For the Mouth of the Lord Has Spoken

Rezension von Mario Tafferner
15. Juni 2021 — 7 Min Lesedauer

Mit For the Mouth of the Lord has Spoken: The Doctrine of Scripture legt Waters ein Werk vor, das die Lehre der Schrift aus reformierter Perspektive beleuchtet. Ganz im Sinne seines wichtigsten Gesprächspartners, B.B. Warfield, dem Giganten des alten Princeton, ist Waters dabei weniger innovativ als konservativ. Das Werk bietet eine Zusammenfassung und Übersetzung der Schriftlehre der reformierten Orthodoxie für Studenten der Theologie, Pastoren und interessierte Gemeindemitglieder heute.

Waters beginnt seine Zusammenfassung damit, die Lehre der Schrift in die Lehre der Offenbarung einzubetten (Kapitel 1 und 2). Letztere meint die benevolente Selbstmitteilung Gottes an die im Ebenbild Gottes geschaffenen Menschen. Daher ist Offenbarung laut Waters sowohl persönlich als auch propositional. Gott gibt sich uns selbst, während er uns über sich selbst mitteilt. Die in die natürliche, allgemeine Offenbarung Gottes an alle Menschen eingebettete spezielle Offenbarung ist dabei unabdingbar, denn ihr Inhalt und Ziel ist die Gnade Gottes im Evangelium. Diese vermittelt sie in der Heilsgeschichte, die auf Christus zuläuft.

Als nächstes widmet sich Waters der Inspiration und Irrtumslosigkeit der Schrift (Kapitel 3). Leider verpasst er es an dieser Stelle, den Zusammenhang zwischen Offenbarung und Inspiration ausreichend zu erörtern. Das liegt mitunter daran, dass Waters sich nun einer anderen Fragestellung verpflichtet fühlt. Es geht nicht mehr um die Frage, was die Schrift bringt qua Offenbarung, sondern um die Frage, was die Schrift ist. Mehr noch, es geht um den Wort-Gottes Begriff.

Inspiration, so versteht es die reformierte Orthodoxie, systematisiert, wie die von Menschen geschriebene Bibel Wort Gottes sein kann. Waters spricht an dieser Stelle in Anlehnung an Warfield von der beaufsichtigenden („superintending“) Arbeit Gottes am menschlichen Autor, die sicherstellt, dass ihre Werke tatsächlich Gottes Wort an uns sind. Dabei hat seine Darstellung eine leichte Schlagseite hin zur Inspiration als Eigenschaft des Autors und nicht des Textes (an anderer Stelle vermutet er somit auch, dass inspirierte Werke verloren gegangen sind). Dennoch, seine Exegese zu 2. Timotheus 3,16 und 2. Petrus 1,19–20, zwei Schlüsselstellen im Bezug auf die Inspiration der Schrift, ist überzeugend. Wenn die Schrift spricht, spricht Gott.

Gerade deshalb gilt es auch von der Irrtumslosigkeit der Schrift auszugehen. Theologisch ist diese eine notwendige Weiterentwicklung der Vorstellung davon, dass die Bibel das Wort Gottes ist. Wenn Gott spricht, dann lügt er nicht, irrt sich nicht, und versagt nicht in seinem Vorhaben, Menschen in die Gemeinschaft mit Christus zu rufen.

„Die Bibel als Wort Gottes zu lesen, sie also richtig zu lesen, ist ein Akt des Glaubens, den der Geist allein bewirken kann.“
 

Das folgende Kapitel „Our Full Persuasion“ (dt. „Unsere vollkommene Überzeugung“) bietet eine für den deutschsprachigen Kontext hilfreiche Auslegung von Artikel I.4 des Westmister Bekenntnisses, die wichtigste Zusammenfassung der Lehrmeinung der angelsächsisch-reformierten Orthodoxie. Speziell geht es dort um die Frage, wie Christen dem Wort-Gottes Anspruch der Bibel vertrauen können. Neben geschichtlichen Gründen der apostolischen Autorität, die sich durch Exegese und historischer Forschung erschließen lassen, entfaltet Waters an dieser Stelle die Lehre vom Zeugnis des Heiligen Geistes. Ausgehend von Texten wie etwa 2. Korinther 4,6 zeigt er auf, dass Wiedergeburt und Anerkennung der Schrift als Wort Gottes im Werk des Geistes zusammenfallen. Damit denkt er gemeinsam mit dem Westminster Bekenntnis die reformierte Erwählungslehre in Anwendung auf die Schrifthermeneutik nach. Die Bibel als Wort Gottes zu lesen, sie also richtig zu lesen, ist ein Akt des Glaubens, den der Geist allein bewirken kann.

Inwieweit ist die Bibel nun aber Wort Gottes für die, die verlorengehen? Hier zeigt sich eine gewisse Spannung in Waters Schriftlehre, die vor allem in seiner Diskussion der Theologie Karl Barths zum Vorschein kommt (Kapitel 7). Barth, so Waters, trennt die Schrift und das Wort Gottes voneinander. Erstere ist nicht das Wort Gottes, sie kann jedoch das Wort Gottes werden. Im Hintergrund dieser Annahme steht Barths „Aktualismus“, die Annahme, dass Gott nur in seinen Handlungen für uns in Jesus Christus beschrieben werden kann. Offenbarung, so Barth, kann somit nur eine Handlung Gottes in einem speziellen Moment der Geschichte sein. Das führt den berühmten Schweizer Theologen dazu, eine indirekte Identität zwischen Schrift und Wort Gottes zu postulieren. Nur dann, wenn Gott auch durch seinen Geist in der Schrift am Menschen handelt, wird diese zum Wort Gottes. Gott kann niemals zum Prädikat werden.

