Weltmission 2021

Der bleibende Auftrag der Gemeinde im neuen Jahrzehnt

Artikel von Daniel Knoll
8. Januar 2021 — 11 Min Lesedauer

Wir starten in ein neues Jahrzehnt inmitten einer weltweiten Krise. Sie fordert uns auch als Christen und Gemeinden in besonderer Weise heraus. Wir sind uns unsicher, wie wir die aktuellen Umstände im Einzelnen bewerten sollen. Wir sind uns unsicher, was im nächsten Jahr auf uns zukommt. Mit dieser Unsicherheit über unsere Umstände stehen wir genauso da wie die Jünger vor 2000 Jahren. Kurz bevor Jesus sie verlässt, um in den Himmel aufzufahren, fragen sie ihn: „Herr, stellst du in dieser Zeit für Israel das Reich wieder her?“ (Apg 1,6) Sie sind sich unsicher über das, was gerade passiert und das, was sie als nächstes erwartet. Jesus löst diese Unsicherheit über ihre Umstände nicht auf. Stattdessen gibt er ihnen Klarheit über ihren Auftrag:

„Es ist nicht eure Sache, Zeiten oder Zeitpunkte zu wissen, die der Vater in seiner eigenen Vollmacht festgesetzt hat. Aber ihr werdet Kraft empfangen, wenn der Heilige Geist auf euch gekommen ist; und ihr werdet meine Zeugen sein, sowohl in Jerusalem als auch in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde“ (Apg 1,7–8).

Was wir als Christen und Gemeinden am meisten brauchen ist nicht Gewissheit über unsere Umstände, sondern Klarheit über unseren Auftrag. Auch und gerade in schwer durchschaubaren Umständen, sollten wir uns nicht nur fragen: „Wie kommen wir am besten durch die Krise?“, sondern auch: „Wie werden wir durch die Krise besser, nämlich darin, unseren Auftrag auszuführen?“ Nun ist es durchaus möglich, dass wir unseren Auftrag und Dienst für Jesus überbetonen, zulasten unserer Beziehung zu Jesus und anderen. Aber kann es nicht genauso sein, dass ein zu starker Fokus auf uns selbst und die Menschen unmittelbar um uns herum uns den Blick für die große und herrliche Dimension unseres Auftrags verstellt? Jesus Christus hat uns aufgetragen, ihn zu bezeugen und Menschen aus allen Nationen zu seinen Jüngern zu machen (Mt 28,19–20). Das fängt in unserer direkten Umgebung an. Bei unseren Kindern, Nachbarn und den Menschen unserer Gemeinde. Aber es hört dort eben nicht auf, sondern reicht „bis an das Ende der Erde“ bzw. zu „allen Nationen“. Es ist ganz natürlich, dass wir dazu neigen, uns vor allem auf die Nöte in unserer direkten Umgebung zu konzentrieren als auf die in weiter Ferne. Erst recht, wenn die unmittelbaren Umstände besonders herausfordernd sind. Aber die Umstände der Jünger damals waren ja nicht wirklich entspannter. Dennoch gibt Jesus ihnen einen Auftrag, der sich nicht auf ihre Umgebung in Jerusalem begrenzt, sondern weit darüber hinausgeht. Drei Überzeugungen können dabei helfen, diese weltweite Dimension unseres Auftrags auch heute im Blick zu halten.

1. Mission ist bedeutungsvoller, als wir denken

Es kann leicht passieren, dass Weltmission nur als eine weitere Aufgabe von vielen in der Gemeinde wahrgenommen wird. Doch um uns langfristig zu motivieren, dafür unser Leben einzusetzen, braucht es etwas Größeres. Bemerkenswerterweise wird der Missionsbefehl Jesu nach Pfingsten im Neuen Testament überhaupt nicht mehr ausdrücklich erwähnt. Vielmehr wird überall dort, wo die Berechtigung und Notwendigkeit von Mission begründet werden, auf das Alte Testament verwiesen. Das zeigt sich besonders deutlich in zwei Büchern, der Apostelgeschichte als neutestamentlicher Missionsgeschichte und dem Römerbrief als einer Art Missionstheologie.[1] In Apg 13,47 begründen Paulus und Barnabas den Beginn ihrer Mission unter den Heidenvölkern nur indirekt mit dem Auftrag Jesu („denn so hat uns der Herr geboten“), ausdrücklich aber mit dem gewissermaßen „alttestamentlichen Missionsbefehl“ aus Jes 49,6: „Ich habe dich zum Licht der Heiden gemacht, damit du das Heil seist bis an die Enden der Erde.“ In Röm 15,14–21 erklärt Paulus die Strategie und das Ziel seiner Missionstätigkeit und zitiert dafür in Vers 21 Jes 52,15: „Denen nicht von ihm verkündigt wurde, die werden sehen, und die nicht gehört haben, werden verstehen.“

