
Pardon, ich bin Christ
Stell dir vor, du hast eine Schachtel Pralinen in der Hand. Falls du gerade welche zuhause hast – vielleicht willst du sie holen? Natürlich nur, um deiner Vorstellungskraft etwas zu helfen. Bei Pralinen gibt es für mich nur drei Kategorien: „lecker“, „geht so“ und „Marzipan“. Marzipan ist der Fachbegriff für alles, was überhaupt nicht schmeckt.
„Pardon, ich bin Christ von C.S. Lewis ist mit einer Schachtel Pralinen vergleichbar.“
Wozu die ganze Rede über Schokolade? Weil Pardon, ich bin Christ von C.S. Lewis mit einer Schachtel Pralinen vergleichbar ist. Ich habe das Buch das erste Mal vor 15 Jahren gelesen, seitdem jedoch nur gelegentlich reingeschaut oder mal nach einem Zitat darin gesucht. Daher habe ich mich sehr gefreut, es diesen Herbst noch mal richtig zu lesen. Es war wie eine frische Begegnung mit Pralinen, die man seit längerem nicht mehr gegessen hat und nachdem man eine lange Zeit auf Schokolade verzichtet hat. Jeder Geschmack wirkt viel intensiver als man ihn in Erinnerung hatte. Nur wenig von dem, was Lewis schreibt, wirkt lasch oder fade. Viel mehr überrascht er einen damit, wie „lecker“ seine Gedanken sind. Doch leider manchmal auch damit, wie furchtbar Marzipan schmeckt.
Das Buch besteht aus Radioansprachen, die Lewis bei der BBC zwischen 1941 und 1944 gehalten hat. Das zeigt sich sowohl in Lewis’ Veranschaulichungen, die gelegentlich mit dem Krieg zu tun haben, wie auch in seinem Schreibstil, der leicht zugänglich ist. Ursprünglich in drei Reihen ausgestrahlt, sind sie im Buch unter vier großen Themen zusammengeführt:
- Recht und Unrecht als Schlüssel zum Sinn des Universums
- Was Christen glauben
- Christliches Verhalten
- Jenseits der Persönlichkeit: erste Schritte zum Verständnis der Dreieinigkeit.
Lewis schreibt bewusst und offen nicht als Fachtheologe, sondern als „ganz gewöhnlicher Laie in der Church of England“ (S. 12). Er plädiert weder für anglikanisches Christentum, noch für die theologischen Merkmale irgendeiner Denomination, sondern für ein „mere Christianity“ bzw. „bloßes Christentum“, in welchem sich jeder wiederfinden kann.
Beim Schokolade essen lässt man ja den grauenhaften Marzipan in der Schachtel liegen und zielt eifrig zuerst auf die Champagner-Trüffel oder die Pralinen mit Karamell. Ich will es in diesem Artikel andersherum angehen. Zuerst sollen einige „Marzipangedanken“ in Lewis’ Werk dargestellt werden, bevor es zum Genuss kommt. Der Nachgeschmack soll Appetit machen, Lewis selbst einmal mal zu lesen.
Die „Marzipanstellen“
Der bitterste Geschmack kommt an der Stelle, an der Lewis vom Kreuz spricht. Wie Andrew Moody in dem Artikel „Der König und sein Henker“ darlegt, ist Lewis’ Verständnis des Kreuzes sehr mangelhaft, zumindest zu der Zeit, in denen er die Radioansprachen hält. Nachdem er die Lehre vom stellvertretenden Sühnetod Christi kurz erklärt, fügt er hinzu, „Ich gebe zu, heute erscheint mir auch diese Theorie nicht mehr ganz so unmoralisch und dumm wie früher” (S. 72). Das ist nicht gerade ein Loblied auf das Erlösungswerk Christi! Beim Kreuz, so Lewis, zählt:
„dass der Tod Christi uns irgendwie mit Gott ins Reine gebracht und uns einen neunen Anfang verschafft hat. […] Es sind eine ganze Menge verschiedener Theorien darüber geäußert worden, wie das funktioniert. Einig sind sich alle Christen nur darüber, dass es funktioniert.” (S.72–73).
