, der Liebe eine zentralere Bedeutung zu geben und sie in irgendeine Beziehung zu dem zu setzen, was unser Leben sinnvoll macht, legt der Realität etwas Überflüssiges auf, das nicht wahr oder real ist. Wir würden vielleicht gerne glauben, dass es die Liebe ist, die den Kern unseres Menschseins und unserer Werte ausmacht und dass unsere Beziehungen zu den Menschen, die wir lieben, unserem Leben Bedeutung verleihen – aber das ist eine Illusion, ein „falscher Sinn“.
Nun ist dies eine sehr radikale Perspektive auf den Sinn des Lebens und der Liebe, aber sie ergibt sich zwingend aus der obigen Überzeugung, die Dawkins mit Dennett teilt: das Bekenntnis zu einer Methodologie, die versucht, alle menschlichen Erfahrungen (und alles andere) nur mit dem zu erklären, was den Naturwissenschaften zur Verfügung steht – der Physik, Chemie und Physiologie.
Ich denke, viele von uns würden diese Art der Erklärung von Liebe für eher unzureichend ansehen. Natürlich entspringt Liebe als Emotion der Physiologie unseres Gehirns, aber sicherlich würden wir darüberhinaus noch etwas mehr sagen wollen. Zumindest auf den ersten Blick scheint es, dass die Physiologie allein diesen Kernaspekt unserer gelebten Erfahrung nicht ausreichend erklären kann.
Nun ist das zugegebenermaßen ein ziemlich schwaches Argument; wir sagen im Wesentlichen, dass es sich nicht richtig anfühlt. Aber es gibt auch ein schwierigeres philosophisches Problem mit Dawkins‘ Darstellung der menschlichen Erfahrung. Das wird deutlich, wenn er sagt: „Es überrascht mich nicht, dass Gehirne, so wie sie sind, die Fähigkeit haben, falsche Zwecke für das Universum zu erfinden.“ Er spricht über unser Gehirn und seine Funktion.
Reduziertes Gehirn
Patricia Churchland, eine weitere Wissenschaftsphilosophin, die sich dafür stark macht, die menschliche Erfahrung auf die Biologie zu reduzieren, sagt über unser Gehirn:
„Auf das Wesentliche reduziert [...] besteht die Aufgabe des Nervensystems darin, die Körperteile dahin zu bringen, wo sie gebraucht werden, damit der Organismus überleben kann [...]. Eine kunstvollere Repräsentation hilft, solange sie auf die Lebensweise des Organismus abgestimmt ist und seine Überlebenschancen erhöht. Die Wahrheit, was auch immer das sein soll, kann sich definitiv hinten anstellen.“[11]
Nach Churchland ist also der Grund, warum Sie und ich denken und versuchen, den Dingen einen Sinn zu geben (was Churchland „repräsentieren“ nennt), letztlich nicht die Suche nach Wahrheit. Das ist nicht der Grund und der Sinn, warum wir hier sind und worum es in der Welt geht, und deshalb auch nicht der Zweck unseres Gehirns. Unsere Gedanken und Überzeugungen sind lediglich Überlebensmechanismen. Ihre Funktion muss daher ausschließlich im Hinblick auf den Überlebensnutzen verstanden werden – jegliche Wahrheitsfindungsfunktion (wenn es so etwas gibt) ist ein sekundäres Nebenprodukt.
Nun hieße dies natürlich nicht zwangsläufig, dass die Gedanken unseres Gehirns nicht auch wahr sein könnten. Richtige Überzeugungen (wie „dieser Löwe will mich fressen“) können uns helfen, zu überleben. Aber es gibt keinen Grund zur Annahme, dass dies die Regel ist. Ein gutes Beispiel hierfür ist die Religion. Für Churchland und andere ist der Grund, warum religiöser Glaube so weit verbreitet ist, sicherlich nicht sein Wahrheitgehalt. Religion könne nur existieren, weil sie Überlebensvorteile bietet, etwa weil sie dem sozialen Zusammenhalt dient. Denn schließlich haben wir das Gehirn, mit dem wir denken, argumentieren und glauben, nicht, um herauszufinden, was wahr oder falsch ist, sondern einzig und allein, um uns beim Überleben zu helfen.
