Was tust du, wenn du den Halt verlierst?

Artikel von Matt Klingler
29. April 2021 — 6 Min Lesedauer

In den letzten zwei Wochen haben uns drei Familien, die zum Kern der Gemeinde gehörten, verlassen. Wir sind keine große Gemeinde und erst seit acht Jahren dabei, in einem sehr säkularen Vorort von Washington D.C. eine Gemeinde zu gründen. Deshalb schmerzte ihr Weggang uns als ganze Gemeinde, aber auch mich persönlich. Aussagen wie „Vertraue auf das Evangelium!“ oder „Danke dafür, dass wir eine sendende Gemeinde sind!“ fühlten sich in dem Moment nur wie leere Phrasen an. Ich fing an, in eine Abwärtsspirale zu geraten. Vielleicht kennst du das. Vielleicht bringt dich die Kritik deines Chefs, Verachtung vonseiten eines Angestellten, die Einsamkeit oder sogar der Arbeitsplatzverlust in Folge von Corona in eine ähnliche Situation. In solchen Momenten fühlen wir uns alle, als würde uns der Boden unter den Füßen entzogen. Aber was tun wir dann?

In ein paar Jahren gehe ich auf die 50 zu. Auch wenn ich selbst nur einige wenige solcher tiefen Wunden im persönlichen Leben und der Seelsorge erleben musste, fragte mich einer der jüngeren Mitbegründer unseres Netzwerks einmal: „Was tust du, wenn du am Boden bist?“ Ähnlich wie bei mir hatten gerade mehrere Familien seines Mitarbeiterteams nach drei Jahren gemeinsamen Dienstes, in denen Freundschaften gewachsen waren, die Gemeinde verlassen.

Ich seufzte, als ich mich an die letzten zwei Wochen erinnerte und daran, wie Gottes Gnade mich wieder aus meinem Abgrund gezogen hatte. Dann sagte ich ihm etwa folgendes:

Auf der Hut sein

Erstens schütze ich mich selbst. Wenn es mir schlecht geht, neige ich dazu, Sünde zu dulden. Ich werde unbeherrscht, reagiere schnell unfreundlich, meide Menschen und Aufgaben, isoliere mich, verurteile andere oder lasse mich in ungute Tiefen ziehen. Ich muss mich vor der Sünde hüten, die mich so leicht umstrickt, die vor meiner Tür lauert, und vor Satan, der umhergeht wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlingen kann (Hebr 12,1; 1Mo 4,7; 1Pt 5,8). Deshalb baue ich sofort Barrieren auf, wenn ich in eine Abwärtsspirale gerate. Ich kenne die Schwäche meines Fleisches, dass ich so leicht nach dem Muster dieser Welt lebe, und weiß, dass ich einen Feind habe, der immer bereit ist, meine Freude zu zerstören und Gottes Herrlichkeit zu trüben. Dann werde ich regelrecht „gesetzlich“: Ich schließe Türen, schalte soziale Medien ab, trete heraus aus meiner Isolation und weg von den Stimmen in meinem Kopf. Das gibt mir Raum, um Gemeinschaft zu suchen.

In Gemeinschaft stehen

„Wenn ich den Halt verliere, brauche ich jemanden, der meine Lasten mitträgt – einen Freund, der meinen Blick auf den allgegenwärtigen Erlöser richtet.“
 

Ich vertraue mich meinen engsten Freunden und meiner Frau an. Wenn ich den Halt verliere, brauche ich jemanden, der meine Lasten mitträgt – einen Freund, der fester zu mir hält als ein Bruder, der meinen Blick auf den allgegenwärtigen Erlöser richtet (Gal 6,2; Spr 18,24; Hebr 12,1). Ich tue dies aus drei Gründen. Erstens: Meine Freunde und meine Frau helfen mir, auf der Hut zu bleiben und die Sünde abzuwehren. Zweitens: Sie erinnern mich an das Evangelium – daran, dass mein Wert nicht von Versagen oder Erfolg abhängt und dass meine schlimmsten Umstände und Zukunftsängste in Christus beseitigt wurden. Drittens: Sie helfen mir, mögliche selbstverschuldete Gründe für mein Fallen zu erkennen. Oft gilt es eine Lektion zu lernen, den Charakter zu formen und Veränderungen vorzunehmen. Durch Gemeinschaft fällt es mir leichter, Gehorsam zu bewahren, wieder fest im Evangelium zu stehen und mich daran zu machen, meine seelischen Untiefen zu verlassen.