Dieser Gedanke, der am Anfang schon eine gewisse Plausibilität behält, führt allerdings weg vom biblischen Reichtum und in eine öde Wüste.
Die Bibel gibt uns nicht Theorien des Kreuzes, sondern eine Theologie des Kreuzes! Und ja, die biblische Theologie des Kreuzes hat viele Facetten. Aber das ist der Kern aller Facetten und was sie alle zusammenhält: Gott, der Sohn, hat an unserer Stelle den Zorn Gottes getragen (vgl. z.B. Kol 2,13–15).
Später, als Lewis zur Frage kommt, ob Glaube oder gute Werke retten, bedient er sich einiger Strohmänner, um die jeweilige Position zu karikieren und Philipper 2,13 als endgültige Antwort anzuführen. Dabei hat dieser Vers herzlich wenig mit der Frage der Bekehrung zu tun.
Ein weiteres Stück Marzipan könnte man auch an folgender Stelle bemerken. Lewis behandelt in einer Passage die Frage des ewigen Schicksals für diejenigen, die nie von Jesus gehört haben. Lewis schreibt: „Wir wissen nur, dass außer durch Christus kein Mensch erlöst werden kann. Ob nur diejenigen durch ihn erlöst werden können, die ihn auch kennen, wissen wir nicht” (S. 83). Später behauptet er, „Es gibt Menschen in anderen Religionen, die insgeheim von Gott dahin geleitet werden, sich auf die Elemente ihres Glaubens zu konzentrieren, die mit dem Christentum übereinstimmen, und somit zu Christus gehören, ohne es zu wissen” (S. 221). Die Bibel spricht nirgends von solchen Menschen, sondern stets von Rettung durch den bewussten Glauben an Jesus.
Ein letztes Stück Marzipan: Lewis vertritt den „freien Willen“. Er gebraucht diese Theorie zur Erklärung des Sündenfalls und kann sogar sagen: „Natürlich wüsste Gott, was passieren würde, wenn seine Geschöpfe ihre Freiheit missbrauchten. Aber anscheinend fand er, das Risiko lohne sich“ (S. 66). Gott geht ein Risiko ein? Ernsthaft? Die Bibel spricht stattdessen von einem Gott, der alles lenkt und leitet (z.B. Eph 1,11). Noch an einigen weiteren Stellen taucht der freie Wille wieder auf, bei denen man sich fragt, ob Lewis gerade eher philosophisch oder biblisch argumentiert.
Ein kurzes Zwischenfazit. Lewis war kein Evangelikaler. Reformatorische Theologie scheint er zur Zeit der Radioansprachen nicht konsequent verstanden oder beherzigt zu haben. Ein begabter Bibelausleger ist er auch nicht gewesen. Er ist, wie er selbst sagt, ein Laie, der anderen helfen will, Jesus kennen zu lernen.
„Meiner Meinung nach eignet sich dieses Buch am besten für Christen, die das Gute behalten und den ‚Marzipan‘ beiseite lassen können.“
Dennoch ist er ein sehr begabter Laie! In diesem Licht können sogar seine „Marzipanmomente“ hilfreich für uns sein. Große Denker machen oft große Fehler. Aber aus großen Fehlern kann man große Lektionen ziehen. Die irreführenden Stellen bieten eine wunderbare Möglichkeit für Jüngerschaft und persönliches Wachstum. Man muss diese Stellen nur hinterfragen: Wieso liegt Lewis hier falsch? Was treibt ihn dazu, das zu sagen? Was sollte man erwidern? Wie könnte man ihn gar biblisch überzeugen? Oder, was übersieht Lewis bei seiner Abhandlung des christlichen Glaubens, das man eigentlich erwähnen sollte?
