Was ist das Evangelium?
Einer der besten Ausgangspunkte auf der Suche nach einer grundsätzlichen Erklärung des Evangeliums ist der Brief von Paulus an die Römer. Vielleicht deutlicher als jedes andere Buch der Bibel enthält der Römerbrief eine wohlüberlegte schrittweise Erklärung dessen, was Paulus als gute Nachricht verstand.
Genau genommen ist das Buch „Römer“ überhaupt kein Buch – jedenfalls nicht das, was wir normalerweise unter Büchern verstehen. Es ist ein Brief, ein Mittel für Paulus, um sich und seine Botschaft einer Gruppe von Christen vorzustellen, die er nicht persönlich kannte. Darum wirkt der Römerbrief auch so systematisch und schrittweise aufgebaut. Paulus wollte, dass diese Christen etwas über ihn, über seinen Dienst und besonders über seine Botschaft erfuhren. Er wollte sie wissen lassen, dass die gute Nachricht, die er predigte, die gleiche gute Nachricht war, an die sie glaubten.
„Denn ich schäme mich des Evangeliums von Christus nicht“, beginnt er, „denn es ist Gottes Kraft zur Errettung für jeden, der glaubt“ (Röm 1,16). Von da an erklärt Paulus insbesondere in den ersten vier Kapiteln die gute Nachricht von Jesus wunderbar detailliert. Wenn wir uns diese Kapitel anschauen, sehen wir, dass Paulus seine Darlegung des Evangeliums um einige entscheidende Wahrheiten herum aufbaut – Wahrheiten, die der Apostel in seiner Verkündigung des Evangeliums immer wieder aufgreift. Lassen Sie uns Paulus’ Gedankengang in Römer 1-4 nachvollziehen.
Gott ist unser Schöpfer
Zuerst sagt Paulus seinen Lesern, dass es Gott ist, dem sie verantwortlich sind. Nach seinen einleitenden Bemerkungen in Römer 1,1–7 beginnt Paulus seine Darlegung des Evangeliums mit der Aussage, dass „Gottes Zorn vom Himmel her“ geoffenbart wird (V. 18). Mit seinen allerersten Worten stellt Paulus fest, dass die Menschheit nicht autonom ist. Wir haben uns nicht selbst erschaffen und wir sind weder selbstständig noch nur uns selbst rechenschaftspflichtig. Nein, es ist Gott, der die Welt und alles, was darauf lebt, erschaffen hat – und dazu gehören auch wir. Weil er uns erschaffen hat, hat Gott das Recht zu verlangen, dass wir ihn anbeten. Beachten Sie, was Paulus in Vers 21 sagt: „Denn obgleich sie Gott erkannten, haben sie ihn doch nicht als Gott geehrt und ihm nicht gedankt, sondern sind in ihren Gedanken in nichtigen Wahn verfallen, und ihr unverständiges Herz wurde verfinstert.“
Damit klagt Paulus die ganze Menschheit an: Alle haben gesündigt, indem sie Gott nicht geehrt und ihm nicht gedankt haben. Als Menschen, die von Gott geschaffen wurden und ihm gehören, ist es unsere Pflicht, ihm die Ehre und den Ruhm zu geben, der ihm gebührt, und auf eine Art und Weise zu leben, zu reden, zu handeln und zu denken, die seine Herrschaft über uns anerkennt und würdigt. Wir sind von ihm erschaffen, gehören ihm, sind von ihm abhängig und ihm daher Rechenschaft schuldig. Das ist der erste Punkt, den Paulus hier bei seiner Erklärung der guten Nachricht des Christentums sorgfältig klarstellt.
Alle Menschen lehnen sich gegen Gott auf
Zweitens sagt Paulus seinen Lesern, dass ihr Problem in ihrer Auflehnung gegen Gott besteht. Sie haben – so wie jeder andere auch – Gott nicht geehrt und ihm nicht gedankt, wie sie es gesollt hätten. Ihr „unverständiges Herz wurde verfinstert“ und sie „haben die Herrlichkeit des unvergänglichen Gottes vertauscht mit einem Bild, das dem vergänglichen Menschen, den Vögeln und vierfüßigen und kriechenden Tieren gleicht“ (V. 21.23). Das ist ein wahrlich abstoßendes Bild, nicht wahr? Dass Menschen über ihren Schöpfer nachdenken und dann entscheiden, dass ein hölzernes oder metallenes Bild von einem Frosch oder Vogel oder auch sich selbst prächtiger, befriedigender und wertvoller sei, ist die Höhe der Beleidigung Gottes, der Rebellion gegen Gott. Es ist die Wurzel und das tiefste Wesen der Sünde, und die Folgen sind ausgesprochen entsetzlich.