Erfüllt sein

Drittens lege ich alles beiseite und tue etwas, das mir Freude bereitet. Obwohl ich Christus nicht gesehen habe, weiß ich, was meine Liebe zu ihm kultiviert, wo ich seine Güte schmecke und sehe und wie ich die Freude über meine Errettung besonders verspüre (1Pt 1,8; Ps 34,8; 51,12). Ich tue dies nicht, um meinen gegenwärtigen Zustand zu ignorieren. Vielmehr betrachte ich Christus, der weit mehr erduldet hat, als mir derzeit begegnet, um mich jetzt an seiner Gemeinschaft zu erfreuen. Ich singe ein herrliches Loblied, mache einen schönen langen Spaziergang, sitze am Feuer oder genieße ein gutes Essen mit anderen. Hier schmecke und sehe ich, dass mein Herr gut ist. Dieser Prozess verläuft nicht geradlinig und oft dauert er länger, als mir lieb ist. Letztendlich ist es Gott, der mich aus meiner Traurigkeit hebt.

Gottes Gnade trägt

Drei oder vier Tage lang steckte ich darin fest: Ich zweifelte an meinen seelsorgerlichen Fähigkeiten, an meiner Treue zum Leib Christi, an meiner Kraft, dran zu bleiben. Ich vermisste meine Freunde, die sich entschieden hatten, unsere Gemeinde zu verlassen. Die Gnade Gottes und klare Grenzen bewahrten mich vor heimlicher Sünde – und davor in Wut und Verurteilung um mich zu schlagen. Einmal benahm ich mich ziemlich daneben, aber Gottes Gnade brachte mich schnell dazu, Vergebung zu suchen. Zwei Freunde und meine Ehefrau hörten sich mein Gejammer und meine Schwermut an. Sie wiesen mich auf Christus hin und auf Bereiche, in denen ich mich ändern muss.

Als ich mitten in der Woche, wartend auf unseren Bibelkreis, am Lagerfeuer saß und mich freute, allein zu sein, um mit Gott zu reden, kam ein Mann bereits etwas eher als üblich dazu. Er fragte, wie es mir gehe und ich begann zu erzählen. Wahrscheinlich sagte ich zu viel, schließlich war er neu in der Kirche und noch nicht gläubig. Doch er war ein lieber Freund geworden. Er lobte meine Leitung, den Zusammenhalt der Gemeinde und die Auswirkungen, die diese „neuen Lehren“ der Bibel auf sein Leben hatten. Im Laufe der Jahre hatte ich diesen Kerl liebgewonnen und sehnte mich danach, dass er Christus kennenlernte. Ich freute mich zwar über das, was er sagte, musste aber noch ein bisschen tiefer graben.

„Das ist alles sehr ermutigend für mich, aber ich frage mich, was du glaubst, wer Jesus ist?“ Mein Freund antwortete: „Matt, ich glaube, dass er mein Retter ist“. Diese frohe Nachricht packte mich. Ich konnte nicht anders als meiner Freude laut Ausdruck zu verleihen. Ich jubelte!

Gottes Freundlichkeit erbaut

Als meine Frau mir später sagte, wie gut es ihr tat, wieder Lachen durch das Küchenfenster dringen zu hören, fiel mir Gottes große Güte auf. Was für einen souveränen, guten, liebevollen, nahen König wir doch haben – einen, der seine Gemeinde durch Sünder wie mich baut; einen, der mit denen geht, die eine Gemeinde verlassen, um in eine andere zu gehen; einen, der sich meiner Situation so genau annimmt und sich in seiner Güte dazu entschlossen hat, die Rettung meines Freundes gerade an diesem Abend zu offenbaren. Das ist unser Gott, der ewige König, der sich herabbeugt, um uns in den Himmel seiner Gnade emporzuheben.