Der gelungene Kindergottesdienst

Artikel von Waldemar Henschel
4. Juni 2021 — 9 Min Lesedauer

Viele Lehrer begegnen in ihrer Ausbildung einer bekannten Karikatur. Darauf ist ein Dompteur abgebildet, der seinen Elefanten ein unmögliches Kunststück vollführen lässt. Auf einem eckigen Tisch steht eine Flasche, auf der ein weiterer Tisch auf einem einzigen Bein schwebt. Der Elefant balanciert kopfüber auf dem zweiten Tisch, während auf seinen Füßen zwei kleine Hunde einen „Handstand“ auf einer Pfote vollführen. Die Szene veranschaulicht humorvoll den Versuch des Lehrers, eine perfekte Unterrichtsstunde vorzuführen. Hintergrund ist, dass man sich in der Lehrerausbildung immer wieder mit den verschiedensten Unterrichtsmethoden beschäftigt. Da liegt es auf der Hand, dass man für die Lehrprobe schnell auf den „Methodenzauber“ vertraut. Hauptsache, die Show stimmt und alle haben Spaß. Das Bild veranschaulicht die Gefahr, dass die Unterrichtsinhalte durch das Drumherum verdrängt werden.

Methodenzauber

Ich bin seit zehn Jahren Mitarbeiter im Kindergottesdienst und habe festgestellt, dass diese Gefahr in der Gemeinde nicht weniger real ist. Wir haben gute Gründe dafür: Es soll nicht langweilig sein! Wir wollen kein totes Wissen vermitteln! Die Kinder können sich nicht so lange konzentrieren! Sie sollen die Lektion nicht nur „vorgekaut“ bekommen!

Ich stimme diesen Aussagen von Herzen zu. Selbstverständlich sollen die Kinderstunden in einer Weise gestaltet werden, die die Kinder anspricht. Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie wir die Inhalte vermitteln.

„Wenn wir die Kinder für Jesus gewinnen wollen, dann brauchen sie mehr als Unterhaltung und Methodenzauber. Gott hat uns sein Wort als Mittel gegeben.“
 

Aber mir geht es an dieser Stelle um Fragen, die tiefer greifen: Anhand welcher Kriterien bewerten wir den Kindergottesdienst? Welches Ziel verfolgen wir dabei überhaupt? Und auf welches Mittel vertrauen wir, um dieses Ziel zu erreichen?

Ich befürchte, dass wir uns manchmal mit oberflächlichem Erfolg begnügen: „Die Kinder sind zufrieden und hatten Spaß am Basteln“, „Die Lektion wurde mit Begeisterung erzählt“, „Der Kindergottesdienst hatte viele kreative Elemente“, „Die Eltern haben sich bedankt“ oder „Die Kinder haben gut mitgemacht“. Das alles ist gut, aber sagt letztlich nichts darüber aus, ob eine Kinderstunde gelungen ist. Wir täuschen uns zu gerne selbst und bewerten Erfolg an äußeren Dingen, an der „Show“. So wie der Lehrer darauf vertraut, durch den fulminanten Auftritt eine gelungene Unterrichtsstunde vorzuführen.

Es kommt nicht auf die Performance an

Die Gefahr bei diesem Ansatz, der vor allem auf oberflächlichen Erfolg vertraut, liegt darin, dass der Inhalt durch die Methoden verdrängt wird. Die Methode wird zur Hauptsache anstatt der Vermittlung des Inhalts zu dienen. Das gilt in der Gemeinde genauso wie in der Schule: Der Bibeltext wird dann nur als Randnotiz oder Sprungbrett verwendet. Die erzeugte Begeisterung kommt nicht aus der Bibel, sondern vom Drumherum und von der Performance des Lehrers. Damit werden die Kinder angeleitet, oberflächlich zu sein, denn Woche für Woche wird ihnen vorgemacht: Es geht nicht um den Inhalt, sondern um die Performance des Lehrers und um die verwendeten Methoden.

