Palmsonntag im Alten Testament

Artikel von Matthew Westerholm
28. März 2021 — 6 Min Lesedauer

Jedes Jahr an Palmsonntag spielt sich in unserem Gottesdienst eine ähnliche Szene ab: Mit riesigen Palmenblättern kommen Kinder in den Saal gelaufen, mit denen sie der Menge freudig entgegen fächern (oder mit denen sie sich gegenseitig schlagen). Dies soll symbolisch den Einzug Jesu in Jerusalem darstellen. Viele von uns kennen die Geschichte: Unser Herr Jesus zieht, vorbei an einer jubelnden Menge, auf einem Esel nach Jerusalem ein.

„Viele hundert Jahre vor Jesu Geburt ist bereits ein anderer König auf einem Esel nach Jerusalem eingezogen.“
 

Doch nicht jeder weiß, dass viele hundert Jahre vor Jesu Geburt bereits ein anderer König auf einem Esel nach Jerusalem eingezogen war. Der erste triumphale Einzug offenbart uns viele wundervolle Wahrheiten über den zweiten.

Ein frierender König, ein hinterlistiger Prinz und skrupellose Partnerschaften

Unsere Geschichte beginnt in 1. Könige. König David, der als Kind gegen Riesen gekämpft und als junger Mann Heere besiegt hatte, ist jetzt ein alter Mann, zu schwach, um sich selbst warm zu halten (1Kön 1,1–4). Jeder weiß, dass die Tage Davids gezählt sind. Bald wird es einen neuen König geben.

Adonija, einer von Davids Söhnen, beschließt, der nächste König zu werden (1,5–10). Er beginnt, strategische Beziehungen aufzubauen. Zuerst mit dem Heerführer Joab, dann auch mit dem priesterlichen Oberhaupt Abjatar. Beide lädt er zu seiner selbsternannten und geheimen Krönungszeremonie ein.

Aufmerksame Leser wissen allerdings, dass David bereits Salomo zu seinem Nachfolger ernannt hatte (1Chr 23,1; 29,22). Adonijas Machtspiel war also eine feindliche Übernahme und tödliche Bedrohung für seine Rivalen, in diesem Fall seinen königlicher Bruder Salomo und seine Königsmutter Bathseba. Und es wurde auch zu einer Bedrohung für Gottes Versprechen. Der Herr hatte David nämlich zugesagt, dass seine königliche Dynastie (2Sam 7,12–13) durch Salomo weitergeführt werden würde (1Chr 22,9–10).

Bei diesem Familienstreit um Gottes Königreich ging es um Leben und Tod.

Eine mutige Frau, ein treuer Prophet und der rechtmäßige König

Dann erscheint Bathseba auf der Bildfläche. Sie warnt den ahnungslosen König David davor, was in seinem Königreich vor sich geht (1Kön 1,11–27). Gemeinsam mit dem Propheten Nathan erinnert sie ihn an den Eid, den er als Antwort auf Gottes Bundesversprechen abgelegt hatte (Bathseba bedeutet übersetzt „Tochter des Eides“).

David bekräftigt daraufhin seinen Plan, Salomo zu krönen (1,28–31) und beginnt sofort mit der Ausführung (1,32–37). Er lässt einen gottesfürchtigen Propheten, ein gottesfürchtiges priesterliches Oberhaupt und einen seiner gottesfürchtigen Berater rufen, nämlich Nathan, Zadok und Benaja.

David übergibt Salomo sein königliches Maultier (eine Art „Air Force One“ der Antike) und führt ihn damit von der Gihon-Quelle über das Kidron-Tal nach Jerusalem. Salomo wird gesalbt und, begleitet von lautstarken Feierlichkeiten, auf den Thron gesetzt. Das ist nicht vergleichbar mit der geheimen Krönungszeremonie auf Adonijas Privatparty – hier feiert Gottes Volk öffentlich und laut jubelnd seinen König (1,38–40). Adonijas Feierlichkeiten lösen sich schlagartig auf, als der Jubel für Salomo die Zeremonie des Betrügers übertönt (1,41–49).

