Gott, der Sohn

Artikel von Brandon Crowe
8. Juli 2021 — 8 Min Lesedauer

Ich kann mich noch ziemlich gut an meine Verwirrung erinnern, als ich zum ersten mal mit der Lehre der ewigen Zeugung des Sohnes konfrontiert wurde. In Vorbereitung auf mein Theologiestudium las ich Louis Berkhofs Systematische Theologie und fand das Thema äußerst hypothetisch. Ich hatte verstanden, dass der Sohn Gottes nicht ein Geschöpf, sondern Gott selbst sein musste. Doch ich konnte nicht nachvollziehen warum man die Natur der Zeugung des Sohnes in solchem Ausmaß und Detail behandle. Welche Bibelstellen weisen uns darauf hin? Und warum ist es überhaupt von Bedeutung?

„Christen sollten nicht an der Göttlichkeit oder Personhaftigkeit irgendeiner Person der Gottheit zweifeln.“
 

Wie es sich herausstellte, ist das Thema tatsächlich von großer Bedeutung und ist doch nicht ganz so hypothetisch und theoretisch wie es erst zu sein scheint. Der Gott der Schrift ist dreieinig – ein Gott in drei Personen.[1]
Die Unterschiede zwischen den Personen liegen nicht in dem Maße der Göttlichkeit, denn alle drei sind gleichermaßen Gott. Der kürzere Westminster Katechismus fasst es gut zusammen: Vater, Sohn und Heiliger Geist sind „derselbe in Substanz, gleich in Kraft und Herrlichkeit“ (WSC 6).[2] Christen sollten nicht an der Göttlichkeit oder Personhaftigkeit irgendeiner Person der Gottheit zweifeln. Stattdessen sollten sie die Unterschiede zwischen den Personen der Dreieinigkeit als persönliche Eigenschaften erkennen: der Vater zeugt, der Sohn wird gezeugt und der Geist geht aus dem Vater und dem Sohn hervor. Es ist entscheidend, dass wir diese Unterschiede richtig verstehen, denn sie zu leugnen ist der erste Schritt zu vielen Irrlehren. Der Sohn ist nicht irgendwie weniger göttlich als Gott der Vater; der Sohn Gottes ist selbst nicht weniger Gott als der Vater Gott ist.

Wenn man also von der ewigen Zeugung des Sohnes spricht, dann spricht man von dem, was dem Sohn Gottes eigen ist: Er ist gezeugt. Das spielt die Göttlichkeit des Sohnes in keiner Weise herunter. Dass der Sohn gezeugt ist, bedeutet nicht, dass seine Göttlichkeit geringer ist als die seines Vaters, sondern es bedeutet, dass er seine persönliche Subsistenz vom Vater erhält. Die göttliche Essenz selbst ist nicht gezeugt. Vielmehr teilt der Vater dem Sohn in ewiger Zeugung das göttliche Wesen mit; Vater und Sohn besitzen dasselbe Wesen, ohne Veränderung.

Und diese Zeugung muss ewig sein. Die Zeugung des Sohnes kann nicht in einem Moment der Zeit geschehen, denn dann wäre der Sohn nicht ewig der Sohn – und der Vater wäre nicht ewig der Vater. Wenn die Zeugung des Sohnes ein singuläres Ereignis wäre, würde das bedeuten, dass sich Gott in gewisser Weise verändert. Wenn der Vater jemals zum Vater oder der Sohn jemals zum Sohn wurde, dann wäre Gott nicht unveränderlich. Weil der Sohn Gottes sich niemals verändert, muss seine Zeugung eine ewige Zeugung sein – es ist nicht etwas, das vor langer Zeit oder einmalig geschehen ist. Es ist eine zeitlose, ortlose und unveränderliche Kommunikation vom Vater zum Sohn.

Genauso wenig würde die ewige Zeugung irgendeine Aufteilung Gottes bewirken – als würde die Göttlichkeit zwischen den drei Personen aufgeteilt werden oder einer Person mehr zugesprochen sein als der anderen. Jede Person verfügt über die gleiche Fülle an Göttlichkeit und ist dieselbe göttliche Substanz. Die ewige Zeugung ist auch ein notwendiger Vorgang: Sie ist für immer und kann nicht anders sein.