Das ist sicher nicht die Absicht, aber dennoch die unbewusste Botschaft vieler Kindergottesdienste. Die Standard-Antworten haben die Kinder dann schnell gelernt: „Gott“, „Jesus“ und vor allem: „Sei lieb!“ (Performance!). Die Kinder lernen, das Evangelium nur als Formel zu verstehen, durch die sie wie von Zauberhand von aller Schuld frei werden. Aber ihre Augen leuchten nicht, wenn sie über Gott und seine Vergebung sprechen. Sie plappern nur wirkungslose Plattitüden nach. Doch wie sollen sie Gott auch näher kennenlernen? Er offenbart sich schließlich durch sein Wort und nicht in der vom Inhalt losgelösten Performance des Lehrers oder der gebotenen Show.

Genau hier entscheidet sich, ob unser Vertrauen auf die Kraft von Gottes Wort nur ein Lippenbekenntnis ist. Wenn wir die Kinder für Jesus gewinnen wollen, dann brauchen sie mehr als Unterhaltung und Methodenzauber. Gott hat uns sein Wort als Mittel gegeben. Paulus erklärt:

„Du aber bleibe in dem, was du gelernt hast und was dir zur Gewissheit geworden ist, da du weißt, von wem du es gelernt hast, und weil du von Kindheit an die heiligen Schriften kennst, welche die Kraft haben, dich weise zu machen zur Errettung durch den Glauben, der in Christus Jesus ist“ (2Tim 3,14–15, eigene Hervorhebung).

Vertrauen wir der Bibel und ihrer Kraft, zu erretten? Paulus tat es. Deshalb gibt er Timotheus die Anweisung, die Verkündigung des Wortes Gottes ins Zentrum seines Dienstes in der Gemeinde zu rücken (vgl. 2Tim 4,2). Das gilt nicht nur für die Gottesdienste der Erwachsenen. Der darauffolgende Vers ist im Zusammenhang der vorherigen Aussagen zu verstehen, in denen Paulus von der Kraft der Heiligen Schrift an dem Kind Timotheus spricht. Er begründet in Vers 16: „Alle Schrift ist von Gott eingegeben und nützlich zur Belehrung, zur Überführung, zur Zurechtweisung, zur Erziehung in der Gerechtigkeit, damit der Mensch Gottes ganz zubereitet sei, zu jedem guten Werk völlig ausgerüstet“ (2Tim 3,16). Das gilt für Kinder wie Erwachsene.

Bibel nicht nur als Ausgangspunkt sehen

Schnell wird aus diesen Versen der Schluss gezogen, dass die Bibel eine wichtige Rolle spielen muss. Aber in der Praxis bedeutet es manchmal nicht mehr, als dass sie als (wichtiger) Ausgangspunkt gesehen wird, den man aber schnell hinter sich lässt. Unser eigentliches Vertrauen setzen wir nämlich auf die kreativen Methoden. Paulus jedoch widersteht der Versuchung, die Bibel in dieser Weise zu degradieren, vehement. Die Bibel ist nicht nur als Startpunkt „nützlich“, sondern als treibende Kraft, die jeden Bereich des Gemeindelebens durchzieht. Jede Methode, jedes kreative Element sollte deshalb immer dem Ziel dienen, dieses kraftvolle Wort Gottes zu vermitteln.

„Die Bibel ist nicht nur als Startpunkt ‚nützlich‘, sondern als treibende Kraft. Jedes kreative Element sollte immer dem Ziel dienen, dieses kraftvolle Wort Gottes zu vermitteln.“
 

Wir dürfen die Kapazität der Kinder nicht unterschätzen, weil die Bibel das ebensowenig tut. Paulus ist überzeugt, dass das Wort Kraft hat, „weise zu machen zur Errettung“. Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass Kinder sich für grundlegende theologische Fragen interessieren, wenn man ihnen deren Bedeutung aufzeigt. Ich erinnere mich z.B. an ein Gespräch mit 10- bis 12-Jährigen über die Frage „Warum musste der Erlöser wahrer Mensch sein?“ (Frage 22 aus dem New City Katechismus). Das ist keine leblose theologische Frage. Denn warum drückt Gott nicht einfach beide Augen zu? Warum sandte er nicht einen Engel? Warum akzeptierte er nicht das Blut eines Opfertieres? Das sind auch für Kinder interessante Fragen. Mehrfach habe ich beobachtet, dass sich manche als „gelangweilt“ und „störend“ abgestempelten Teilnehmer der Kinderstunde von einer Bibelarbeit begeistern ließen, bei der sie unter Anleitung des Lehrers vom Text herausgefordert wurden. Beispielsweise drucke ich für Kinder im Alter von 9-12 Jahren gerne den relevanten Bibeltext aus, um sie anzuleiten, Wiederholungen von wichtigen Begriffen zu markieren, die „Szenen“ von Erzähltexten herauszufinden, Beschreibungen Gottes zu kennzeichnen, usw. Das braucht Vorbereitung, ohne Frage. Es gibt auch keine Garantie dafür, dass die Kinder immer begeistert mitarbeiten werden. Es ist leicht möglich, über die Köpfe der Kinder hinweg zu lehren. Aber es ist genauso leicht möglich, die Kinder zu unterfordern und sich durch die eigene Performance darüber hinwegzutäuschen. Kinder brauchen nicht mehr Unterhaltung, sondern mehr von Gottes Wort!

