Gericht und Errettung

Warum sich das Studium des Propheten Jeremia lohnt

Artikel von Joel Kurz
16. Februar 2021 — 7 Min Lesedauer

Als ich etwa drei Viertel meiner Predigtreihe durch das Buch Jeremia geschafft hatte, fragte mich ein Freund: „Wie hat der Heilige Geist dich dazu gebracht, durch das ganze Jeremia-Buch predigen zu wollen?“

Nachdem ich die Frage meines Freundes zunächst mit einem Lachen abgetan hatte, antwortete ich: „Es ist Gottes Wort.“

Nun ja, Jeremia ist sicherlich Gottes Wort, aber warum würde ein Prediger gerade dieses Buch aussuchen, um darüber zu predigen? Jeremia ist abschreckend, um es mal höflich zu formulieren. Einerseits ist es das längste Buch der Bibel (ich weiß, du dachtest wahrscheinlich, das seien die Psalmen). Andererseits hat Jeremia einen ziemlich schlechten Ruf: Gericht, Tränen, Gericht, Tränen – und dann noch mehr Gericht. Warum also sollte ein treuer Prediger in Betracht ziehen, durch dieses Buch zu predigen?

„Gott hält seine Versprechen, und sein Volk wird eines Tages all die Segnungen der Erneuerung und der Wiederherstellung genießen.“
 

Jeremia lehrt uns, dass Menschen in Rebellion gegen Gott leben. Als Bundesbrecher werden sie nicht ungestraft davonkommen. Aber Jeremia endet nicht mit Gericht. Er verkündet, dass Gott mit seinem Volk nicht am Ende ist, und dass er fest entschlossen ist, einen neuen Bund mit ihnen zu schließen. Gott hält seine Versprechen, und sein Volk wird eines Tages all die Segnungen der Erneuerung und der Wiederherstellung genießen.

Vier Motive, die sich durch dieses alte Buch ziehen, werden deiner Gemeinde heute von besonderem Nutzen sein.

1. Jeremia verabscheut es, wenn Gottes Wort verdreht wird

Die Menschen zur Zeit von Jeremia „glauben“ an Gott. Sie lieben den Tempel und sind zuversichtlich, dass ihnen kein Leid geschehen wird, einfach weil der Tempel da ist. Und doch lieben diese Menschen gleichzeitig ihre Sünde. Sie haben die Anbetung Jahwes mit einer Treue anderen Göttern gegenüber vermischt. Im ganzen Land gibt es Perversion, Unmoral und Ungerechtigkeit. Es scheint, dass Schreiber die Schriften verändert haben; der einst den Heiligen überlieferte Glaube ist verdorben worden. Deswegen bringt Gott durch die Eroberung durch das Babylonische Reich das Gericht über sie. Im ganzen Buch wiegen Irrlehrer die Massen in Sicherheit, dass alles mit ihnen in Ordnung ist und Gott ihnen kein Leid zufügen wird.

Heute haben viele Gemeinden und bekennende Christen das Wort Gottes verlassen. Die Schriften werden umgedeutet, damit sie zu den eigenen Begierden passen. Zusätzlich gründen Predigten darauf, was in der Kultur angesagt ist, und nicht auf Gottes Wort. Es wird über Sünde hinweggesehen und daraus ergibt sich, dass Versionen eines Christentums erschaffen werden, die den Leuten zugestehen, Jesus und die eigene Sünde zu lieben. Die Leute nehmen an, Gott sei auf ihrer Seite und Prediger sind durch die Kunst des Ohrenkitzelns Wasser auf diese Mühlen.

In alledem schlägt Jeremia Alarm für das 21. Jahrhundert: Hört auf das Wort Gottes und beachtet es, selbst wenn die Botschaft nicht angesagt ist.

2. Jeremia befasst sich mit der Unterdrückung des Volkes Gottes

Jeremia wird von fast allen Menschen gehasst. Morddrohungen, Mordpläne und Gefängnisaufenthalte sind an der Tagesordnung. Seine fertige Schriftrolle wird öffentlich vorgelesen, nur um dann von den Behörden konfisziert und verbrannt zu werden. Er wird in einen Kerker geworfen. Er wird in eine Grube geworfen. Er wird sogar von einem Tempelbediensteten geschlagen, der ja eigentlich ein besonderes persönliches Interesse daran haben sollte, diese Nachricht von Gott zu hören.

Heute ist die christliche Botschaft zunehmend unbeliebt. Die christliche Ethik schwimmt zunehmend gegen den Strom der Kultur. Die Exklusivität Christi zu predigen, wird deiner Gemeinde nicht dabei helfen, in der Umgebung als angesagt zu gelten. Den heiligen Zorn Gottes zu predigen, wird nicht unbedingt an erster Stelle der Wachstumsstrategien heutiger Gemeinden stehen.

Christen, die den historischen christlichen Glauben hochhalten, sehen sich zunehmend als kleine Minderheit in ihrer Nachbarschaft. Die Verfolgung wird weiter zunehmen, es sei denn, dass eine wirkliche Erweckung kommt. Unsere Gemeindemitglieder stehen bereits vor schwierigen Entscheidungen und die richtige Entscheidung führt oft zu einer Ablehnung durch Freunde und Familie. Gott sei Dank bereitet die Botschaft Jeremias die Heiligen auf Verfolgung vor, „damit ihr an dem bösen Tag widerstehen und, wenn ihr alles ausgerichtet habt, stehen bleiben könnt“ (Eph 6,13).