„Gott hat die Absicht, seine eigene Herrlichkeit unter Menschen aus allen Völkern bekanntzumachen, weil er es wert ist, kennengelernt und angebetet zu werden.“
 

Immer wieder wird gerade in diesen beiden Büchern das Alte Testament als Grundlage für die Begründung von Weltmission herangeführt.[2] Warum? Weil schon das Alte Testament voll ist von der Erwartung, dass Gott Menschen aus allen Völkern erlösen wird. Diese Erwartung kommt neben dem Propheten Jesaja (2,2; 25,7; 52,10; 56,7; 61,11; 66,18–20) vor allem in den Psalmen zum Ausdruck (49,2; 72,17; 67,4-6; 72,11.17; 82,8; 86,9; 97,6; 117,1; 148,11) und geht zurück bis auf die Verheißungen an Abraham (Gen 12,3; 18,18; 22,18; 26,4; 28,14). Jesus selbst begründet darum den Auftrag zur Weltmission in Lukas 24,44–47 damit, dass schon das Alte Testament nicht nur sein Leiden und seine Auferstehung (V. 46), sondern auch die Verkündigung des Evangeliums „zu allen Völkern“ voraussagt (V. 47):

„So steht geschrieben, und so musste der Christus leiden und am dritten Tag auferstehen aus den Toten und in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden gepredigt werden allen Nationen, anfangend von Jerusalem.“

Der Auftrag, das Evangelium „zu allen Völkern“ und „bis ans Ende der Erde“ zu bringen, ist also nicht einfach nur eine von vielen Aufgaben im Portfolio christlicher Gemeinden. Es geht um etwas viel Bedeutungsvolleres und Schöneres: Ein Motiv, das die ganze Bibel durchzieht, und zwar von Anfang an: Gott hat die Absicht, seine eigene Herrlichkeit unter Menschen aus allen Völkern bekanntzumachen, weil er es wert ist, kennengelernt und angebetet zu werden (Gen 12,3; Num 14,21; Jos 4,24; Ps 96,1.3; Jes 66,18–19; Hab 2,14). Entsprechend beschreibt Jesaja diejenigen, die Gott in seiner Herrlichkeit kennengelernt haben und darum zu denen gehen, die noch nie von ihm gehört haben: „Sie verkünden meine Herrlichkeit unter den Nationen“ (Jes 66,19). Die größte Motivation, uns auf unseren Auftrag zu konzentrieren, auch wenn die Umstände ungewiss sind, ist Gott selbst. Das macht Mission so viel bedeutungsvoller, als wir oft denken. Der leidenschaftliche Blick auf die Herrlichkeit Gottes und das Staunen über seinen großen Erlösungsplan nährt die Überzeugung, dass die Botschaft von Jesus Christus Menschen aus allen Völkern verkündet werden muss.