Im überwiegenden Teil der folgenden drei Kapitel vertieft Paulus diesen Punkt weiter und klagt die ganze Menschheit der Sünde gegen Gott an. In Kapitel 1 liegt sein Schwerpunkt auf den Heidenvölkern; in Kapitel 2 wendet er sich ebenso scharf gegen die Juden. Es ist so, als wüsste Paulus, dass die selbstgerechtesten Vertreter des Judentums seiner Kritik an den Heiden laut applaudiert hätten. Deshalb dreht er den sprichwörtlichen Spieß in Kapitel 2, Vers 1, schnurstracks um und richtet den anklagenden Zeigefinger gegen alle Schadenfrohen: „Darum bist du nicht zu entschuldigen!“ So wie die Heiden, sagt er, haben auch die Juden Gottes Gesetz gebrochen und stehen unter seinem Urteil.
Bis zur Mitte von Kapitel 3 hat Paulus jeden einzelnen Menschen auf der Welt der Rebellion gegen Gott angeklagt: „Denn wir haben ja ... sowohl Juden als Griechen beschuldigt, dass sie alle unter der Sünde sind“ (V. 9). Und seine ernüchternde Schlussfolgerung ist, dass, wenn wir vor Gott, dem Richter, stehen, jeder Mund zum Schweigen gebracht werden wird. Niemand kann dann noch eine Verteidigung vorbringen. Dann gibt es keine Ausrede mehr. Die ganze Welt – Juden, Heiden, jeder Einzelne – wird im vollen Umfang vor Gott Rechenschaft ablegen müssen (V. 19).
„Dass ich gegen den heiligen und richtenden Gott rebelliert habe, der mich geschaffen hat, ist kein schöner Gedanke. Doch es ist ein wichtiger Gedanke, da er den Weg für die gute Nachricht ebnet.“
Nun enthalten diese ersten zwei Punkte genau genommen überhaupt keine gute Nachricht. Tatsächlich sind es ziemlich schlechte Nachrichten.
Dass ich gegen den heiligen und richtenden Gott rebelliert habe, der mich geschaffen hat, ist kein schöner Gedanke. Doch es ist ein wichtiger Gedanke, da er den Weg für die gute Nachricht ebnet. Das leuchtet ein, wenn man genauer darüber nachdenkt. Wenn jemand zu Ihnen sagt: „Ich komme, um dich zu retten!“, ist das überhaupt keine gute Nachricht, es sei denn, Sie glauben tatsächlich, dass Sie Rettung nötig haben.
Jesu Tod und Auferstehung
Drittens sagt Paulus, dass Gottes Lösung für die Sünde der Menschheit der Opfertod und die Auferstehung von Jesus Christus ist. Nachdem er die schlechte Nachricht geschildert hat – die Zwangslage, in der wir uns als Sünder vor unserem gerechten Gott befinden –, wendet sich Paulus nun der guten Nachricht zu, dem Evangelium von Jesus Christus.
„Jetzt aber“, sagt Paulus, trotz unserer Sünde, „jetzt aber ist außerhalb des Gesetzes die Gerechtigkeit Gottes offenbar gemacht worden“ (V. 21). Mit anderen Worten, es gibt einen Weg, wie wir Menschen vor Gott als gerecht statt ungerecht angesehen werden, wie wir unschuldig statt schuldig befunden werden, wie wir gerechtfertigt statt verdammt werden können. Und dieser Weg hat nichts mit einem besseren Verhalten oder einem rechtschaffeneren Leben zu tun. Er liegt „außerhalb des Gesetzes“.
Wie geschieht das nun? Paulus formuliert es in Römer 3,24 ganz einfach. Trotz unserer Rebellion gegen Gott und angesichts einer hoffnungslosen Situation können wir „gerechtfertigt werden durch seine Gnade aufgrund der Erlösung, die in Christus Jesus ist“. Durch den Opfertod und die Auferstehung von Jesus Christus – durch sein Blut und sein Leben – können wir Sünder vor der Verdammnis gerettet werden, die wir aufgrund unserer Sünden verdienen.
Doch Paulus beantwortet noch eine weitere Frage. Wieso ist das eine gute Nachricht für mich? Wie kann diese zugesicherte Rettung auch für mich gelten?
Durch den Glauben
Zum Schluss sagt Paulus seinen Lesern, wie sie selbst an dieser Rettung Anteil bekommen können. Darüber schreibt er vom Ende von Kapitel 3 an und weiter bis ins vierte Kapitel. Die Rettung, die Gott versprochen hat, kommt „durch den Glauben an Jesus Christus“ und gilt „allen ... die glauben“ (Röm 3,22). Wie also wird diese Rettung zu einer guten Nachricht für mich und nicht nur für irgendjemand anderen? Wie kann ich daran Anteil bekommen? Indem ich an Jesus Christus glaube. Indem ich darauf vertraue, dass nur er und kein anderer mich retten kann. „Wer dagegen keine Werke verrichtet, sondern an den glaubt, der den Gottlosen rechtfertigt“, erklärt Paulus, „dem wird sein Glaube als Gerechtigkeit angerechnet“ (Röm 4,5).
Buch
Greg Gilbert, Was ist das Evangelium?, 2. Auflage, 3L: Waldems 2019, S. 29–34.