Aber gibt es da nicht ein Problem? Denn auf diese Weise werden ja nicht nur religiöse Überzeugungen als wahnhafte Überlebensmechanismen abgekanzelt, sondern ebenso alle anderen Überzeugungen über Sinn und Ziel des Lebens, einschließlich meiner Überzeugungen über die Wissenschaft selbst. Letztlich kann ich dem, was mein Gehirn mir über die Welt und meinen Platz in ihr sagt, genauso wenig trauen, wie ich von meinem Herzschlag erwarten kann, mir die Uhrzeit zu nennen – dafür ist er einfach nicht da. Das führt zu diversen Problemen, denn wenn ich meinem Gehirn nicht trauen kann, darf ich ihm auch nicht folgen, wenn es mir sagt, dass ich ihm nicht vertrauen kann! Das ist, was Philosophen als selbstwiderlegend bezeichnen; eine Schlussfolgerung, die sich selbst untergräbt. Raymond Tallis, ein säkularer Wissenschaftsphilosoph, hat dieses Problem erkannt und kommt zur gleichen Schlussfolgerung:
„Das biologistische Menschenbild leugnet im Grunde die Zentralität, ja sogar die Möglichkeit gerade jener einzigartigen Fähigkeiten, die den Menschen in die Lage versetzt haben, über die Evolution zu theoretisieren oder die Neurowissenschaften zu entwickeln. Wenn Über die Entstehung der Arten [Darwins Hauptwerk, Anm. d. Übers.] wirklich das letzte Wort über den Menschen wäre, hätte es nicht geschrieben werden können.“[12]
„Biologie, Chemie und Physik beschreiben Aspekte unseres Menschseins, aber sie reichen nicht aus, um zu erklären, wer oder was wir sind.“
Tallis‘ Punkt ist: Der Ansatz, den Menschen nur in Begriffen der Biologie zu erklären, gräbt am Ende der Wissenschaft selbst das Wasser ab. Der Versuch, die Vorstellung von uns selbst in die sehr begrenzte Art von Erklärung zu pressen, die uns die Wissenschaft liefern kann, scheitert letztlich. Wenn man alles aus unserer menschlichen Geschichte herauszensiert, was nicht durch ein wissenschaftliches Experiment bestätigt wird, macht die Geschichte keinen Sinn mehr. Sie wird inkohärent. Biologie, Chemie und Physik beschreiben Aspekte unseres Menschseins, aber sie reichen nicht aus, um zu erklären, wer oder was wir sind.
Der Sinn der Wissenschaft
Lassen Sie mich anfügen, dass der christliche Glaube an einen rationalen Schöpfer, der uns nach seinem Ebenbild geschaffen hat, eine vielversprechendere Grundlage für die Wissenschaft bietet als dieses rein „biologistische“ Bild von uns. Wie Simon Conway Morris, Cambridge Professor für evolutionäre Paläobiologie (selbst ein Christ) argumentiert:
„Ein Produkt der Evolution zu sein gibt keinerlei Garantie dafür, dass das, was wir als Rationalität wahrnehmen, [...] mehr als eine reine Gemütsverfassung ist. Wenn jedoch das Universum tatsächlich das Produkt eines rationalen Geistes ist und die Evolution einfach die Suchmaschine, die uns durch Wahrnehmung und Bewusstsein hilft, die fundamentale Architektur des Universums zu entdecken – ein Punkt, den viele Mathematiker intuitiv spüren, wenn sie von der ,unvernünftigen Effektivität‘ der Mathematik sprechen –, dann machen die Dinge auf einmal nicht nur viel mehr Sinn, sondern sie werden auch viel interessanter.“[13]
„Es ist eine historische Tatsache, dass sich die moderne Wissenschaft aus einem Verständnis der Welt als Gottes geordneter Schöpfung entwickelt hat, die in sich rational ist.“
