Säkularismus und unsere christliche Hoffnung

Artikel von K. Scott Oliphint
2. Februar 2021 — 11 Min Lesedauer

Mit Worten ist jener Sprint in die Irrationalität kaum angemessen zu beschreiben, der die heutige westliche Welt kennzeichnet. Die Absurdität greift von allen Seiten an. Ignoranz ist unser täglich Brot. Das Abnormale ist zur Norm geworden.

Dazu ein paar offensichtliche Beispiele: Viele von uns leben in einer Welt, in der bestimmte wissenschaftliche Theorien (wie z.B. die Evolutionstheorie) als unumstößliche und unanfechtbare Wahrheit betrachtet werden. Uns wird gesagt, die Beweise seien eindeutig, nicht von der Hand zu weisen.

Doch wenn es um so etwas Offensichtliches wie das Geschlecht einer Person geht, dann erzählen uns die gleichen Säkularisten: Dazu könne die Wissenschaft nichts sagen, sondern unsere geschlechtliche Identität ergebe sich daraus, wie wir uns fühlen. Wenn es um das Geschlecht geht, dann kann es doch nicht falsch sein, wenn es sich so richtig anfühlt!

Ein weiteres Beispiel: Wenn sich die Welt mit der Zerstückelung und dem Verkauf fetaler (Baby-) Körperteile konfrontiert sieht, dann wird die Wissenschaft noch nicht einmal mit zur Diskussion eingeladen. So lange man diese entsetzliche Praxis aus dem hellen Licht der kalten, harten Fakten in die schummrige, allgemeine Schublade „Frauen-Gesundheit“ verlagern kann, sollen wir uns davon überzeugen lassen, dass das alles nur ein Fehlalarm ist.

„Der Säkularismus ist auf dem Vormarsch – schnell und mit schwerer Artillerie.“
 

„Fakten sind hartnäckige Dinge“, scherzte bekanntlich John Adams. Aber diese Hartnäckigkeit verblasst bis zur Bedeutungslosigkeit angesichts des unnachgiebigen Beharrens des säkularen Denkens. Wenn der Blick durch die Brille des Säkularismus auf Fakten fällt, dann kann sie die Sicht entsprechend anpassen. Sollten durch die Fakten die säkularen Festlegungen in Frage gestellt werden, dann kann sie den Fokus so verändern, dass die Fakten bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen. Wenn aber etwas ins Blickfeld gerät, das zu ihrer Ideologie passt, dann wird das intensiv begutachtet und schnellstmöglich all den Fehlsichtigen unter uns unter die Nase gehalten.

Der Säkularismus ist auf dem Vormarsch – schnell und mit schwerer Artillerie. Er lässt uns nur die Option, sich seiner Armee anzuschließen oder aber als Kollateralschaden betrachtet zu werden. Er marschiert mit Leidenschaft, mit beispielloser Zielstrebigkeit und mit starrer Entschlossenheit: „Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns.“

Aber dieses rigorose Regiment hat ein ernsthaftes Problem im Hinblick auf seine Grundlage. Wann immer die Frage nach seiner eigenen Existenz im Raum steht, zieht es den Kürzeren. So erinnert uns z.B. Richard Dawkins, der bekannte und beharrliche Atheist, in Und es entsprang ein Fluss in Eden daran, dass DNA (und damit meint er „Menschen“) sich um nichts und niemanden Gedanken macht; seiner Meinung nach ist DNA einfach nur da. Daher – so sagt er – sollte unsere Reaktion auf all die Schwierigkeiten und Ereignisse rings um uns her von „erbarmungsloser Gleichgültigkeit“ sein. Das Problem ist jedoch, dass niemand gleichgültig ist, auch nicht Dawkins.

Warum propagiert man aber eine solche „Gleichgültigkeit“, wenn doch weit und breit kein Anzeichen davon zu sehen ist? Es kann helfen, sich einen Moment Zeit zu nehmen und zu versuchen, die Sache klarer zu durchschauen. Wir müssen das größere Bild in den Blick nehmen, das wir alle – ginge es nach dem Säkularismus und dem Atheismus – an unsere Wände hängen und verehren sollen.

Die erste Sache, die wir nach ihrem Willen in diesem Bild sehen sollen, ist der völlig zwecklose und sinnlose Zufall unserer Existenz. Der einzige Grund, warum wir zufällig hier sind, ist – wie sie sagen – dass wir zufällig hier sind. Es gibt keinen Sinn, keine Absicht, nichts, was unserer Anwesenheit in dieser Welt irgendwie Bedeutung verleihen würde. Die natürliche Welt ist alles, was es gibt, und in dieser Welt hat es sich zufällig so ergeben, dass du existierst. In dem Bild, das sie von der Realität zeichnen, bist du nicht geschaffen worden – du bist ein Produkt der Evolution. Und diese deine persönliche Entwicklung (Evolution) war nicht mehr als ein planloses Aufeinandertreffen von Materie und zufälligen Umständen.

