Die Unveränderlichkeit Gottes

Artikel von Stéphane Simonnin
16. März 2021 — 11 Min Lesedauer
Dieser Artikel ist Teil einer Reihe von Stéphane Simmonin über die Eigenschaften Gottes. Verschiedene Artikel zu den Eigenschaften Gottes finden sich hier.

Veränderung: Alles fließt

Die Unveränderlichkeit Gottes ist für uns wahrscheinlich noch schwerer zu verstehen, als seine Ewigkeit oder Unendlichkeit. Wie können sich ständig verändernde Kreaturen wie wir, die in einer sich andauernd ändernden Realität leben, „Veränderungslosigkeit“ verstehen? Die Tatsache, dass sich alles verändert, galt schon immer als Binsenweisheit. „Die Veränderung ist da, um zu bleiben“, verkündigen Wirtschaftsanalysten. „Wir leben in einer Zeit der Veränderungen“, schreiben faule Journalisten, als hätten wir je in einer Zeit gelebt, die keine „Zeit der Veränderung“ war. Nichts davon ist in irgendeiner Weise neu. Schließlich hat der griechische Philosoph Heraklit schon vor 2600 Jahren verkündigt: „Alles fließt“ (Panta rhei).

43 Seiten über die Unveränderlichkeit

Aber Gott verändert sich nicht. Zumindest lehrt das die Schrift gemäß dem einstimmigen Zeugnis der christlichen Kirche. Dennoch wird die Eigenschaft der Unveränderlichkeit in den letzten Jahren zunehmend angefochten. Viele bezweifeln heute, ob das Konzept der Unveränderlichkeit Gottes wirklich vertretbar, biblisch oder überhaupt hilfreich ist. Wie wir in vorangegangenen Artikeln gesehen haben, sind die reformierten Theologen des 17. Jahrhunderts eine großartige Hilfe, um in der richten Weise über Gottes Eigenschaften nachzudenken. Wahrscheinlich ist dabei niemand hilfreicher als der englische Puritaner Stephen Charnock (1628–80). Charnock hinterließ uns die umfassendste und hilfreichste Studie über Gottes Eigenschaften in einer Reihe von Predigten, die er zwischen 1677 und 1680 in London hielt und die als „Discourses on God’s Attributes“[1] nach seinem Tod veröffentlicht wurden. Seine Abhandlung über die Unveränderlichkeit, die in der vollständigen Ausgabe seiner Werke ganze 43 Seiten einnahm, ist dabei besonders aufschlussreich.

Unveränderlichkeit: Eine Definition

Lasst uns diese Eigenschaft zunächst definieren. Was bedeutet es, dass Gott unveränderlich ist? Es bedeutet, dass Er unveränderlich ist in seinem Wesen, seiner Natur und seiner Vollkommenheit. Das schließt unter anderen auch ein, dass Gott in seiner Existenz oder seinen Eigenschaften weder zu- noch abnehmen kann. Das bedeutet auch, dass er nichts außerhalb sich selbst nötig hat. (Diese Eigenschaft wird häufig als eine weitere göttliche Eigenschaft – seine Selbstgenügsamkeit – beschrieben.)

„Gott ist ein notwendiges Wesen; er ist notwendigerweise das, was er ist, und ist daher unveränderlich das, was er ist.“
 

Wie Charnock es ausdrückt, ist er „ohne irgendeine neue Natur, einen neuen Gedanken, einen neuen Willen, einen neuen Zweck oder einen neuen Ort“. [2] Mit anderen Worten: „Gott ist ein notwendiges Wesen; er ist notwendigerweise das, was er ist, und ist daher unveränderlich das, was er ist.“[3] Das bedeutet auch, dass er kein Gefühlsleben in der gleichen Weise wie wir hat. Da er schon immer alles wusste, was es zu wissen gibt, kann ihn weder etwas überraschen, noch seinen „emotionalen Zustand“ erschüttern. Er besitzt im Gegensatz zu uns keine veränderlichen Leidenschaften.

Wir brauchen einen unveränderlichen Gott!

Ich glaube, dass von allen Eigenschaften Gottes gerade diese uns besonders herausfordert. Selbst Christen spüren dabei Unbehagen. Einerseits erkennen wir deutlich, wie diese Eigenschaft für uns segensbringend ist: Wer möchte einen sich ständig ändernden Gott haben? Wie Charnock es ausdrückt: „Welchen Trost hätte man davon, zu einem Gott zu beten, der – einem Chamäleon gleich – seine Farben jeden Tag, jeden Moment verändert?“[4] Natürlich brauchen wir einen Gott, der diese Welt kontrolliert und seinen Versprechen treu bleibt. Andererseits ist es sehr beunruhigend, wenn wir diese Eigenschaft missverstehen und uns einen unfehlbaren Computer vorstellen, der völlig frei von Gefühlen und Emotionen ist; ein Wesen, das alle Dinge voraussieht und alle Dinge bestimmt, aber von nichts in irgendeiner Weise beeinflusst wird. Diese Eigenschaft scheint auch der Weise zu widersprechen, mit der die Schrift über Gott spricht. „Bereut“ Gott in der Bibel etwa nicht? Kündigt er nicht Gerichte an, die er dann doch nicht ausführt, wie im Falle Ninives?