Wir haben bereits die starke Bindung vieler der großen Pioniere der Wissenschaft an das Christentum gesehen. Wissenschaftshistoriker sehen darin keinen Zufall. Damit sich aufwändige Experimente und tiefschürfende Überlegungen lohnen, mussten diese frühen Wissenschaftler daran glauben, dass das Universum im tiefsten Inneren sinnvoll ist und sie das auch erkennen können. Roger Trigg, Professor für Philosophie an der University of Warwick, weist darauf hin, dass keiner dieser beiden Glaubenssätze als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann: „Es ist eine historische Tatsache, dass sich die moderne Wissenschaft aus einem Verständnis der Welt als Gottes geordneter Schöpfung entwickelt hat, die in sich rational ist.“[14]
Jenseits der Wissenschaft
Um das Menschsein und den Sinn der Wissenschaft zu verstehen, müssen wir anscheinend außerhalb der Wissenschaft suchen. Aber das ist ja das ganze Problem: Was außer der wissenschaftlichen Methode könnte uns zuverlässig Auskunft über die Welt geben? Selbst wenn die Wissenschaft nicht ausreicht, ist sie nicht immer noch einzigartig in ihrer Fähigkeit, Wahrheit zu entdecken?
Der berühmte Philosoph Bertrand Russell dachte so und schrieb: „Was immer an Wissen erreichbar ist, muss durch wissenschaftliche Methoden erlangt werden; und was die Wissenschaft nicht entdecken kann, kann die Menschheit nicht wissen.“[15]
Doch diese Aussage ist problematisch. Russell stellt hier eine Behauptung auf, die er selbst nicht mit wissenschaftlichen Methoden erlangt hat. Er ist schließlich Philosoph und kein Wissenschaftler. Er behauptet also, etwas zu wissen, was er nach seinen eigenen Maßstäben eigentlich nicht wissen kann.
Dahinter liegt vermutlich noch ein anderes Problem, das noch tiefer reicht und vor dem der Philosoph E. A. Burtt gewarnt hat:
„Ein Mann, der einer wichtigen Forschungsfrage nachgeht, […] muss eine Methode haben, und er wird ständig in Versuchung sein, aus seiner Methode eine Metaphysik zu machen, d.h. davon auszugehen, dass die Welt letztlich so ist, dass sie seiner Methode entspricht.“[16]
Burtt warnt vor der (offensichtlich nur von Menschen anzutreffenden) Gefahr, dass eine bestimmte Methode bestimmen darf, wie das Universum beschaffen ist, und nicht andersherum. Das mag etwas philosophisch und abstrakt klingen, aber es ist ein sehr grundlegender Irrtum. Meine Tochter hatte das schon mit einem Jahr gelernt: Als sie neun oder zehn Monate alt war, brauchte ich das Telefon nur in meine Tasche zu stecken, damit sie nicht mehr damit spielen wollte. Sie verhielt sich dann fröhlich so, als würde es nicht mehr existieren, und wollte etwas anderes haben, was sie nicht durfte. Wenige Monate später funktionierte diese Taktik nicht mehr, denn nun hatte sie etwas sehr Wichtiges über die Welt gelernt: Nur weil sie etwas nicht sehen konnte, hieß das nicht, dass es nicht da war. Sie musste nur eine andere Methode anwenden, um an das Spielzeug heranzukommen. Also zupfte sie an meinem Ärmel und strahlte mich lächelnd an – und bekam früher oder später Zugang zum Objekt ihrer Faszination. (Die zweite Methode hat sich übrigens bis heute bewährt.)