Waters verwirft Barths Auffassung in überzeugender Weise. Er verweist an dieser Stelle auf die Hermeneutik Jesu in Markus 12,35–37, die Texte wie Genesis 2 und Psalm 110 mit dem Wort des Heiligen Geistes identifiziert. Die Lehre der Inspiration bedingt, dass Gott spricht, wenn die Schrift spricht.

Dennoch, wenn das Wort Gottes in der Schrift ohne Qualifikation verfügbar ist, eine Auffassung, die theologisch aufgrund der Wahrhaftigkeit Gottes die Annahme der Irrtumslosigkeit trägt, so ergibt sich die Frage, warum die Allmacht Gottes ihre Unfehlbarkeit nicht in gleicher Weise erwirkt. Die Schrift ist schließlich mit dem Zweck gegeben, Menschen in die Gemeinschaft mit Jesus zu rufen (1Joh 1,1–4). An dieser Stelle hätte Waters sein Argument radikal stärken können und müssen, indem er seine Wort-Gottes Lehre mit Bezug auf die harmatiologische Dimension der Heilsgeschichte ausformuliert. Dass Gott nicht immer gehört wird, stellt die Verfügbarkeit seines Wortes in der Schrift genauso wenig in Frage wie die Ablehnung der Pharisäer die Göttlichkeit Jesu.

„Dass Gott nicht immer gehört wird, stellt die Verfügbarkeit seines Wortes in der Schrift genauso wenig in Frage wie die Ablehnung der Pharisäer die Göttlichkeit Jesu.“
 

Mit dieser Analogie zwischen Inkarnation und Inspiration beschäftigt sich Waters in Kapitel 8. Hier geht es ihm speziell um die Schriftlehre von Peter Enns, einem bekannten amerikanischen Theologen, der die „Menschlichkeit“ der Schrift in unlauterer Weise betont. Dass die Bibel sowohl Menschen- als auch Gotteswort ist, bedeutet nicht, dass man jedes erdenkliche menschliche Attribut als Eigenschaft der Schrift konzeptualisieren kann. Gerade wenn man diese Analogie verwenden möchte, muss es doch die Menschlichkeit Jesu sein, die die Reflexion über die Schriftlehre leitet. Am Ende bietet Waters jedoch leider keine zufriedenstellende Diskussion, wie die Analogie sinnvoll gebraucht werden könnte.

Der Autor erörtert außerdem die Genugsamkeit und Klarheit der Schrift, zwei unabdingbare Attribute für den evangelischen Glauben (Kapitel 5 und 6). Ersteres meint, dass das, was die Schrift sagt, und das, was davon abgeleitet werden kann, die exklusive und vollkommen ausreichende Regel für den christlichen Glauben und die damit verbundene Glaubenspraxis ist. Das schließt Waters sowohl aus Texten wie 2. Timotheus 3,15–17, 2. Petrus 1,3–4, und Offenbarung 22,18–19, als auch aus der historischen Tatsache eines abgeschlossenen Kanons.

Ein Schlüsselaspekt für Waters ist dabei die funktionelle Limitation der Genugsamkeit. Die Bibel ist nicht genugsam, um alles in der Welt zu wissen und zu verstehen. Sie ist genugsam (allerdings nicht erschöpfend) in Bezug auf das Evangelium und alle damit verbundenen Glaubenssätze und Praktiken.

„Obwohl die Schrift an sich klar ist, braucht es für ihr geistliches Verständnis mehr als die in Isolation betriebenen intellektuellen Lesekompetenzen armer Sünder.“
 

Eine ähnlich funktionelle Limitation strukturiert seine Definition der Klarheit der Schrift. Alles das, was ein Mensch glauben muss, um in Christus Gemeinschaft mit Gott haben zu können, ist in einer solchen Weise klar in der Bibel, dass es von jedem Menschen durch den Gebrauch der „ordentlichen Mittel“ verstanden werden kann. Diese ordentlichen Mittel sind das Lesen der Schrift, das Hören auf Predigten, das Empfangen der Sakramente und das Gebet.

Gerade dieser letzte Punkt, den Waters dem Westminster Bekenntnis entnimmt, sollte von Christen hierzulande erneut ernst genommen werden. Obwohl die Schrift an sich klar ist, braucht es für ihr geistliches Verständnis mehr als die in Isolation betriebenen intellektuellen Lesekompetenzen armer Sünder. Das Wort Gottes kommt zu uns in Gemeinschaft mit Gott und seiner Gemeinde. Nicht wir sind es, die durch das Lesen der Bibel und unsere Vernunft zu Gott emporschreiten. Es ist Gott in seiner Gnade, der in der Predigt und im Abendmahl zu uns spricht.

Im Ganzen ist das Buch sehr zu empfehlen. Waters bietet eine zufriedenstellende Fülle von exegetischen Untermauerungen seiner hier angerissenen dogmatischen Aussagen. Er beschäftigt sich im Detail mit Gegenpositionen, diskutiert diese in fairer und informierter Weise und entkräftigt sie überzeugend. Er schreibt verständlich, unterhaltsam und relevant. Über allem steht dabei seine Auffassung, dass Gott spricht, wenn die Schrift spricht.

Buch

Guy Prentiss Waters, For the Mouth of the Lord has Spoken: The Doctrine of Scripture, Rossshire: Christian Focus Publications, 2020. Paperback, 315 Seiten, ca. 19 Euro.