Zerbrechliche Gefäße

Rezension von Ludwig Rühle
6. Juli 2021 — 6 Min Lesedauer

Kenneth Harrod geht es nicht darum, ein ausführliches Bild der gegenwärtigen Verfolgungssituation zu geben und uns zum Helfen zu animieren. Dieses Buch geht viel tiefer. Durch die Situationen von Verfolgung, so Harrod, „haben wir im Westen […] zu lernen, was es überhaupt bedeutet, Christ zu sein. Was wir dort lernen, kann unseren persönlichen und unseren in Gemeinschaft gelebten Glauben vertiefen, stärken und motivieren.“ Dabei dienen ihm aktuelle Beispiele von verfolgten Christen dazu, die biblische Lehre zu diesem Thema zu untermauern. Diese legt er dar und hinterfragt konkret vier unbiblische Haltungen, die Christen im Westen vertreten oder zumindest versucht sind zu vertreten.

1. Triumphalistische Sicht unserer Mission – Unseren Zugang zur Mission erneuern

Wie sehr bauen Christen und Gemeinden auf Erfolg und Stärke, wollen möglichst beliebt und angesagt sein? Wie stark richten sie ihre Methoden danach aus? Wie stark sind sie versucht, dem Mainstream zu folgen? Verfolgte Christen können nicht auf besondere Ressourcen zurückgreifen. Sie geben Zeugnis in aller Schlichtheit und haben gerade dadurch eine besondere Wirkung. Gottes Kraft ist in der Schwachheit vollkommen (2Kor 12,9).

2. Konsumorientierte Sicht unserer Botschaft - Unser Verständnis des Evangeliums schärfen und unser Verlangen nach Gnade vertiefen

Das Evangelium richtet sich gegen jeglichen menschlichen Stolz. So wie es uns auf Gottes herrliche Gnade hinweist, legt es auch schonungslos die Sünden der Menschen offen. Mit dieser Botschaft macht man sich nicht beliebt. Die Versuchung liegt nun nahe, die Kanten unserer Botschaft abzurunden, um sie salonfähiger zu machen – sie so zu verändern, dass sie mehr den Erwartungen und Bedürfnissen der Menschen entspricht. Oder wir vernachlässigen die Evangelisation insgesamt, weil wir Angst vor Ablehnung haben. Doch wieder richtet Harrod unseren Blick auf die verfolgte Kirche. In China, Indien, Iran, Pakistan und vielen anderen Ländern ist die Kirche verachtet und muss leiden – dennoch verkündet sie weiterhin treu das Evangelium, für das sie verachtet wird.

„In China, Indien, Iran, Pakistan und vielen anderen Ländern ist die Kirche verachtet und muss leiden – dennoch verkündet sie weiterhin treu das Evangelium, für das sie verachtet wird.“
 

Wir, die wir wenig Leid erleben, haben schon Angst davor, dass zu viel Auseinandersetzung mit dem Leid uns innerlich niederdrücken könnte. Daher lassen wir das viele und ferne Leid nicht oft an uns heran. Doch die Schrift macht klar, dass uns das Leid und Ausharren unserer verfolgten Glaubensgeschwister vielmehr im Glauben tröstet und stärkt. Wenn wir Christen begegnen, die schmerzhafte Verfolgung erlebt haben, dann können wir von ihnen lernen, in jeder Lage auf den Herrn zu vertrauen. Wenn wir sehen, wie sie ihren erbittertsten Feinden vergeben, können wir vergeben lernen. Wenn wir sehen, wie gerade die Verfolgung von Christen oftmals zur Bekehrung von Ungläubigen führt, können auch wir bereit gemacht werden, Leid auf uns zu nehmen. Wir können lernen, was es bedeutet, in Abhängigkeit seiner Gnade zu leben. Ihr Vorbild wird uns zur Ermutigung, Ermahnung und zum Trost (vgl. 2Kor 1,3–4).

