Schön ohne Aber

Rezension von Tanja Bittner
8. Februar 2021 — 7 Min Lesedauer

Kürzlich las ich bei Manfred Lütz (Lebenslust, S. 177–178) den klugen Gedanken, dass eine Gesellschaft, die das Jugendlich-Sein zum Ideal erhebt, zwangsläufig eine unglückliche Gesellschaft sein wird. Schließlich ist die Zeit der Jugend allzu schnell vorbei und dann bleibt nur, sich so lange wie möglich an die zerrinnenden Attribute der Jugend zu klammern, während man unweigerlich ständig an Boden verliert. In Gesellschaften, die das Alter ehren, habe man dagegen das Beste immer noch vor sich …

Ein zerstörerisches Ideal

Schön ohne Aber dokumentiert in eindrucksvoller Weise die ganz persönliche Not, die dieses unglücklich, ja, krank machende Ideal nach sich ziehen kann. Dabei geht es speziell um die gängigen Schönheitsideale, unter denen eines heraussticht: Ich muss schlank sein. Richtig schlank. Für dieses Buch haben sich die beiden Herausgeberinnen mit 24 weiteren Autorinnen und Autoren zusammengetan, die in persönlichen Berichten Einblick geben in ihre ganz eigene Geschichte mit ihrem Körper. Diese Geschichten sind so unterschiedlich wie die Personen, zu denen sie gehören, aber trotzdem begegnet ein Muster wiederholt: Da war dieses eine Erlebnis, vielleicht nur ein einziger Satz, den jemand gesagt hatte, und damit war schlagartig klar: „Ich werde nur akzeptiert sein, wenn ich dünner bin.“ So begann im Alter von vielleicht 13 oder 14 Jahren das Kalorienzählen, das Hungern mit und ohne Erbrechen, die Magersucht oder Bulimie. Selbst mit lebensbedrohlichem Untergewicht spukte im Hirn noch der Gedanke: „Ich bin fett.“

Andere Geschichten verliefen anders, nicht jede gleich dramatisch, nicht bei allen ging es um Essstörungen. Doch „Body-Shaming“ – ich schäme mich für meinen Körper – ist der rote Faden, der alle verbindet. Dieser Körperhass raubt die Freude am Leben, macht unfrei und krank. Tatsächlich drängt sich im Lauf des Buches immer mehr der Gedanke auf: Wie entsetzlich kaputt sind doch diese Ideale, die von den Medien vorgeführt und innerhalb der Jugendszenen (aber auch von wohlmeinenden Eltern) gläubig nachgebetet werden! Dabei trifft zweifellos Nina Krämers These (vgl. S. 110–111) zu, dass dieses Denken auch uns Christen weit mehr prägt, als uns lieb ist.

Die Autorinnen und Autoren stehen nicht alle am gleichen Punkt. Da gibt es die, die auf diese Jahre zwischen Selbstkasteiung und Heißhunger als eine Phase zurückblicken, aus der sie irgendwie herausgewachsen sind bzw. aus der sie sich mit Hilfe von Therapie und Strategie herausgearbeitet haben. Und es gibt die, deren Bekenntnis noch labiler klingt, denen es noch nicht so ganz in den Schoß zu fallen scheint, den Boden unter den Füßen zu behalten.

Zwischen diesen Berichten erscheinen immer wieder kurze Ratgeber-Kapitel von Eva-Maria Admiral, die aus eigener Erfahrung Hilfestellung gibt. Aber auch in anderen Kapiteln finden sich Einsichten und Tipps, denen man abspürt, dass sie nicht nur Seelsorge-Theorie sind, sondern aus dem Leben kommen: Sich nicht mehr mit anderen vergleichen. Den eigenen Medienkonsum überdenken. Vergeben. Die Waage entsorgen. Sich selbst und seinen Körper neu wahrnehmen lernen. Die Gegebenheiten, so wie sie sind, annehmen. Usw.

Wenig Raum für das Evangelium

Trotzdem hat das Buch im Gesamteindruck gravierende Schwächen, die in theologischer Untiefe wurzeln, welche – zwangsläufig – weitreichende Auswirkungen mit sich bringt.

Eva-Maria Admiral plädiert u. a. dafür, Lügen durch Wahrheit zu ersetzen (vgl. S. 21–23), ähnliches klingt in vielen weiteren Beiträgen an. Die Autoren und Autorinnen bekennen sich als Christen, und daher stützen sie diese Wahrheit – manchmal nur angedeutet, manchmal ausdrücklich – auf die Bibel. Selten fehlt irgendein Hinweis darauf, dass Gott mich wunderbar gemacht hat (vgl. Ps 139,14) und sein „sehr gut“ über uns als die nach seinem Ebenbild Geschaffenen sprach (vgl. 1Mose 1,26–27.31). Doch leider ist damit der theologische Gehalt des Buches auch schon im Wesentlichen auf den Punkt gebracht.