Die „Champagner-Trüffel“
Aber nun endlich zu den Champagner-Trüffeln! Ich möchte drei Pralinen erwähnen, die Lewis grandios auftischt.
1. Sehnsucht
Wenn Lewis unsere Sehnsucht nach der Ewigkeit und nach Gott beschreibt, wirkt es, als ob man einen Teil von sich zum ersten Mal im Spiegel sieht. Er erklärt beispielsweise:
„Die meisten Leute wüssten, wenn sie wirklich gelernt hätten, in ihre eigene Herzen zu schauen, dass sie tatsächlich etwas wollen, ja sich schmerzlich nach etwas sehnen, was in dieser Welt nicht zu haben ist“ (S. 151).
Tatsächlich lernt man beim Lesen von Pardon, ich bin Christ nicht nur Gott besser kennen, sondern auch sich selbst und die tiefen Sehnsüchte, die uns wie unsichtbare Wasserströmungen treiben.
Gut bekannt ist z.B. folgende Aussage:
„Wenn ich aber in meinem Innern ein Verlangen verspüre, das auch kein Erlebnis in dieser Welt befriedigt werden kann, dann ist die wahrscheinlichste Erklärung dafür die, dass ich für eine andere Welt gemacht bin“ (S. 152).
Genauso einleuchtend ist folgende Feststellung: „Kein Geschöpf wird mit irgendeinem Verlangen geboren, wenn es für dieses Verlangen überhaupt keine Befriedigung gibt“ (S. 152).
2. Verlorenheit
Lewis weiß die Sündhaftigkeit mit beißender Klarheit darzustellen. Wenn unsere Gesellschaft heute nach Selbsterfüllung strebt, sagt Lewis schon vor 80 Jahren:
„Nichts ist gefährlicher, als wenn man einen bestimmten natürlichen Trieb zu dem höchsten Ziel erhebt, dem man um jeden Preis folgen sollte. Es ist nicht einer darunter, der uns nicht in wahre Teufel verwandeln würde, wenn wir ihn zum absoluten Leitstern erhöben“ (S. 31).
Oder Lewis kontert, wenn Leute ihre Sünde durch äußere Umstände rechtfertigen wollen:
„Wenn Sie Ratten im Keller haben, bekommen Sie sie am ehesten zu Gesicht, wenn Sie ganz plötzlich hineingehen. [...] Die Ratten im Keller sind immer da, aber wenn Sie polternd und lärmend die Treppen herunterkommen, haben sie sich längst versteckt, bevor Sie das Licht anmachen. Offenbar sind die Ratten der Griesgrämigkeit und Rachsucht in meinem Seelenkeller auch immer da“ (S. 207).
Lewis schreibt auch darüber, dass unsere moralische Bewertung von Menschen und Sünden schiefgehen kann:
„Manche von uns, die einen sehr netten Eindruck machen, haben vielleicht in Wirklichkeit aus unserem guten Erbe und unserer guten Erziehung so wenig gemacht, dass wir im Grunde schlimmer sind als manche Leute, die wir als Monster betrachten“ (S. 108).
Immer wieder muss man die Logik bewundern, mit der Lewis große Teile dieses Buches geschrieben hat. Zum Beispiel erklärt er, warum manche Menschen nicht erkennen, dass sie Sünder sind:
„Man bemerkt Rechenfehler, wenn man klar denkt. [...] Man weiß, was es mit Trunkenheit auf sich hat, wenn man nüchtern ist, nicht, wenn man betrunken ist. Gute Menschen wissen über Gutes und Böses Bescheid; schlechte über keines von beiden“ (S. 110).
