Was ist ein Apostel?

Artikel von Carlton Wynne
8. Dezember 2020 — 9 Min Lesedauer

Mit Freude bekennen Christen auf der ganzen Welt, an „die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“ zu glauben (Nicäno-Konstantinopolitanum, 381 n.Chr.). Diese eine und einzige Kirche, die Gott zu allen Zeiten und an allen Orten (katholisch) abgesondert hat (heilig), besteht aus jenen, die er aus der Welt heraus und unter die errettende Herrschaft des einzig wahren Erlösers, des Herrn Jesus Christus, versammelt hat. Aber diese Beschreibungen gelten nur, wenn die Kirche zudem auch „apostolisch“ ist – was bedeutet, dass sie durch den Dienst und die Botschaft von Jesu Aposteln aufgebaut wurde, mit dem erhöhten Christus als Eckstein (Eph 2,20). Die Apostel waren es, die uns den Inhalt der Lehre überliefert haben, der auch heute noch die Kirche definiert – offenbart durch den Heiligen Geist, mit Gottes vollbrachter Erlösung durch das Werk des menschgewordenen Christus im Mittelpunkt. Damit die Kirche „apostolisch“ ist, muss sie an dem, was die Apostel über Gott und das Evangelium gelehrt haben, festhalten. Aber was genau ist ein Apostel?

Wer waren die Apostel?

Im Neuen Testament und insbesondere bei Paulus wird das griechische Wort apostolos (Apostel) auf mindestens zweierlei Weise verwendet. In der weiter gefassten Bedeutung ist damit jemand gemeint, der als Gesandter oder Repräsentant seines Auftraggebers mit einer speziellen Aufgabe ausgesandt wird. Als beispielsweise die beiden Begleiter des Titus mit ihm nach Korinth kamen, um dort die Spende für die Heiligen in Jerusalem entgegenzunehmen, kamen sie als „Gesandte [apostoloi] der Gemeinden“ Mazedoniens (2Kor 8,23). Ähnlich war auch Epaphroditus von der Gemeinde in Philippi ausgesandt worden, als „Gesandter [apostolos] und Diener meiner [Paulus’] Not“ (Phil 2,25). In diesem weiteren Verständnis des Begriffs apostolos klingt möglicherweise eine jüdische Rechtsauffassung an, die beinhaltet, dass ein Botschafter insofern seinem Auftraggeber ähnlich ist, als er mit seinem Handeln dessen Willen und Autorität widerspiegelt. So stellt auch Jesus fest: „Der Knecht ist nicht größer als sein Herr, noch der Gesandte [apostolos] größer als der ihn gesandt hat“ (Joh 13,16).

Die zweite Bedeutung des Wortes ist enger gefasst und für uns sicherlich die vertrautere: Apostolos bezeichnet jemanden, der von Christus in einzigartiger Weise damit beauftragt wurde, autoritativ von seiner Person und seinem Werk Zeugnis abzulegen. Jesus hatte für diese Aufgabe ursprünglich die Zwölf ausgewählt (Lk 6,13). Nach dem Verrat durch Judas wurde Matthias „zu den elf Aposteln hinzugezählt“ (Apg 1,26). Und nachdem Christus vom Himmel her dem Saulus von Tarsus auf der Straße nach Damaskus begegnet war, wurde aus diesem Saulus – dem späteren Paulus – „der geringste von den Aposteln“ (1Kor 15,9).

Daneben gab es weitere Zeugen, über die uns das Neue Testament zwar keine spezifische Berufung durch Christus berichtet (wie bei den obigen Beispielen), die aber mit den Aposteln in enger Verbindung standen und als solche dargestellt werden, die ihm Dunstkreis der Apostel arbeiteten. In diese Kategorie gehören Jakobus, der Bruder des Herrn (1Kor 15,7; Gal 1,19), der Arzt Lukas (Kol 4,14), Silas und Timotheus (1Kor 4,17; 2Kor 1,19), Barnabas (1Kor 9,5–6), Apollos (1Kor 4,6), möglicherweise Andronicus und Junias/Junia (Röm 16,7) und noch einige mehr. Die Flexibilität, mit der das Neue Testament den Begriff apostolos verwendet, macht es für uns schwierig, genau zu bestimmen, wer von diesen Leuten nun ein Abgesandter einer Gemeinde war, wer ein enger Mitarbeiter des Paulus oder aber ein offizieller „Apostel des Christus“ (2Kor 11,13). Wie viele es auch genau gewesen sein mögen, Apostel im Sinn dieses speziellen apostolischen Amts waren solche, die den auferstandenen Christus gesehen hatten (1Kor 9,1) und von ihm dazu berufen worden waren, ein göttlich beglaubigtes Zeugnis bezüglich der Tatsachen und der Bedeutung seines vollbrachten Werks zu verkünden und schriftlich niederzulegen.

