Biblische Theologie – unabdingbar in Predigt und Lehre

Artikel von Josh Wredberg  und Matt Capps
7. Juni 2021 — 6 Min Lesedauer

Stell dir vor, du stehst am Rande eines dichten Waldes und versuchst, ein bestimmtes Ziel am anderen Ende zu erreichen. Es gibt nur ein Problem: Du hast keine Landkarte. Du brauchst aber eine, wenn du dich nicht verlaufen willst. Eine Landkarte hilft dir bei der Orientierung. Sie verschafft dir eine Vogelperspektive. Eine Landkarte verkleinert ein Gebiet, das zu weitläufig ist, um es von einer eingeschränkten Perspektive aus zu überblicken. Das Ganze zu sehen, bewahrt uns davor, den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu erkennen.

„‚Es ist möglich Bibelgeschichten zu kennen, aber trotzdem die Geschichte der Bibel zu verfehlen.‘“
 

Viele Menschen fühlen sich verloren, wenn sie ihre Bibel aufschlagen, welche aus 66 Büchern besteht und über einen Zeitraum von mehr als 1000 Jahren mit einer Vielfalt an kulturellen Hintergründen geschrieben wurde. Darüber hinaus unterliegt jede Literaturgattung verschiedenen Auslegungsregeln. Wie kann jemand deren Bedeutung erfassen, ohne sich in den Details zu verlieren? Edmund Clowney sagte dazu: „Es ist möglich Bibelgeschichten zu kennen, aber trotzdem die Geschichte der Bibel zu verfehlen.“

Das ist der Grund, warum wir Biblische Theologie brauchen. Wir brauchen sie, um die Schrift richtig auszulegen.

Was ist Biblische Theologie?

Grundlegend für unser Herangehen an die Bibel ist die Voraussetzung der Annahme, dass sie ein einheitliches Ganzes darstellt – dass ihre 66 Bücher von Gottes Vorsehung so zusammengefügt wurden, dass sie sich gegenseitig ergänzen und erleuchten. Die Bibel hat eine großartige Handlung, die ein sich entfaltendes Erlösungsdrama durch Jesus Christus nachzeichnet. In gewisser Weise müsste jede wahre christliche Theologie Biblische Theologie sein. Biblische Theologie als Lehrfach hat aber auch noch eine spezielle Funktion, welche mit der einheitlichen theologischen Botschaft der Bibel zu tun hat. Sie versorgt uns mit einer Landkarte, welche uns die allumfassende Einheit der Bibel und deren zentrale Botschaft erfassen lässt, anstatt sie nur als einen Haufen unzusammenhängender Geschichten und Themen wahrzunehmen.

Wie hilft uns Biblische Theologie beim Verständnis der Bibel?

Es wird richtigerweise gesagt, dass wir einen Text in seinem Kontext verstehen müssen, aber dies wird oft nur auf den unmittelbaren Kontext bezogen. Der Kontext muss jedoch sowohl die ganze biblische Offenbarung beinhalten als auch das ganze Buch oder Kapitel, in das die Passage eingebettet ist. Biblische Theologie hilft dem Leser dabei, jede Textpassage im größeren Kontext des sich entfaltenden biblischen Handlungsstranges zu verstehen bzw. einzuordnen.

Biblische Theologie hilft uns auch dabei, interpretative Schwierigkeiten zu lösen. Es steht außer Frage, dass einige Teile der Bibel schwer zu verstehen sind. Wir wissen alle, dass Christen, die ähnliche Überzeugungen in Bezug auf die Bibel haben, trotzdem unterschiedliche Meinungen über manche Lehren der Bibel vertreten. Wir behaupten nicht, dass Biblische Theologie alle unsere interpretativen Probleme lösen wird, und doch stimmen wir Graeme Goldsworthy zu: „Jeder Christ, der eine geeignete Methode dafür entwickeln will, wie man sich einem Text in der Bibel nähern kann, um herauszufinden was er wirklich aussagt und bedeutet, braucht ein Verständnis Biblischer Theologie.“

Wie hilft uns Biblische Theologie beim Ausleben der Bibel?

Indem Biblische Theologie den richtigen Rahmen liefert, um interpretative Schwierigkeiten zu durchdenken, bewahrt sie uns davor, den Text in falscher Weise auf unser Leben anzuwenden. Wie sollten wir beispielsweise die Beziehung von Israel und der Kirche betrachten? Das Alte Testament enthält viele charakteristische Gesetze für Israel – wie können wir wissen, ob (und inwiefern) diese Gesetze auch für uns gelten?

Biblische Theologie hilft uns, weil sie untersucht, wie sich die Handlung vom Alten zum Neuen Testament entwickelt und weil sie danach trachtet, die Wechselbeziehung der beiden Teile zu verstehen. Sie argumentiert, dass die Bibel als Gesamtwerk stimmig ist, aber sie hilft uns auch, Gottes Wort im Kontext seiner progressiven Offenbarung anzuwenden.