3. Verhalten
Es ist immer wieder ein Genuss, zu lesen, was Lewis über unser Verhalten bzw. über ethische Fragen schreibt. In der Einleitung eines Kapitels zur Sexualethik stellt Lewis fest, dass die christliche Sexualethik „so schwierig und unseren Instinkten so entgegengesetzt [ist], dass offenbar entweder das Christentum sich irrt oder mit dem sexuellen Instinkt, wie er heute ist, etwas schiefgegangen ist“ (S. 112). Mit dieser Art von Apologetik weiß Lewis die Einwände gegen christliche Ethik auf den Kopf zu stellen und als Einwände gegen säkulare Weltanschauungen zu gebrauchen.
„Lewis weiß die Einwände gegen christliche Ethik auf den Kopf zu stellen und als Einwände gegen säkulare Weltanschauungen zu gebrauchen.“
Um das Beispiel der Selbsterfüllung noch mal aufzugreifen. Lewis schreibt mit wunderbarer Klarheit:
„Je mehr wir das, was wir jetzt unser ‚Selbst’ nennen, aus dem Weg schaffen und uns von [Christus] regieren lassen, desto mehr werden wir wahrhaft wir selbst. Es gibt ja so viel von ihm, dass auch Millionen und Abermillionen ‚kleiner Christusse’ in all ihrer Unterschiedlichkeit nicht ausreichen, um ihn vollständig auszudrücken. [...] In diesem Sinne wartet unser wahres Selbst in ihm auf uns“ (S. 237).
Diese Einsicht hat enormes Potenzial als heilsame Salbe für Christen und Gemeinden in einem Zeitalter der Zersplitterung.
Man könnte noch viel mehr sagen. Lewis’ Bemerkungen zu Selbstbeherrschung (S. 117), zu Demut (S. 145), zur Suche nach Glück (S. 191) oder zum Vaterunser (S. 202) sind so kostbar, dass man sie am besten nur langsam auf der Zunge zergehen lässt.
Fazit
Das bringt mich zu zwei abschließenden Feststellungen.
„Lewis größtes Geschenk an uns sind nicht die vielen einsichtsvollen Zitate, sondern ist seine Denkweise; die Art wie er die Welt gesehen hat.“
Wer soll diese Pralinen essen? Lewis schreibt bewusst evangelistisch, er will Menschen zum Christentum, ja, zu Jesus führen. Das Buch lässt sich also Menschen schenken, die noch nicht Christen sind. Aber ich glaube, ich würde meinen Freunden lieber Der Christliche Glaube: Eine Einführung von John Stott oder Warum Gott? Vernünftiger Glaube oder Irrlicht der Menschheit? von Tim Keller schenken, denn bei diesen Bücher wäre im Anschluss nicht so viel Aufräumarbeit zu leisten. Meiner Meinung nach eignet sich dieses Buch am besten für Christen, die das Gute behalten und den „Marzipan“ beiseite lassen können. Wie schon gesagt – gerade um das biblische Urteilsvermögen zu stärken, lässt sich dieses Buch mit großem Gewinn mit anderen Christen lesen und besprechen.
Wie soll man diese Pralinen essen? Aus bitterer Erfahrung weiß ich, dass der Geschmack verloren geht, wenn man zu viel Schokolade auf einmal verzehrt. Viel besser ist es, die Pralinen langsam zu genießen und der Verdauung auch etwas Zeit zu geben. So ist es auch bei diesem Buch. Es eignet sich sehr gut, es in kleinen Happen zu verspeisen, die man anschließend durchdenkt oder mit Freunden bespricht.
Je mehr man an Lewis’ Schriften kaut, desto mehr lernt man wie Lewis zu denken; die Welt durch seine Augen zu sehen. Das ist vielleicht sein größtes Geschenk an uns. Nicht die vielen einsichtsvollen Zitate, sondern seine Denkweise; die Art wie er die Welt gesehen hat.
Buch
C.S. Lewis, Pardon, ich bin Christ, Kreuzlingen, Fontis 2018, 240 Seiten, 12,00 €.