2. Mission ist notwendiger, als wir denken

Neben der großartigen Bedeutung dieses Auftrags müssen wir auch im Blick behalten, wie notwendig es ist, dass sich Gemeinden in Deutschland aktiv daran beteiligen. Schätzungsweise drei Milliarden Menschen leben heute in Volksgruppen, in denen sie keinen oder kaum Zugang zum Evangelium haben, etwa durch andere Christen, Gemeinden oder Literatur.[3] Die meisten davon leben in Ländern zwischen dem 10. und 40. Breitengrad. Vor einigen Jahren besuchte ich mit einem Missionar ein kleines, weit abgelegenes Dorf in der Sahelzone. Wir gingen durch eine Gruppe von Lehmhütten im afrikanischen Busch, fernab von fließendem Wasser und Strom und gelangten schließlich zur Hütte eines alten Mannes. Er hatte über sein Taschenradio eine evangelistische Radiosendung der Missionsstation gehört und daraufhin Kontakt aufgenommen. Der Missionar erklärte ihm ausführlich das Evangelium in seiner Muttersprache und schenkte ihm schließlich ein Bibel. Mit Tränen in den Augen schaute dieser alte Mann uns an und sagte: „Das ist das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine Bibel in der Hand halte.“ Menschen wie er werden geboren, leben und sterben, ohne jemals die Wahrheit über Gott, ihre Sünde und Jesus Christus zu hören, es sei denn, dass Menschen aus Ländern wie unserem zu ihnen gehen. Dabei besteht Weltmission nicht nur aus Pionierarbeit unter Unerreichten. In vielen vom Evangelium bereits erreichten Regionen herrscht eine große theologische Hungersnot. Christen und Gemeinden leiden etwa unter der Ausbreitung des Wohlstandsevangeliums. Sie brauchen dringend gründliche biblische Ausbildung, um zu lernen, „alles zu halten, was Jesus Christus ihnen zu sagen hat“ (Mt 28,20). Auch dieser Teil des Missionsauftrags ist notwendig wie eh und je. Aber lange bevor sich jemand aufmacht, um zu ihnen zu gehen, stellt sich die Frage: Wie können Gemeinden sich hier ganz praktisch daran beteiligen?

3. Mission beginnt mit weniger, als wir denken

Ich hatte das Vorrecht, eine Zeit lang eine großen Gemeinde in den USA zu besuchen, die als eine der aktivsten Gemeinden in Sachen Weltmission gilt. Tief beeindruckt von dem Einfluss, den sie seit Jahrzehnten durch viele Missionare auf der ganzen Welt ausübt, blieb die Frage zurück: Wie können denn weitaus kleinere und schwächere Gemeinden am Missionsauftrag teilhaben? In unserer Gemeinde haben wir bisher versucht, diese Frage auf drei Arten zu beantworten: Wahrnehmung fördern, Kontakt herstellen und Partnerschaften schließen. Seit vielen Jahren beten wir jede Woche in unseren Gebetstreffen für ein bestimmtes Land und insbesondere die unerreichten Volksgruppen dort. Wir nutzen vor allem die

„Auch vermeintlich ‚schwache‘ Gemeinden dürfen erwarten, dass Jesus an ihnen sein Versprechen ‚Ihr werdet Kraft empfangen‘ erfüllt, wenn sie sich mit Leidenschaft für seinen Auftrag einsetzen.“
 

Informationen von Operation World. Das bedeutet, über 50 mal im Jahr neigt sich eine Gruppe von Menschen und fleht zu Gott für die Errettung von vom Evangelium unerreichten Pashtunen, Uyguren, Sikh, Burmesen, Soninke, Usbeken und Jemeniten. Irgendwann haben wir angefangen, Missions-Gottesdienste zu gestalten, regelmäßig Gastsprecher und Missionare einzuladen und die junge Generation zu Missions-Konferenzen mitzunehmen. Das Wesentliche, was wir damit tun, ist, die Wahrnehmung zu fördern: Das ist unser Auftrag! Vor einigen Jahren wurde es möglich, die Gemeinde noch direkter mit der Not auf dem Missionsfeld in Kontakt zu bringen. Durch eine wachsende Migrantenarbeit begegnen wir Menschen aus Afghanistan, Iran, Syrien, Eritrea und anderen Ländern, in denen sie nie die Möglichkeit hatten, das Evangelium zu hören. Dazu unterstützen wir Kurzzeiteinsätze auf dem Missionsfeld, sodass wir Anteil daran nehmen können, was es bedeutet, unter fremden Völkern zu leben und für die Verbreitung des Evangeliums zu arbeiten. So kommt die Gemeinde „in Kontakt“ mit Weltmission. Schließlich konnten wir eine Partnerschaft mit Missionaren beginnen, die sich auf einem anderen Kontinent für die theologische Ausbildung von Einheimischen und die Evangelisation unter einer unerreichten muslimischen Volksgruppe einsetzen. Verhältnismäßig kleine Anfänge. Aber sie zeigen: Unser Auftrag ist nicht nur großartig und notwendig, sondern es ist auch ganz praktisch möglich, daran teilzuhaben. Oft mit kleineren Schritten, als wir denken. Auch vermeintlich „schwache“ Gemeinden dürfen erwarten, dass Jesus an ihnen sein Versprechen „Ihr werdet Kraft empfangen“ (Apg 1,8) erfüllt, wenn sie sich mit Leidenschaft für seinen Auftrag einsetzen.