„Welchen Trost hätte man davon, zu einem Gott zu beten, der – einem Chamäleon gleich – seine Farben jeden Tag, jeden Moment verändert?“
 

Ich schätze Charnocks Ausführungen, weil er diese Fragen nicht darin nur beantwortet, sondern Gottes Unveränderlichkeit attraktiv für uns macht. Er entwickelt dabei drei Punkte.

  1. Zunächst zeigt er, dass diese Eigenschaft, auch wenn sie oft mit scholastisch-philosophischen Konzepten begründet wird (zu denen Charnock selber greift) in der Schrift verwurzelt ist. Charnock führt zahlreiche Schriftstellen in seiner Abhandlung an. Wie üblich fängt er mit einer Bibelstelle an, die diese Eigenschaft besonders deutlich auf den Punkt bringt. In diesem Fall beginnt er mit Psalm 102: „Du hast vorzeiten die Erde gegründet, und die Himmel sind deiner Hände Werk. Sie werden vergehen, du aber bleibst; sie werden alle veralten wie ein Gewand; wie ein Kleid wirst du sie wechseln, und sie schwinden dahin. Du aber bleibst, wie du bist, und deine Jahre nehmen kein Ende.“(Ps 102,26–28). Dieser Text tröstet Gottes Volk, weil er Gottes Treue zu ihnen in der Zeit der Not hervorhebt. Gott wird mit den unveränderlichsten Teilen der Schöpfung verglichen, die wir uns vorstellen können: mit Himmel und Erde. Doch sogar diese sind nicht wirklich unveränderlich – Er jedoch schon! Gott ist nicht nur ewig („Deine Jahre nehmen kein Ende“), er ist auch unveränderlich („Du aber bleibst, wie du bist.“). Dieser Text ist auch deshalb von großer Bedeutung, weil er – wie Charnock hervorhebt – im ersten Kapitel des Hebräerbriefs auf Christus angewendet wird. Gibt es einen besseren Beweis für die Gottheit Christi, als ihm die Unveränderlichkeit zuzuschreiben, eine Eigenschaft Gottes, die den Geschöpfen ganz offensichtlich nicht zugeschrieben werden kann?
  2. „Das Gebet fordert keine Veränderung in Gott, sondern es wird Gott dargebracht, sodass er schenken möge, was er unabänderlich gewollt hat; aber er wollte es nicht ohne das Mittel des Gebetes schenken.“
     
    Zweitens zeigt Charnock, dass die biblische Sprache, die Gott als „verändernd“ oder „bereuend“ beschreibt, leicht als eine Anpassung an unsere begrenzten menschlichen Sprachen erklärt werden kann. Dieser Auffassung waren bereits die Reformatoren. So kann Gottes „Reue“ nicht mit unserer eigenen Reue verglichen werden, die „aus mangelnder Voraussicht, Unwissenheit dessen, was folgen wird, oder der fehlerhaften Abschätzung aller Umstände folgt“[5]. Die Reue Gottes ist vielmehr eine Änderung des „äußeren Verhaltens nach seiner unfehlbaren Voraussicht und seinem unveränderlichen Willen“[6]. Die Schrift drückt diese Dinge auf menschliche Weise aus, um uns „in Gott etwas zu zeigen, das eine Ähnlichkeit mit etwas in uns besitzt“[7]. Wir verwenden diese Art der Sprache die ganze Zeit, wenn wir über unsere Beziehung mit Gott sprechen. So sprechen wir z.B. häufig darüber, dass „Gott uns nahekommt“, so wie die Schrift es tut. Doch dies ist nur eine menschliche Ausdrucksweise! Immerhin ist „Gott der unveränderliche Fels, während wir die schwankenden und unbeständigen Geschöpfe sind. Während er scheinbar uns näherkommt, hat er in Wirklichkeit uns zu sich gezogen. Er kommt nicht durch die Veränderung seines Standortes zu uns, sondern zieht uns durch die Veränderung des Denkens, des Willens und der Zuneigung in uns zu sich.“[8] Das wirft unweigerlich die Frage nach dem Geheimnis des Gebets auf: Warum sollten wir beten, wenn Gott alle Dinge weiß und in seinen Ratschlüssen unveränderlich ist? Ich glaube, alle Christen stellen sich diese Frage irgendwann einmal. Hat Gott etwa nicht seine Absichten verändert, als Hiskia betete und er ihm weitere fünfzehn Jahre des Lebens gewährte? Für diese so übliche Frage gibt Charnock die beste Antwort, die ich kenne: „Das Gebet fordert keine Veränderung in Gott, sondern es wird Gott dargebracht, sodass er schenken möge, was er unabänderlich gewollt hat; aber er wollte es nicht ohne das Mittel des Gebetes schenken.“[9] Anders gesagt: Gott hat bestimmt, dass er manche Dinge als Ergebnis unseres Betens für diese Dinge tun wird. Er bestimmt sowohl die Ziele (die Ergebnisse unserer Gebete) als auch die Mittel, wodurch jene Ziele erreicht werden (nämlich durch unsere Gebete).
  3. Drittens zeigt Charnock, dass die Bedenken, die wir bezüglich der Unveränderlichkeit Gottes haben, unserer eigenen Endlichkeit geschuldet sind. Die bloße Vorstellung von Gottes Unveränderlichkeit offenbart unsere hoffnungslose Veränderlichkeit als Geschöpfe – als sündhafte Geschöpfe. Unsere Wandelbarkeit ist keine Sünde; und doch sollte sie uns dazu bewegen, uns „unter das Gefühl unserer Nichtigkeit zu beugen“[10]. Vor allem wenn uns bewusst wird, wie schnell wir unsere Meinung ändern oder unsere Versprechen brechen. Wir müssen über Gottes Unveränderlichkeit nachdenken, um unsere Bedeutungslosigkeit als Geschöpfe wahrzunehmen, denn das ist der unverzichtbare Ausgangspunkt für eine gesunde Beziehung zu Gott. Charnock beobachtet dabei: „Die Argumente, die Gott benutzt, um Hiob zu demütigen, stammen – obwohl er ein gefallenes Geschöpf ist – nicht aus seiner Verderbtheit. Immerhin konfrontiert Gott ihn nicht mit seinen Sünden, sondern mit der Größe seiner Majestät und der Vortrefflichkeit seines Wesens, welche in seinen Werken sichtbar werden. Somit vergessen Menschen, die keinen Sinn für Gott besitzen und sich nicht vor ihm demütigen, dass sie Geschöpfe sind – gefallene Geschöpfe.“[11]