Die ewige Zeugung bekräftigt die volle Göttlichkeit des Sohnes Gottes; sie bezieht sich in keiner Weise auf die Erschaffung des Sohnes. Wäre der Sohn erschaffen worden, wäre er nicht vollständig göttlich. Dies war der Kern des Konflikts zwischen dem Kirchenvater Athanasius und dem Häretiker Arius im vierten Jahrhundert: Athanasius argumentierte zu Recht, dass der Sohn Gottes nicht das erste geschaffene Wesen sein kann, sondern dass er von Ewigkeit her der Sohn Gottes sein muss. Es hat nie eine Zeit gegeben, in der der Sohn nicht war. Der Sohn bezieht sich immer auf den Vater als Sohn, und der Vater ist immer Vater.

Zugegeben, die ewige Zeugung ist ein komplexes Thema. Selbst wenn wir sie richtig erklären können, können wir sie nicht vollständig verstehen. Mit anderen Worten: Sie ist geheimnisvoll.

Welche Grundlage haben wir für diese Lehre in der Schrift?

Ein wichtiges Zeugnis ist das Johannesevangelium, wo wir den griechischen Begriff monogenes finden, den die Bibelübersetzer Schlachter, Luther und Menge mit „eingeborener“ (oder „einziggezeugten“) Sohn übersetzen (Joh 1,14.18; 3,16.18; siehe 1Joh 4,9). Die meisten modernen Übersetzungen geben monogenes jedoch als „einziger“ Sohn wieder (Elberfelder, Gute Nachricht, NGÜ, NLB). Man ist sich noch nicht einig, ob „einziger“ tatsächlich eine bessere Übersetzung als „eingeboren/einziggezeugt“ ist, aber das Konzept der ewigen Zeugung ist nicht abhängig von der Art und Weise, wie monogenes übersetzt wird.

Stattdessen ergibt sich das Konzept größtenteils aus dem, was die Schrift über die Präexistenz des Sohnes und die ewige Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn offenbart (z.B. Joh 17,5.24; Kol 1,15–20; Hebr 1,1–3). Es hat nie eine Zeit gegeben, in der der Vater nicht der Vater für den Sohn war oder der Sohn nicht der Sohn des Vaters (Joh 1,1–2; siehe Mt 11,25–27; Lk 10,21–22). Johannes 5,26 ist oft benutzt worden, um die ewige Zeugung zu unterstützen: „Denn wie der Vater das Leben in sich selbst hat, so hat er auch dem Sohn verliehen, das Leben in sich selbst zu haben.“ Viele Theologen merken an, dass dies eine Gewährung des Lebens an den Sohn ist, die nicht in der Zeit stattgefunden haben kann. Daher muss es eine ewige Lebensgewährung sein. Wenn dem so ist, dann ist Johannes 5,26 eine starke Bestätigung der ewigen Zeugung.

