Was bedeutet es, die Frau eines Pastors zu sein?

Fünf gängige Mythen

Artikel von Jani Ortlund
17. Mai 2021 — 8 Min Lesedauer

Ich bin schon seit vielen Jahren mit einem Pastor verheiratet und bisher war es wundervoll! Doch als Ehefrau eines Pastors muss ich mit einigen, heutzutage unter Christen weitverbreiteten Mythen leben. Hier sind fünf davon:

Mythos 1: Die Frau des Pastors hat großes theologisches Wissen

Oh, jede Frau eines Pastors wünschte sich, dass das wahr wäre! Es würde ihr dann so viel leichter fallen, ihrem Mann ein Feedback zu seiner Sonntagspredigt zu geben. Es würde ihr dabei helfen, wenn sie darum gebeten wird, bei der nächsten Babyparty eine Andacht vorzubereiten. Oder dabei, wenn sie Achtklässlern Jungscharunterricht gibt, oder das neue Bibelstudium für den Frauenkreis leiten soll.

Doch viele von uns haben gearbeitet, um das Theologiestudium unseres Mannes zu finanzieren, oder waren zu Hause und haben auf unsere kleinen Kinder aufgepasst. Viele Bibelschulen bieten auch Ressourcen für die Frauen der zukünftigen Pastoren an, was für uns von unfassbar großem Wert ist. Als Ray am Dallas Theological Seminary studierte, unterrichtete Dr. Howie Hendricks jeden Donnerstagabend ein Semester lang den Kurs „Das christliche Zuhause“ für die Ehefrauen der Studenten. Ich konnte viel dabei lernen. Dr. Bruce Waltkes Vorlesungen zum Alten Testament gaben mir eine Grundlage für das Verständnis der Bibel, auf die ich bis heute zurückgreife. Was für ein Geschenk die Pastoren uns Frauen machten, nachdem sie einen ganzen Tag mit unseren Männern im Klassenzimmer verbracht hatten! Ich bin zutiefst dankbar für diese und viele weitere Kurse, an denen ich teilnehmen durfte.

Doch in erinnere mich auch an viele Abende in jenen Jahren, an denen ich mit Neid zu kämpfen hatte. Es passierte immer dann, wenn Ray seine griechischen und hebräischen Texte studierte oder einen Artikel über eine faszinierende theologische Frage schrieb, während ich daran arbeitete, Klassenarbeiten zu korrigieren oder Unterrichtspläne für meine zweite Klasse zu überarbeiten. Es kommt nicht oft vor, dass die Frau eines Pastors genau so einen Zugang zu Jahren der biblischen Ausbildung hat, wie ihr Ehemann. Die Frau deines Pastors hat also vielleicht nicht so viel Bibelwissen, wie du es dir wünschen würdest. Doch du kannst verständnisvoll damit umgehen, indem du dir vor Augen hältst, dass wir alle gemeinsam wachsen (Kol. 1,19). Auch sie ist eine Pilgerin auf ihrem Weg in den Himmel, die auf ihrer Reise gemeinsam mit dir lernt und im Glauben wächst. Gib ihr die Freiheit, auf dem Weg dahin zu reifen.

Mythos 2: Die Frau des Pastors hat Geistesgaben, von denen sie öffentlich in der Gemeinde Gebrauch machen wird

Vielleicht war die Frau deines früheren Pastors eine begabte Musikerin, hatte eine Begabung für Bibellehre oder konnte besonders gut mit Kindern umgehen. Und jetzt erhoffst du dir – vielleicht erwartest du es sogar – von den Geistesgaben der Frau deines jetzigen Pastors zu profitieren. Auch wenn es stimmt, dass „jeder eine Gnadengabe von Gott“ bekommen hat, geht der Vers weiter mit „der eine so, der andere so“ (1. Kor. 7,7). Sei ein Segen für die Frau deines Pastors, indem du ihr die Freiheit gibst, ihrem Herrn mit der bestimmten Gabe zu dienen, die er ihr geschenkt hat. Was auch immer ihre Geistesgabe ist, sie kann für viele in der Gemeinde ungesehen bleiben. Ich glaube, dass das größte geistliche Geschenk für die Gemeinde darin besteht, dass sie sich um ihren Mann kümmert und ihn so liebt, wie es nur eine starke, mit dem Heiligen Geist erfüllte Frau tun kann. Alle miteinander werden außerdem davon profitieren, wenn du sie nicht mit anderen Pastorenfrauen vergleichst.

Mythos 3: Die Frau des Pastors hat die perfekte Familie

Wir wünschen uns alle eine eine starke christliche Familie. Und wir schauen uns in unserer Gemeinde nach vorbildlichen Familien um. Schnell fällt dann der Blick auf die Familie des Pastors, denn man vertraut darauf, dass sie uns zeigen können, dass es wirklich geht! Denn wenn sie es nicht schaffen, wird es uns ja wohl erst recht nicht gelingen. Und so hinterfragen und verurteilen wir die Dinge, die in ihrer Ehe oder bei ihren Kindern nicht so perfekt zu sein scheinen.

Du kannst dir sicher sein, dass die Frau eines Pastors den unterbewussten, aber realen Druck ihrer Gemeinde spüren kann, eine vorbildliche Ehe und perfekte Kinder zu haben. Lass mich dir einen Einblick in ihr Herz geben, denn dieser äußerliche Druck bedeutet, dass sie sich einigen besonderen Herausforderungen stellen muss.