Klingt das wie eine schlechte Nachricht? Lege ich den Mitarbeitern im Kindergottesdienst hier eine schwere Bürde auf? Das Gegenteil ist der Fall. Es ist eine Befreiung von dem Druck, immer up to date sein zu müssen, immer ein unterhaltsames Programm bieten zu müssen, immer die ansprechendsten Lieder singen zu müssen, usw. Das alles soll eine Rolle in unseren Überlegungen spielen – aber eine Nebenrolle.

Wenn wir die Fokussierung auf die Bibel als zusätzlichen Druck empfinden, dann verrät es vielmehr, worauf unser Herz im Kern vertraut und wofür es schlägt. Dr. Martyn Lloyd-Jones, der berühmte Londoner Prediger, riet einst den Sonntagsschullehrern, was auch immer sie ihren Schülern sonst beibringen würden, Freude und Begeisterung an der Bibel zu vermitteln. Die Kinder würden sich nicht an alle Details des Gelernten erinnern, aber an die Freude und Begeisterung an Gottes Wort. Die Arbeit mit dem Bibeltext ist daher kein lästiger Zusatz, sondern die Hauptsache. Wir dürfen Gottes Stimme hören, die in unser Leben spricht. Wir dürfen Kindern zeigen, wie sie diesen Schatz heben können. Wir dürfen darauf vertrauen, dass der Heilige Geist dadurch Herzen verändert. Was kann es Schöneres geben?[1]

Der misslungene Kindergottesdienst

Ich habe zu Beginn ein wichtiges Detail der Karikatur ausgelassen. Das Bild vom Dompteur und seinem Elefanten enthält ein weiteres Element. Neben dem Dompteur ist ein Prüfer abgebildet, der unbeeindruckt von dem Ganzen fragt: „...und warum haben Sie keinen runden Tisch genommen?“ Das Bild drückt die Erfahrung mancher Lehrer in Ausbildung aus. Sie investieren viele Stunden in die Vorbereitung und zeigen eine beeindruckende Unterrichtsstunde – aber am Ende scheitern sie an genau dem Detail, auf das der Prüfer Wert legt. Da helfen die kreativsten Unterrichtsmethoden und die beste Performance nichts.

Wir halten unsere Kindergottesdienste Gott sei Dank nicht vor den Augen eines unbarmherzigen Prüfers, sondern vor unserem Vater im Himmel, der uns liebt. Dennoch sind sie letztlich zum Scheitern verurteilt, wenn sie nicht mit den Zielen und Methoden Gottes übereinstimmen. Die Kinderstunde kann viele kreative Elemente enthalten; der Lehrer kann zufrieden und die Rückmeldungen von Eltern und Kindern können positiv sein. Dies sagt aber noch nichts über den tatsächlichen Erfolg aus. Am Ende entscheiden nicht Lehrer, Eltern oder Kinder, sondern Gott über den Erfolg eines Kindergottesdienstes. Er hat uns sein Wort als Mittel gegeben, um dadurch sein Volk zu erretten und zuzurüsten. Wenn wir dieses Wort mit Freude lehren, wenn wir darauf unseren Fokus legen, dann ist es ein gelungener Kindergottesdienst.


1  Vgl. Jonathan Petersen: „Help Your Kids Read the Bible: An Interview with David Murray“. Siehe: https://www.biblegateway.com/blog/2017/11/help-your-kids-read-the-bible-an-interview-with-david-murray/ (Stand: 28.04.2021).