Zu Beginn dieses neuen Jahrzehnts mag vieles um uns herum uns unsicher machen. Was klar bleibt, ist der Auftrag, den Jesus Christus uns gegeben hat. Weil dieser Auftrag sich weit über unser unmittelbares Umfeld hinaus erstreckt, bleibt es wichtig, dass Gemeinden, auch und womöglich gerade in Krisenzeiten, deutlich machen: Wir setzen uns für Weltmission ein, selbst wenn wir nur wenig dazu beizutragen haben, denn es ist nötig, dass Menschen aus allen Völkern das Evangelium hören, weil Gott es wert ist, in all seiner Herrlichkeit kennen gelernt und angebetet zu werden.


[1] Die Apostelgeschichte berichtet, wie die Apostel den Missionsauftrag aus Apg 1,8 (vgl. Lk 24,47–49) ausführen und die Botschaft des Evangeliums in Jerusalem (Apg 1–7), Judäa (Apg 8,1–4; 9,32–43; 10,37), Samaria (8,1–25) und darüber hinaus (weitere Gebiete Israels in Apg 10–11, Kleinasien in Apg 13–14 und 18,23–21,17, Europa in Apg 15,35–18,22 und schließlich Apg 28) verkünden. Der Römerbrief entstand aus Paulus Missionsarbeit und mit dem  Anliegen, die Gemeinde in Rom für seinen Missionsdienst in Spanien zu gewinnen (15,24). Er ist förmlich eingerahmt von Paulus missionarischem Anliegen: Der Glaubensgehorsam muss allen Heiden verkündigt werden (Röm 1,5; 16,26 und 15,18), darum freut er sich darüber, dass der Glaubensgehorsam der römischen Gläubigen in der ganzen Welt verkündet worden ist (1,8; 16,19). Er hat den Wunsch, das Evangelium allen Völkern zu verkündigen und will dafür auch nach Rom kommen (1,13–15; 15,14–29).

[2] So in Apg 3,25f. aus Gen 22,18;10,43; Apg 15,13–17 aus Amos 9,11–12; Apg 26,17–18 aus Jes 42,7; Apg 28,26–27 aus Jes 6,9–10 und in Röm 9,24–25 aus Hos 2,1; Röm 10,13 aus Joel 3,5; Röm 10,15 aus Jes 52,7; Röm 10,16 aus Jes 53,1; Röm 10,18 aus Ps 19,5; Röm 10,19 aus Deut 32,21; Röm 10,20 aus Jes 65,1; Röm 15,9 aus Ps 18,50; Röm 15,10 aus Deut 32,43; Röm 15,11 aus Ps 117,1; Röm 15,12 aus Jes 11,10.

[3] Siehe etwa https://www.peoplegroups.org oder https://joshuaproject.net. Die Zahlen der gezählten Volksgruppen variieren durch unterschiedliche Faktoren, die dafür berücksichtigt werden können (s. https://www.peoplegroups.org/understand/258.aspx). Der wesentliche Beitrag dieser Berechnungen ist letztlich aber nicht die Genauigkeit der Zahlen, sondern die Tatsache, die sie aus unterschiedlichen Perspektiven hervorheben: dass immer noch große Teile der Menschheit natürlicherweise keinen Zugang zum Evangelium haben und darum als vom Evangelium unerreicht gelten.

 

Daniel Knoll ist Pastor der Immanuel-Gemeinde in Wetzlar. Er arbeitete mehrere Jahre als Projektmanager in der freien Wirtschaft, bevor er Theologie in Gießen, Wheaton und Leuven studierte. Er ist verheiratet mit Andrea und hat vier Kinder.