Genau andersherum

„Im Gegensatz zu uns, weiß Gott die Dinge nicht deswegen, weil sie sind oder passieren, sondern genau andersherum.“
 

Die Unveränderlichkeit Gottes fordert uns auch heraus, weil sie Gottes vollständige Souveränität über uns bedeutet. Charnock arbeitet heraus, dass Gottes unveränderliches Wissen und Wollen die Ursache aller Dinge ist. Gott kann nicht in Erkenntnis „wachsen“, er „allein ist weise“ (1 Tim 1,17) und „alles ist vor ihm offenbar“ (Heb 4,13). Im Gegensatz zu uns, weiß Gott die Dinge nicht deswegen, weil sie sind oder passieren, sondern genau andersherum. Charnock verweist auf Apostelgeschichte 15,18 („dem Herrn sind alle Dinge von Anbeginn der Welt bekannt“[12]) und kommentiert dazu: „Gott kennt die Geschöpfe nicht deswegen, weil sie da sind, sondern sie sind da, weil er sie kennt.“[13] Nichts, was wir tun oder auch nur sind, kann außerhalb von Gottes unveränderlichem Wissen oder Willen liegen.

Trost in Gottes Unveränderlichkeit

„Gottes Unveränderlichkeit ist eine wunderbare Eigenschaft. Ohne sie gibt es keine Hoffnung.“
 

Dennoch sollte Gottes Unveränderlichkeit uns nicht beunruhigen, sondern zur Quelle des Trostes werden, wenn wir unsere Bedeutungslosigkeit als Geschöpfe akzeptiert haben und die Gnade Gottes empfangen, die sich in Christus offenbart. Wenn du (so wie ich) dazu neigst, dich nicht entscheiden zu können, wirst du Charnock aus Herzen zustimmen können, der sagt: „Je näher wir zu Gott kommen, desto mehr Stabilität werden wir in uns haben.“[14] Wie sehr benötigen wir diese göttliche Beständigkeit in unserem Leben. Doch vor allem ist Gottes Unveränderlichkeit der Fels, auf dem seine Bundesversprechen gegründet sind: „Der Bund der Gnade heißt nicht: ‚Ich will euer Gott sein, wenn ihr mein Volk sein werdet‘, sondern: ‚Ich will ihr Gott sein und sie sollen mein Volk sein.‘ Er stellt eine Bedingung in seinen Gnadenbund – nämlich die Bedingungen des Glaubens – und er entscheidet sich, diese Bedingungen im Herzen der Erwählten zu erfüllen.“[15]

Gottes Unveränderlichkeit ist eine wunderbare Eigenschaft. Ohne sie gibt es keine Hoffnung.


[1] The Works of Stephen Charnock, Bd. 1, Banner of Truth: Edinburgh 1864, Nachdruck 2010

[2] Ebd. S. 380

[3] Ebd. S. 381

[4] Ebd. S. 407

[5] Ebd. S. 400

[6] Ebd. S. 401

[7] Ebd. S. 401

[8] Ebd. S. 391

[9] Ebd. S. 408

[10] Ebd. S. 409

[11] Ebd. S. 409

[12] Diese Worte finden sich in vielen frühen Manuskripten nicht und werden in modernen Übersetzungen üblicherweise ausgelassen.

[13] The Works of Stephen Charnock, Bd. 1, S. 386.

[14] Ebd. S. 417

[15] Ebd. S. 418