„Er ist unser Gott und Retter – der ewig gezeugte Sohn Gottes.“
 

Belege für die ewige Zeugung können auch im Alten Testament gefunden werden. Ein prominenter Beweistext in der Geschichte ist Psalm 2,7: „Du bist mein Sohn, heute habe ich dich gezeugt.“ Obwohl dieser Text im Neuen Testament verwendet wird, um sich auf die Auferstehung Jesu zu beziehen (Apg 13,33), beruht die in der Auferstehung erklärte und bestätigte Sohnschaft auf der präexistenten Sohnschaft. Micha 5,1 wurde historisch ebenfalls verwendet, um die ewige Zeugung zu unterstützen: „Und du, Bethlehem-Ephrata, du bist zwar gering unter den Hauptorten von Juda; aber aus dir soll mir hervorkommen, der Herrscher über Israel werden soll, dessen Hervorgehen von Anfang, von den Tagen der Ewigkeit her gewesen ist.“ Dies ist oft so verstanden worden, dass es sich sowohl auf den Ort der Geburt Jesu (Bethlehem) als auch auf die ewige Zeugung des Sohnes bezieht („dessen Hervorgehen von Anfang, von den Tagen der Ewigkeit her gewesen ist.“). Viele moderne Exegeten bezweifeln, dass dieser Text die ewige Zeugung lehrt, aber neuere Interpretationen sind nicht immer besser als traditionelle. Unabhängig davon, wie man zu diesen alttestamentlichen Texten steht, ist die ewige Zeugung des Sohnes tatsächlich ausreichend in der Schrift begründet. Wie bei vielen entscheidenden Lehren stammt sie nicht aus einem oder zwei isolierten Texten, sondern aus der Lehre der Schrift als Ganzes. Als biblische Lehre ist die ewige Zeugung des Sohnes nicht nur theoretisch; sie ist praktisch, denn sie spricht von dem Einen, der Mittler der Schöpfung und der Erlösung ist. Der präexistente, göttliche Sohn ist das Wort – der Logos (Joh 1,1.14) –, durch den die Welt geschaffen wurde (Kol 1,16; Hebr 1,2). Es wäre ein Irrtum, das Werk des Sohnes erst im Neuen Testament beginnen zu sehen; er war bereits im Alten Testament als Schöpfer und Offenbarer tätig (siehe Joh 1,1–5). Der Sohn war auch im Alten Testament in der Erlösung tätig. Judas identifiziert Jesus als denjenigen, der die Israeliten aus Ägypten befreit hat (Jud 5). Im Neuen Testament ist die Sohnschaft Jesu besonders wichtig im Hinblick auf das Erlösungswerk. Denn in seiner Menschwerdung nimmt der Sohn Gottes einen wahren Leib und eine vernünftige Seele an. Er wird von einer Jungfrau geboren, was für den präexistenten, heiligen Sohn Gottes angemessen ist. Seine einzigartige Geburt bedeutet, dass er nicht in die Sünde Adams verwickelt war, sondern ein Anfang einer neuen Schöpfung ist. Als Sohn Gottes ist Jesus die Erfüllung von von Gottes Bund mit David (Lk 1,31–33) und der bessere Adam (Lk 3,38). Aber er ist noch mehr als das: Er ist Gottes Sohn in Ewigkeit. Er ist Immanuel, Gott mit uns (Mt 1,23), der Sohn des lebendigen Gottes (Mt 16,16). Es ist daher passend, dass seine Sohnschaft bei seiner Taufe verkündet wird (Mt 3,17; Mk 1,11; Lk 3,22), in der Wüste geprüft wird (Mt 4,1–11; Mk 1,12–13; Lk 4,1–13) und bei der Verklärung bestätigt wird (Mt 17,5; Mk 9,7; Lk 9,35). Bei der Kreuzigung wird er verspottet (Mt 26,63–64; 27,37–44) und bei seiner Auferstehung gerechtfertigt (Apg 13,33; Röm 1,3–4). Dennoch handelt der Sohn nicht isoliert von Vater und Geist, denn die äußeren Werke der Dreieinigkeit sind ungeteilt. Der Sohn Gottes ist nicht erst im ersten Jahrhundert in Palästina „entstanden“ oder geboren worden; nein, er existierte schon, bevor die Welt begann. Er hat die Welt erschaffen und hält sie aufrecht, und er hat die Erlösung für sein Volk endgültig vollbracht. Er ist unser Gott und Retter (2Petr 1,1) – der ewig gezeugte Sohn Gottes.


[1] In der Gottheit ist eine Person oder Hypostase „ein subsistentes Individuum mit einer rationalen Natur“ (Thomas von Aquin). Jede Person der Dreieinigkeit kann als Individuum unterschieden werden, obwohl jede auch in der einen göttlichen Essenz subsistiert – jede ist. Was sie unterscheidet, ist nicht ein Unterschied in den göttlichen Attributen, sondern die unterschiedliche, nicht mitteilbare persönliche Eigenschaft jeder Person (Nichtgezeugtsein des Vaters, das Gezeugtsein des Sohnes, der Ausgang des Geistes)

[2] „Der kürzere Westminster Katechismus von 1647“, in: MBS Texte. Reformiertes Forum 61, 2. Jahrgang 2005, S. 23–33, Bonn, URL: https://www.bucer.org/fileadmin/_migrated/tx_org/mbstexte061.pdf (Stand: 27.06.2021)