Genauso lernen Wissenschaftler schon sehr früh, dass die Natur die Methode bestimmen muss - nicht andersherum. Es ist schlechte Wissenschaft zu sagen: „Ich habe dieses wirklich tolle Testverfahren, das mir immer zuverlässige Ergebnisse liefert, also werde ich mein Verständnis meines Themas nur auf das beschränken, was ich mit diesem Verfahren herausfinden kann.“ Ein Astronom sagt nicht: „Naja, mein Teleskop kann nur so weit sehen, also werde ich meinen Blick ins All auf das beschränken, was ich durch mein Teleskop sehen kann.“ Das würde bedeuten, dass wir unsere Vorstellung von der Wirklichkeit verzerren, indem wir sie an die Grenzen der Methode anpassen, anstatt zuzulassen, dass die Realität selbst unsere Methoden und Konzepte prägt. Das, denke ich, ist der Denkfehler, der zu dem sehr unbefriedigenden „biologistischen Bild“ von uns führt, das wir oben gesehen haben. Wir sind in eine Form gezwängt worden, die durch eine begrenzte Methode vorgegeben ist.
Ironischerweise ist dieser Irrtum des „Szientismus“ – die Behauptung, die Wissenschaft sei der einzige Weg zu verlässlichem Wissen – am Ende schlechte Wissenschaft. Wissenschaftler erkennen (wenn sie tatsächlich Wissenschaft betreiben, anstatt sich in Philosophie zu versuchen) wie meine Tochter, dass es immer mehr zu entdecken gibt als das, was unsere derzeitigen Methoden uns sagen können. Tatsächlich ist dieser Glaube genau das, was die Wissenschaft voranbringt, weil Wissenschaftler ständig daran arbeiten, neue und bessere Wege zu finden, um weiter und tiefer zu sehen.
Wissenschaftler stellen sich immer die Frage: „Was wäre, wenn?“ Was wäre, wenn es mehr zu entdecken gäbe, wenn wir nur mehr sehen könnten? Was wäre, wenn es so funktionieren würde? Diese Frage bringt neue Wege in der Forschung hervor – nicht nur die Motivation dafür, sondern auch die Konzeption der Methoden, die uns den Zugang zu diesen hypothetischen Möglichkeiten eröffnen. Wenn es so wäre – was würden wir erwarten? Wie könnten wir das prüfen? Wie könnten wir es sehen? Auf diese Weise versuchen Wissenschaftler, über die aktuellen Grenzen der Wissenschaft hinauszugehen, um neue Zugänge zur Wirklichkeit zu erschließen.
Was wäre, wenn?
Stellen wir also die Frage nach dem Sinn, die schon ein paar Mal aufgetaucht ist. Was wäre, wenn hinter dem Leben und dem Nervensystem mehr steckte als das bloße Überleben? Was wäre, wenn Liebe tatsächlich der zentrale Sinn des Lebens wäre? Wenn der Versuch, den Dingen einen Sinn abzuringen, zumindest ein Teil dessen wäre, wozu unsere Gehirne eigentlich da sind? Wie würden wir vorgehen, um so etwas wie Sinn zu entdecken und zu erforschen?
Der Philosoph und Theologe Lesslie Newbigin liefert hier eine hilfreiche Einsicht in die Grenzen der wissenschaftlichen Methode, um so etwas wie Sinn zu erforschen:
„Ursache ist etwas, das durch Beobachtung und Vernunft entdeckt werden kann. In den Sinn kann man keinen Einblick bekommen, denn bis er erkannt worden ist, ist er im Geist desjenigen verborgen, dessen Sinn er ist.“[17]
Newbigin erkennt: Die Mechanismen von Ursache und Wirkung können wissenschaftlich erfasst werden, aber mit dem Sinn ist es anders; er bleibt solchen experimentellen Techniken verborgen. Warum ist das so? Newbigin sieht, dass ein Sinn oder Ziel etwas ist, das nur eine Person hat oder geben kann. Ein Ziel vor Augen zu haben heißt, sich etwas für die Zukunft vorzustellen, Wünsche zu hegen, Pläne zu schmieden und Schritte auf dieses Ziel hin zu gehen. Ziele sind persönlich, sie entstehen im Kopf einer Person und sind als solche nicht einsehbar.