Dawkins ist allerdings nicht im Geringsten gleichgültig, wenn es um den Zufall der Evolution geht. Er ist der Meinung: „Es ist absolut vertretbar zu sagen, wenn Sie jemanden treffen, der behauptet, nicht an die Evolution zu glauben, dass diese Person unwissend, dumm oder verrückt ist (oder niederträchtig, aber ich würde das lieber nicht in Betracht ziehen).“[1] Klingt das etwa nach einem Mann, der denen gegenüber gleichgültig ist, die mit seinen Ansichten nicht übereinstimmen?

Betrachten wir es einmal so: Wenn du und ich, so wie Dawkins es uns glauben machen will, eine zufällige Ansammlung beliebiger Moleküle sind – warum sollte es eine Rolle spielen, ob wir seine Meinung übernehmen oder nicht? Wäre nicht die Zustimmung zu Dawkins Sicht ganz genauso beliebig und „zufällig“ wie die Ablehnung dieser Sicht? Wenn mein Glaube daran, dass wir von Gott geschaffen worden sind, nicht mehr ist als eine Funktion meiner DNA auf materieller Ebene – warum spielt das dann eine Rolle? Vor allem: Warum spielt das dann für Dawkins eine so große Rolle?

Es ist nicht allzu schwer zu erkennen, dass der Säkularismus mit all den ihn begleitenden Provokationen und seiner Irrationalität ein Kartenhaus ist: Ein Windhauch kann es zum Einsturz bringen. Seine eigenen Theorien sickern in seinen Kern ein wie ein hirnzersetzender Virus und machen ihn unbrauchbar.

Der Grund, weshalb das säkulare Denken seine eigene Theorie nicht leben kann, ist, dass nichts übrigbleibt, wenn man diese Theorie auslebt. Wenn man Dawkins ernst nähme, dann wäre ein Säkularist, der wirklich als solcher lebt, so sehr der „erbarmungslosen Gleichgültigkeit“ verpflichtet, dass ihm als einzige ernsthafte Frage die nach dem Selbstmord übrigbliebe – wie Albert Camus schon vor Jahrzehnten aufgezeigt hat. Und auch diese Wahl wäre gleichgültig.

Aber es gibt noch etwas anderes, das wir in diesem Zerrbild sehen können, wenn wir genau genug hinschauen. Es gibt keinen sinnvollen Grund, den der Säkularismus für seine Existenz angeben könnte. Trotzdem benimmt er sich wie jemand, der im Dunkeln auf so etwas wie ein Ziel irgendwo da draußen schießt und damit immer weitermacht in der Hoffnung – ziellos und zufällig – irgendwie zu treffen. So leer und schal der Säkularismus ist, er hört nicht auf, sich selbst zu propagieren, und zwar unter Vorspiegelung solch immaterieller und absichtsvoller Werte wie „Zweck“, „Hoffnung“ und „Bedeutung“. Während sie „nichts als DNA“ von den Dächern rufen, versuchen die Verfechter des Säkularismus verschiedene höhere Ideen durch die Hintertür mit hereinzuschmuggeln, in der Hoffnung, dass wir das nicht bemerken. Aber warum sollten sie das tun?

„Der Grund, weshalb das säkulare Denken seine eigene Theorie nicht leben kann, ist, dass nichts übrigbleibt, wenn man diese Theorie auslebt.“
 

Ich habe mal einen Autoaufkleber gesehen, auf dem stand: „Ich habe die Hoffnung aufgegeben – jetzt fühle ich mich viel besser.“ Das war natürlich als Witz gemeint. Aber mir kam dabei in den Sinn, dass das der Ausspruch eines ehrlichen säkularen Menschen wäre. Das ist eine Aussage, die anerkennt, dass Werte wie Hoffnung künstlich in das säkulare Denken importiert werden müssen. Wenn Materie alles ist, was es gibt, wenn wir nur eine zufällige Ansammlung von DNA sind, dann sind Begriffe wie „Hoffnung“ leer, sie haben keinerlei Inhalt. So kann aus säkularer Perspektive Hoffnung nicht mehr sein als eine Hoffnung auf die Hoffnung, was aber überhaupt keine Hoffnung ist. Im säkularen Denken hat „Hoffnung“ keinen Platz, wo sie sich niederlassen könnte. Das Hotel des Säkularismus kennt kein Zimmer für ein Ding namens Hoffnung.

Weshalb versuchen die Vertreter des Säkularismus, solche künstlichen Zutaten wie Hoffnung in ihr fades Rezept zu mischen? Weil auch sie Geschöpfe sind, im Bild Gottes geschaffen, und daher tief in sich wissen, dass diese Welt nicht alles ist, was es gibt. Im Grunde kennen sie den Gott, dem sie kontinuierlich ausweichen (Röm 1,18–21).

