Irrtümer über die Weihnachtsgeschichte

Artikel von Michael Kruger
22. Dezember 2020 — 5 Min Lesedauer

Während der Weihnachtszeit begegnen wir der Geschichte von der Geburt Jesu auf vielerlei Weise. Krippen, Fernsehsendungen, Bücher, Gemälde und Weihnachtsaufführungen erzählen sie uns.

Tatsächlich hören wir die Weihnachtsgeschichte so oft, dass wir glauben, alle Details der Geschehnisse in dieser Nacht zu kennen. Doch vieles, was wir über die Weihnachtsgeschichte zu „wissen“ meinen, ist tatsächlich falsch.

Die fünf weitverbreitetsten Irrtümer sind:

1. In der Nacht von Jesu Geburt erschien ein Stern am Himmel.

Es ist fast unmöglich, eine Krippe (oder Weihnachtsaufführung) zu finden, bei der kein Stern über dem Stall hängt. Tatsächlich scheint das der Inbegriff von Jesu Geburt zu sein.

Das Problem dabei ist, dass es keine Hinweise auf einen Stern gibt, der in der Nacht von Jesu Geburt über der Krippe erschienen sein soll. Ganz im Gegenteil: Als die Engel den Hirten, die bei Nacht ihre Herden bewachten, die Geburt Jesu verkündeten (Lk 2,8–11), wiesen sie sie nicht an, nach einem Stern Ausschau zu halten. Sie sollten nach etwas anderem zu suchen: „Und das sei für euch das Zeichen: Ihr werdet ein Kind finden, in Windeln gewickelt, in der Krippe liegend“ (Lk 2,12).

Der Stern erschien nicht den Hirten, sondern den Weisen aus dem Morgenland (Mt 2,2), die Jesus allem Anschein nach einige Zeit später besuchten. Wie viel später ist unklar, doch der Befehl des Herodes, in der Region alle Babys unter zwei Jahren töten zu lassen, deutet darauf hin, dass Jesus möglicherweise schon seit einiger Zeit in Bethlehem war.

2. Drei weise Männer besuchten ihn.

Zurück zu den Weisen aus dem Morgenland: In der Kunst und in Liedern („Die Heiligen Drei Könige“) wird uns immer wieder vermittelt, dass sie zu dritt waren. Das Problem dabei ist jedoch, dass diese Zahl nirgends in den biblischen Berichten auftaucht.

In Matthäus lesen wir lediglich: „Als nun Jesus geboren war in Bethlehem in Judäa, in den Tagen des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem“ (Mt 2,1).

Die Vorstellung, dass es sich um drei weise Männer handelte, entstand wahrscheinlich aufgrund der drei Gaben, die Matthäus erwähnt: Gold, Weihrauch und Myrrhe (Mt 2,11).

3. Es gab in der Herberge keinen Platz mehr für sie.

Ein weiteres Muss in modernen Krippenspielen ist die Szene vor der Herberge. Josef und seine Frau Maria – die kurz vor der Geburt steht – werden grausam von dem Wirt abgewiesen, der kein Mitgefühl mit ihnen hat.

„Die Bibel erwähnt keinen Wirt. Es ist sogar durchaus möglich, dass es noch nicht einmal eine ‚Herberge‘ gab.“
 

Dabei handelt es sich um einen weiteren Irrtum, denn die Bibel erwähnt keinen Wirt. Es ist sogar durchaus möglich, dass es noch nicht einmal eine „Herberge“ gab.

In einer kürzlich durchgeführten Studie von Stephen Carlson wird (sehr überzeugend, wie ich finde) die These aufgestellt, dass das griechische Wort, das in Lukas 2,7 üblicherweise mit „Herberge“ übersetzt wird (καταλύματι), eigentlich „Unterkunft“ bedeutet. Die Bibelstelle spricht also nicht davon, dass in der Herberge kein Platz mehr für sie war, sondern dass an dem Ort, wo sie wohnten, Platzmangel herrschte. Wo wohnten sie denn? Carlson argumentiert, dass es wahrscheinlich im Haus von Josephs Familie in Bethlehem gewesen sein muss, vielleicht in einem angrenzenden (sehr kleinen) Gästezimmer.

4. Jesus wurde in einem Stall geboren.

Da Josef keinen Platz in der Herberge bekommen hatte, schlussfolgern wir, dass sie sich gezwungen sahen, in einem Stall zu übernachten. Tatsächlich zeigt quasi jedes Krippenspiel Jesus in einem Stall.

Doch im Text lesen wir nirgendwo, dass er in einem Stall geboren wurde. Dort steht nur, dass Maria ihn „in die Krippe legte“ (Lk 2,7). Das lässt zwar auf einen Stall schließen, doch zu dieser Zeit war es nicht unüblich, dass sich im Hauptraum von Dorfhäusern eine Krippe befand, denn die Tiere waren oft nur einige Meter entfernt in einem angrenzenden Raum untergebracht.

Es könnte also durchaus sein, dass Maria Jesus gebar, als sie bei Josefs Verwandten in Bethlehem wohnten. Doch der Raum, in dem sie schliefen – wahrscheinlich ein kleines Gästezimmer oder eine hastig hergerichtete Kammer – war nicht für die Geburt geeignet. Also musste Maria im größeren Familienzimmer gebären und Jesus in die dort stehende Krippe legen.

5. Jesus wurde am 25. Dezember geboren.

Da wir Jesu Geburtstag am 25. Dezember feiern, gehen wir logischerweise davon aus, dass er auch an diesem Tag geboren wurde. Das genaue Datum seiner Geburt ist jedoch ungewiss. Im Laufe der Kirchengeschichte wurden verschiedene Tage vorgeschlagen, darunter der 21. März, der 15. April und der 20. Mai.

„Unser Bild von biblischen Geschichten wird manchmal mehr von der allgemeinen Auffassung und modernen Nacherzählungen geprägt als vom Text.“
 

Wie wurde der 25. Dezember also zu dem allgemein bekannten Datum? Es wird behauptet, dass Christen den heidnischen Feiertag Sol Invictus („Unbesiegter Sohn“), der am 25. Dezember gefeiert wurde, übernommen haben. Es gibt jedoch kaum Anhaltspunkte dafür.

Stattdessen scheinen frühe Christen von dem vermeintlichen Datum der Empfängnis Marias, nämlich dem 25. März, ausgegangen zu sein – dem Tag, den man auch für Jesu Kreuzigung annahm. Neun Monate später landet man am 25. Dezember, dem Tag seiner Geburt.

Die wahre Weihnachtsgeschichte

Diese fünf Irrtümer erinnern uns daran, dass unser Bild von biblischen Geschichten manchmal mehr von der allgemeinen Auffassung und modernen Nacherzählungen geprägt wird als vom Text selbst. Doch wenn wir die Hinweise in der Bibel genauer betrachten, entsteht ein wunderbares – und hoffentlich genaueres – Bild von dem, was in dieser Nacht vor fast 2.000 Jahren geschah.

Und was in dieser Nacht geschah, ist immer noch eines der beeindruckendsten Ereignisse in der Geschichte der Menschheit. Gott wurde Mensch und kam in unsere dunkle, kalte Welt hinein, um ein sündiges Volk zu erlösen.

Das ist die Geschichte, die Weihnachten tatsächlich zum „Frohen Fest“ macht.