Newbigin bedient das Bild einer Baustelle. Wenn man vorbeikommt, kann man Furchen im Boden, Stapel von Ziegelsteinen und Werkzeuge herumliegen sehen. Man begreift, dass dahinter irgendein Plan steht, aber man kann ihn nicht unmittelbar erkennen.
Auf ähnliche Weise begegnen wir auch dem Leben in unserer Welt: Es gibt viel Chaos und Probleme, aber auch jede Menge Hinweise auf Sinn: die Erfahrung von Schönheit, der Glaube, dass unser Leben wichtig ist und einen Sinn hat, die Frustration, dass die Dinge nicht so sind, wie sie sein „sollten“, das Gefühl von unerfüllten Versprechen. Aber wenn es so etwas wie einen Sinn des Lebens gäbe, wie könnten wir ihn herausfinden?
Im Beispiel der Baustelle gibt es zwei Möglichkeiten: Man kann den empirischen Ansatz wählen und später zurückkommen und das fertige Gebäude besichtigen; d.h. man wartet, bis der Plan realisiert ist, um den Sinn der Baustelle herauszufinden. Oder, wenn man nicht warten möchte: Sie gehen zum Architekten oder zum Bauherrn und fragen ihn, was er vorhat.
Doch wenn es darum geht, so Newbigin weiter, das Wozu der Welt oder sogar den Sinn unseres Lebens zu entdecken, hilft die erste Möglichkeit nicht weiter – bis zum Ende zu warten ist keine Option! Wenn es einen Sinn für unser Leben in dieser Welt gibt, können wir ihn nur finden, wenn derjenige, der den Sinn gibt, ihn uns offenbart.
Der Sinnstifter
Das Herzstück des Christentums ist die Behauptung, dass es einen Schöpfergott gibt, der uns nicht nur seine Absichten in der Schöpfung, sondern auch sein eigenes Wesen bekannt und erkennbar gemacht hat.
Das Johannesevangelium, ein Augenzeugenbericht aus dem ersten Jahrhundert über das Leben Jesu, beginnt mit den bemerkenswerten Worten: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. Dieses war im Anfang bei Gott. Alles ist durch dasselbe entstanden“ (Joh 1,1–3a).
Für „Wort“ steht hier der griechische Begriff logos, von dem unser Wort „Logik“ stammt. Es bedeutet, dass hinter allem eine inhärente Rationalität steht, ein tiefes Prinzip oder eine Logik, die es uns ermöglicht, einen Sinn in dieser Welt und unseren Platz darin zu finden. Diesen Logos zu entdecken und das Leben in Harmonie mit ihm zu leben, war für die alten griechischen Philosophen das Geheimnis eines guten, erfüllten und lebenswerten Lebens.
Aber Johannes nimmt diesen Gedanken des Logos und macht etwas sehr Interessantes: Er personalisiert ihn. Johannes sagt von dem „Wort“, das „im Anfang bei Gott war“, dass es keine Sache ist, sondern eine Person. Und er geht noch weiter:
„Und das Wort wurde Fleisch und wohnte unter uns; und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des Eingeborenen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit (Joh 1,14).“
Die erstaunliche These des christlichen Glaubens ist, dass der Grund für alles, die ultimative Logik hinter dem Universum, sich uns zu erkennen gegeben hat, indem er als Person einer von uns wurde. Er selbst hat sich uns zugänglichgemacht.
Das Geheimnis des Erfolgs der Wissenschaft
Der Grund für den großen Erfolg der Wissenschaft ist nicht so sehr der Einfallsreichtum ihrer Methoden – so wunderbar und genial sie auch oft sind. Er ist auch nicht einfach auf die Strenge ihrer Institutionen und Praktiken oder die Kreativität und das Engagement der Wissenschaftler selbst zurückzuführen, obwohl all dies zu würdigen ist. Der Erfolg der Wissenschaft liegt meiner Meinung nach letztlich an der Zugänglichkeit ihres Gegenstandes.