Biblische Theologie hilft uns auch mit der größten aller interpretativen Herausforderungen, nämlich der persönlichen Anwendung. Welche Fragen sollten wir stellen und beantworten, bevor wir dieser Frage auf den Grund gehen: „Was bedeutet dieser Text für mein Leben?“ Wenn man die Bibel in ihrem größeren Kontext betrachtet, dann bewahrt das den Leser davor der modernen Sichtweise zu verfallen, dass es in der Bibel nur um uns ginge. Sicherlich hat die Bibel Anwendungen für uns und sie ruft uns zum Glauben und zu guten Werken auf, aber in erster Linie geht es um Gott selbst und sein Erlösungswerk durch Jesus Christus. Die Geschichte in ihrer Gesamtheit zu verstehen, kann uns davor bewahren, die Anwendung des Textes zu einem bloßen Sprungbrett für moralische Ermahnungen verkommen zu lassen.

Wie weist Biblische Theologie auf Jesus Christus hin?

Wenn jeder einzelne Teil der Bibel im Gesamtkontext verstanden werden soll, wo beginnen wir dann? Jesus selbst gibt uns hierauf die passende Antwort. In Lukas 24,27 heißt es: „Und von Mose und von allen Propheten anfangend, erklärte er ihnen in allen Schriften das, was ihn betraf.“ In ähnlicher Weise ermahnte er auch die Schriftgelehrten seiner Zeit: „Ihr erforscht die Schriften, denn ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben, und sie sind es, die von mir zeugen“ (Joh 5,39).

„Wenn die Bibel sich nicht in erster Linie um uns dreht, sondern auf Jesus Christus hindeutet, dann sollten wir auch versuchen, jeden Text im Blick auf ihn zu betrachten.“
 

Einer der schwerwiegendsten Fehler in der Bibelauslegung kommt daher, dass die Texte nicht im Blick auf Jesus und sein Werk gesehen werden. Als Gottes letzte und vollkommene Offenbarung gibt nur er allen geschichtlichen Ereignissen vor und nach ihm ihre Bedeutung. Alle Prophetie ist in ihm vervollständigt und erfüllt (vgl. Apg 13,32–33; Hebr 1,1–2). Wenn Jesus das zentrale Thema des Alten Testaments ist, dann können wir es ohne ihn nicht wirklich verstehen. Goldsworthy bemerkt hierzu: „Das Alte Testament kann nicht alleine stehen, denn ohne den Abschluss und die Erfüllung in der Person Jesu und seinem Werk ist es nicht komplett.“ Um es vereinfacht auszudrücken – wenn die Bibel sich nicht in erster Linie um uns dreht, sondern auf Jesus Christus hindeutet, dann sollten wir auch versuchen, jeden Text im Blick auf ihn zu betrachten. Beim Lesen jedes Bibeltextes ist es wichtig, dass wir uns zuerst die folgenden zwei Fragen stellen. Erstens, „In welcher Beziehung steht der Text zu Christus?“, gefolgt von „In welcher Beziehung stehe ich zu Christus?“ Erst nachdem diese beiden Fragen beantwortet sind,  sollten wir uns mit der persönlichen Anwendung befassen. Immer von Gnade geleitet, im Blick auf Jesus und sein vollbrachtes Werk. Als einziger Mittler zwischen Gott und dem Menschen (vgl. 1Tim 2,5), ist Jesus das Bindeglied zwischen uns und jedem Teil der Schrift. Nur er bringt uns letztlich Klarheit über die Verheißungen und Bilder des Alten Testaments.

Es geht um den Wald, nicht die Bäume

Ja, die Bibel mag ein dichter Wald sein, aber Gott sei Dank haben wir eine Landkarte. Wie jede andere Landkarte ist Biblische Theologie nie vollständig. Eine Karte, die jedes denkbare Detail aufzeigt, würde uns schließlich völlig überfordern und somit denn Sinn verfehlen. Aber eine gute Landkarte zeigt uns die wichtigsten Wegweiser auf, damit wir sehen können, wo wir uns befinden und wo wir hingehen sollten.

Jeden einzelnen Baum richtig zu deuten, mag auch seine Wichtigkeit haben – und Biblische Theologie ist nicht der einzig mögliche Weg, die Bibel zu lesen. Auf der anderen Seite müssen wir jedoch Acht geben, dass wir vor lauter Bäumen den Wald nicht übersehen. Und genau hierbei hilft uns Biblische Theologie: zu erkennen, wo wir uns befinden, und sicherzustellen, dass wir dort ankommen, wo wir hin sollen – zu der Person und dem Werk Jesu Christi.