„Die Erkenntnis, dass ich weit mehr bin als mein äußeres Erscheinungsbild, ist zweifellos wichtig und biblisch. Doch auch das Bild meiner inneren Werte ist bei Licht betrachtet nicht so wundervoll, wie ich das gerne hätte.“
 

Sicherlich: Diese beiden Stellen sind bedeutsame biblische Aussagen über mich und meinen Körper. Aber trotzdem ist das noch nicht alles, was die Bibel zu sagen hat. So gern wir die Augen davor verschließen würden, wir kommen nach 1. Mose 3 nicht mehr um das Thema Sünde herum. Die Bibel entfaltet ihr Menschenbild zwischen diesen beiden Polen: Gottesebenbildlichkeit und Sünde. Obwohl die einstige Schönheit noch zu erkennen ist, ist da etwas Hässliches, das alles durchdringt, auch mich. Deshalb begebe ich mich auf dünnes Eis, wenn ich mich emotional auf das Gute und Wertvolle und Schöne stellen will, das Gott angeblich in mir sieht. Die Erkenntnis, dass ich weit mehr bin als mein äußeres Erscheinungsbild, ist zweifellos wichtig und biblisch. Doch auch das Bild meiner inneren Werte ist bei Licht betrachtet nicht so wundervoll, wie ich das gerne hätte. Und der Gott der Bibel ist nicht zu trottelig, um meine Abgründe zu sehen. Er „glaubt“ keineswegs „an uns“ (vgl. S. 180; ein Gottesbild, das sich durch viele Beiträge zieht), sondern er ist außerordentlich realistisch in seiner Sicht auf uns. Genau deswegen sendet er seinen Sohn als Erlöser. Und deswegen muss ich mich nicht schöner reden als ich bin. Das ist ein zutiefst befreiender Aspekt. Weil Gottes Sohn all mein Hässliches getragen hat und ich bei ihm Zuflucht finden kann, darf ich mit meiner Sünde ehrlich sein. Es muss mich nicht aus dem Konzept bringen, wenn ich heute beim besten Willen nichts Wertvolles und Schönes oder gar Göttliches (vgl. S. 94) an mir entdecken konnte. Gott hat auch diesen düsteren Tag durch das Blut seines Sohnes zugedeckt. Die Bibel bringt eine Gnaden-Botschaft. Gnade ist ein Geschenk, das gerade nicht auf meinem guten Kern, meinem wahren Ich, dem Rohdiamanten in mir beruht (vgl. S. 183).

„Gnade ist ein Geschenk, das gerade nicht auf meinem guten Kern, meinem wahren Ich, dem Rohdiamanten in mir beruht.“
 

Sowohl das Gottesbild als auch das Menschenbild greifen also im Gesamttenor zu kurz. Einer aus biblischer Sicht allzu optimistischen Perspektive auf den Menschen – er muss sich nur entfalten und zum Strahlen gebracht werden – steht ein Gott gegenüber, der nichts anderes als mein größter Fan und Ermutiger ist und auf diese Weise das Beste in mir zum Vorschein bringen will. Daraus ergibt sich letztendlich eine eigene Erlösungsbotschaft: Ich muss es „nur“ schaffen, durch geeignete Techniken (die Gedanken in die richtigen Bahnen lenken, immer wieder richtige Entscheidungen treffen, die richtigen Fragen stellen, meine persönliche Vision entwickeln, die Quelle wirksamer Motivation entdecken, usw.) und unter den stets wohlwollenden Augen meines himmlischen Coaches jenen Heilszustand des „Ich liebe mich“ zu erreichen und zu halten. Dann wird alles im Lot sein. Im Grunde bedeutet das eine Selbsterlösungs-Religion, in der ich mich strebend bemühe, durch Selbstoptimierung mein „Heil“ zu erlangen.

Dabei wird das Ideal „Schönheit“ nicht überwunden, sondern nur verändert. Statt der zerstörerischen „Schönheit“, die sich über eine Zahl auf der Waage definiert, strebe ich nun nach einer Schönheit, die in mir steckt und aus meinem Inneren herausstrahlt (… und ob es sich nicht doch auch, wenn ich auf diese Weise zur Ruhe gefunden habe, erfreulich auf die Waage auswirken wird, weil ich das zwanghafte Essverhalten hinter mir gelassen habe? Vgl. S. 162). Die Bestätigung, dass die Überwindung der Jugendlichkeits-Ideale nicht gelingt, liefert u. a. Maria Prean-Bruni. Gott habe ihr zugesagt, dass sie trotz der 80 Jahre, die ihre Geburtsurkunde ausweist, niemals älter als 33 Jahre werden könne – schließlich sei Christus ihr Leben und er sei eben nur 33 Jahre alt geworden. Daher regeneriere Gott derzeit sogar ihre sichtbaren Alterserscheinungen (Krampfadern usw.) auf das Erscheinungsbild einer Mitt-Dreißigerin (vgl. S. 206).

Leider begegnen in einzelnen (nicht wenigen, aber auch nicht allen) Beiträgen noch eine ganze Reihe von weiteren theologischen Fragwürdigkeiten, die natürlich nur die Position des jeweiligen Autors darstellen. Dennoch sind auch sie eine Facette des Gesamtwerks und machen die Sache nicht bekömmlicher.

Fazit

Ein Buch mit ergreifenden Berichten, die vor Augen führen, welches Elend die erbarmungslosen Schönheitsutopien unserer Gesellschaft im Gepäck tragen. Trotzdem gelingt es Schön ohne Aber – worauf der Titel schon hinweist – insgesamt nicht, das problematische Denken zu überwinden.

Buch

Eva-Maria Admiral, Annette Friese (Hg.), Schön ohne Aber: Wie wir von Körperhass zu Körperliebe finden, Holzgerlingen: SCM, 2020.