Der Dienst der Apostel

Der Dienst der Apostel als Christi „Gesandte“ gründet in der tieferen Realität, dass Christus selbst der Eine ist, der vom Vater „gesandt“ wurde, um unser menschgewordener Erlöser zu sein (Mk 9,37). Der Autor des Hebräerbriefs bezeichnet Jesus daher als „den Apostel und Hohenpriester unseres Bekenntnisses“ (Hebr 3,1). Als der ewige Sohn ist er die göttliche Ausstrahlung der Herrlichkeit des Vaters (Hebr 1,3), er ist der Eine, der als Mensch die Identität und den Willen des Vaters in höchster Vollendung offenbarte (Joh 6,38; 14,9).

Die Apostel, die persönlich von Jesus berufen und ausgesandt worden waren, erhielten von Christus, dem Messias Gottes, übernatürliche Kraft für ihren Dienst. Sie geboten in Jesu Vollmacht den dämonischen Kräften und den körperlichen Krankheiten, als sie die Gute Nachricht von Gottes Reich auf Erden verkündeten (Mt 10,1.5; Lk 9,1–2). In ihren Zeichen und Wundern spiegelten sich Christi eigene Wunder wider (man vergleiche z.B. Jesu Auferweckung eines Mädchens in Markus 5,41 mit der Auferweckung einer Frau durch Petrus in Apostelgeschichte 9,40) und auf diese Weise wurde ihre Verkündigung des Erlösungswerks Christi bestätigt. Die Bürger eines Staates ehren den Präsidenten oder König eines anderen Staates, indem sie seinen Botschafter willkommen heißen. So ehrten auch diejenigen Israeliten, die die Apostel aufnahmen und auf ihre Predigt von Christus mit Glauben reagierten, auf diese Weise den Vater, der Christus gesandt hatte (Mt 10,40).

Christi Beziehung zu seinen Aposteln nahm nach der Himmelfahrt noch beeindruckendere Ausmaße an, als er an Pfingsten aus der Verherrlichung bei seinem Vater den Heiligen Geist auf die Gemeinde ausgoss (Apg 2,33). Nachdem sie drei Jahre lang in Jesu körperlicher Gegenwart im Dienst vorbereitet worden waren, wurden sie jetzt mit seiner geistlichen Gegenwart vom Himmel her ausgestattet. Nun wurden die Apostel und ihre Gefährten zu Pfeilen auf Christi Bogen, durch die die Errettung, die er erwarb und die sie verkündeten, von Jerusalem bis an die Enden der Erde gelangen sollte (Apg 1,8). Diese göttlichen Botschafter zeichneten sich nicht dadurch aus, dass sie sich mit materiellem Wohlstand schmückten oder religiöse Neuerungen anpriesen. Sondern als solche, die von der Welt verachtet wurden, bildeten sie durch ihr Leben und ihre Predigt den Tod Jesu ab, so dass zahllose Generationen von Gläubigen durch ihn leben sollten (2Kor 4,8–12). Durch die Apostel offenbarte Gott der Welt, was Paulus das „Geheimnis des Christus“ nannte (Eph 3,4) – den göttlichen Plan, Juden und Heiden zu retten, bevor die Herrlichkeit des Himmels sichtbar auf der Erde offenbart wird unter der allumfassenden Herrschaft des Königs Jesus (vgl. Eph 1,9–10; Phil 2,10–11).

Die Begrenzung des Apostelamts

Da die Apostel als Augenzeugen des Dienstes Christi beauftragt wurden (vgl. z.B. Joh 1,14; 15,27; Apg 1,21–22) und da sie durch den Heiligen Geist inspiriert waren, ist ihre Interpretation seiner Person und seines Werkes, wie wir sie in der Schrift finden, unfehlbar und allgenugsam. Ihre Schriften offenbaren die heiligen „Überlieferungen“ (2Thess 2,15), an denen alle Christen festhalten sollen. Ihre Lehre formt den Glauben, „der den Heiligen ein für alle Mal überliefert worden ist“ (Jud 3; vgl. 1Kor 11,23; 15,3–4). Christi rettendes Werk auf Erden ist vollbracht (vgl. Joh 19,30), und dieses Abgeschlossensein hat seine Entsprechung in einem abgeschlossenen apostolischen Wort Gottes, nämlich dem Werk des Neuen Testaments. Die unumgängliche Schlussfolgerung ist, dass die schriftlichen Worte der Apostel für immer bestehen bleiben (1Petr 1,24–25), das Apostelamt als solches aber aufgehört hat.