Die Frau deines Pastors liebt und dient der Herde, die ihr Ehemann hütet. Und doch muss sie gleichzeitig ihre Kinder vor der Kritik schützen, mit der sie zwangsläufig konfrontiert werden. Sie möchte ihren Kindern beibringen, dem Herrn Jesus Christus vor allen anderen gefallen zu wollen, sogar vor den Gemeindemitgliedern. Denn die beste Art zu leben ist es, ihm allein zu folgen, doch das ist in einer großen Gruppe nicht immer einfach. Sie versucht auch, ihre Kinder davon zu überzeugen, dass sie für sie und ihren Vater wichtiger sind als jedes Gemeindemitglied. Und gleichzeitig versucht sie ihnen beizubringen, dass der Dienst in der Gemeinde ein wunderbares Privileg ist! Es ist nicht einfach, diese Gratwanderung zu bewältigen. Sie könnte deine Hilfe gut gebrauchen! Gib ihr den Raum, den sie braucht, um ihre Familie in der Liebe zu Jesus Christus zu erziehen, während ihr die Öffentlichkeit dabei zuschaut.

„Es ist völlig in Ordnung, wenn die Frau deines Pastors keine perfekte Familie hat!“
 

Ein letzter Gedanke: Es ist völlig in Ordnung, wenn die Frau deines Pastors keine perfekte Familie hat! Was jede Gemeinde wirklich braucht, ist eine Familie, die Gott von ganzem Herzen dient und sich bewusst ist, dass sie als sündige Eltern in dieser zerbrochenen Welt sündige Kinder großziehen. Diese Authentizität und Verletzlichkeit sind ein überzeugenderes Zeugnis für Christus als der Wunsch, eine „perfekte“ Familie haben zu wollen.

Mythos 4: Die Frau des Pastors interessiert sich nicht für mich, weil sie sich meinen Namen nicht merken kann

Zugegeben, Namen sind wichtig – sehr wichtig, vor allem für den Namensträger. Doch du kannst hier davon ausgehen, dass die Frau deines Pastors keine bösen Absichten hat und du es nicht persönlich nehmen solltest. Sie fühlt sich dabei wahrscheinlich schlechter als du! Ich kann dir aus eigener Erfahrung sagen, dass sie gerne jeden in der Gemeinde mit Namen kennen möchte. Schließlich hätte ihr Mann ohne euch alle keinen Dienst. Sie und ihr Mann investieren ihr ganzes Leben in dich. Aber manchmal, besonders dann, wenn die Gemeinde wächst, ist es einfach unmöglich, sich alle Namen zu merken.

Wie du ihr helfen kannst? Lächle sie einfach an, während du ihr direkt in die Augen schaust, und sage ihr: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie viele Namen du dir merken musst. Ich bin Jane Smith und habe kein Problem damit, es dir jedes Mal zu sagen, wenn es dazu beiträgt, dir eine Last von deinen Schultern zu nehmen.“ Und dann sag ihr deinen Namen auch das nächste, das übernächste, und das Mal danach. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dein Verständnis und deine Freundlichkeit ihr dabei helfen werden, sich an ihn zu erinnern!

Mythos 5: Die Frau des Pastors braucht mich nicht

Glaube auch nicht eine Minute an diesen Mythos! Es mag zwar nicht so aussehen, aber viel zu viele Pastorenfrauen führen ein ziemlich einsames Leben. Ihr Mann arbeitet normalerweise samstags, wenn andere Familien Zeit miteinander verbringen. Am Sonntagmorgen und an den Feiertagsgottesdiensten verlässt er das Haus vor seiner Frau und den Kindern. Aus diesem Grund kümmert sich die Frau morgens alleine um sie. Nachdem sie dann alle zur Gemeinde gefahren hat, wird sie höchstwahrscheinlich alleine sitzen. Es ist nicht einfach für sie, also bemühe dich weiterhin um eine Freundschaft mit ihr. Ich finde es wundervoll, wenn ein Gemeindemitglied sich mir zuwendet.

„Es mag zwar nicht so aussehen, aber viel zu viele Pastorenfrauen führen ein ziemlich einsames Leben.“
 

Jede Gemeinde hat ihre eigene Kultur und du kannst ihr zeigen, auf was deine Gemeinde besonderen Wert legt. Frage sie, ob du sie zum Kaffee einladen kannst, oder bringe Kekse vorbei und verbringe etwas Zeit mir ihr. Stelle ihr dann persönliche, aber keine neugierigen Fragen: Wie sie zum Glauben gekommen ist, über ihre Familie, was sie in ihrer Freizeit gerne macht. Mit anderen Worten, lerne sie als echte Person und Freundin kennen und nicht nur als Frau deines Pastors. Sag ihr, was du an deiner Gemeinde liebst. Nenne wenn möglich Gründe, warum du froh darüber bist, dass Gott ihre Familie berufen hat, um Christus in deiner Gemeinde zu dienen.

Einige Pastorenfrauen finden es schwierig, tiefe Freundschaften aufzubauen, weil sie in der Vergangenheit durch den Bruch einiger Beziehungen in der Gemeinde wiederholt Verluste erlitten haben. Glaube mir, die Frau deines Pastors braucht dich. Sie braucht eine Freundin. Sie braucht eine Frau, bei der sie authentisch und verletzlich sein kann und bei der sie nicht perfekt sein muss. Für so eine Beziehung wird sie immer Zeit finden. Mache den ersten Schritt und gehe auf sie zu. Ihr werdet es beide nicht bereuen!

Lasst uns diese Mythen also ein für alle Mal begraben. Dann wird unsere Gemeinschaft schöner und unsere Gemeinde stärker sein für Gottes Herrlichkeit und unsere größte Freude!