3. Jeremia zeigt, wie Gott für ein neues Herz sorgt

Im ganzen Buch wird klar, dass Gottes Volk etwas braucht, was Jeremia nicht geben kann: ein neues Herz. Einerseits sind die Leute willige Teilnehmer der Rebellion gegen Gott. Andererseits sind sie Opfer ihrer eigenen sündigen Begierden und haben nicht die Fähigkeit zum Gehorsam.

Der Bund ist gebrochen. Die Scheidung steht unmittelbar bevor. Ihr verwundetes Herz ist unheilbar. Wer kann es heilen?

Während das Buch Jeremia tatsächlich voller schwieriger Kapitel ist, singt es auch in höchsten Tönen von Gottes Gnade. Im Buch kommen wir zu den Gipfeln des Heilsplans Gottes, als Jeremia das Kommen eines neuen Bundes verkündet. Dieser Bund wird nicht so sein wie der letzte. Im alten Bund waren die Mitglieder der Gemeinschaft oft mit unbeschnittenen Ohren und unbeschnittenen Herzen geplagt (als nicht Wiedergeborene).

„Erkennen wir das Wunder der Gnade Gottes in unserer Rettung? Staunen wir über das Geschenk dieses neuen Bundes, der auf unsere Herzen geschrieben wurde?“
 

Aber in dieser neuen Bundesgemeinschaft wird Gott für sein Volk das tun, wozu sie selbst nicht in der Lage sind. Er wird ihnen ein neues Herz geben, und sein Versprechen der Wiedergeburt für alle innerhalb der Bundes-Familie erfüllen. Jeremia ist da ganz klar: Diese Gemeinschaft wird keine Mischung aus Wiedergeborenen und Nicht-Wiedergeborenen sein. Kern dieses neuen Bundes wird ein neues Herz sein, und jedes Mitglied des Bundes wird somit die Fähigkeit und den Wunsch haben, Gott zu gehorchen.

Haben unsere Gemeindemitglieder ein solides Verständnis ihrer Wiedergeburt? Sind wir eine zunehmend reine Gemeinde, die aus wiedergeborenen Gemeindemitgliedern besteht? Erkennen wir das Wunder der Gnade Gottes in unserer Rettung? Staunen wir über das Geschenk dieses neuen Bundes, der auf unsere Herzen geschrieben wurde? Die Täler von Jeremias Leid weichen den Höhen seiner Hoffnung. Die Hässlichkeit des Ungehorsams dient dazu, die Schönheit eines neuen Herzens zu zeigen. Die Trauerlieder über das Gericht finden ihren Höhepunkt in Liedern über die Befreiung.

4. Jeremia gibt unseren Leidenschaften eine Richtung

Jeremia gibt sein ganzes Leben für seinen Auftrag. Er hätte ein bequemes Leben und Beliebtheit wählen können. Aber was tut Jeremia, als er eingesperrt und schließlich freigelassen wird? Er macht genau damit weiter, was ihm Ärger eingebracht hat: Er verkündet Gottes Wort.

Es gibt im Buch weitere Beispiele für Treue. Jeremias Schreiber Baruch (der das Buch geschrieben hat), hängte sein attraktives Promi-Leben ebenfalls an den Nagel. Baruch diente dem Propheten und somit dem Herrn. Wir entdecken Menschen wie Ebed Melech, einen Eunuchen aus dem Sudan, der zum Dienst für den König gezwungen wurde. Er setzt sein eigenes Leben aufs Spiel, um Jeremia vor dem drohenden Tod zu retten.

Eine Frage: Lohnte sich ihr Opfer? Hätte Jeremia sein äußerst schwieriges Leben für zeitlich begrenzte Bequemlichkeit eingetauscht? Wenn Baruch noch einmal von vorn beginnen könnte, würde er seine Stellung aufgeben und die Reichtümer umklammern, die die Welt bietet? Diese Männer lebten in Hingabe für ihren Auftrag – trotz ihrer eigenen Fragen, Zweifel und Verzweiflung. Warum? Was trieb sie an? Das Wort Gottes muss verkündigt werden.

Angesichts des Wohlstandsevangeliums, der Wort-des-Glaubens-Bewegung, des Pragmatismus, der viele evangelikale Gemeinden antreibt, und der christlich getarnten Selbsthilfe-Predigten, spricht Jeremia heute zu uns. Unsere Ambitionen müssen neu ausgerichtet werden. Gottes Volk muss treu bleiben, selbst wenn sich der Dienst überhaupt nicht fruchtbringend anfühlt. Unsere persönlichen Vorlieben müssen sich dem Werk Gottes in der Welt unterordnen. Unsere Wünsche müssen gemäß seinem offenbarten Wort umgestaltet und geläutert werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Jeremia führt uns zum Herrn Jesus Christus. Das Wort Gottes „wurde Fleisch und wohnte unter uns, und wir haben seine Herrlichkeit angeschaut, eine Herrlichkeit als eines Einzigen vom Vater, voller Gnade und Wahrheit“ (Joh 1,14). Wir sind ein Volk des neuen Bundes. Wir erleben die vor so langer Zeit gemachten Verheißungen.

Und doch warten und hoffen wir weiter. So wie die Vertriebenen in Babylon leben wir als Fremdlinge in einem fremden Land. Wir warten auf den Höhepunkt – die schlussendliche Erfüllung dieser Prophezeiung. Wir freuen uns auf die Rückkehr des Königs der Könige, der Babylon richtet und sein Volk rettet. Im Buch Jeremia geht es um Gericht – klar. Aber nur durch Gericht empfangen wir die Errettung.