Die Naturwissenschaften befassen sich mit Dingen, die man in die Hand nehmen kann, die man auseinandernehmen, anstoßen, beeinflussen und steuern kann. Die Erfolge der Wissenschaft liegen in der Zugänglichkeit der Natur für diese experimentelle Methode begründet. Wenn die Wissenschaft Fortschritte macht, dann in der Regel, weil neue Techniken entwickelt wurden, mit denen man auf Teile der Realität zugreifen kann, die vorher außerhalb des Zugriffs lagen. Neue Ideen setzen sich durch, weil sie es uns ermöglichen, Probleme intellektuell zu erfassen, die zuvor diffus oder unlösbar erschienen. Der Erfolg der Wissenschaft ist letztlich auf die Zugänglichkeit ihres Gegenstandes zurückzuführen.
Die zentrale Behauptung des Christentums ist, dass wir Gott, den Sinnstifter hinter allem, genau deshalb kennen und ihm begegnen können. In der Person Jesu ist Gott Fleisch und Blut geworden und in die menschliche Geschichte eingetreten. Er hat sich für uns erreichbar gemacht, er hat uns den Zugang zu ihm ermöglicht. Was heißt das?
Die These prüfen
Zunächst einmal bedeutet dies, dass der Gott des Christentums sich unserer Prüfung unterzieht. Das Christentum steht und fällt mit einem historischen Anspruch, der untersucht werden kann. Eine persönlich Offenbarung in einer Höhle, eine mystische Erfahrung oder eine abstrakte Philosophie kann man nicht untersuchen, sondern nur im Glauben annehmen. Aber die Behauptung, dass Jesus gelebt hat, gestorben und auferstanden ist, können wir prüfen und erforschen. Wie ein Kosmologe heute die kosmische Strahlung des Urknalls am Anfang des Universums analysiert, ein Paläontologe den Einschlag eines Asteroiden vor Jahrtausenden untersucht oder ein Genetiker ein rudimentäres Merkmal durch die Evolutionsgeschichte zurückverfolgt, so ist auch die erstaunliche Auswirkung eines gekreuzigten Zimmermannssohns vor zweitausend Jahren auf die Geschichte etwas, das wir untersuchen können.
Die Autoren des Neuen Testaments laden uns ein, genau das zu tun, indem wir ihr Zeugnis untersuchen und die Beweise abwägen, die sie für das liefern, was sie vorgeben, gesehen, gehört und berührt zu haben: „Was von Anfang war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen haben, was wir angeschaut und was unsere Hände betastet haben vom Wort des Lebens“ (1Joh 1,1).
Jetzt wird’s persönlich
Aber der Zugang zu dieser Realität ist nicht nur eine Frage der Prüfung einer historischen Behauptung. Wenn Jesus der ist, der er behauptet zu sein, dann ist die ultimative Wirklichkeit nicht eine Sache, sondern eine Person. Der tiefste Grund für unsere Existenz ist keine Gleichung, kein logisches Prinzip oder eine Kraft, die nur für die großen Geister der Wissenschaftler und Philosophen zugänglich wäre. Es ist eine Person. Eine Person, die Sie kennt und liebt und die sehr viel eingesetzt hat, damit Sie sie erkennen können. Indem er einer von uns wurde und unter uns wohnte, lädt uns der Gott Jesu nicht nur ein, an seine Existenz zu glauben, sondern ihn persönlich kennenzulernen.
Ich bin Wissenschaftler. Ich verstehe gut, wenn Sie sich bei dieser Art von Gespräch etwas unwohl fühlen sollten. Wie Sheldon Cooper so wunderbar karikiert, sind Wissenschaftler nicht dafür bekannt, „Menschen zu sein“. Wir fühlen uns oft wohler, wenn wir die Objekte unserer Forschung sezieren können, anstatt mit ihnen zu reden. Aber so unangenehm es uns auch sein mag, die angemessene Reaktion auf solch einen Anspruch ist nicht, ihn von vornherein abzulehnen, weil er jenseits unserer üblichen Methoden liegt, sondern sich mit der Hypothese auseinanderzusetzen und noch einmal zu fragen: „Was wäre wenn?“
Denn wenn die ultimative Realität nicht etwas ist, das man auseinandernehmen, bearbeiten, beeinflussen und steuern kann, sondern eine Person, die uns anspricht und einlädt, sie kennenzulernen, dann brauchen wir einen anderen Ansatz. Als Wissenschaftler, der verheiratet ist, habe ich selbst gelernt, dass man einen Menschen nicht kennenlernt, indem man Experimente an ihm durchführt.