Als Träger von Gottes Ebenbild – die Gott im Grunde kennen – sind sie dazu bestimmt, diesen Gott abzubilden. Deshalb integrieren sie unvermeidlich jene fremden Elemente in ihr Denken. Sie reden und argumentieren mit Leidenschaft, nicht mit Gleichgültigkeit. Sie glauben, dass es allgemeingültige Wahrheit gibt (beispielsweise, dass jeder so denken sollte wie sie). Trotz ihrer eigenen, kurzsichtigen Festlegungen können sie es nicht lassen, so zu tun als wären Dinge wie Sinn, Liebe, Bedeutung und Hoffnung irgendwie Teil ihrer DNA. Aber so etwas kann man nicht in unserer DNA finden, ganz egal wie leistungsstark das Mikroskop sein mag. Wenn Materie alles ist, was es gibt, dann regiert die Gleichgültigkeit. Deshalb beschreibt Paulus diejenigen, die ohne Christus sind, als solche, die keine Hoffnung haben und ohne Gott in der Welt sind (Eph 2,12).

Das alles ist schlussendlich für Christen eine gute Nachricht. Die Attacke eines ungestümen Säkularismus in unserer Kultur hat das Potenzial, uns verzweifeln zu lassen. Aber wenn wir verzweifeln, dann legen wir dabei unsere geistliche Brille ab und setzen an ihrer Stelle die dunkel getönte Brille des Unglaubens auf. Stattdessen wir sollten erkennen, dass die kahle und leere Landschaft des Säkularismus eine perfekte Kulisse darstellt, vor der die Realität der christlichen Hoffnung aufleuchtet und uns mutig aufatmen lässt.

Eine der Bibelstellen, die sich am intensivsten mit der christlichen Hoffnung befasst, befindet sich in 1 Kor 15. Paulus beschreibt dort in seinem Fazit, wie die christliche Hoffnung in der Praxis aussehen sollte: „Darum, meine geliebten Brüder, seid fest, unerschütterlich, nehmt immer zu in dem Werk des Herrn, weil ihr wisst, dass eure Arbeit nicht vergeblich ist im Herrn!“ (1 Kor 15,58). Was diesen Herold der Hoffnung motiviert, steht zentral im Fokus von Paulus’ Argumentation in diesem Kapitel. Dieser Fokus ist die Auferstehung Christi. Dabei sind drei Aspekte zu beachten:

Zunächst sagt Paulus: „Wenn wir nur in diesem Leben auf Christus hoffen, so sind wir die elendesten unter allen Menschen!“ (1 Kor 15,19). Die wichtigsten Worte in dieser Feststellung lauten „auf Christus“. Paulus will hier nicht sagen, dass unsere Hoffnung in diesem Leben nur eine elende Hoffnung ist, auch wenn das so ist. Sondern das Elende an einer Hoffnung, die nicht mehr kennt als dieses Leben, ist, dass dann diejenigen, die „auf Christus“ hoffen, ihr Vertrauen auf einen Toten gesetzt haben. Auf einen Toten zu vertrauen ist aber das Ende jeglicher Hoffnung. Weil Christus lebt, leben wir, und allein jenes Leben kann Hoffnung haben und geben.

Zweitens ist die Auferstehung Christi die einzige Garantie für unsere leibliche Auferstehung: „… denn gleichwie in Adam alle sterben, so werden auch in Christus alle lebendig gemacht werden. Ein jeder aber in seiner Ordnung: Als Erstling Christus; danach die, welche Christus angehören, bei seiner Wiederkunft“ (1 Kor 15,22–23). Unsere Hoffnung auf ein neues und ewiges Leben ist gewiss, weil wir „in Christus“ sind und Christus auferweckt wurde.

Drittens erfordert die christliche Hoffnung die Vernichtung des „letzten Feindes“, des Todes selbst. Dieser Feind ist nach wie vor aktiv; immer noch holt er sich seine Opfer. Aber seine Tage sind gezählt. „Wenn aber dieses Verwesliche Unverweslichkeit anziehen und dieses Sterbliche Unsterblichkeit anziehen wird, dann wird das Wort erfüllt werden, das geschrieben steht: ‚Der Tod ist verschlungen in Sieg! Tod, wo ist dein Stachel? Totenreich, wo ist dein Sieg?‘“ (1 Kor 15,54–55).

Weil Christus auferweckt wurde, wird auch für diejenigen, die in ihm sind, dieser letzte und furchterregende Feind für immer beseitigt werden. Wenn der Tod schlussendlich zu Tode gebracht sein wird, dann werden wir, die wir in Christus sind, mit ihm leben und den neuen Himmel und die neue Erde erleben. Es wird keine Hoffnung mehr geben. Denn im neuen Himmel und auf der neuen Erde, angesichts unserer unvergänglichen Körper, wird die Hoffnung ihren edlen Auftrag erfüllt haben. Die Wohnung Gottes wird bei seinem Volk sein (Offb 21,3). Dann werden wir zum ersten Mal und in Ewigkeit ihn sehen, wie er ist (1 Joh 3,2).

Im Glauben sind wir mit Christus vereint. Hoffend leben wir in ihm. In der Ewigkeit, wenn der Tod und seine Folgen nicht mehr sein werden, werden wir für immer in seiner Liebe bleiben (Joh 15,9). Deshalb gilt in der jetzigen Zeit und für die, die in Christus sind: „Wir rühmen uns der Hoffnung auf die Herrlichkeit Gottes“ (Röm 5,2; 12,12; vgl. Kol 1,27).