Eine Theologie des Zuhauses

Artikel von John Tweeddale
13. Januar 2021 — 5 Min Lesedauer

Das Zuhause wurde von Christen über lange Zeit als die Drehscheibe des Lebens gesehen. Es ist die Kinderstube für aufstrebende Astronauten, ein Spielplatz für Möchtegernhelden und ein Zufluchtsort für erschöpfte, aber dem Himmel entgegen strebende Wanderer. Das Zuhause ist ein Ort für die Vermittlung von Werten durch ausführliche Gespräche, häufiges gemeinsames Lachen, herzhaftes Essen, schmerzhafte Prüfungen und viel harte Arbeit. Ganz gleich, ob du ein Kind bist, das gerade das Lesen lernt, ein Studienanfänger im Wohnheim, Frischvermählte, die in ihre erste Wohnung einziehen, ein Aufsteiger, der seine Karriere beginnt, eine Familie mit einer Schar Kinder oder eine Witwe, die ohne ihren Partner durchs Leben geht, die Geborgenheit des Zuhauses ist eine Halt gebende Realität im Leben.

„Das Zuhause: Für den einen der Himmel auf Erden, für den anderen aber weit davon entfernt.“
 

Für viele Menschen ist das Zuhause jedoch weit vom Himmel entfernt. Es ist die Hölle auf Erden. Für diejenigen, die unter Unterdrückung leiden, ist das Zuhause ein Albtraum von Missbrauch, Gewalt und Manipulation. Es ist ein Gefängnis, aus dem man ausbrechen möchte, statt eines Zufluchtsortes, zu dem man eilt. Wieder Andere hatten nie das Vorrecht auf dauerhaften Schutz, geschweige denn auf die Erfahrung der Wärme einer Feuerstelle. Wenn Christen über den Wert des Zuhauses reden, dürfen sie die Schuld und Verdorbenheit des Sündenfalls, die sich in jedes Herz und somit auch in jedes Zuhause erstrecken, nicht aus den Augen verlieren. Unsere letzte Hoffnung liegt nicht innerhalb der Grenzen eines Gartenzauns, sondern in Ihm, der „unsere Zuflucht” (Ps 90,1) ist.

Vereinbarkeit von Zuhause und Mission

Beim Durchdenken einer Theologie des Zuhauses gibt es zwei gleichwertige und doch gegensätzliche Fehler, die wir vermeiden müssen. Zunächst sollten wir nicht den Eindruck vermitteln, dass das Leben zuhause in einer gefallenen Welt alles ist. Tun wir dies, so machen wir uns einer falsch angewandten Eschatologie schuldig. Ja, wir müssen uns um die Gärten unserer Häuser kümmern. Doch wir müssen auch die Kirchenbänke füllen und uns auf die Schnellstraßen der Welt wagen. Jesu Missionsbefehl „gehet hin” drängt diejenigen unter uns, die zu einem Rückzug in ihr ruhiges Lebensumfeld versucht werden, zu sehen, dass wir uns mit dem Himmel auf Erden begnügen, wenn wir das Königreich nach unseren eigenen Geschmäckern und Traditionen gestalten. Wir streben danach, aus allen Nationen Jünger zu machen, weil das Königreich Christi nicht von dieser Welt ist (Joh 18,36). Wie Abraham warten wir auf die Stadt, „welche die Grundfesten hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist” (Hebr 11,10).

„Als Christen verstehen wir, dass das Gebetszimmer und der Küchentisch maßgebliche Orte sind, um wichtige Eigenschaften in allen Lebensbereichen zu entwickeln.“
 

Während wir einerseits in der Gefahr stehen, unsere Zuhause zu idealisieren (und zu vergöttern), dürfen wir sie andererseits auch nicht herabsetzen. Wir dürfen nicht den Eindruck vermitteln, dass das Leben zuhause in einer gefallenen Welt keinen Wert hat. Dies ist der Fehler einer allzu privatisierten Soziologie. In unserer modernen Welt sind wir in die tödliche Falle geraten, die uns glauben lässt, dass wer wir im Privaten sind, wenig bzw. keine Auswirkungen auf unser öffentliches Leben hat. Überzeugung und Persönlichkeit werden von Grundsätzen und Produktivität getrennt. Demzufolge wird das Handeln in den eigenen vier Wänden für den Erfolg am Arbeitsplatz als belanglos angesehen. Als Christen verstehen wir jedoch, dass das Gebetszimmer und der Küchentisch maßgebliche Orte sind, um wichtige Eigenschaften in allen Lebensbereichen zu entwickeln. Unsere Auffassung von Produktivität ist untrennbar mit unserer Auffassung von Frömmigkeit verbunden. Der Grund dafür ist einfach: Die trennende Wand zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen ist vor den Augen des allwissenden Gottes unbedeutend (Hiob 34,21). Wir sollen in unserem ganzen Verhalten heilig sein, wie auch er heilig ist (1Petr 1,15).

Eine Chance der Charakterformung

Das Zuhause ist weder eine neutrale Zone, wo nach haltlosem Verlangen gehandelt werden kann, noch eine Festung, die zum Erhalt traditioneller Werte dient. Eines der Hauptziele des Zuhauses ist es, christusähnliche Tugenden zu kultivieren, die unsere Persönlichkeit im Privaten bestimmen und unser Tun im Öffentlichen fördern. Als sich der Apostel Paulus an die Haushalte in der Gemeinde der Kolosser gewandt hat, hat er Frauen, Männer, Kinder, Herren und Diener gleichermaßen dazu angewiesen, die Taten des Fleisches zu töten, die Eigenschaften Christi anzuziehen und alles in Wort und Tat für die Ehre Gottes zu tun (Kol 3,1-4,1). In seinem Brief an die Epheser schiebt Paulus seine Anweisungen an Haushalte zwischen eine Lehre über Hingabe und Anbetung (Eph 5,21) und den geistlichen Kampf (Eph 6,1-20). Und der Apostel Petrus leitet seine Anmerkungen an Familien mit einer ausführlichen Aussprache über die Gemeinde ein (1Petr 2,1-11; 2,12-3,8); eine wichtige Erinnerung daran, dass das Privatleben nie vom Gemeindeleben abgesondert werden kann.

„Damit die Gemeinde eine Stadt auf dem Berg bleiben kann, muss das Licht des Evangeliums zuhause hell strahlen.“
 

Diesseits des Himmels sollte das Zuhause ein Ort sein, an dem Glaube, Hoffnung und Liebe gedeihen. Glaube an das zuverlässige Werk des gekreuzigten und auferstandenen Christus. Hoffnung auf die Kraft des Evangeliums, das die Welt, das Fleisch und den Teufel überwindet. Und Liebe zu einem dreieinigen Gott, dessen Herrlichkeit und Schönheit kein Ende kennen. Das christliche Zuhause ist in einer gefallenen Welt ein Ort für Grundoptimismus. Wir sind am dem Ort verwurzelt, an den Gott uns gestellt hat, und optimistisch bezüglich eines noch viel bedeutenderen Ortes, den er für uns vorbereitet. Die Heimatfront ist das aussichtslose Schlachtfeld kultureller Kriege. In unserem Streben, das Evangelium gegenüber dogmatischem Verfall in der Gemeinde und zunehmender Weltlichkeit in der Kultur zu verteidigen, dürfen wir die Wichtigkeit der Kultivierung von Tugend zuhause nicht vergessen. Damit die Gemeinde eine Stadt auf dem Berg bleiben kann, muss das Licht des Evangeliums zuhause hell strahlen.