Paulus bestätigt klar den Ein-für-alle-Mal-Charakter des Apostelamts, wenn er erklärt, dass die Gemeinde „auf der Grundlage der Apostel und Propheten“ (Eph 2,20) aufgebaut wird. Wie das Fundament eines Hauses nur einmal gelegt wird, so gibt es auch kein weiteres apostolisches Zeugnis und keine neue prophetische Offenbarung mehr. Stattdessen bildet die apostolische Botschaft – gemeinsam mit der Offenbarung im Alten Testament (vgl. z.B. 2Petr 3,2) – nun den unerschütterlichen Fels, auf dem Gott Christen als „lebendige Steine“ zusammenfügt (1Petr 2,5). Er baut sie zu einem geistlichen Haus auf, in dem Lobopfer zum Himmel steigen, die seinen Namen verherrlichen. Deswegen sollten sich Christen heutzutage vor jedem in Acht nehmen, der beansprucht, ein „Apostel“ zu sein, denn dies bedeutet, das Fundament der Gemeinde für nicht ausreichend zu halten und Gott seiner Ehre zu berauben.

Was wir von den Aposteln lernen können

Auch wenn es heute keine Apostel mehr gibt, sind Christen immer noch in mindestens dreifacher Hinsicht dazu aufgerufen, „apostolisch“ zu sein. Zuerst und vor allem sollten Gläubige die verbindliche Autorität des Apostelzeugnisses wertschätzen, das im Neuen Testament aufbewahrt wird, und ebenso die alttestamentliche Offenbarung (vgl. Lk 24,44–45). Wenn wir unsere Bibel in der Hand halten, sollten wir darüber staunen, dass wir die Offenbarung Christi besitzen, die „in früheren Generationen den Menschenkindern nicht bekannt gemacht wurde, wie [sie] jetzt seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist geoffenbart worden ist“ (Eph 3,5). Die apostolische Lehre über Gott und sein Evangelium vereint die Kirche über alle Zeitalter hinweg – es fehlt in ihr nichts, was notwendig wäre, um in ewiger Gemeinschaft mit Gott zu leben. Wir sind dankbar dafür, dass Gott „in diesen letzten Tagen“ (Hebr 1,2) in seinem Sohn aus der Kraft des Geistes durch die Apostel geredet hat.

Zweitens sollten Christen nicht überrascht sein, wenn sie mit dem gleichen Widerstand der Welt konfrontiert werden wie seinerzeit die Apostel. Man erinnere sich nur, wie der Apostel Paulus in Korinth und anderswo als schwach verspottet wurde (2Kor 10,10), als töricht (11,16) und sogar als hinterlistig (12,16). Für die Klugen und Mächtigen dieser Welt waren Paulus und seinesgleichen der „Kehricht der Welt“, der „Abschaum aller“ (1Kor 4,13). Unsere zunehmend säkulare Kultur spottet heute oft in ähnlicher Weise über Nachfolger Christi. Wir sollten uns in unserer Reaktion Paulus zum Vorbild nehmen, der sich nicht seiner religiösen oder weltlichen Leistungen rühmte. Stattdessen konnte er sich darüber freuen, dass in seinen Leiden um des Glaubens willen sichtbar wurde, dass er zur himmlischen Welt gehörte, zur Schule des Geistes und zum Triumphzug des Sieges Christi über Sünde und Tod (1Kor 2,12–13; 2Kor 2,14).

Drittens und letztens sollten „apostolische“ Christen, die die Schrift in dieser gefallenen Welt hochschätzen, eine christusähnliche Kühnheit darin zeigen, zu Gottes Ehre zu leben. Auch wenn uns nicht der gleiche grundlegende Auftrag gegeben ist wie den Aposteln, so sind doch alle Christen dazu berufen, den Missionsbefehl entsprechend ihrer Position in Gottes Reich auszuführen. Wir sind dankbar, dass der gleiche Christus, der den Aposteln zugesagt hat bei ihnen zu sein „bis an das Ende der Weltzeit“ (Mt 28,20), durch den Geist auch mit uns heute ist, und dass nichts seinen Heilsplan vereiteln kann. Der lebendige Gott, der das eine Fundament der Gemeinde durch Christus und seine Apostel gelegt hat, wird sie auch am Tag Christi vollenden, und nichts wird sich dem widersetzen können (Mt 16,18).