Jemanden kennenzulernen heißt, sich der Möglichkeit zu öffnen, dass er Sie wirklich kennenlernen möchte. Als ich meine Frau zum ersten Mal traf, nannte sie mir natürlich ihren Namen. Hätte ich in diesem Moment gespottet und gesagt: „Hör zu, ich bin Wissenschaftler, du kannst nicht erwarten, dass ich Wahrheit durch Offenbarung akzeptiere; bitte zeig mir deinen Personalausweis.“ Ich bin mir ziemlich sicher (so wie ich sie jetzt kenne), dass sie heute nicht meine Frau wäre. Ich hätte sie nie kennengelernt. Meine Methode hätte meine (eher traurige) Realität bestimmt.
Der christliche Anspruch ist, dass die ultimative Realität jemand ist, der sich zu einem von uns gemacht hat, um in Beziehung zu Ihnen und mir treten zu können. Diesen Anspruch von vornherein abzutun, weil man darauf besteht, nur an das zu glauben, was man experimentell untersuchen kann, entscheidet über die Antwort, bevor man überhaupt mit der Erforschung begonnen hat. Ihre Methode bestimmt Ihre Wirklichkeit. Das ist, mit anderen Worten, keine gute Wissenschaft. Nur wenn man sich der Hypothese als echter Option unter ihren eigenen Bedingungen stellt und sich ihr als realer Möglichkeit öffnet, besteht die Hoffnung, die Wahrheit herauszufinden.
Methodologie des Glaubens
Wie machen wir das? Beginnen wir damit, die Behauptungen zu untersuchen, die das Neue Testament über Jesus aufstellt. Schauen wir uns die Zeugnisse derer an, die behaupten, ihn gehört, gesehen und berührt zu haben, um selbst zu sehen, ob sie Sinn machen und einer Überprüfung standhalten. Ein hervorragender Ausgangspunkt dafür ist Lukas mit seinem Evangelium und der Apostelgeschichte (sein Bericht über das Wachstum des frühen Christentums in den ersten dreißig Jahren). Lukas war ein griechischer Arzt aus dem ersten Jahrhundert, der sich ausdrücklich daran macht, die Berichte der Augenzeugen sorgfältig zu untersuchen (vgl. Lk 1,1).[18]
Wenn es nun darum geht, jemanden kennenzulernen, der sich – gemäß der fraglichen Hypothese – seinerseits auch an uns wendet, scheint es angemessen, mit dem Gebet zu experimentieren. Wenn es keinen Gott gibt, dann gilt vermutlich die Nullhypothese: Es wird nichts Bedeutsames passieren. Aber wenn es Gott gibt und wenn er der Gott ist, den Jesus zeigen wollte, dann könnte das Gespräch mit ihm, das Eingeständnis unserer Zweifel und Vorbehalte, die Bitte an ihn, uns die Wahrheit zu offenbaren – mit anderen Worten, der Versuch einer ehrlichen Beziehung zu dieser Beziehungswirklichkeit (relationalen Realität) – tatsächlich das „wissenschaftlich“ Angemessenste sein, was wir tun können.