3. Eine individualistische Sicht vom Reich Gottes - Unsere Erfahrung von Kirche erweitern

Christus nachzufolgen und zu lieben heißt, unsere Not leidenden Geschwister besonders zu lieben. Wir bilden mit ihnen den Leib Christi auf Erden. Wenn sie verfolgt werden, werden auch wir verfolgt! Wie sehnlich wünschte sich Paulus, die Gemeinde in Thessalonich, die er so schnell verlassen musste, wieder zu besuchen und im Glauben zu stärken (1Thess 3,1-5). Er machte sich Sorgen um ihren Glauben, weil sie so viel Bedrängnisse erlebten. Harrod fragt zu Recht, ob wir heute annähernd ein solch seelsorgerliches Anliegen für unsere verfolgten Schwestern und Brüder haben.

4. Weltliche Sicht von Hoffnung – Uns auf das Ewige ausrichten

Wir denken ehrfürchtig an unsere verfolgten Geschwister und staunen darüber, wie sie inmitten der Verfolgung treu bleiben können. Genauso denken sie an uns und staunen darüber, wie wir inmitten der Verführung durch den Wohlstand treu bleiben können. Lernen wir von ihnen, uns nicht an diese Welt zu hängen! Verfolgung um Christi willen schärft den Blick für unsere wahre Hoffnung. Wer verfolgt wird, richtet sich automatisch zum Himmel aus. Doch wie dringend haben wir, die „Verführten“, diese Blickrichtung nötig?

Fazit

Wer mit den Korinther- oder Thessalonicherbriefen vertraut ist, dem werden viele dieser Wahrheiten (in der Theorie) nicht neu sein. Doch all diese biblischen Wahrheiten werden bei der verfolgten Gemeinde sichtbar. Harrod schreibt, dass sie „geerdet“ werden. Wir werden ermutigt und zugleich gedemütigt, unterwiesen und herausgefordert, wenn wir wahrhaft Anteil nehmen an unseren verfolgten Glaubensgeschwistern. Und so werden sie zu einem Segenskanal Gottes für uns. Auch wir sind zerbrechliche Gefäße, die ganz und gar von Gottes Gnade abhängig sind.

„Wir denken ehrfürchtig an unsere verfolgten Geschwister und staunen darüber, wie sie inmitten der Verfolgung treu bleiben können. Genauso denken sie an uns und staunen darüber, wie wir inmitten der Verführung durch den Wohlstand treu bleiben können.“
 

Doch vielleicht geht es dir und deiner Gemeinde ähnlich wie unserer: Wir wissen grundsätzlich um die Not der verfolgten Geschwister, für die auch regelmäßig gebetet wird. Hin und wieder hören wir von einem konkreten Beispiel. Doch wie schwer fällt es uns, wirklich dranzubleiben und Anteil zu nehmen, geschweige denn für die Geschwister beständig einzutreten? Sie brauchen unsere Fürbitte und auch praktische Hilfe. Aber auch wir brauchen sie! Dieses Buch ist mir eine besondere Ermutigung zur Anteilnahme an der verfolgten Kirche geworden. Wir sollen ihnen dienen, doch siekönnen uns vielleicht noch viel mehr dienen.

Der Blick auf sie voller Mitgefühl, aber auch voller Demut wird heilsam für uns Christen im Westen sein. Nicht zuletzt werden wir so auf Leid und Verfolgung vorbereitet, die jederzeit auch bei uns zunehmen können.

Dieses Buch kann zum Segen für jeden Leser werden, aber ich möchte es besonders Pastoren und Ältesten ans Herz legen. Es wird sie dazu anregen, ihre Gemeinden zu ermutigen, regelmäßig und konkret am Leiden unserer verfolgten Geschwister Anteil zu nehmen. In unserer Gemeinde hat das Buch zu folgender Idee geführt: Wir wollen ein Ehepaar darum bitten, uns einmal im Monat zum Gebetskreis über einen konkreten Fall zu informieren unter vier Gesichtspunkten: 1. Worin besteht die Verfolgung? 2. Wofür sollen wir beten? 3. Können wir praktisch helfen? 4. Was dürfen wir davon lernen bzw. wie werden wir dadurch im Glauben ermutigt?

Buch

Kenneth Harrod, Zerbrechliche Gefäße – Was der Westen von der verfolgten Kirche lernen sollte, Neufeld Verlag, 2020, 152 Seiten, 9,90 Euro.