Der erste Einzug als Spiegelbild des zweiten

Salomos Ritt nach Jerusalem über das Kidron-Tal und die Gihon-Quelle (1,33.38) bezeugen, dass er der wahre König ist. Er bezeugt, dass das priesterliche Oberhaupt Abjatar samt aller religiösen Führungspersonen, die ihm folgen, Betrüger sind. Und er bezeugt, dass der Heerführer Joab trotz seiner militärischen Macht als Verlierer hervorgeht. Dieser eine, dieser König auf dem Esel, das ist der wahre Sohn Davids.

Und an Palmsonntag feiern wir das Ereignis. Jesus reitet den gleichen Weg wie Salomo durch das Kidron-Tal und zieht auf einem Esel nach Jerusalem ein (Mt 21,1–10). Auf einem Esel anstatt auf einem Kriegspferd zu reiten zeugt von Demut (Sach 9,9). Es stellt definitiv einen Kontrast zwischen dem Reich Gottes und der Art dar, wie Herodes oder Pilatus damals bei ihrem Einzug in die Stadt empfangen worden wären.

Aber als Spiegelbild der Krönung Salomos lehrt uns der triumphale Einzug Jesu noch mehr. Wir erkennen, dass die Schriftgelehrten und Pharisäer – die religiösen Führungspersonen, die sich ihm entgegenstellen – Betrüger sind. Wie die Söhne Elis repräsentieren sie nicht länger den wahren und lebendigen Gott (1Sam 2,31ff). Auch Rom mit all seiner militärischen Macht kann nicht mehr tun als nur zuzusehen. Sogar Blinde konnten sehen (Mt 20,30–31), dass Jesus, dieser König auf dem Esel, der wahre Sohn Davids ist (Mt 21,9.15).

Hier ist er endlich, der wahre König.

„Mehr-als-Salomo“ ist da

Zum Glück ist das Königtum Jesu in vielerlei Hinsicht anders als das von Salomo. Salomo wandte sich vom Glauben an Gott ab und betete Götzen an; Jesus tat dies nie. Sogar als er am Kreuz hing und langsam erstickte, befahl er seinen Geist in Gottes Hände (Lk 23,46).

„Zum Glück ist das Königtum Jesu in vielerlei Hinsicht anders als das von Salomo. Salomo wandte sich vom Glauben an Gott ab und betete Götzen an; Jesus tat dies nie.“
 

Salomo lebte in Sünde und nahm sich Königinnen aus fremden Ländern zu Frauen, um seinen eigenen Status zu stärken (1Kön 11,1–4). Jesus hingegen gab sich für seine Braut, die Gemeinde, hin. Salomo wurde durch den schlechten Einfluss seiner Frauen befleckt (Neh 13,26), doch Jesus reinigte und heiligte seine Braut, „damit er sie sich selbst darstelle als eine Gemeinde, die herrlich sei, so dass sie weder Flecken noch Runzeln noch etwas ähnliches habe, sondern dass sie heilig und tadellos sei“ (Eph 5,27).

Salomo baute einen Tempel, doch verführte sein Volk anschließend dazu, fremde Götzen anzubeten. Jesus erschuf einen neuen Tempel und ist das Oberhaupt seines auserwählten Volkes: „Ich will meinen Brüdern deinen Namen verkündigen; inmitten der Gemeinde will ich dir lobsingen!“ (Ps 22,22; Heb 2,12). Salomo führte sein Volk auf den Weg in das Exil. Doch Jesus wurde der Weg zu Gott – „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6).

Salomo starb, genauso wie sein Vater David vor ihm (1Kön 11,43). Jesus aber wurde von den Toten auferweckt, um uns das ewige Leben zu schenken – nicht nur David und Salomo, sondern all seinen königlichen Söhnen und Töchtern (Hebr 2,10).

An Palmsonntag feiern wir den Triumph des zweiten Königs, der auf einem Esel nach Jerusalem einzog. Er wird begleitet von Anbetung und Lobgesang von Kindern und Erwachsenen. Er entlarvt alle betrügerischen Anwärter auf seinen Thron und erinnert uns daran, dass er – er allein – der einzig wahre König ist, dem es sich zu folgen lohnt.