Schlussfolgerung und Ausblick
Meine Hoffnung ist, dass dieser kurze Artikel dazu anregt, sich gedanklich mit dem Glauben an Jesus auseinanderzusetzen – auch oder gerade wenn vorherige Überlegungen aus Befürchtung, die Grenzen der Wissenschaft zu überschreiten, aus dem Blick geraten sind. Die wissenschaftliche Methode ist wunderbar und zu vielem fähig, aber sie reicht allein nicht aus. Der Versuch, uns selbst und alles andere in der Welt nur in das zu zwängen, was wir experimentell beweisen können, endet in Inkohärenz und verfehlt den Sinn der Wissenschaft. Der Glaube, dass die wissenschaftliche Methode der einzige Weg sei, die Realität zu erforschen, führt dazu, dass manches nicht weiter untersucht wird und die Entdeckung des Reichtums der realen Welt beschränkt wird – einer Welt, in der Sinn und Personsein eine herausragende Rolle spielen.
Ich glaube, dass die These des Christentums, dass Gott, der Logos hinter dem Universum, sich uns selbst zugänglich gemacht hat, es wert ist, überprüft zu werden. Als ich mich mit der Person Jesu beschäftigt und sie für mich entdeckt habe, habe ich die Erfahrung gemacht, dass nicht nur Fragen beantwortet werden, sondern dass sich auch neue Fragen eröffnen und eine ganz neue Welt der Entdeckung sich auftut. Wenn das wirklich wahr ist, dann bekommen Dinge, wie Conway Morris sagte, nicht nur viel mehr Sinn – sie werden auch viel interessanter.
[1] Richard Dawkins, The God Delusion (London: Black Swan, 2007), S. 125f.
[2] Francis Collins, The Language of God (Free Press, 2006), S. 30.
[3] Vgl. z.B. Ronald Numbers *(*Hg.), Galileo Goes to Jail and Other Myths about Science and Religion (Harvard University Press, 2009).
[4] Vgl. z.B. Weijia Zhang, Robert Fuller, „Nobel prize winners in physics from 1901 to 1990: Simple statistics for physics teachers“, in: Physics Education, 33(3) (Mai 1998), S. 196–203; Baruch Shalev, 100 Years of Nobel Prizes (Los Angeles, 2005) oder Harriet Zuckerman, Scientific Elite: Nobel Laureates in the United States (New York: The Free Press, 1977).
[5] Peter Harrison, „Christianity and the Rise of Western Science“, ABC, 8. Mai 2012.
[6] Peter Atkins, „The Limitless Power of Science“, in: Nature's Imagination – The Frontiers of Scientific Vision (Oxford: Oxford University Press, 1995), S. 125.
[7] Peter Atkins, ebd.
[8] Ricard Dawkins, „What is True?“, in: A Devil's Chaplain (W&N, 2004), S. 15.
[9] Daniel Dennett, Consciousness Explained (Little, Brown & Co, 1991), S. 33.
[10] Nick Pollard, „The simple answer – Richard Dawkins“, Third Way, Bd. 18, Nr. 3 (April 1995).
[11] Patricia Churchland, „Epistemology in the Age of Neuroscience“, in: The Journal of Philosophy, Bd. 84, Nr. 10 (1987), S. 544–553.
[12] Raymond Tallis, Aping Mankind (Acumen Publishing, 2011), S. 12.
[13] Simon Conway Morris, „Darwin was right. Up to a point“, in: The Guardian, 12. Februar 2009.
[14] Roger Trigg, „Does Science Need Religion?“, Faraday Papers, Nr. 2 (April 2007).
[15] Bertrand Russell, Religion and Science (Oxford: Oxford University Press, 1997), S. 243.
[16] E. A. Burtt, The Metaphysical Foundations of Modern Physical Science: A Historical and Critical Essay, Bd. 3(Routledge, 1924), S. 226.
[17] Lesslie Newbigin, Proper Confidence: Faith, Doubt, and Certainty in Christian Discipleship (Eerdmans, 1995), S. 15.
[18] Eine neuere Analyse der Evangelien als Augenzeugenberichte findet sich z.B. bei Richard Bauckham, Jesus and the Eyewitnesses: The Gospels as Eyewitness Testimony (2. Aufl., Eerdmans, 2017).